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Der ukrainische Schachmeister Isaak Lipnitzky war außerhalb der Sowjetunion weitgehend unbekannt und wäre es wohl auch geblieben, hätte nicht der Quality Chess Verlag sein Lehrbuch "Fragen der modernen Schachtheorie" ins Englische übersetzt. Lipnitzky war ein Jahr älter als David Bronstein, der ihn mit einer Partie in seinem Buch "The Sorcerer's Apprentice" (Der Zauberlehrling) erwähnt. Beide waren Ukrainer, stammten aus Kiev und gingen ihren Weg zur Meisterschaft ein Stück gemeinsam. Das Lebensschicksal von Bronstein und Lipnitzky war jedoch ganz verschieden. Bronstein spielte um die Weltmeisterschaft, war lange Zeit ein Spitzenspieler und starb 2006 im Alter von 82 Jahren. Da war Isaak Lipnitzky schon seit fast 50 Jahren tot.
Über das Geburtsdatum von Isaak Lipnitzky gibt es unterschiedliche Angaben. In einigen Quellen wird der 25. Juni 1923, in anderen der 19. September 1923 genannt. Edward Winter konnte auf Nachfrage Aufschluss geben. Richtig ist der 25. Juni 1923 als Geburtsdatum. So oder so jährt sich sein Geburtsdatum in diesem Jahr zum 95sten Mal.
Wie bei vielen anderen Spielern dieser Generation auch, unterbrach der Zweite Weltkrieg die Schach-Entwicklung. Lipnitky war 19 Jahre alt, als die Reichswehr in die UdSSR einmarschierte. Er wurde in die Rote Armee eingezogen und soll in Stalingrad gekämpft haben. Den Krieg überlebte Isaak Lipnitzky. Danach nahm er wieder an Schachturnieren teil und qualifizierte sich über die ukrainischen Meisterschaften für das Finale der UdSSR-Meisterschaften 1950 in Moskau. Dort belegte er hinter Paul Keres zusammen mit Tolush und Aronian den geteilten zweiten Platz, vor Spielern wie Smyslov, Boleslavsky, Geller oder Petrosian.
Im folgenden Jahr konnte sich Lipnitzky erneut für das Finale qualifizieren, seinen Erfolg aber bei Weitem nicht wiederholen. Er wurde 16ter. Im Jahr danach belegte er den 17ten Platz. Sein letztes Turnier, die Ukrainische Meisterschaft, spielte er 1956. Am 25. März 1959 starb Isaak Lipnitzky an Polyzythämie, einer Blutkrankheit.
Zuvor veröffentlichte er ein Lehrbuch "Fragen der modernen Schachtheorie". Es erreichte in der UdSSR bald Kultstatus, auch weil es zunächst nur in einer geringen Erstauflage von 15.000 (!) Exemplaren gedruckt worden war. Angeblich soll Robert Fischer Russisch gelernt haben, nur um Lipnitzkys Buch lesen zu können. Anlässlich des 95sten Geburtstages erschien kürzlich eine neue Biographie über Isaak Lipnitzky, verfasst von Nikolai Fuzik und Alexei Radchenko. Auf Chesspro.ru erschien ein Artikel von Nikolai Fuzik über Isaak Lipnitzky, den wir hier in gekürzter Form mit freundlicher Genehmigung nachdrucken.
André Schulz
Isaak Lipnitzky in seiner Partie gegen Efim Geller bei der UdSSR-Meisterschaft 1952, 4. Dezember 1952 (Archiv S. Voronkov)
Im Frühjahr dieses Jahres hat der BMB Verlag in Odessa ein Buch von Nikolai Fuzik und Alexei Radchenko über Isaak Lipnitzky herausgebracht.
Das Hauptwerk seines kreativen Schaffens, das Buch "Fragen der modernen Schachtheorie", erreichte erst 1956 seine Leser. Ursprünglich hatte der Autor vor, eine Monographie über die Ragozin-Verteidigung zu schreiben, die er häufig gespielt und über die er 1953 einen größeren Artikel veröffentlicht hatte.
Lipnitzki hatte Wert darauf gelegt, sein Buch mit einer Einführung in die allgemeinen Gesetze des Schachs zu beginnen und diese anhand der Eröffnungsvarianten zu veranschaulichen. Die Einführung wurde schließlich zum Hauptteil des Buches, während der zweite Teil "Die Ragozin-Verteidigung" die Themen des ersten Teils vertieft.
Das Werk wurde in einer lebendigen literarischen Sprache verfasst, die den Leser sofort in seinen Bann zieht. Lipnitzky stellt in seinem Buch immer wieder klar, dass es keine universellen Gesetze gibt, lediglich Orientierungspunkte, die, je nach Brettstellung, vollkommen unterschiedlich ausfallen können.
Das Buch ist zuerst in Kiew erschienen. Die erste Auflage – 15 tausend Exemplare – war nach sowjetischen Maßstäben eher bescheiden ausgefallen, was dazu führte, dass das Werk fast augenblicklich eine bibliographische Rarität wurde.
Ende des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts wurden "Fragen der modernen Schachtheorie" und der Autor schlagartig aus der Vergessenheit zurückgeholt, nachdem das Buch mehrfach nachgedruckt wurde, zuerst auf russisch (2007), danach auf englisch (2008). 2009 folgte die Übersetzung auf deutsch und 2012 auf spanisch.
Die aktuelle Fassung des Buches unterscheidet sich von der Originalausgabe. Wir wollen aber nicht urteilen und lassen die Fachleute entscheiden, ob es gerechtfertigt war, Teil zwei "Die Ragozin-Verteidigung" komplett zu streichen und sie durch eine Auswahl der besten Partien des Autors zu ersetzen.
Viele Weltmeister, u.a. Michail Botvinnik und Bobby Fischer, haben in ihren eigenen Werken Lipnitskys Empfehlungen angeführt. Das Buch, das Karpov als "in engen Kreisen weit verbreitet" definierte, belegt einen Ehrenplatz im Bücherregal vieler Großmeister und Trainer. Seltener erwähnt wird, dass dieses Werk im letzten halben Jahrhundert sehr vielen Schachspielern vorenthalten wurde. Der Autor einer englischsprachigen Rezension schreibt:
"Das westliche Schach wäre heute anders, wäre die englische Übersetzung dieses Buches ein halbes Jahrhundert früher erschienen." Vielleicht wäre auch das sowjetische Schach anders geworden, hätte das breite Schachpublikum vor einem halben Jahrhundert Zugang zu diesem Buch gehabt.
Die wärmste und informativste Bewertung nach der Erscheinung in englischer Sprache veröffentlichte der holländische Schachspieler Arne Moll auf chessvibes.com:
"Oftmals werden die besten Bücher am schlechtesten behandelt. So mussten mehr als 25 Jahre vergehen, bevor der große Roman von Michail Bulgakow "Meister und Margarita" das Licht der Welt erblickte. Das ist noch gar nichts im Vergleich zu den 52 Jahren, die vergingen, bevor Isaak Lipnitzkys Buch "Fragen der modernen Schachtheorie" auf englisch übersetzt wurde. Der Verlag Quality Chess brachte es in einer aktuellen, überarbeiteten Fassung heraus. Ohne dass es übertrieben klingt, darf man behaupten, dass das westliche Schach heute anders ausgesehen hätte, wäre das Buch früher verfügbar gewesen.
Isaak Lipnitzky wurde 1923 in Kiew, der heutigen Hauptstadt der Ukraine, geboren. Er war ein starker sowjetischer Schachspieler der 1950er Jahre, starb aber tragischerweise schon früh, 1959 an den Folgen der Leukämie starb. Sein Buch "Fragen der modernen Schachtheorie" kam 1956 in der Sowjetunion heraus. Bei der Lektüre dieses Buches wird dem Leser klar, warum Bobby Fischer, Gerüchten zufolge, russisch lernte, um dieses Werk lesen zu können. (Einer anderen Legende nach hat der junge Bobby das Buch mit Hilfe seiner Mutter gelesen und darüber hinaus die Feinheiten und Kniffe der russischen Sprache erlernt! – Anm. des Autors.)
Das Buch ist immer noch aktuell. In der Tat erinnert es mich an John Watsons "Geheimnisse der modernen Schachstrategie - Entwicklung nach Nimzowitsch", ein moderner Klassiker, den Watson 1998 verfasste und für den er einige Auszeichnungen bekam. Eigentlich wurden viele der "modernen" Themen schon 40 Jahre vor Watsons Buch von Lipnitzky diskutiert. Dass Lipnitzky in seinem Werk Beispiele aus historischen Klassikern bringt, lässt die Bezeichnung "modern" im Titel von Watsons Buch zweifelhaft erscheinen. Im Kapitel "Das Zentrum über die Flügel erobern" illustriert Lipnitzky das, was Watson 1998 "Das neue Zusammenspiel der Flügel mit dem Zentrum" nannte. Bezüglich des Zitats von Nimzowitsch: "Bauernzüge in der Eröffnung sind nur dann zulässig, wenn sie direkt oder indirekt zur Eroberung des Zentrums beitragen.", meint Watson: "Heute sind diese Prinzipien nicht mehr so schwerwiegend."
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Mit dem Sieg 1956 bei der UdSSR-Meisterschaft hatte Isaak Lipnitzky seine Spielerkarriere beendet. Der Grund: Sein Gesundheitszustand hatte sich stark verschlechtert, dabei war Lipnitsky mit seinen 33 Jahren in seiner Blütezeit. Wer weiß, welche Erfolge, Schach-Meisterwerke und lehrreiche Partien dem Maestro selbst und der Schachwelt, der tödlichen Krankheit wegen, entgangen sind.
Erst kurz vor seinem Tod beendete Lipnitzky seine Zusammenarbeit mit der Zeitschrift "Ukraina". Die vielen Artikel, die er zwischen 1951 und 1958 für diese Zeitschrift schrieb, lassen sich durchaus zu einem netten unterhaltsamen Büchlein zusammenstellen.
Isaak Oskarovitsch Lipnitsky verstarb am 25. März 1959 ...
Quelle: https://chesspro.ru/thesaurus/fuzik_lipnitsky_book
Gekürzte und freie Übersetzung mit freundlicher Genehmigung: Vera Jürgens