Kadereinteilungen und Nominierungen hinterfragt
Interview der DSJ mit Andreas Jagodzinsky vom 10. Dezember 2017
Kadereinteilungen und Nominierungsentscheidungen sind immer kritische Entscheidungen, da man sich für und gegen Personen aussprechen muss. So nimmt es nicht Wunder, dass die aktuellen Kadereinteilungen des Deutschen Schachbundes auch kritisch diskutiert werden. Auffällig sind zum Beispiel die sehr wenigen Mädchen in den DSB-Kadern. Wie wird dies begründet? Diese und andere Fragen stellt die Deutsche Schachjugend dem Leistungssportreferenten des DSB Andreas Jagodzinsky, der seit Mai 2017 im Amt ist.
Die Kader für 2018 wurden von der Kommission Leistungssport neu aufgestellt und veröffentlicht. Für den Laien kurz erklärt, was ist der Kader und wie kann man in den Kader des DSB kommen?
Die Einteilung besonders leistungsstarker und förderungswürdiger Sportler in verschiedene Kaderstufen ist keine Besonderheit des Schachs, sondern wird einheitlich in allen Sportarten der im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) organisierten vorgenommen.
Von unten nach oben sieht das ungefähr wie folgt aus: Auf Landesebene werden im D1-D4-Kader die besten Schachspieler der Landesverbände gefördert. Das sollen diejenigen sein, die bei Deutschen Meisterschaften Medaillen gewinnen können. Der D/C-Kader bildet die Schnittstelle zwischen Landesverband und DSB. Dort werden besonders spielstarke Kinder und Jugendliche, die auch bereits Medaillen bei der Deutschen Einzelmeisterschaft gewonnen haben, durch die jeweiligen Landestrainern aber auch in einzelnen Maßnahmen vom Bundesnachwuchstrainer gefördert.
Der C-Kader ist solchen Jugendspielern vorbehalten, die bei Weltmeisterschaften und Europameisterschaften der Jugend erfolgreich um Medaillen kämpfen können.
In den A- und B-Kader werden die Spieler aufgenommen, die für Nominierung in die Nationalmannschaft in Betracht kommen, wobei es durch entsprechende Ergebnisse auch möglich ist, an der nächsten Schacholympiade teilzunehmen, wenn man jetzt nicht in den Kader aufgenommen wurde.
Aufgrund der erfreulichen Vielzahl an talentierten Jugendspielern ist es nahezu unmöglich, dass der Bundesnachwuchstrainer oder die Mitglieder der Kommission Leistungssport alle Spieler, die für eine Neuaufnahme in Betracht kommen, detailliert kennen. Daher müssen die Spieler einen Antrag stellen, bei dem auch durch den Heimtrainer und den Landesverband eine Stellungnahme erfolgt. Alle Landesverbände erhalten vor der Nominierung der Kader eine E-Mail der Geschäftsstelle, in der an die Nominierung erinnert wird, so dass sie gezielt die Kandidaten ihres Landesverbandes ansprechen können.
Was bedeutet eine Kadermitgliedschaft für den Einzelnen?
Hier muss man zwischen den erwachsenen und den jugendlichen Kaderspielern unterscheiden. Für die erwachsenen Kaderspieler bedeutet dies zunächst, dass sie als Kandidaten für die jeweils fünf Plätze in den Nationalmannschaften gelten und im Hinblick auf diesen Saisonhöhepunkt gefördert werden sollen. Für die Jugendspieler sind verschiedene Lehrgänge geplant, in denen sie beispielsweise wie in den Jahren 2017 und 2018 auf die Mannschaftseuropameisterschaft in Bad Blankenburg vorbereitet werden sollen.
Außerdem haben jugendliche Kaderspieler aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung zwischen DSJ und DSB immer das Recht auf einen Freiplatz bei der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft und etwas erleichterte Voraussetzungen für eine WM- oder EM-Nominierung. Leider ist es so, dass der Etat des Referats Leistungssports zwar auf den ersten Blick sehr hoch erscheint, aber aufgrund einer Vielzahl von nicht zu beeinflussenden Fixkosten der Betrag, der für konkrete Maßnahmen mit den Kaderspielern zur Verfügung steht, dann doch nicht so hoch ist, dass man alle wünschenswerten Maßnahmen auch realisieren kann.
Vergleicht man die Kaderlisten, so fällt auf, dass die Kader der Mädchen und Frauen sehr viel weniger Mitglieder haben. Besonders krass ist das im D/C Kader: 20 Jungs und nur 4 Mädchen. Gibt es wirklich so wenige weibliche Talente? Und warum wurde überhaupt kein Mädchen neu in den D/C-Kader aufgenommen?
Ich möchte zunächst voranstellen, dass die Förderung des Mädchen- und Frauenschachs genauso wichtig ist wie die Förderung der Jungen und Männer. Meine Frau ist selbst Schachspielerin und Trainerin, so dass ich in den vergangenen zehn Jahren einen ganz guten Einblick ins Mädchen- und Frauenschach bekommen habe.
Zudem möchte ich anmerken, dass das Verhältnis zwischen Kaderspielerinnen und Kaderspielern immer noch deutlich besser ist als das Verhältnis zwischen Mädchen und Frauen sowie Jungen und Männern bei der Gesamtzahl der organisierten Spieler.
Insgesamt gab es weniger Neuaufnahmen in den Kader als in den Vorjahren, wobei mit Frederik Svane auch ein Rückkehrer dabei ist.
Wie bereits dargestellt sollen im Bundeskader solche Spieler gefördert werden, die Chancen auf internationale Medaillen haben. Und hier muss man leider feststellen, dass sich bei den internationalen Turnieren 2017 keine Spielerin für eine Neuaufnahme aufgedrängt hat.
Ein Grund dafür, so wurde vermutet, sei die Umsetzung neuer Kaderstrukturen, die der DOSB vorgibt, und die zuerst im weiblichen Bereich angewendet wurden. Stimmt das? Und was bedeuten die neuen Strukturen?
Für uns als DSB ist noch nicht klar, wie sich die neuen Kriterien des DOSB auswirken, weil zunächst die olympischen Sportarten im Fokus stehen. Richtig ist aber, dass wir uns noch stärker auf die aussichtsreichsten Sportler konzentrieren wollen. Das "Prinzenprogramm" war ein Erfolgsmodell, das beweist, dass die Konzentration auf einige wenige Spieler Erfolge zeigen kann. Wir als DSB müssen uns eingestehen, dass wir überhaupt nicht über die Mittel verfügen, zunächst möglichst breit Talente zu sichten und dann die besten Spieler im Alleingang zur Weltspitze zu führen. Wenn Vincent Keymer mit einem Weltklassespieler wie Peter Leko zur U20-WM reist, ist dies nur möglich, weil Wolfgang Grenke, Sven Noppes und deren Mitstreiter unter großem finanziellen und persönlichen Einsatz Talentförderung betreiben, die einem Verband nicht möglich ist.
Daher sollten wir uns vor allem auf die Sichtung der Talente und die Förderung in jungen Jahren konzentrieren. Sobald sich neue Prinzen herauskristallisieren, müssen wir darauf hoffen, hier Vereine und Sponsoren zu finden, die intensiv die weitere Entwicklung begleiten.
Im Mädchenbereich sollte man im Übrigen nicht die Bedeutung des Mangels an Trainerinnen unterschätzen. Es könnte eine Überlegung wert sein, ob DSB, DSJ und die Landesverbände und -schachjugenden nicht über die bestehenden Mädchenangebote, die zurecht den Fokus erstmal auf dem Breitenschach haben, gezielt über Trainingsangebote über Landesverbandsgrenzen hinaus für spielstarke Mädchen nachdenken.
In dem Bericht zur KL-Sitzung findet sich folgender Satz: " Die Kommission war sich einig, dass auch solche Spieler förderungswürdig sind, die bei den Weltmeisterschaften der behinderten Schachspieler über Medaillenchancen verfügen und haben dies bei der Kaderaufnahme berücksichtigt." Das klingt sehr interessant und gut. Was bedeutet das aber konkret vor allem im Hinblick auf die verschiedenen Formen der Beeinträchtigungen bei Menschen und der verschiedenen Weltmeisterschaften, die es gibt: Gehörlose, Blinde und Sehbehinderte, körperliche Beeinträchtigungen?
Konkreter Anlass für diese Überlegungen war der Jugend- und Erwachsenenweltmeister der körperbehinderten Schachspieler 2017 Raphael Zimmer, den ich bei einem Vorbereitungslehrgang auf die Mannschaftseuropameisterschaft im März in Hemer kennengelernt habe. Er wurde 2017 in den D/C-Kader aufgenommen, weil er in seinem Jahrgang zu den stärksten Spielern gehörte.
Ich bin der Ansicht, dass seine Goldmedaillen nicht weniger wert sind als die nichtbehinderter Spieler und dass wir als Referat Leistungssport uns letztlich an Ergebnissen messen lassen müssen. Dass wir als Schachbund auch eine gesellschaftliche Verantwortung haben, sollte zudem keine Frage sein. Was das nun genau für die anderen Formen der Behinderungen bedeutet, kann ich noch nicht sagen, weil ich mich damit zu wenig befasst habe. Aus meiner Sicht gibt es zwei Varianten, Veränderungen anzugehen: Entweder arbeiten wir jede Detailfrage genau aus, um ein in sich stimmiges neues Konzept aufzustellen, in dem alle Eventualitäten berücksichtigt werden. Wie das in einer Sitzung von Samstagmittag bis Sonntagmittag geschehen soll, kann ich mir aber nicht vorstellen. Ich fürchte, dass man dann lieber erstmal alles beim Alten belässt.
Oder man stellt fest, dass ein bestimmter Punkt verändert werden muss, einigt sich auf eine Regelung, die tatsächlich vielleicht zunächst einmal nur einen Fall betrifft und entwickelt gemeinsam mit den Mitgliedsverbänden, Betroffenen und Fachleuten die weiteren Schritte. Ich bin für Vorschläge offen.
Wie könnte eine Förderung von Menschen mit Handicaps aussehen? Muss das nicht zum Beispiel auch Auswirkungen auf die nationalen Meisterschaften haben, zum Beispiel über Freiplätze? Oder über separat dafür ausgebildete Schachtrainer?
Auch hier habe ich keine fertige Antwort. Mit Sicherheit muss man sich im Training auf die konkrete Beeinträchtigung einstellen, weil teilweise komplett unterschiedliche Lehrmethoden eingesetzt werden müssen. Ich habe im September ein Wochenende bei der C-Trainerausbildung in NRW als Dozent verbracht, bei der ein Schachfreund, der selbst im Rollstuhl sitzt, zum Trainer ausgebildet wurde. Ein solcher Trainer kann sich sicher in die Situation des Schülers besser hereinversetzen und geht auch viel unbefangener mit ihm um.
Das war für Sie als neuer Referent für Leistungssport das erste Mitwirken bei der Kaderaufstellung im DSB. Wie lautet Ihr Fazit?
Ich habe die Sitzung als sehr konstruktiv empfunden. Das ist für mich das Wichtigste an dieser Sitzung, weil ein großer Teil der Teilnehmer dort ehrenamtlich tätig ist und zwei bis drei Tage für eine solche Veranstaltung von ihrer Freizeit aufwendet. Bei der Gelegenheit möchte ich mich bei meiner Frau Carmen und meinem Sohn Lukas für ihre Geduld bedanken.
Mit Dorian Rogozenco, unserem Bundestrainer und Bernd Vökler, unserem Bundesnachwuchstrainer hat der Leistungssportreferent immerhin den Luxus, über zwei hauptamtliche Mitarbeiter zu verfügen, mit denen ich mich regelmäßig austausche, so dass wir die Sitzung so vorbereiten konnten, dass wir den Zeitplan gut einhalten konnten.
Natürlich haben die Vertreter der Landesverbände, von denen Tatjana Melamed anwesend war, der Leistungssportbeauftragte der DSJ, Thomas Stomberg und die Spielervertreter Elisabeth Pähtz und Daniel Fridman unterschiedliche Interessen. Ich habe aber den Eindruck gewonnen, dass alle Teilnehmer das Interesse geeint hat, den Leistungssport im DSB weiter zu entwickeln.
An der Stelle möchte ich auch einmal betonen, wie sich zum Beispiel Elisabeth für die Belange des Frauenschachs einsetzt, obwohl ihre Interessen als Profi und die ihrer zur Schule gehenden, studierenden oder angestellten Kolleginnen teilweise deutlich voneinander abweichen. Wenn sich unsere erfolgreichste Spielerin und zweifache Jugendweltmeisterin am ersten Adventswochenende in den Zug nach Dortmund setzt, um ehrenamtlich an der Sitzung teilzunehmen, verdient das Anerkennung.
Besonders positiv ist auch die gute Zusammenarbeit mit Thomas als Vertreter der DSJ, weil Leistungssport sehr viele Schnittstellen zwischen DSB und DSJ aufweist.
Es hilft sicherlich, dass Thomas gemeinsam mit meiner Frau 2013 (übrigens auch mit Dorian) die A-Trainerausbildung absolviert hat und wir uns seitdem immer wieder zu leistungssportlichen Themen - vorrangig in unserem Landesverband in NRW - ausgetauscht haben.
Ich glaube und hoffe, dass wir alle gemeinsam dem Leistungssport neue Impulse geben können, halte es aber dazu für dringend erforderlich, dass wir sehr eng mit den Mitgliedsorganisationen des DSB zusammen arbeiten.
Gute Ideen werden wir immer diskutieren.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Schachjugend.
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