Interview mit Elisabeth Pähtz

von André Schulz
18.10.2020 – Elisabeth Pähtz war trotz fehlender Turniere in den letzten Wochen häufiger in den Schlagzeilen als ihr lieb war. Es gab den Streit mit Georg Meier, einen Zwischenfall bei einem Lichess-Turnier und dann stellten sich bei der Online-Olympiade auch noch Nationalspieler gegen sie. Im Interview spricht Elisabeth Pähtz über die Hintergründe. | Fotos: Schachbund

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Interview mit Elisabeth Pähtz

Es sind schwierige Zeiten für einen Schachprofi im Moment, oder?

Ja, kann man so sagen. Die meisten der für dieses Jahr eigentlich geplanten Turniere und alle Frauenturniere sind abgesagt, die Grand Prix Turniere, die Weltmeisterschaft, die Europameisterschaft, die Ligen. Es gibt praktisch keine Einkünfte für die meisten Profis.

Als Schachprofi ist man ja gewissermaßen freischaffender Künstler…

Oder Sportler. Für die Fußballprofis wurde Kurzarbeit beantragt.

Gibt es für die Schachprofis keine staatlichen Unterstützungen im Zuge der Corona-Hilfen?

In meinem Bundesland Thüringen nicht. In einigen Bundesländern gab es Hilfen. Es gibt deutsche Schachprofis, die finanzielle Unterstützung bekommen haben.

Wie hältst du dich über Wasser ohne Einkünfte?

Ich versuche es mit Privatunterricht. Auf Twitch und Youtube habe ich Video-Kanäle mit Lektionen eingerichtet. Es gibt dort gelegentlich Spenden, Donations, aber viel ist es nicht. Im August gab es immerhin die deutsche Meisterschaft. Da habe ich etwas verdient. Der Oktober wird beispielsweise wieder ein schlechter Monat.

Trotz fehlender Turniere hast du es aber in die Schlagzeilen geschafft…

Leider ja.

Da gab es den öffentlich ausgetragenen Streit mit Georg Meier. Was war da los?

Der Streit hat sich über die Zeit so nach und nach hochgeschaukelt. Georg Meier hat Anfang des Jahres einige Tweets mit Kommentaren veröffentlicht, die mich sehr getroffen haben. Ich wollte deshalb die Deutschen Internet-Meisterschaften am 9.Mai 2020 gar nicht mitspielen und habe den DSB gebeten, mich davon zu befreien.  Außerdem hatte ich den Wunsch geäußert, dass sie mit Georg Meier sprechen. Reagiert haben lediglich der Bundestrainer und das Präsidium. Sie haben mich letztendlich davon überzeugt, von einer Absage abzusehen. Am Tag der Internetmeisterschaften folgte ein weiterer Tweet von Georg, der bei mir das Fass zum Überlaufen brachte. Bei mir sind dann die Sicherungen durchgebrannt und ich habe mit einem eigenen Tweet schließlich total überreagiert, was ich bis heute sehr bedaure. Das Ganze hat mich emotional so mitgenommen, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte und das Turnier mit 0 aus 5 begonnen habe. Die Partie gegen Georg Meier habe ich nicht gespielt, weil ich Angst hatte, dass diese Partie für weitere Tweets öffentlich ausgeschlachtet werden könnte.

Wie ging es danach weiter?

Kurze Zeit nach meinem Fauxpas schaltete sich der dafür zuständige Leistungssportreferent Andreas Jagodzinsky ein, teilte mir am Telefon mit, was ich alles falsch gemacht hätte und forderte mich zudem auf, den besagten Tweet zu löschen. Ich folgte dieser Aufforderung, war aber dennoch darüber enttäuscht, dass ich eine Aktivität von Andreas erst dann zu spüren bekam, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war.

Du glaubst, man hätte diese Eskalation also verhindern können?

Ja, wäre man vorab meiner Bitte gefolgt und hätte mit Georg geredet, wäre dies vermutlich nie passiert.

Wie kam es dazu, dass dein Tweet kurze Zeit später wieder sichtbar war?

Ich ging bei meinem Gespräch mit Andreas davon aus, dass auch Georg alle Tweets löscht. Dies geschah nicht, und auch eine E-Mail an Andreas Jagodzinsky mit genau dieser Bitte blieb nicht nur unbeantwortet, sondern auch ohne jegliche anderweitige Reaktion. Also habe ich den Tweet wenige Tage später wieder ins Netz gestellt. Die Aktivensprecher Sarah Papp und Daniel Fridman versuchten schließlich, zwischen Georg und mir zu vermitteln: Beide Seiten sollten alles löschen. Dies geschah von Georgs Seite jedoch nicht. Nach einem Interview, das Georg Meier gegeben hat und weiteren Tweets von ihm habe ich mir dann juristische Unterstützung gesucht. Es gab sogar eine Strafanzeige gegen mich, die aber inzwischen von der Staatsanwaltschaft für nichtig erklärt wurde.

Strafanzeige…?

Unter anderem... 

Und dann warst du ja auch noch in einen Vorfall bei einem Turnier auf Lichess verwickelt.

Ja, das kam dann auch noch auf mich zu. Auch wenn ich die Geschichte nicht selbst verursacht habe, bin ich natürlich dafür verantwortlich, weil es um meinen Account ging. Ein Freund von mir, der mir bei verschiedenen Social Media Projekten hilft, hatte auch Zugang zu meinem Lichess-Account und hielt es für eine gute Idee – was es natürlich nicht war -, mit diesem Account an einem Arena-Turnier auf Lichess teilzunehmen, ohne mich darüber in Kenntnis zu setzen. Ziel war es, meinem Youtube-Kanal einen Boost zu verpassen. Mein Freund ist kein sonderlich guter Spieler und ließ sich anscheinend von einem anderen starken Spieler helfen. Damit nicht genug, gab es durch meinen Account auch noch rassistische Bemerkungen gegenüber einem arabischen Jungen.

Wo warst du denn, als der Vorfall passierte? Wieso hast du davon nichts mitbekommen?

Ich war zu der Zeit in Paris und habe dort meine Freundin Almira Skripchenko besucht. Als ich kurze Zeit später von der ganzen Geschichte erfuhr, habe ich mich mit allen Betroffenen (Lichess, FIDE und dem arabischen Jungen, der beschimpft worden war) in Verbindung gesetzt. Ich konnte anhand von Screenshots klar nachweisen, dass ich zur Tatzeit nicht am Rechner gesessen hatte. Auch hatte mein Freund gegenüber der Fide die Tat gestanden. Nach sorgfältiger Überprüfung wurde ich offiziell frei gesprochen. Das Ganze ist eine furchtbare Geschichte, die mir sehr leidtut. Auch wenn ich nicht persönlich involviert war, trage ich trotzdem die Verantwortung. Als Folge dessen hat mich die Fide für den ersten Wettkampfstag gesperrt.

Von Paris nach Magdeburg…

Ja. Im Rahmen des Meisterschaftsgipfels wurden dort mehrere Turniere gespielt, darunter das German Masters, die Blitzmeisterschaft und auch die Online-Olympiade.  Die Online-Schacholympiade wurde mit Sechser-Mannschaften gespielt. Drei Bretter waren für weibliche Spielerinnen vorgesehen - zwei Frauenbretter, ein Brett für eine U20-Spielerin. Ich sollte eines der beiden Frauenbretter übernehmen.

Man hörte während des Turniers, dass es innerhalb der Mannschaften zu Unstimmigkeiten kam.

Richtig, wenn man es so formulieren möchte. Zwei Tage vor der Online Olympiade wurde ich vom Bundestrainer Dorian Rogozenco aufgefordert, eine E-Mail an meine Mannschaft zu schreiben und die Vorgänge rund um meinen Lichess-Account noch einmal zu erklären. In Magdeburg, einen Tag vor Beginn der Online-Olympiade, erzählte man mir dann, dass Rasmus Svane und Matthias Blübaum sich weigerten, mit mir in einem Team zu spielen, und meine schriftliche Erklärung, die sie vorab verlangt hatten, schien an ihrer Meinung nichts geändert zu haben.
Eine konkrete Begründung dafür hatten sie nicht genannt, aber im Hintergrund stand wohl der Lichess-Skandal.  Ich nenne das Erpressung: „Entweder sie fliegt raus oder wir spielen nicht.“
Noch am gleichen Tag teilte mir Andreas Jagodzinsky mit, dass ich nicht länger Teil der Olympia-Mannschaft bin. Dies sei die Strafe für die vielen Skandale, in die ich verwickelt gewesen wäre. Dazu klärte er mich auf, dass der Bundestrainer diesbezüglich nichts zu entscheiden hätte, sondern er das entscheidende Wort hätte, da er in seiner Funktion über dem Bundestrainer stünde. Diese Entscheidung traf er allerdings ohne jegliche Asprache mit anderen Offiziellen bzw. dem Bundestrainer. 

Hattest du denn vorher schon einmal Probleme mit Rasmus Svane oder Matthias Blübaum?

Nein. Wir hatten nie viel miteinander zu tun, aber wenn man sich sah, grüßte man freundlich – es gab keinerlei Streit oder Probleme.

Wieso dann plötzlich dieser Angriff?

Wie gesagt, eine konkrete Begründung wurde nicht genannt. Stattdessen wurde vage auf diese Lichess-Geschichte verwiesen.

Wie ging es dann weiter?

Es kam zu einem Krisengespräch, an dem Marcus Fenner, DSB-Präsident Ullrich Krause, Olga Birkholz als Vizepräsidentin für Leistungssport, Andreas Jagodzinsky, Dorian Rogozenco, Matthias Blübaum und Rasmus Svane und ich beteiligt waren. Dieses Krisengespräch war eigentlich mehr ein Monolog meinerseits, denn es gab auch dort von beiden keine konkrete Begründung für ihre Haltung. Die beiden Spieler zogen sich einmal kurz zu einer Beratung zurück, blieben dann aber bei ihrer Forderung und gaben auch danach keinen Grund an.

Wie waren denn die Positionen bei den anderen Beteiligten der Gesprächsrunde?

Alle hatten ein Interesse daran, dass die bestmögliche Mannschaft spielen sollte, mit Ausnahme von Andreas Jagodzinsky - der mich ja schon vorab aus der Mannschaft suspendiert hatte. Auch war allen Beteiligten klar, dass wir für Rasmus und Matthias während des German Masters keinen Ersatz gehabt hätten. Ich wäre ja einverstanden gewesen, wenn man mich für meine Ungeschicktheit in Bezug auf die Lichess-Geschichte irgendwie sanktioniert hätte, aber wieso sollte denn durch meine Sperre für die ganze Online-Olympiade die Mannschaft bestraft werden? Wie oben bereits erwähnt wurde ich lediglich für den ersten Wettkampfstag gesperrt. 

Aber du hast dann ja gespielt…?

Ja, aber nur in der KO-Runde gegen Ungarn. An diesem Tag war klar, dass man Rasmus und Matthias durch Daniel und Dennis ersetzen könnte, weil das German Masters inzwischen zu Ende war.

Teamaufstellung mit Einzelergebnissen

 
  1. Hungary (EloDS:2347, Kapitän: Papp, Gabor / Wtg1: 4 / Wtg2: 0)
Br.   Name Elo Land FideID 1 2 3 Pkt. Anz EloDS
1 GM Erdos Viktor 2580 HUN 719978 ½ 0   0,5 2 2454
2 GM Banusz Tamas 2614 HUN 722413 ½ ½ 1 2,0 3 2558
3 GM Hoang Thanh Trang 2338 HUN 12400149   0   0,0 1 2369
4 WGM Papp Petra 2297 HUN 739049 0 1   1,0 2 2247
5 GM Kozak Adam 2438 HUN 753246 1 1   2,0 2 2506
6 WFM Gaal Zsoka 1816 HUN 777765   0   0,0 1 2188
9 WGM Gara Ticia 2274 HUN 717444 1     1,0 1 2125
12 WFM Demeter Dorina 1885 HUN 778079 ½     0,5 1 2188
 
  2. Germany (EloDS:2419, Kapitän: Rogozenco, Dorian / Wtg1: 2 / Wtg2: 0)
Br.   Name Elo Land FideID 1 2 3 Pkt. Anz EloDS
2 GM Wagner Dennis 2454 GER 24650684 ½ 1 0 1,5 3 2591
3 IM Paehtz Elisabeth 2369 GER 4641833 1 1   2,0 2 2318
5 IM Vogel Roven 2506 GER 12908088 0 0   0,0 2 2438
6 WIM Muetsch Annmarie 2188 GER 12971367 ½ 1   1,5 2 1851
7 GM Fridman Daniel 2610 GER 11600454 ½ ½   1,0 2 2614
9 FM Schulze Lara 2125 GER 12956830 0 0   0,0 2 2286

Wie bist du mit der ganzen Geschichte umgegangen?

Das hat mich emotional sehr mitgenommen. Ich bin seit fast 20 Jahren Mitglied der deutschen Nationalmannschaft. Es gab auch immer mal irgendwelche Unstimmigkeiten und Reibereien, aber so etwas habe ich bisher noch nicht erlebt. Ich wirke vielleicht nach außen hin robust, aber ich bin in Wirklichkeit sehr sensibel. Der ganze Vorgang und die vielen Streitgespräche und Diskussionen, vor allem die Haltung des Leistungssportreferenten, führten dazu, dass ich während des Turniers in Magdeburg nicht mehr schlafen konnte. Ich stand tatsächlich kurz vor einem Nervenzusammenbruch.  Dorian Rogozenco beruhigte mich vor jeder Partie und half er mir, zusammen mit Dieter Nisipeanu, das Turnier trotz der extremen nervlichen Belastung zu beenden.  Beide gaben mir großen Halt während dieser Meisterschaft.

Du wurdest dafür kritisiert, dass du der Siegerehrung ferngeblieben bist. Ein zweiter Platz sei dir zu wenig gewesen, hieß es. War das so?

Haha. Wenn mir in der Mitte des Turniers jemand gesagt hätte, dass ich noch Zweite werden würde, hätte ich dies sofort unterschrieben. Nach all den Querelen hatte ich einen miserablen Start. Ich befürchtete sogar, Letzte zu werden. Ausgeschlossen war das nicht. Ich bekam während des Turniers starke Schmerzen im Blinddarmbereich, wahrscheinlich psychosomatischer Natur, wie sich später herausstellte.  Ein Arzt, den ich während des Turniers konsultierte, riet mir, nach Turnierende möglichst schnell nach Hause zu fahren. Ich habe mich vor der Siegerehrung bei den Verantwortlichen ordnungsgemäß abgemeldet. Aber ich will ehrlich sein: Die Aussicht, bei der Siegerehrung die Leute zu sehen, die mir so viel Ärger bereitet haben, und dann vielleicht noch gute Miene zum bösen Spiel zu machen, war auch nicht besonders motivierend.

Zu guter Letzt möchte jedoch eine Sache an dieser Stelle erwähnen. Wenn man so sehr für sportliche Fairness eintritt, wie Andreas Jagodzinsky es tut, dann sollte man auch dafür Sorge tragen, dass die eigene Ehefrau, Landestrainerin von NRW und Trainerin des Jahres, in der letzten Runde einer Meisterschaft ihrer Vorbildrolle gerecht wird und nicht nach den Zügen 1.e4 c5 die Partie remis gibt, um sich auf diese Weise den Deutschen Meisterschaftstitel zu sichern.

Du bist also weiter streitlustig und in Kampfeslaune?

Nicht wirklich. Mit der Führung des Schachbundes, mit Ullrich Krause und Markus Fenner und mit den anderen Präsidiumsmitgliedern habe ich mittlerweile ein ehrliches und gutes Verhältnis.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte André Schulz.

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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