Kein neuer Besen, aber ein Umdenken im deutschen Schach
Interview mit
DSB-Präsident Herbert Bastian
Von Dagobert Kohlmeyer
Der neue Präsident des Deutschen Schachbundes Herbert Bastian hat zwei Tage das
Dortmunder Chess-Meeting besucht. Am Rande des stärksten klassischen Turniers in
Deutschland gab der 58-jährige Internationale Meister unserem Reporter Auskunft
über seine Visionen und Ziele.
Herr Bastian, mit 127:78 Stimmen wurden Sie Anfang Juni in Ihr
Amt gewählt. Haben Sie mit einem so deutlichen Ergebnis gerechnet?
Das kann ich klar mit nein beantworten. Es war nicht nur für mich eine große
Überraschung. Ich denke, der Unterschied zum Gegenkandidaten Hans-Jürgen Weyer
ergab sich durch die inhaltlichen Schwerpunkte unserer Arbeit. Ich kooperiere ja
schon sehr lange eng mit dem DSB, und das hat offensichtlich Früchte getragen.
Vor zwei Jahren sind Sie bereits gegen Ihren Vorgänger Robert von
Weizsäcker angetreten, hatten seinerzeit aber noch keinen Erfolg.
Sicher, doch hatte ich gar nicht die Erwartung, die damalige Wahl zu gewinnen.
Ich wollte nur deutlich machen, dass die Landesverbände einen Politikwechsel
möchten. Also nicht vorwiegend auf der FIDE-Schiene fahren und die Position des
Weltverbandes einnehmen, sondern mehr die der eigenen Vereine, also auf die
Basis schauen. Denn wir haben ja sehr viele Probleme.
Was hat denn Robert von Weizsäcker gut gemacht, und was ist ihm
weniger gelungen?
Gut war die Medienresonanz, ohne Zweifel. Er hat klare Botschaften verkündet,
was er vorhat und Begeisterung für das Schach geweckt. Nicht nur für sein
Metier, das Fernschach. Was er meiner Ansicht zu wenig getan hat, war die Pflege
direkter, persönlicher Kontakte zu den Landesverbänden. Hinhören, was sind die
Sorgen der kleinen Vereine, der einfachen Schachspieler. Sicher war das bei ihm
auch eine Zeitfrage.
Welche Visionen hat der neue DSB-Präsident Herbert Bastian? Was
muss jetzt vor allem angepackt werden?
Meine Visionen sind im Moment eher Träume. Natürlich träume ich davon, dass das
deutsche Schach im Weltkonzert wieder eine größere Rolle spielt. Das heißt, dass
unsere Nationalmannschaft unter die besten Zehn kommt. Klar ist natürlich, dass
man so etwas nicht einfach erzwingen kann. Es wird ein längerer Prozess sein,
den ich vielleicht mit einleiten kann und den meine Nachfolger dann weiter
gestalten müssen. Doch dieses Ziel muss der Deutsche Schachbund als
Sportorganisation einfach verfolgen. Sonst führt er sich selbst ad absurdum.
Herbert Bastian und Horst Metzing
Und weitere Ziele?
Ganz problematisch ist die Struktur unserer Vereine. Wenn wir Sport betreiben,
müssen wir daran denken, dass (mehr als) die Hälfte der deutschen Bevölkerung
aus Frauen besteht. Aber wir haben nur sieben Prozent weibliche Mitglieder in
unseren Schachklubs. So wie die Vereine derzeit strukturiert sind, sind sie
völlig unattraktiv für Frauen und Mädchen. Wenn wir im deutschen Sport eine
Rolle spielen wollen, müssen wir die Struktur unserer Schachklubs verändern.
Wie soll das praktisch aussehen?
Das heißt, die Frauen müssen dort nicht nur Figuren bewegen, sondern neben dem
Breitensport auch Punktspiele bestreiten. Denn alles, was im Schach um Punkte
kämpft, ist eigentlich „Leistungssport“. Egal, wie alt die Frauen oder Mädchen
sind. Manche kommen schon als Kinder zum Schach, andere erst jenseits der
Dreißig. Die Vereine müssen auch für diese Leute attraktiv werden. Also man darf
nicht nur im Hinterkopf haben, ob jemand für die erste Mannschaft geeignet ist,
sondern muss auch fragen, ob er oder sie den Verein bereichern kann. Da muss ein
Umdenken stattfinden. Das gehört ebenfalls zu meinen Visionen.
Zum Eröffnungsbankett in Dortmund haben Sie die Diskrepanz
zwischen dem deutschen Spitzen- und Breitenschach angesprochen. Worin besteht
diese in kurzen Worten?
Die Nationalmannschaft muss mehr ins Bewusstsein unserer Basis gerückt werden.
Sie muss zu einer echten Marke aufgebaut werden. Den Leuten in den Vereinen muss
klar sein, dass dieses Team für uns alle kämpft und das es da eine gewisse
Solidarität, auch bei Niederlagen, geben muss. Und natürlich müssen die Besten
für unser Land spielen. Dafür sollten wir alles tun.
Wie sehr hat Sie die Pleite des Herrenteams bei der
Schacholympiade 2010 in Chanty-Mansysk geschmerzt?
Es
war mehr als traurig, dass dort nicht unsere besten Großmeister spielten. Aber
in jeder Krise steckt auch eine Chance. Die Pleite hat hoffentlich alle
wachgerüttelt. Wir wollen es künftig besser machen, auch wenn es keine
Patenrezepte gibt. Wichtig sind ein verstärktes Marketing und eine gute
Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe mich auch schon mehrmals mit Arkadij Naiditsch
getroffen, der eine größere Wertschätzung der Nationalspieler erwartet.
Allerdings muss er sich künftig mit abfälligen Bemerkungen über den
Bundestrainer in der Öffentlichkeit zurückhalten. Wir lassen es nicht zu, dass
Großmeister Uwe Bönsch auf diese Weise demontiert wird.
Herbert Bastian und Vize Michael Langer
Die Führungsriege des DSB ist bis auf Vizepräsident Michael S.
Langer fast völlig ausgewechselt worden. Geschah das nach dem Motto: „Neue Besen
kehren gut?“
Was mich betrifft, so kann man nicht sagen, dass ich ein neuer Besen bin. Dafür
arbeite ich schon zu lange bei den Landesverbänden. Was wir verändern müssen und
wollen, ist der Arbeitsstil. Dazu gehört vor allem eine größere Transparenz und
dass alle Probleme, die anstehen, offen auf den Tisch gelegt werden. Nur so
können wir die besten Lösungen für das deutsche Schach finden.
Noch etwas anderes: Wie überall ist die Computertechnik auch beim
Schach im Vormarsch. Leider häufen sich dadurch national und international auch
die Betrugsversuche. Ihre Meinung dazu?
Diese Entwicklung und damit verbundene Betrügereien sehe ich mit Sorge. Wir
hatten ja erst bei den deutschen Einzelmeisterschaften in Bonn so einen Fall.
Turnierdirektor Ralph Alt hat inzwischen ja schon eine Spielsperre von zwei
Jahren ausgesprochen. Das DSB-Präsidium befasst sich in Kürze noch einmal mit
diesem Thema und wird Anfang August eine endgültige Erklärung dazu herausgeben.
Werden Sie als neuer Schach-Präsident mehr Zeit haben als Ihr
Vorgänger?
Ich arbeite als Lehrer an einer Gesamtschule, und diese Tätigkeit ist ebenfalls
sehr zeitaufwendig. Aber es gibt ja die Ferien und die Wochenenden, wo man viel
tun kann. Und mein Schulleiter ist sehr interessiert am Schach. Er hat viel
Verständnis für mein Amt, und auch von seiner Seite erhalte ich Unterstützung.
Wer gewinnt das Turnier in Dortmund?
Sehr große Chancen hat für mich neben Wladimir Kramnik vor allem Hikaru Nakamura.
Natürlich drücke ich besonders Georg Meier fest die Daumen, dass er in diesem
Klassefeld gut abschneidet. In der ersten Partie hat er gegen den starken Le
Quang Liem ja mühelos ein Remis erreicht.