Kramniks
Niederlage gegen ‚Deep Fritz’ ist nicht das Ende des Schachsports“
Nachdruck der ungekürzten Fassung des
Interviews mit Genehmigung des Autors. Das Gespräch ist veröffentlicht worden in
der Tageszeitung
„Neues Deutschland“
:
Er führt den nach der FIFA
zweitgrößten Sportverband der Welt: die „Fédération
Internationale des Échecs“ (FIDE), den Dachverband für 165
nationale Schachorganisationen. 1995 ist Kirsan Iljumschinow erstmals zum Chef
der FIDE gewählt worden. Der heute 44-jährige vertritt mehr als 600 Millionen
Menschen, die auf fünf Kontinenten als Hobbyspieler oder Profis den
anspruchsvollen Denksport betreiben. Gleichzeitig regiert Kirsan Iljumschinow
die autonome russische Teilrepublik Kalmückien mit 290 000 Einwohnern am
Kaspischen Meer. ND-Autor Dr. René Gralla hat den
Präsidenten getroffen.

ND: Das Duell von Weltmeister Wladimir Kramnik gegen den Superrechner "Deep
Fritz" in Bonn ist wie keine Schachveranstaltung zuvor auf großes Interesse in
den Medien gestoßen.
KIRSAN ILJUMSCHINOW: Das Match
hat prinzipielle Bedeutung gehabt, deswegen ist es ein guter Anlass gewesen, um
Schach weiter zu popularisieren.
ND: "Deep Fritz" hat den Leistungsvergleich gewonnen. Ist Schach damit
langweilig, weil kalkulierbar geworden durch den Einsatz entsprechender
Software?
ILJUMSCHINOW: Nein. Die
Menschen müssen eben mehr und härter arbeiten, um wieder gegen den Computer zu
gewinnen. Übrigens möchte ich 2007 eine Schach-WM der Maschinen organisieren in
meiner Heimatstadt Elista in Kalmückien. Die Weltmeisterschaft soll künftig alle
zwei Jahre ausgetragen werden. Das wird attraktiv sein für Firmen, die
Schachcomputer produzieren. Gleichzeitig eröffnet uns das Turnier die
Möglichkeit, in Kontakt zu kommen mit möglichen Sponsoren.
ND: Kramniks Niederlage ist nicht das Ende des Schachsports?
ILJUMSCHINOW: Auf keinen Fall!
Wir müssen bloß intensiv nachdenken und unsere Fehler finden. Wir Menschen
können noch viel stärker werden, schließlich nutzen wir bisher bloß drei bis
fünf Prozent der Kapazität unseres Gehirns.
ND: Geschätzte zehn Millionen Menschen haben die Partien zwischen Kramnik und
"Deep Fritz" verfolgt. Wie ist der Stand Ihrer Pläne, Schach in den olympischen
Kanon aufnehmen zu lassen?
ILJUMSCHINOW: Bereits vor
sieben Jahren hat das IOC, das Internationale Olympische Komitee, die FIDE als
die einzige Organisation anerkannt, die Schach innerhalb der Welt des Sports und
damit auch in der Olympischen Bewegung repräsentiert. 1999 gab es allerdings
noch das Problem, dass wir nicht einen Schachweltmeister hatten, sondern zwei,
die um den Titel konkurrierten. Deswegen hat seinerzeit der damalige
IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch zu mir gesagt: "Kirsan, bitte sorge dafür,
dass Ihr nur noch einen Weltmeister habt." Mittlerweile, nach der
Wiedervereinigungs-WM zwischen Wladimir Kramnik und Wesselin Topalow in Elista
vor wenigen Monaten, haben wir diese Bedingung erfüllt. Wir haben einen einzigen
Schachweltmeister, und der heißt Wladimir Kramnik.
ND: Gerüchte kursieren, dass die Teilnahme des momentanen Titelträgers Kramnik
an der nächsten Weltmeisterschaft in Mexiko 2007 wieder gefährdet sein könnte.
So dass eine neuerliche Spaltung der Schachwelt droht.
ILJUMSCHINOW: Die acht
stärksten Spieler der Welt werden in Mexico City antreten, um die Krone des
Weltmeisters zu gewinnen. Kramnik ist auch dabei, das folgt aus dem Vertrag, den
Kramnik vor der diesjährigen Wiedervereinigungs-WM gegen Topalow mit der FIDE
abgeschlossen und unterzeichnet hat.
ND: Ihre weiteren Schritte in Sachen Olympia?
ILJUMSCHINOW: Vor gut zwei
Monaten besuchte ich China und traf dort den Präsidenten des Nationalen
Olympischen Komitees. Nach den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking soll in
China ein Schachturnier veranstaltet werden, um Schach als Sport vorzustellen.
Gegenwärtig führen wir viele Gespräche mit den Verantwortlichen im IOC, und ich
denke, dass wir uns Schritt für Schritt in die Olympische Bewegung integrieren.
Warum? Denken Sie daran, was Sport eigentlich ist: Sport ist die Verbindung von
Kraft und Kopf. Über Sportarten, die vor allem den Einsatz körperlicher Kraft
verlangen, verfügt die Olympische Bewegung mehr als ausreichend; mit Schach
würde eine Herausforderung für den Geist dazukommen.
ND: Allerdings soll der amtierende IOC-Präsident Jacques Rogge die Linie
vorgegeben haben, dass zuerst eine andere Sportart aus dem Kanon gestrichen
werden müsste, bevor Schach olympisch werden könnte.
ILJUMSCHINOW: Auch diesen
Vorbehalt werden wir überwinden. Schach ist nämlich ein einzigartiger Sport:
Schach passt in den Rahmen sowohl der Sommerspiele als auch der Winterspiele.
ND: Ihre Präferenz? Sommerspiele oder Winterspiele?
ILJUMSCHINOW: Für uns ist das
von nachgeordneter Bedeutung. Wir können im Winter oder im Sommer Schach
spielen, drinnen oder draußen.
ND: Sie sind in diesem Jahr wiedergewählt worden als Präsident der FIDE, nach
einer teilweise emotional geführten Kampagne Ihres Herausforderers Bessel Kok
aus den Niederlanden. Dabei sind tiefe Gräben aufgerissen worden zwischen beiden
Lagern.
ILJUMSCHINOW: Nun heißt mein
Programm Vereinigung und Einheit der FIDE. Zwischenzeitig habe ich mich mit
Bessel Kok getroffen, und die Leute, die ihn unterstützt haben, arbeiten in
meinem Team. Auch Bessel Kok hat meine Einladung angenommen, mit mir zu
kooperieren, um Schach weiter zu promoten.
ND: Neben ihrem Amt als Chef der FIDE sind Sie Präsident von Kalmückien. Was
verbindet Ihre Nation mit dem Schachsport?
ILJUMSCHINOW: Die Menschen in
Kalmückien lieben Schach, das Spiel gehört zu unserer Tradition. Das erste
Dekret, das ich 1993 nach der Wahl zum Präsidenten unterzeichnet habe, betraf
die Förderung des Schachsports in der Schule. Heute sehen wir den Erfolg: 100
Prozent der Kinder in Kalmückien können Schach spielen, und das hat die
Leistungen der Schüler verbessert auch in anderen Fächern wie Mathematik,
Physik, Chemie. Übrigens habe ich darüber gesprochen mit dem deutschen
Finanzminister, Herrn Peer Steinbrück, der Schirmherr gewesen ist des Matches
zwischen Kramnik und "Deep Fritz" in Bonn. Ich habe Herrn Steinbrück gebeten,
ein Treffen zu organisieren mit den Kultusministern der deutschen Bundesländer;
dort möchte ich ein Plädoyer halten für Schach als Schulfach. Die FIDE bietet
ein entsprechendes Programm mit spezieller Computersoftware an, als Geschenk der
FIDE an den deutschen Schachbund und die Kinder Ihres Landes.
ND: In Ihrer Hauptstadt Elista haben Sie sogar eine "Chess-City" errichten
lassen.
ILJUMSCHINOW: Das ist das
olympische Dorf, als Kalmückien 1998 Gastgeber von Schacholympia war. Die Anlage
ist sehr schön, wir nutzen sie seitdem für sportliche Wettkämpfe jeder Art, von
Schach bis Tennis oder Tanzen, aber auch für Konferenzen. Kein einziger Euro
fließt aus der Staatskasse in "Chess-City". Im Gegenteil: "Chess-City" bringt
Geld ein, das Kalmückien zugute kommt.
ND: "Chess City" soll an die 50 Millionen Dollar gekostet haben, und manche
behaupten, da seien Steuergelder geflossen.
ILJUMSCHNOW: Nein, das
war kein Geld aus dem Staatshaushalt. In "Chess City" ist investiert worden von
großen Firmen, die in Kalmückien tätig sind.
ND: Oppositionspolitiker meinen, das Geld hätte lieber für die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit ausgegeben werden sollen.
ILJUMSCHINOW: Dem stimme ich
nicht zu, weil Schach neue Jobs schafft. In "Chess City" allein haben 1000
Menschen eine regelmäßige Arbeit gefunden. Die Zahl erhöht sich massiv um
kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse, wenn Turniere stattfinden.
ND: Zwischenzeitig ist im Gespräch, ein Kasino in "Chess City" zu eröffnen.
ILJUMSCHINOW: Das russische
Parlament, die Duma, hat ein Gesetz verabschiedet, das 2007 in Kraft tritt und
das den Betrieb der bisher existierenden Kasinos in Moskau, St. Petersburg und
anderen Orten beendet. Nur noch in vier Territorien sollen Spielbanken eröffnet
werden dürfen: im Fernen Osten, und dort wohl in Wladiwostok; in Sibirien; im
nordeuropäischen Gebiet, vielleicht erneut in St. Petersburg; im südlichen
Russland - und hier möglicherweise in Kalmückien. Das Ausschreibungsverfahren
läuft noch.
ND: Welche Chancen hat Kalmückien? Ist das Land nicht etwas abgelegen?
ILJUMSCHINOW: Oh nein. Nach
der Eröffnung eines internationalen Flughafens in Elista wird die Flugzeit zum
Beispiel zwischen Berlin und der Hauptstadt Kalmückiens zwei Stunden und 40
Minuten betragen.
ND: Einige Gegner werfen Ihnen vor, dass Sie Kalmückien mit harter Hand
regieren.
ILJUMSCHINOW: Vielleicht bin
ich ein starker Manager. Kalmückien ist eine demokratische Republik, wir haben
eine Verfassung, wir haben ein Parlament, der Regierungschef ist dem Parlament
verantwortlich. Aber stark oder nicht, Ergebnisse zählen. 1993, im Jahr meiner
Wahl zum Präsidenten, war Kalmückien eine der ärmsten Republiken in der
Russischen Föderation. 95 Prozent des Haushaltes wurden gedeckt durch
Zuwendungen aus Moskau, und das gesamte Steueraufkommen in Kalmückien betrug
ungefähr zwei Millionen Dollar. Seitdem hat sich das Verhältnis umgekehrt: Im
vergangenen Jahr haben wir rund 650 Millionen US-Dollar Steuereinnahmen nach
Moskau überwiesen.