Jede Menge Glanzpartien: Spassky schlägt den Sizilianer

von Johannes Fischer
23.10.2021 – Wenn Boris Spassky, Weltmeister von 1969 bis 1972, mit Weiß gegen den Sizilianer spielen musste, schien ihn das besonders zu inspirieren. Im Laufe seiner langen Karriere gelangen dem zehnten Weltmeister der Schachgeschichte in entscheidenden Momenten nach 1.e4 c5 immer wieder Glanzpartien. Eine Auswahl. | Foto: Boris Spassky, Schacholympiade Saloniki 1984 | Foto: Gerhard Hund

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Anfänge

Als Spassky das Schach entdeckte, war er neun Jahre alt. Sein Biograph Andrew Soltis schreibt:

"Eines Tages nahm Spasskys älterer Bruder ihn mit in den Kirov-Park [in Leningrad] ... und sie entdeckten den Schachpavillon. ... Spassky erinnerte sich später, dass er eine ‚Glasveranda hatte, die von Bäumen umgeben war’ mit ‚einem großen schwarzen Springer davor’: ‚Es war phantastisches Wetter. Der Wind von der Finnland-Bucht spielte mit den Birkenblättern, die traurige Sonne des Nordens schien auf das Glas der Veranda.’ ... [Spassky] war fasziniert von den Tischen, Brettern und Figuren. ‚Ich sah eine Märchenwelt... Ich verlor meinen Sinn für die Wirklichkeit... Eine wilde Leidenschaft ergriff mich. ... Wenn ich zurückblicke, dann war das eine Art Vorherbestimmung in meinem Leben. ... Ich begriff, dass ich mich durch das Schach ausdrücken konnte und Schach wurde zu meiner natürlichen Sprache." (Andrew Soltis, Tal, Petrosian, Spassky and Korchnoi: A Chess Multibiography with 207 Games, McFarland 2019, S. 32)

Das war 1946, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, der Spasskys Leben nachhaltig geprägt hat. Spassky wurde am 30. Januar 1937 in Leningrad geboren, die Stadt, die im zweiten Weltkrieg von der deutschen Armee vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 belagert wurde. Die Wehrmacht wollte Leningrad aushungern und Schätzungen zufolge starben während der Belagerung etwa 1,1 Millionen Menschen, die meisten davon an Hunger und Entkräftung.

Doch kurz bevor sich der Belagerungsring der Deutschen um Leningrad schloss, konnte Spassky zusammen mit seinem Bruder nach Perm fliehen, wo er in ein Waisenhaus kam. Aber als ihn seine Eltern im Sommer 1943 dort abholten, war er kurz vorm Verhungern und konnte sich, wie er später sagte, kaum noch auf den Beinen halten.

Nach dem Wiedersehen gingen die Eltern Spasskys mit ihren Kindern zunächst nach Moskau, doch als der Vater die Familie verließ, zog Spassky mit seiner Mutter und seinen Geschwistern zurück nach Leningrad, wo sie in bitterer Armut lebten.

Schach bot Spassky eine Flucht aus dieser Welt der Armut und nachdem ihn das Schach im Kirov-Park in seinen Bann geschlagen hatte, ließ ihn der Zauber des Spiels nicht mehr los.

"Er kam am nächsten Tag zum Pavillon zurück und am Tag danach. Er war dort, als der Pavillon öffnete, bis er um 21 Uhr am Abend wieder schloss. ... ‚Ich musste jeden Tag spielen. Ich konnte nichts anderes tun.’" (Soltis, S. 33)

Spasskys Schachbegeisterung und sein Talent machten ihn innerhalb kurzer Zeit zu einem der besten Spieler der Sowjetunion und schon 1948 erhielt er im Alter von nur zehn Jahren wegen seiner Erfolge im Schach ein nur selten vergebenes staatliches Stipendium, mit dem er seine Familie unterstützen konnte.

Boris Spassky 1948

Bereits 1952 qualifizierte er sich für das Halbfinale der UdSSR-Meisterschaft, wo er 50% der Punkte erzielte, und 1953 verlieh ihm die FIDE den Titel eines Internationalen Meisters. 1955 wurde er Juniorenweltmeister und im gleichen Jahr qualifizierte er sich für das Kandidatenturnier in Amsterdam 1956, wo er auf dem geteilten 3. bis 7. Platz landete.

Boris Spassky | Foto: Herbert Behrens / Anefo; / CC BY-SA 3.0 NL

Doch nach diesem raschen Aufstieg folgte eine lange Phase der Stagnation und erst acht Jahre später, beim Interzonenturnier in Amsterdam 1964, qualifizierte sich Spassky wieder für die Kandidatenwettbewerbe.

Bei der UdSSR-Meisterschaft 1958, die zugleich ein Qualifikationsturnier für das Interzonenturnier war, scheiterte er hingegen knapp. Allerdings gewann er in diesem Turnier den Schönheitspreis – für einen brillanten Sieg in einem Sizilianer.

 

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Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft

In den Kandidatenwettkämpfen 1965 gewann Spassky gegen Paul Keres (5,5-4,5), Efim Geller (5,5-2,5) und Mikhail Tal (7-4) und durfte so 1966 als Herausforderer gegen Tigran Petrosian um die Weltmeisterschaft spielen. Spassky verlor den Kampf knapp mit 11,5-12,5, aber war als Verlierer des Weltmeisterschaftskampfs automatisch für die nächsten Kandidatenwettkämpfe qualifiziert. Und war wieder erfolgreich: Er gewann erst gegen Geller (5,5-2,5), danach gegen Bent Larsen (5,5-2,5) und schließlich gegen Viktor Kortschnoi (6,5-3,5) und durfte so zum zweiten Mal gegen Petrosian um die Weltmeisterschaft spielen.

Dieses Mal lief es besser als drei Jahre zuvor: Im zweiten Anlauf gewann Spassky mit 12,5-10,5 und wurde so der 10. Weltmeister der Schachgeschichte. Und auch auf dem Weg zur Weltmeisterschaft konnte Spassky in entscheidenden Momenten glanzvoll gegen den Sizilianer gewinnen.

Im Viertelfinale der Kandidatenwettkämpfe 1968 traf Spassky auf Efim Geller, einen herausragenden Theoretiker, der allerdings auf der Suche nach dem besten Zug immer wieder gern in Zeitnot kam. Gegen Spassky wurde ihm das zum Verhängnis.

Efim Geller (Unbekannter Fotograf)

Fünf Partien des Wettkampfs endeten mit Remis, drei Mal gewann Spassky. In allen drei Partien hatte Spassky Weiß und in allen drei Partien kam ein Geschlossener Sizilianer aufs Brett. In den ersten beiden dieser Sizilianisch-Partien hatte Geller zwischenzeitlich klaren Vorteil, wenn nicht sogar Gewinnstellung, aber in Zeitnot verdarb er beide Partien zum Verlust. In der dritten und letzten Sizilianisch-Partie des Wettkampfs gelang Spassky dann mit Hilfe eines brutalen Mattangriffs ein überzeugender Sieg.

 

Auch beim Weltmeisterschaftskampf 1969 gegen Petrosian gelang Spassky im entscheidenden Moment ein ebenso brillanter wie wichtiger Sieg im Sizilianer.

 

Tigran Petrosian, Weltmeister von 1963 bis 1969

Reykjavik 1972: Der Wettkampf gegen Fischer

Drei Jahre später musste Spassky seinen Titel im legendären Weltmeisterschaftskampf in Reykjavik 1972 gegen Bobby Fischer verteidigen. Der Wettkampf machte auf der ganzen Welt Schlagzeilen und nahm durch die Allüren Fischers einen ungewöhnlichen Verlauf. In der ersten Partie schlug Fischer in ausgeglichener Stellung einen vergifteten Bauern und verlor kurz darauf seinen Läufer. Das dann entstehende schwierige Endspiel konnte er nicht halten und so ging Spassky 1-0 in Führung.

Spassky gegen Fischer, Reykjavik 1972 | Foto: Isländischer Schachverband Skáksamband Íslands

Zur zweiten Partie trat Fischer aus Protest gegen die angeblich zu lauten Kameras auf der Bühne nicht an und verlor kampflos, wodurch der Wettkampf kurz vor dem Abbruch stand. Doch Fischer ließ sich überreden, zur dritten Partie anzutreten und konnte in dieser Partie das erste Mal in seiner Laufbahn eine Partie gegen Spassky gewinnen. Die erste Partie des Wettkampfs 1972 mitgerechnet, hatten die beiden vorher sechs Partien gegeneinander gespielt, drei Mal hatte Spassky gewonnen, drei Partien endeten mit Remis.

Doch nach seinem Sieg in der dritten Partie spielte Fischer wie entfesselt und entschied die nächsten sieben Partien des Wettkampfs mit 5,5-1,5 für sich und führte so nach zehn Partien mit 6,5-3,5. Wollte Spassky überhaupt noch eine Chance haben, das Ruder noch einmal herumzureißen, dann brauchte er möglichst schnell einen Sieg. Und genau der gelang ihm in der elften Partie des Wettkampfs: Wie in der siebten Partie ließ sich Spassky mit Weiß auf die zweischneidige Bauernraubvariante im Najdorf-Sizilianer ein, einer Lieblingsvariante Fischers. Fischer hatte diese provokante Variante ausführlich analysiert und damit vor dem Wettkampf eine Reihe Aufsehen erregender Siege erzielt, doch in der elften Partie brachte Spassky den Amerikaner mit einem überraschenden Springerrückzug – 14.Sb1 – aus dem Konzept. Fischer fand keine überzeugende Antwort und erlitt eine der vernichtendsten Niederlagen seiner gesamten Karriere.

 

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Boris Spassky 1972 in Reykjavik | Foto: Isländischer Schachverband Skáksamband Íslands

Doch eine weitere Partie konnte Spassky gegen Fischer in Reykjavik danach nicht mehr gewinnen und so endete der Wettkampf nach 21 Partien schließlich mit 12,5-8,5 und Fischer wurde der elfte Weltmeister der Schachgeschichte.

Sowjetmeisterschaft 1973

Durch den Sieg Fischers im Wettkampf in Reykjavik geriet die sowjetische Schachwelt durcheinander und die Führung der sowjetischen Schachspieler tat alles, um diese Schlappe auszuwetzen. Vor allem verlangte sie von ihren besten Spielern Engagement und Einsatz – und so wurde die Sowjetische Meisterschaft 1973 zu einer der stärksten Sowjetmeisterschaften überhaupt. Fast alle, die im Sowjetschach Rang und Namen hatten, nahmen daran teil.

Spassky wurde nach seiner Niederlage gegen Fischer mit Sanktionen bestraft. Er durfte nach dem Wettkampf nicht ins Ausland reisen, obwohl er zahlreiche Einladungen erhielt, attraktive internationale Turniere zu spielen. Diese Sanktionen führten, wie Spassky später erklärte, zu einer Krise, die er jedoch bei den Sowjetischen Meisterschaften 1973 überwunden zu haben schien. Spassky gewann die Meisterschaft mit 11,5 aus 17, Karpov, Petrosian, Polugaevsky, Kortschnoi und Gennadi Kuzmin teilten sich mit einem Punkt Rückstand die Plätze 2 bis 6. Auch in diesem Turnier gelangen Spassky in entscheidenden Partien glanzvolle Siege gegen den Sizilianer:

 
 

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Solche Partien und solche Ergebnisse zeigen, dass Spassky auch nach seiner Niederlage gegen Fischer weiterhin zu den besten Spielern der Welt gehörte. Aber ein weiterer Weltmeisterschaftskampf war ihm nicht vergönnt. 1974 unterlag er im Halbfinale der Kandidatenwettkämpfe mit 4-7 gegen Karpov, 1977 verlor er gegen Kortschnoi im Finale der Kandidatenwettkämpfe ein Match, in dem sich beide Seiten mit bizarrem Verhalten überboten, mit 7,5-10,5, und 1980 schied er gegen Lajos Portisch bereits im Viertelfinale der Kandidatenwettkämpfe aus – allerdings denkbar knapp. Der Wettkampf endete nach 14 Partien 7-7 Unentschieden, aber da Portisch mehr Partien mit Schwarz gewonnen hatte, wurde er zum Sieger erklärt.

1985, 29 Jahre nach seinem Debüt in Amsterdam 1956, nahm Spassky noch einmal in Montpellier am Kandidatenturnier teil und landete auf dem sechsten Platz. Danach qualifizierte sich Spassky nicht mehr für die Kandidatenwettbewerbe.

Er blieb allerdings ein gerne gesehener Gast bei zahlreichen Spitzenturnieren und Vereinswettbewerben. Doch der ganz große Ehrgeiz fehlte Spassky mittlerweile und er war oft mit einem schnellen Remis zufrieden. Aber wenn er spielen wollte, gelangen ihm immer noch schöne Partien – auch gegen den Sizilianer.

 

Auch 2005, bei der Unzicker-Gala in Mainz, brachte der Sizilianer Spassky einen prestigeträchtigen Sieg: Er gewann gegen seinen alten Rivalen Kortschnoi.

 

Wie Spassky wurde Kortschnoi in Leningrad geboren (allerdings sechs Jahre früher, am 23. März 1931) und seit Kindheit und frühester Jugend waren die beiden Rivalen.

Viktor Kortschnoi beim Hoogovens Turnier 1985 | Foto: Rob Croes / Anefo

Ihre erste Partie gegeneinander haben sie 1948 in Leningrad gespielt, ihre letzte im Dezember 2009 bei einem 6-Partien-Wettkampf der beiden in Elista. Spassky gewann den Wettkampf mit 3,5-2,5 (+2, =3, -1).

In Ehren ergraut: Boris Spassky | Foto: Dagobert Kohlmeyer

Statistik

Insgesamt enthält die ChessBase Megadatabase 290 Partien (Simultanpartien nicht mitgerechnet) mit 1.e4 c5, in denen Spassky mit Weiß spielt. 122 dieser Partien hat Spassky gewonnen, 145 endeten Unentschieden, 23 Mal erlitt er eine Niederlage. Eine beeindruckende Bilanz – und wenn man will, dann kann man in den besten dieser Sizilianisch-Partien den Zauber des Schachs spüren, der Spassky als 9-Jähriger in seinen Bann geschlagen hat.

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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chessico chessico 23.10.2021 11:27
"Die Engines...", "moderne Engines ..." usw blablabla. Meint der Autor Stockfish 14? Das nehme ich mal an. Warum sagt er es dann nicht?
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