Hou Yifan: “Der Wettkampf war nicht so leicht, wie man vielleicht
glaubt.”
Das nachfolgende Interview führte Anastasiya Karlovich am Tag nach der 7.
Partie des Wettkampfs um die Frauenweltmeisterschaft. Die 19-jährige
Weltmeisterin Yifan Hou spricht über Vorbereitung, ihre Gegnerin Anna Ushenina,
den Wettkampf, Schach und das Leben.
Im Juli, in Beijing, während des Grand Prix, hast
du nicht den Eindruck gemacht, dich schon besonders intensiv auf den Wettkampf
gegen Anna Ushenina vorzubereiten. War das so oder nur mein Eindruck?
Tatsächlich habe ich mit meiner Vorbereitung ein paar
Tage nach meiner Rückkehr aus Tromso begonnen. Alles in allem dauerte die
Vorbereitung weniger als einen Monat. Allerdings kannte ich meine Gegnerin und
so konnte ich mich gezielter vorbereiten. Wir hatten nicht viel Zeit und haben
deshalb neben ein paar Eröffnungen ein paar grundlegende Dinge bearbeitet.
Manche Leute behaupten, du würdest nicht
versuchen, deine Gegnerinnen oder Gegner in der Eröffnung zu überspielen.
Versuchst du zu zeigen, dass du im Mittel- und im Endspiel besser bist, so wie
es Magnus Carlsen macht?
Carlsen ist bekanntlich im Mittel- und im Endspiel sehr
stark, ja, viel stärker als die meisten anderen Spieler. Ich bin nicht so gut.
Ich glaube, Eröffnungen sind wichtig, aber nicht der wichtigste Teil des Spiels.
Eröffnungen bilden nur die Anfangsphase, danach kommen eben noch Mittel- und
Endspiel.
Was denkst du über deine Gegnerin?
Ich halte sie für eine starke Spielerin. Wir haben früher
schon ein paar Mal gegeneinander gespielt, dann aber eine ganze Weile nicht. Ich
habe mir gesagt, wenn sie in einem K.O.-Turnier Weltmeisterin wird, dann ist sie
eine Kämpferin und kann nicht schwach sein.
Nach ein paar Jahren Pause hattest du beim Grand
Prix in Genf die Chance, wieder gegen Anna anzutreten. Du hast diese Partie
verloren. Was war das für ein Gefühl? Hast du daraus bestimmte Schlüsse gezogen?
In dem Turnier habe ich nicht nur gegen sie, sondern auch
gegen ein paar andere Spielerinnen verloren. Ich war nicht in Form und habe
einfach schrecklich gespielt. Doch diese eine Partie hat meine Haltung zum Match
nicht verändert. Natürlich hatte ich immer vor, mich ernsthaft vorzubereiten –
wie auf jedes Turnier. Wenn man nicht einfach nur zum Spaß spielt, dann sollte
man auf die Vorbereitung achten.
Welche Erklärung hast du für deine Ergebnisse im
letzten Jahr? Hatten die in irgendeiner Weise mit dem bevorstehenden Wettkampf
zu tun?
Lange Zeit war ich nicht gut in Form. Den Grund kenne ich
nicht genau, aber in gewisser Weise hielt ich das für normal, denn irgendwann
muss das ja einmal passieren. Man kann nicht immer gut spielen und phantastische
Ergebnisse erzielen. Natürlich hätte das auch während des Wettkampfs geschehen
können, aber was soll man machen? Man kann nur versuchen, sein Bestes zu geben,
um sich auf das Turnier vorzubereiten. Ich kann auch nicht behaupten, dass ich
mich zu sehr auf das Match konzentriert und mich nicht mehr um andere Turniere
gekümmert habe. Nein, meine Ergebnisse hatten nichts mit dem Wettkampf zu tun.
2011, vor dem Wettkampf gegen Koneru, habe ich gut gespielt, deshalb glaube ich,
dass ich jetzt einfach eine Zeit lang schlecht in Form war.
Haben die Ergebnisse des letzten Jahres deinen
Glauben an dich selbst erschüttert?
Ich bin nicht jemand, der sich von Ergebnissen
besonders beeindrucken lässt, auch wenn ich das Schach ernst nehme.
Hatte diese Phase etwas damit zu tun, dass sich
dein Leben verändert hat? Ich habe gehört, du hast angefangen zu studieren.
Ja, ich kann dem Schach nicht mehr so viel
Aufmerksamkeit widmen wie vorher, denn ich studiere wie eine ganz gewöhnliche
Studentin. Ich kann zwar mit offizieller Genehmigung frei nehmen, wenn ich an
Turnieren teilnehme, aber ich muss den versäumten Stoff dann selber wieder
aufholen. Das hängt allerdings auch von den Professoren ab – sind die
Professoren strikt und pedantisch, kann ich nicht allzu oft fehlen.
Was war das für ein Gefühl, in Taizhou zu
spielen? Was denkst du über die Spielbedingungen? Ist der Heimvorteil beim
Schach genauso wichtig wie beim Fußball?
Nun, Taizhou ist nicht meine Heimatstadt. Ich wurde
in Xinghua geboren, das liegt eine Autostunde von hier entfernt. Xinghua hat
mindestens eine Million Einwohner und viele meiner Verwandten leben heute noch
da. Im Süden Chinas ist die Luft nicht so verschmutzt, die Luft ist besser, es
gibt besseres Essen, mehr Gemüse. Natürlich musste ich hier meinen Rhythmus
nicht an die Zeitverschiebung anpassen und das Essen war für mich okay, aber
alles in allem wurde der Wettkampf so organisiert wie jedes andere
Schachturnier.
Wie hast du reagiert, als du gehört hast, dass
Korobov und Khalifman Anna Ushenina während des Wettkampfs unterstützen würden?
Als ich gehört habe, wer ihre Sekundanten sind,
habe ich genau wie viele andere Leute gedacht: “Wow! Ihr Team ist aber stark!”
Und in dem Moment habe ich auch gedacht: “Vielleicht sollte ich die ganze Sache
doch ein wenig ernster nehmen? Vielleicht sollte ich doch irgendetwas anders
machen?” (lächelt) Aber nach Tromso habe ich beschlossen, mir einfach selbst
einen Sekundanten zu suchen, der mir bei der Vorbereitung hilft.
Hast du damit gerechnet, dass der Wettkampf so
schnell vorbei ist?
Nun, ich war auf alles vorbereitet. Ich habe auch
damit gerechnet, dass der Wettkampf schwierig wird und ich ein paar unangenehme
Momente erleben würde.
Kannst du verraten, welche schwierigen Momente im
Wettkampf es gab?
Die erste Partie war sehr kompliziert, genau wie
die fünfte Partie.
Warum hast du trotz des starken Teams von
Ushenina in der fünften Partie noch einmal Keres-Angriff gespielt? War das nicht
ein bisschen riskant?
Die Variante ist in Ordnung, also habe ich sie
einfach wiederholt. Und man kann ja auch nie wissen, welche Überraschungen in
anderen Eröffnungen und Varianten auf einen lauern, oder? (lächelt)
Wie kommt es, dass Anna drei Mal mit Weiß
verloren hat? Glaubst du, sie hat die falschen Eröffnungen gespielt?
In den ersten beiden dieser Partien hat sie Nimzo-Indisch
gespielt, das ist meine Hauptwaffe mit Schwarz. Doch sie hat diese Partien nicht
in der Eröffnung verloren, sondern später. In der dritten Partie unterlief ihr
allerdings schon in der Eröffnung ein offensichtlicher Fehler.
Bist du zufrieden mit der Qualität deines Spiels
in diesem Wettkampf?
Die Qualität meines Spiels war okay, aber natürlich
nicht perfekt. Ich habe keine groben Fehler gemacht und nichts eingestellt, aber
manchmal habe ich auch ungenau gespielt. In den erwähnten Partien stand ich
schlechter, und ich glaube, das lag an meinem ungenauen Spiel.
Jetzt hast du schon zwei WM-Kämpfe gewonnen –
einen in Tirana gegen Humpy Koneru und gestern den gegen Ushenina. Lassen sich
diese beiden Wettkämpfe vergleichen?
Vor zwei Jahren war ich glücklich, genau wie jetzt,
denn ich freue mich immer, wenn ich wichtige Turniere oder Wettkämpfe gewinne.
Das Match in Tirana war schwieriger für mich. Gegen Koneru stand ich in der
ersten Hälfte des Wettkampfs in mehr als einer Partie schlechter und musste
wirklich kämpfen. Der Wettkampf gegen Ushenina verlief einseitiger. Doch
zugleich war dieser Wettkampf nicht so leicht, wie man vielleicht glaubt, wenn
man nur das Ergebnis kennt. In Tirana gegen Koneru hatte ich im Vergleich zu
diesem Wettkampf mehr Probleme in der Eröffnung, aber trotzdem kann man nicht
einfach sagen, dass ich mich besser auf den Wettkampf gegen Ushenina vorbereitet
habe.
In Tirana hattest du gesundheitliche Probleme.
Kamen die unerklärlichen Magenschmerzen denn jemals wieder?
Manchmal werde ich bei Turnieren krank. Bei diesem
Wettkampf war alles okay, aber ein paar Tage vor Beginn des Turniers hatte ich
Probleme und musste vier oder fünf Tage lang Medikamente nehmen.
Wer hat dir dieses Mal geholfen?
Dieses Mal habe ich auf ein Team verzichtet und wie
oben erwähnt habe ich kurz vor Beginn des Wettkampfs lediglich einen Sekundanten
angeheuert. Wie du vielleicht weißt, ist GM Ye Jiangchuan der Cheftrainer der
chinesischen Mannschaft, und wenn er Zeit hatte, dann hat er mir ein wenig
geholfen, aber meistens musste er jede Menge anderer Dinge erledigen. Deshalb
habe ich schließlich selber einen Sekundanten angeheuert. Und viele Freunde in
der ganzen Welt haben mich mit schachlichen Ratschlägen oder auf andere Weise
unterstützt. Sie haben mich angefeuert und dafür bin ich ihnen sehr dankbar!
Wie hast du mental auf die Partien und den
Wettkampf vorbereitet?
Natürlich war dieser Wettkampf wichtig für mich,
aber er ist nicht das Wichtigste in meinem Leben. Mir ist es wichtiger, gesund
und glücklich zu sein. Für mich sind Gesundheit und Glück immer eine “1”.
Erfolge, Siege sind “Nullen”. Diese Nullen hänge ich jetzt an die “1” dran. Das
ergibt je nach Tag und Lage 10, 1000 oder 10000, aber ohne die “1” kommt nichts
dabei heraus. Ich glaube, meine Einstellung hat mir geholfen, das Match zu
genießen und mich gut zu fühlen. Ich versuche keine Tragödie daraus zu machen,
wenn ich eine Partie verliere. Bis zum definitiven Ende des Wettkampfs habe ich
mich immer nur auf die nächste Partie konzentriert. Wenn man gewinnt, ist das
kein Grund, völlig aus dem Häuschen zu sein, und auch wenn man verliert, ist das
nicht das Ende der Welt.
Aber wenn du den Wettkampf verloren hättest?
Ja, das habe ich mir vor dem Wettkampf überlegt und
für mich waren beide Möglichkeiten, Sieg oder Niederlage, akzeptabel. Ich weiß,
dass viele Leute dazu beigetragen haben, diesen Wettkampf möglich zu machen, und
ich bin dem Land und den Organisatoren dankbar, aber trotzdem hätte alles dabei
herauskommen können. Ich habe einfach versucht, mein Bestes zu geben und
optimistisch zu bleiben.
Was bedeutet dieser Titel für dich? Wie wichtig
ist es für dich, nach neuneinhalb Monaten Unterbrechung wieder
Frauenweltmeisterin zu sein?
Ich freue mich, den Titel wieder erobert zu haben
und Frauenweltmeisterin zu sein. Letztes Jahr waren meine Ergebnisse nicht
besonders gut, und ich hoffe, das zeigt, dass ich meine Formkrise allmählich
überwunden habe.
Hast du das Gefühl, du bist die stärkste
Spielerin bei den Frauen?
Nein, das Gefühl habe ich nicht. Zwischen mir und
den anderen Spielerinnen gibt es keine ausgeprägten Spielstärkeunterschiede. Es
gibt eine Reihe starker Spielerinnen, die mehr als 2500 Elo haben und gegen
manche von ihnen habe ich ein insgesamt positives Ergebnis, gegen andere ist das
Ergebnis ausgeglichen. Allerdings gibt es unter den Frauen keine Gegnerin, gegen
die ich Schwierigkeiten habe.
Stört es dich, dass du deinen Titel in der
nächsten Weltmeisterschaft nach K.O.-Modus wieder verlieren kannst, wie es in
Khanty-Mansiysk passiert ist?
Ich weiß noch gar nicht, ob ich da spiele oder
nicht, ich habe noch keinen klaren Zeitplan für nächstes Jahr. Du weißt
vielleicht, dass ich eigentlich gar nicht an der K.O.-WM teilnehmen wollte, aber
schließlich doch gespielt habe. Ich weiß nicht genau, welches WM-Format man beim
Frauenschach anwenden sollte, aber Vergleiche mit dem Format bei den Männern
bieten sich an. Ich glaube, dass die Organisation des gesamten WM-Zyklus bei den
Männern vernünftiger und fairer ist. Ich würde mich freuen, wenn die FIDE dieses
System auch im Frauenschach einführt.
Du bist jung, hübsch und Frauenweltmeisterin! Wie
würdest du dein Leben im Moment beschreiben?
Ich habe noch viel vor mir und viele Jahre Zeit, um
fast alles zu tun, was ich mir wünsche. Im Moment ist die Zeit gekommen, zu
sehen, wie es im Schach, im Studium und in anderen Bereichen des Lebens
weitergeht. Ich möchte mein Leben bereichern. Das Leben ist wunderbar!
Quelle: FIDE