ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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In einem Gespräch mit dem Journalisten Ewgenij Kisseljow (Radio Echo Moskvy, www.msk.ru/programs/all/555933-echo.phtml) erinnert sich Kasparow an den 8. Schachweltmeister Michael Tal (1936-1992). Kasparow kannte Michael Tal nicht nur, sondern spielte auch gelegentlich gegen ihn. Meistens kam es dabei zu einem Unentschieden. Besonders gut erinnert sich Kasparow an ein Simultanspiel im März 1974, als Tal ihm plötzlich gegenüber stand. Der fast 11-jährige Kasparow war so geschockt, dass er nicht vernünftig spielen konnte und die Partie verlor.
1978 ging es um die Meisterschaft der UdSSR, später gab es ein Blitzturnier (14 Partien, 7:7). Tal und Kasparow trafen sich oft und kamen gut miteinander aus.
Einen Monat vor Michael Tals Tod gab es in Moskau ein Blitzturnier. Es war das einzige Mal, das Kasparow gegen Tal verlor (auch wenn er in der zweiten Runde gewann). Tal war der einzige Schachspieler, so Kasparow, der die Möglichkeiten nicht errechnete, sondern sie "gesehen" hat. Tal wusste, was in etwa acht Zügen geschehen würde. Seine Art zu spielen war absolut einmalig. Er war überhaupt jemand, bei dessen Anwesenheit andere ihre eigene Mittelmäßigkeit spürten. Sein Leben war ebenfalls absolut ungewöhnlich. Er dachte über nichts nach. Er lebte im Hier und Jetzt, und versprühte eine gewaltige Energie um sich, eine positive Energie ohne Konflikte.
Tals Spielweise unterschied sich von der Botwinniks und Smyslows grundlegend. Die klassische Lehre verurteilte diese Art zu spielen. Aber er spielte nicht nur anders, er gewann damit. Er schaffte Erlebnisse auf dem Brett…
1957 und 1958 war er Meister der UdSSR und 1959 gewann er gegen Smyslow im Kandidatenturnier in Jugoslawien: Ein absolut glänzender Sieg. Er hatte einen eigenen Stil und war auch für die Kommentatoren eine Herausforderung. Er gewinnt gegen Smyslow indem er Material opfert und Smyslow daraufhin nicht weiß, wie er sich verteidigen soll. Die Partie gewinnt er mit einer Figur weniger.
Er spielte prinzipiell anders Schach. Das erregte unglaubliches Aufsehen. Und dennoch glaubte man, dass es gegen Botwinnik nicht funktionieren würde. Doch es klappte: Botwinnik wurde geschlagen.
Andererseits fand Botwinnik im Revanchespiel Tals Schwäche, und Tal – infolge seiner Jugend und Offenheit – war darauf nicht gefasst. Er spielte schlecht. Allein die Tatsache des Sieges über Botwinnik zuvor überzeugte und machte unglaublichen Eindruck. Das war wirklich ein Tauwetter, wie in der Politik. Dieser offene Stil von Tal entsprach auch der politischen Epoche. Und wenn man das analog fortsetzt, dann sieht man, dass der Sieg nicht von langer Dauer sein konnte, weil die Tauwetterperiode schon zu Ende ging.
Tal hätte anfangen müssen an sich zu arbeiten, sich zu vervollkommnen. Das absolut Neue, das Botwinnik so verblüfft hatte, war nicht mehr da. Und natürlich hätte er sich anders auf das Revanchespiel vorbereiten müssen. Aber er wäre nicht Michael Tal gewesen, wenn er sich vorbereitet hätte. Er lebte anders, für ihn waren die Dinge nicht so wichtig. Das Resultat hatte zwar seine Bedeutung, aber nicht in dem Maße wie für andere Schachspieler. Für ihn war schon das Spielen einer interessanten Partie Rechtfertigung genug, um seine Zeit am Schachbrett zu verbringen.
Bis an sein Lebensende war er für jeden seiner Gegner ein gefährlicher
Gegenspieler. 1988 wurde er in Kanada Weltmeister im Blitzschach. Mit 51 Jahren
war er trotz Krankheit immer noch derselbe Tal. Es ging ihm nicht um Wahrheit,
sondern um Schönheit. Das war ein prinzipiell völlig anderes Konzept, das sich
von dem der meisten anderen Schachspieler unterschied. Bis zu seinem 50.
Lebensjahr kann man Tal – mit kurzer Unterbrechung – zu den Top Ten rechnen.
Was ihm vielleicht fehlte, war Gründlichkeit. Vorbereitung wurde notwendig sowie
andere sportliche und forschend wissenschaftliche Eigenschaften. Daran hat es
Tal immer gefehlt, das zwang ihn auf der Stelle zu treten.
Nach 1961 konnte er keine adäquate Antwort mehr auf die Herausforderungen im
Schachspiel finden. 1965 verlor er gegen Spasski, denn jener war vielseitiger
und spielte anders als Botwinnik. 1978/79 gab es noch einmal einen Aufstieg
Tals, den er höchstwahrscheinlich seiner intensiven Zusammenarbeit mit Karpow
verdankte. Sie versetzte ihn in die Lage neue Tendenzen in sein Spiel einbringen
zu können. Tal spielte zu dieser Zeit schon weitaus pragmatischer Schach als
früher. Gegen Ende der 70-er Jahre spielte die Technik in seinem Schachspiel
eine größere Rolle. Zwar konnte er – wie früher – einen Kombinationssturm
anzetteln, aber es war für ihn kein Selbstziel mehr. Er passte sich der
Notwendigkeit an, irgendwelche langweiligen Sachen am Schachbrett zu machen und
machte das sehr gut. Er sah immer irgendwelche Besonderheiten der Stellung, die
seinen berühmten Kollegen entgingen.
Tal spielte auch mit Fischer, er schlug ihn
erbarmungslos und war damit für den jungen Schachspieler ein großes Problem, da
Fischer ein „richtiger“ Schachspieler sein wollte und Tal ein „falscher“ war.
Die Art wie Tal Schach spielte löste bei Fischer große nervliche Anspannung
aus, so dass er nicht spielen konnte. Auch Kortschnoi spielte mit Tal, störte
wie jener das Gleichgewicht. Aber im Gegensatz zu Tal, der angriff, freute sich
Kortschnoi angegriffen zu werden. Tal hatte es deshalb besonders schwer mit ihm,
da Kortschnoi auf seine Angriffe niemals nervös reagierte.
In politischer Hinsicht, glaubt Kasparow, war für Tal die Freiheitsliebe das Wichtigste. Dementsprechend konnte er das, was um ihn herum geschah, nicht gut finden. Keine Eskapaden wie bei Kortschnoi, aber nicht kontrollierbar: Tal gibt eine Erklärung ab und geht… Denn das System, so Kasparow, war ihm – in sozialer Hinsicht – fremd.