32. Kieler Open
Das Kieler Open beginnt immer an einem Samstag, und zwar mit zwei der gefürchteten "Doppelrunden": Am ersten und zweiten Turniertag wird mittags und abends jeweils eine Partie gespielt. Nachtmenschen kommt diese Zeitplanung aber entgegen – um neun Uhr morgens muss sich hier keiner ans Schachbrett quälen! Ein hartes Programm bleibt es allemal. Im Hochsommer kann es an der Ostseeküste richtig warm werden, und wenn die Köpfe zusätzlich vom angestrengten Grübeln rauchen, dann endet das Wochenende schon mal mit einem argen Brummschädel. Großkampftage sind dies aber auch für das Personal im Restaurant der Rudergesellschaft Germania, denn das Lokal befindet sich in der Hand von knapp 160 Schachspielern, die vor Beginn der nächsten Partie alle etwas essen wollen. Entspannt geht es trotzdem zu - schließlich kann man sich hier, falls der Dienst hinter dem Tresen doch mal an den Nerven zerren sollte, mit einer kleinen Kopfbewegung jederzeit am prächtigen Ausblick auf die Kieler Förde laben. Und wenn man nach der Mahlzeit wieder am Schachtisch sitzt, funktioniert das natürlich auch!
Das Spiellokal befindet sich unmittelbar an der Uferpromenade "Kiellinie"
Das rührige Organisationsteam der "Kieler Schachgesellschaft von 1884" hatte natürlich bereits einiges an Anstrengungen in den Knochen gehabt, bevor überhaupt ein einziger Zug gespielt war. In diesem Jahr wurde diese Phase der Vorbereitung noch durch den notwendig gewordenen Umzug des Vereins in ein neues Spiellokal verschärft, der unmittelbar vor dem Beginn des Opens bewältigt werden musste. Die Kieler SG ist jetzt beim "Kieler Fenster" in der Alten Lübecker Chaussee 1 ansässig; das neue Spiellokal wird am 12. August um 19.30 Uhr mit einem Schnellturnier eingeweiht – Gäste sind willkommen! Als Teilnehmer des Opens merkte man von alledem nichts: Die Organisation des Turniers war auf sachlich-unaufgeregte Weise perfekt wie immer - typisch norddeutsch eben!
Hans-Jürgen Hahne (links) ist quasi das "Gesicht" des Kieler Opens; Sascha Abel ist der stets souveräne Schiedsrichter (kleine Schummelei: Dieses Foto ist vom Vorjahr...)
Schlagartig vorbei ist der Stress am Montag: Es gibt jetzt nur noch eine Partie täglich, die erst um 18.00 Uhr beginnt. Ohne die physischen Belastungen des ambitionierten Aufgalopps macht dieses Turnier dann einfach nur noch Spaß. Wer in der Nähe des direkt am Fördeufer gelegenen Spiellokals über einen netten Job verfügt (sei es als Landtagsabgeordneter, Barkassenkapitän oder Eisverkäufer), der kann sich tagsüber bei der Arbeit von allen schachlichen Anstrengungen erholen und es trotzdem pünktlich zur Partie schaffen. Alle anderen, die nicht arbeiten müssen, langweilen sich im Sommer an der Ostsee ja ohnehin nicht. Am Freitag, dem letzten Turniertag, fängt die Partie dann schon um 15.00 Uhr an: Nach der Runde wird noch Zeit für die Siegerehrung und das obligatorische Aufräumen benötigt.
Die Kieler Schachgesellschaft würde gerne noch einen Sponsor für ihr Turnier gewinnen, und eine Aufstockung des Preisfonds würde vermutlich auch dazu führen, dass noch mehr als die in diesem Jahr anwesenden sieben Titelträger und zwei Titelträgerinnen nach Kiel kommen würden. Die Voraussetzungen dafür müssten eigentlich gut sein, denn der Spielort, im Kieler Stadtteil Düsternbrook gelegen, ist ja eigentlich ein Hotspot für einflussreiche Persönlichkeiten (die vielleicht Zugriff auf entsprechende Budgets haben könnten). Der "Landtagsabgeordnete" (der schleswig-holsteinische Landtag befindet sich drei Gehminuten nördlich vom Spiellokal) wurde ja bereits erwähnt, um die Bedeutung dieses Stadtteils von Kiel zu belegen, und zuletzt hat sogar der Schauspieler (und neuerdings auch Autor) Axel Milberg "Düsternbrook" mit seinem gleichnamigen Roman ein literarisches Denkmal gesetzt (in seinem fiktiven Leben ermittelt Milberg bekanntlich regelmäßig als "Klaus Borowski" für den Kieler "Tatort").
Vielleicht sind die Düsternbrooker Bürger aber auch schon längst dabei, ihre Affinität fürs Schachspiel zu entdecken. Der "einzige deutsche Schachweltmeister" Dr. Emanuel Lasker steht immerhin schon einmal vor dem Kieler Landtag - wenn auch nur aus Acryl. Kleiner Exkurs: Es gibt ja bekanntlich eine Nähe des Schachs zum Fußball, wenn auch keiner genau weiß, worin diese besteht (unter den Sachpreisen, die bei der Siegerehrung des Opens verteilt wurden, befanden sich auch einige Fußbälle!). Jedenfalls haben die Macher dieser Ausstellung "Deutscher jüdischer Sportler" Dr. Lasker einen Fußballer zur Seite gestellt: Gottfried Fuchs hält bis heute den Rekord von zehn Toren in einem einzigen Länderspiel. Ebenso wie Lasker schaffte Fuchs rechtzeitig die Ausreise aus Deutschland; als "Godfrey Fochs" starb er 1972 in Montreal.
Der Acryl-Lasker von hinten
Starker Auftritt von Jonathan Carlstedt
Ein halber Punkt Vorsprung ist vielleicht nicht viel, aber irgendwie hatte man während des gesamten Turniers nie das Gefühl, dass der am Kopf der Setzliste platzierte IM Jonathan Carlstedt vom Hamburger SK am Ende nicht auch der Gesamtsieger sein würde. Natürlich lassen die Titelträger bei einem Open auch hier und da mal einen halben Punkt liegen, aber das sind seltene Ereignisse. Carlstedt passierte dies in Runde 2 gegen den gute 300 TWZ-Punkte hinter ihm platzierten Julian Rieper vom Kieler SK Doppelbauer. Ausdruck dieses frühen Punktverlusts ist die Buchholzzahl des Turniersiegers, die etwas niedriger war als bei seinen Verfolgern Lanka und Legky - es mussten für den Turniersieg also "richtige" Punkte her. Warum die Titelträger per Saldo schließlich doch die Nase vorn haben, zeigte Carlstedt sehr anschaulich eine Runde später:
Natürlich haben die Spitzenspieler persönliche Ziele, wenn sie in ein solches Turnier gehen: Es geht um die Preisgelder, um die Entwicklung der eigenen Elozahl, um einen sparsamen Einsatz der (physischen) Kräfte. Da kann es dann durchaus sinnvoll sein, gegen direkte Konkurrenten nicht aufs Ganze zu gehen. Auch Jonathan Carlstedt und Zigurds Lanka spielten ihre Partie nicht voll aus. Über die letztendliche Platzierung an der Spitze entschied dann das Fernduell: Wer würde weniger Remisen abgegeben haben? Es war Carlstedt, der die Nase vorn hatte: Im Vergleich mit Lanka und Legky hatte er sich ein Unentschieden weniger gestattet.
Platz 1 und 2 in der Abschlusstabelle: Jonathan Carlstedt und Zigurds Lanka
Vollkommen anders verlief das Turnier für Lara Schulze: Sie verlor zwei Partien (gegen Nikolay Legky, rechts im Bild, und Manfred Kröncke), gewann dafür aber sage und schreibe sieben Spiele - ein Wert, den kein anderer Spieler im Turnier erreicht hat
Abschlusstabelle des A-Opens nach 9 Runden
Rang |
Teilnehmer |
Titel |
TWZ |
At |
Verein/Ort |
Land |
S |
R |
V |
Punkte |
Buchh |
SoBerg |
1. |
Carlstedt,Jonatha |
IM |
2408 |
|
Hamburger SK vo |
GER |
6 |
3 |
0 |
7.5 |
47.0 |
38.25 |
2. |
Lanka,Zigurds |
GM |
2395 |
|
SC Viernheim 19 |
LAT |
5 |
4 |
0 |
7.0 |
49.5 |
37.00 |
3. |
Legky,Nikolay A |
GM |
2397 |
|
Odessa, Ukraine |
FRA |
5 |
4 |
0 |
7.0 |
47.5 |
36.50 |
4. |
Schulze,Lara |
WFM |
2253 |
W |
SK Lehrte |
GER |
7 |
0 |
2 |
7.0 |
42.0 |
34.00 |
5. |
Simantsev,Mikhail |
GM |
2346 |
|
Charkiw, Ukrain |
UKR |
4 |
5 |
0 |
6.5 |
48.0 |
32.00 |
6. |
Melamed,Tatjana |
WGM |
2351 |
W |
SG Aufbau Elbe |
GER |
5 |
3 |
1 |
6.5 |
46.5 |
34.75 |
7. |
Köllner,Christof |
|
2091 |
|
SV Bergneustadt |
GER |
5 |
3 |
1 |
6.5 |
45.5 |
34.25 |
8. |
Arndt,Magnus |
|
2313 |
|
SK Doppelbauer |
GER |
6 |
1 |
2 |
6.5 |
42.0 |
32.25 |
9. |
Wanner,Lukas |
|
2085 |
|
SK Doppelbauer |
GER |
5 |
2 |
2 |
6.0 |
44.5 |
28.00 |
10. |
Rieper,Julian |
|
2062 |
|
SK Doppelbauer |
GER |
5 |
2 |
2 |
6.0 |
43.0 |
28.00 |
11. |
Voloshin,Leonid |
GM |
2376 |
|
SG Speyer-Schwe |
CZE |
4 |
4 |
1 |
6.0 |
42.5 |
30.25 |
12. |
Köllner,Aaron Noa |
|
2044 |
|
SG Bochum 1931 |
GER |
6 |
0 |
3 |
6.0 |
37.0 |
24.00 |
13. |
Jurkic,Bosiljko |
|
2046 |
|
SC Blauer Turm |
CRO |
5 |
2 |
2 |
6.0 |
33.0 |
24.25 |
14. |
Braun,Georg |
FM |
2307 |
|
SK Bebenhausen |
GER |
4 |
3 |
2 |
5.5 |
48.0 |
28.00 |
15. |
Köllner,Ruben Gid |
|
2315 |
|
SG Bochum 1931 |
GER |
5 |
1 |
3 |
5.5 |
47.5 |
29.50 |
16. |
Latzke,Boris |
|
2212 |
|
SK Bebenhausen |
GER |
5 |
1 |
3 |
5.5 |
45.5 |
27.75 |
17. |
Pluska,Alexander |
|
2207 |
|
SK Doppelbauer |
GER |
4 |
3 |
2 |
5.5 |
43.5 |
26.25 |
18. |
Ruhland,Cliff |
|
1965 |
|
Itzehoer SV von |
GER |
4 |
3 |
2 |
5.5 |
43.0 |
24.50 |
19. |
Röhr,Tobias |
|
2054 |
|
SG Aufbau Elbe |
GER |
4 |
3 |
2 |
5.5 |
42.0 |
26.00 |
20. |
Kaulich,Philipp T |
|
2177 |
|
Kieler SG |
GER |
5 |
1 |
3 |
5.5 |
41.5 |
25.00 |
21. |
Besenthal,Klaus-G |
|
2070 |
|
SC Schachelschw |
GER |
3 |
5 |
1 |
5.5 |
38.5 |
26.75 |
22. |
Lebeda,Timo |
|
2107 |
|
SK Bebenhausen |
GER |
4 |
3 |
2 |
5.5 |
38.5 |
23.25 |
23. |
Wendler,David |
|
2094 |
|
SK Bebenhausen |
GER |
5 |
1 |
3 |
5.5 |
38.5 |
22.50 |
24. |
Meyer,Henrik |
|
2007 |
|
TuRa Harksheide |
GER |
4 |
3 |
2 |
5.5 |
37.5 |
23.25 |
25. |
Rendboe,John Filip |
FM |
2136 |
|
Aarhus Skakklub |
DEN |
3 |
5 |
1 |
5.5 |
37.0 |
22.75 |
... 88 Spieler
Weiteste Anreise
Die Inderin Srimathi (auf dem Foto mit ihrer Mutter) wurde mit 4,0/9 61ste im A-Turnier. Die beiden hatten das Turnier in Kiel für wert befunden, in ihren Europatrip eingeplant zu werden
B-Open
Das B-Turnier (67 Teilnehmer) gewann souverän mit 7,5/9 Matthes Bendixen vom Schleswiger SV.
Partien
Die Partien vom Kieler Open werden nach ihrer Erfassung durch das engagierte Helferteam in der ChessBase-Onlinedatenbank verfügbar sein.
Wie geht es weiter?
Die Reste der kurzen, aber heftigen Hitzewelle, die vor dem Turnier geherrscht hatte, waren am Start-Wochenende noch zu spüren gewesen, doch an den folgenden Tagen war der Sommer dann eher von typisch norddeutschem Charakter: nicht wirklich schlecht, aber doch ziemlich durchwachsen. Kurzzeitig konnte es von oben schon einmal nass werden. Vor Jahresfrist war dies bekanntlich anders gewesen: Damals musste das Turnier inmitten der wochenlangen Rekordhitzephase durchgeführt werden. Wie wird der Sommer 2020 werden? Man weiß es nicht; was man aber bereits heute sagen kann, ist, dass es 2020 die 33. Auflage des Kieler Opens geben wird!
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