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Präsidentschaftswahlen in Kalmückien
Mit rund 57 Prozent der abgegebenen
Stimmen gewann Kirsan N. Ilyumshinov am Sonntag (27.10.) die Stichwahl bei den
kalmückischen Präsidentschaftswahlen (1. Wahlgang: 20.Oktober). Er wurde damit
zum dritten Mal zum Präsidenten der russischen Republik Kalmückien gewählt.
1993 hatte Ilyumshinov zwei Gegenkandidaten und erzielte im ersten Wahlgang um
die 60 Prozent. Bei den vorgezogenen Wahlen im Oktober 1995 war er der einzige
Kandidat, so dass das damalige Resultat von über 80 Prozent der Stimmen nicht zu
einem Vergleich taugt.
Mit der Wiederwahl Ilyumshinovs zum Präsidenten Kalmückiens scheint auch seine
Wiederwahl als Präsident des Weltschachbundes FIDE gesichert.
Seit Präsident Putin an der Macht ist, beobachten Russland-Kenner einen wachsenden Einfluss der Präsidialmacht in den Regionen. Dem Kreml stehen eine Vielzahl von Druckmitteln zur Verfügung, um nicht genehme Kandidaten zu verhindern und eigene Kandidaten zu unterstützen:
- Im Gebiet Kursk wurde der Gouverneur und Kreml-Kritiker Ruzkoi durch ein
Gerichtsverfahren von der Wahl ausgeschlossen;
- in der Region Primorje trat der regionale Führer nach einem Gespräch mit Putin
freiwillig zurück;
- in der Republik Inguschetien musste der dortige Präsident ebenfalls
zurücktreten.
Der Moskauer Politologe Alexej Wassiljew beschrieb in der deutschen
Zeitschrift "Wostok. Informationen aus dem Osten für den Westen" die
Entmachtung Ilyumschinows in dem Prozess der Umwandlung Russlands aus einem
föderativen in einen einheitlichen Zentralstaat als größte Probe für die
"effiziente Regionalpolitik" des Präsidenten in diesem Jahr (Wostok Nr. 3
[Juli-September]/2002, S. 27); Ilyumshinov sei in Kalmückien uneingeschränkter
Herrscher und schere sich wenig um Moskau.
Die kurz vor dem ersten Wahlgang in Kalmückien einsetzende Kampagne Moskauer
Medien gegen Ilyumshinov und seine Anhänger ließ sich als Stellungnahme des
Kremls interpretieren. Wladimir Putin hat sich allerdings in dieser Sache nicht
selbst öffentlich geäußert. Während der stellvertretende Chef der
Präsidentialverwaltung, Viktor Iwanow,
überaus deutlich
gegen Ilyumshinov auftrat, argumentierte der Leiter der Präsidentialverwaltung,
Alexander Woloschin, ohne Ilyumshinov würde sich Kalmückien in
ein zweites
Tschetschenien verwandeln.
Kalmückien ist grösser als der Freistaat Bayern, hat aber nur ca. 320.000
Einwohner. Etwa 45 Prozent davon sind Kalmücken, etwa 40 Prozent sind Russen und
10 bis 15 Prozent der Einwohner stammen aus Dagestan und Tschetschenien - der
Anteil der aus den nordkaukasischen Republiken stammenden Menschen steigt
ständig.
Als sich im Zuge der Auflösung der Sowjetunion auch in Russland selbst
zentrifugale Bestrebungen bemerkbar machten, gelang es Kirsan Ilyumschinow,
Kalmückien zu stabilisieren. Vor seiner Wahl im April 1993 hatte er angekündigt,
er werde Demonstrationen und Streiks verbieten und das aus sowjetischer Zeit
stammende Parlament auflösen. Trotz Protesten seitens kalmückischer Separatisten
setzte Ilyumshinov im Frühjahr 1994 durch, dass die Verfassung Kalmückiens
abgeschafft und nur die Verfassung Russlands als gültig erklärt wurde.
Kalmückien war die einzige Republik innerhalb Russlands, die die lokale
Verfassung aufgab. Kirsan Ilyumshinov begründete diesen Schritt mit der
explosiven Situation im nahe gelegenen Nordkaukasus:
"Wir brauchen
einen starken Staat."
Wenn Kirsan Ilyumschinow sein Wahlversprechen von 1993 eingelöst hätte,
Kalmückien in "ein zweites Kuwait" zu verwandeln (womit er den auf Erdöl
basierenden Reichtum dieses arabischen Landes meinte, nicht dessen
Wüstenlandschaft), wäre er zweifellos einer der populärsten russischen
Politiker. Es ist ihm jedoch (noch?) nicht gelungen; Kalmückien zählt zu den
ärmsten Regionen Russlands. Ilyumshinovs Kritiker sehen in ihm ein Symbol der
Korruption in Russland.
1993 hatte er angekündigt, den Übergang zur Marktwirtschaft und zu Wohlstand in
Kalmückien dadurch erreichen zu wollen, dass a) das Land in eine Zone mit
niedrigen Steuern umgewandelt wird und b) unerschlossene Ölreserven gefördert
werden.
Was die Petrodollars für Kalmückien anbetrifft: 1993 wurde aus der staatlichen
russischen Ölgesellschaft Rosneft gemäss einem Dekret des russischen Präsidenten
Jelzin die kalmückische Firma
Kalmneft ausgegliedert (Kalmneft gehört heute
Ilyumshinovs
Bruder). Im Jahr 2001 stellte sich vor einem englischen
Gericht heraus, dass ein
ehemaliger leitender Angestellter von Kalmneft eine in Jersey registrierte Firma
gegründet hatte, auf deren britischem Konto eine beträchtliche Summe Geld für
Öl-Lieferungen von Kalmneft einging. In dem Verfahren
Kalmneft
gegen Glencore International AG und andere versuchte Kalmneft zu erreichen,
dass ein abgeschlossener Vertrag wegen der Betrugsabsicht des Firmendirektors
für ungültig erklärt wurde, drang damit aber nicht durch. Die in mehreren
Sprachen erscheinende russische Publikation Moskowskije Nowosti, die
Ilyumshinov seit Jahren ins Visier nimmt, wies während der kalmückischen
Präsidentschaftswahl zum wiederholten Mal darauf hin, dass die russische
Generalstaatsanwaltschaft Mitte der 90er Jahre ein Strafverfahren gegen den
Generaldirektor von Kalmneft eröffnet hatte: dieser hatte Kalmneft-Öl nach
Bulgarien verkauft und sich den Erlös auf eine ausländische Bank überweisen
lassen. Kaum war der
"Öldieb" wieder frei,
ernannte ihn Ilyumshinov erneut zum Generaldirektor von Kalmneft.
Kürzlich gründete Kalmneft zusammen mit der Telf AG (Savosa/Lugano/Schweiz) ein
gemeinsames Unternehmen ("Kalmoil-Telf"),
an dem die Telf AG mit 25 Prozent beteiligt ist. Das Engagement der Telf AG in
Kasachstan erfolgt unter Mitwirkung der Telf-Zentrale in Moskau.
Die Umwandlung Kalmückiens in ein Steuerparadies für nicht-kalmückische Firmen
erreichte nach Ansicht von Ilyumshinovs Kritikern nicht den vorgegebenen Zweck,
Investitionen in die Wirtschaft des Landes anzuziehen, dadurch neue
Arbeitsplätze zu schaffen und die Armut zu beseitigen.
Nach Schätzungen in der liberalen russischen Parlaments-Fraktion "Jabloko" sind
2001 etwa fünf- bis sechtstausend auswärtige Banken und andere Unternehmen in
Kalmückien registriert gewesen. Diese Unternehmen wären vermutlich nicht da,
wenn Kalmückien keine Off-Shore-Zone wäre. Die relativ geringfügigen
Registrierungsgebühren dieser Firmen sollen sich auf zusammen
bis zu 10
Millionen Dollar pro Jahr belaufen. Diese Praxis sei zwar legal, schädige
aber das staatliche Finanzsystem und die regionale wirtschaftliche Entwicklung.
Einen Schritt weiter in der Kritik ging Igor Korolkow im Sommer des Jahres 2002
in seinem Beitrag "Con Man's Land" für Moskowskije Nowosti. Aus seiner
Sicht ist die Republik Kalmückien während der Herrschaft Ilyumshinovs weiter
verarmt, die freie Wirtschaftszone habe sich de facto in
eine kriminelle Zone
verwandelt. Milliarden werden seiner Ansicht nach durch Kalmückien geschleust
und verschwinden dann, während das politische Establishment sich bereichert und
zugleich kalmückische Kinder schlecht ernährt sind. Elista sei nicht die
Schach-Metropole der Welt geworden, scheine indessen den Status eines Zentrums
für finanzielle Schwindeleien anzustreben. Annähernd neuntausend Firmen seien in
Kalmückien registriert, von denen etwa die Hälfte von Moskau aus gesteuert
werde. Viele dieser Firmen gehören laut Korolkow Personen im Umfeld von
Parlamentariern, Mitgliedern des Föderationsrates oder hochrangigen Staats- und
Regierungsvertretern. Jegliche Information hierzu sei ein sorgsam gehütetes
Geheimnis, und dies sei der Hauptgrund dafür, dass die kriminelle Zone auch
weiterhin florieren werde.
Nach dem ersten Wahlgang in Kalmückien kommentierte Juri Wassiliew in den
Moskowskije Nowosti
resigniert: "Das Schicksal
schenkte Russland Kirsan Ilyumshinov, um alle Unvollkommenheiten, die ganze
Unüberwindlichkeit der Korruption zu zeigen. Wird seine Regierung wirklich noch
4 Jahre dauern? (...)"
Bemerkenswert ist übrigens, dass sich selbst russische Medien nicht im Klaren
darüber zu sein scheinen, wie lange die dritte Amtszeit von Kirsan Ilyumshinov
dauern wird. Mal ist die Rede von 4 Jahren, mal von fünf Jahren, mal wird
darüber spekuliert, ob Ilyumshinov noch bis zum Jahre 2016 ( gleich 2 Amtszeiten
zu jeweils 7 Jahren) kalmückischer Präsident bleiben wird. Oder: Kirsan forever...?
Kurz vor den kalmückischen Präsidentschaftswahlen wurde in russischen Medien
darüber spekuliert, dass Ilyumshinov selbst sehr wohl verstanden habe, dass die
Zeit der Tagträumer in Russland vorbei sei und dass er
"Fluchtrouten"
vorbereite. Womöglich habe er deswegen kürzlich Malaysia und die Philippinen
besucht, wonach beide Länder ihn zur Wiederwahl als FIDE-Präsident nomiert
hätten.
Soweit diese Spekulation die FIDE betrifft, ist sie unsinnig. Nach den
FIDE-Statuten muss ein Mitglied des FIDE-Präsidiums von der jeweiligen
Schachföderation vorgeschlagen werden, und dies ist bei Ilyumshinov die
russische Schachföderation. Diese hat ihn zur Wiederwahl als FIDE-Präsident
nominiert.
Warum Leong (Singapur) seine Gegenkandidatur zugunsten eines "Deals" mit
Ilyumshinov zurückgezogen hat, erklären Insider damit, dass die Anhänger Leongs
selbst davon überzeugt waren, sich beim FIDE-Kongress nicht durchsetzen zu
können. Mit dem zwischen Ilyumshinov und Leong vereinbarten Kompromiss würde man
sich dem Machtzentrum der FIDE zumindest etwas nähern können.
Eine schwierigere Frage ist, warum Ilyumshinov sich auf diesen Deal eingelassen
hat, obwohl er sicher sein konnte, als FIDE-Präsident wieder gewählt zu werden.
Liegt es ihm eigentlich gar nicht, zu kämpfen? War er auf Harmonie bedacht?
Wählte er den Weg des geringsten Widerstandes?
Nur noch hypothetische Bedeutung hat nach Ilyumshinovs Wahlsieg in Kalmückien
die Frage, was passiert wäre, wenn er die Präsidentschaftswahl in Kalmückien
nicht gewonnen hätte. Vermutlich wäre er beim FIDE-Kongress nicht zur Wahl
angetreten, denn er weiß, dass er hauptsächlich seines Geldes wegen von den
Funktionären der Schachföderationen respektiert wird.
Gerald Schendel / 30.10.2002