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„Churchill rauchte Havanna-Zigarren, Che
Guevara liebte Schach“
Interview mit Großmeister Mark Taimanow
Von Dagobert Kohlmeyer
In St. Petersburg feiert die russische Schachlegende Mark Taimanow am heutigen Montag den 85. Geburtstag. Früheren Generationen ist der rüstige Veteran vor allem wegen seines spektakulären 0:6-Kandidatenmatchs mit Bobby Fischer sowie als begnadeter Pianist in Erinnerung. Die Variante 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e6 in der Sizilianischen Verteidigung trägt Taimanows Namen. Vor einigen Jahren erlebte er noch spätes Vaterglück. Seine vierte Ehefrau Nadjeshda brachte im Sommer 2004 Zwillinge zur Welt. Dagobert Kohlmeyer hat mit Mark Taimanow über sein Leben gesprochen.
Happy birthday, Mark! Wie feiert ihr?
An meinem Geburtstag gehen wir in ein großes Restaurant und empfangen dort unsere Gäste. Darunter sind natürlich auch die Vertreter des St. Petersburger Schachverbandes.
Geht es dir gut?
Ich bin gesund, mein Leben ist großartig. Vor allem, seitdem die beiden Kinder auf der Welt sind. Unsere Zwillinge sind jetzt sechseinhalb Jahre alt und meine größte Freude. Vor allem durch sie habe ich die positivsten Emotionen. Wir sind eine sehr glückliche Familie.
Was tun eure Sprösslinge gern?
Sie gehen noch in den Kindergarten, ab September dann in die Schule. Unser Sohn Dmitri interessiert sich sehr für Schach und ist Mitglied in einem Klub. Jeden Morgen stellt er mit Begeisterung die Figuren auf. Auch betreibt er Taekwondo. Maria turnt gern und interessiert sich für Musik.
Du hattest zwei erstaunliche Karrieren - als Schachspieler und Pianist. Was tut Mark Taimanow heute?
Ich beschäftige mich sehr viel mit den Kindern, schaue ins Internet, lese eine Menge und habe auch meine Memoiren geschrieben.
Bei deinem bewegten Leben wundert mich das nicht.
Vor kurzem ist ein neues Buch von mir erschienen. Darin erzähle ich über meine Begegnungen mit berühmten Leuten, nicht nur aus der Schachwelt. Ich traf Künstler wie Schostakowitsch sowie Politiker wie Churchill, Chrustschow, Castro und Che Guevara.
Wo bist du Churchill begegnet?
Bei einem London-Aufenthalt im britischen Unterhaus. In einer Parlamentspause trafen wir ihn dort in der Bar. Er wollte etwas über Schach wissen, ich stellte ihm zwei einfache Fragen, um zu erfahren, was er raucht und trinkt. Er antwortete, Havanna-Zigarren und armenischen Kognak der Marke „Dwin“.
Welche Erinnerungen hast du an Che Guevara?
Uns vereinte die Liebe zum Schach, er vergötterte das Spiel geradezu. Che Guevara haben wir die Capablanca Gedenkturniere in Havanna zu verdanken. Bei der Olympiade 1966 war er täglich im Turniersaal. Ich habe ein Foto von ihm, auf dem steht: „Meinem Freund Mark von Che.“ Fidel Castro hingegen war nur ein mittelmäßiger Schachspieler. Aber ich habe einen schönen Figurensatz von ihm.
Wer sind für dich die größten Schachspieler aller Zeiten?
Keine einfache Frage, weil es in der Geschichte viele bedeutende Schachmeister gab. Am meisten begeisterten mich die Partien von Aljechin, Tal und Kasparow.
Und die heutige Generation? Was hältst du von Magnus Carlsen?
Ich denke, dass er sehr talentiert ist. Sein Spiel gefällt mir. Er ist heute nicht nur einer der stärksten Großmeister der Welt, sondern einer der interessantesten.
Aber er ist aus dem WM-Zyklus ausgestiegen.
Vielleicht ein Fehler. Mir ist nicht klar, warum er das tat. In dem Alter sollte man sich so etwas nicht erlauben. Im Grunde handelt Carlsen damit doch gegen seine eigenen Interessen.
Mit welchen Schachspielern warst du besonders befreundet?
Michail Tal stand mir sehr nah. Er war gütig und großzügig gegenüber jedem Menschen. Der Mann hatte praktisch keine Feinde. Als ich mein WM-Kandidatenmatch gegen Fischer spielte, dachte ich, er würde als mein Sekundant mitfahren, aber es kam anders.
Weil der UdSSR-Schachverband das verhinderte. Auch Botwinnik soll dagegen gewesen sein. Stimmt das?
Er sagte, ihr beide seid zu lebenslustige Leute, deshalb wäre ein akademischer Begleiter besser für dich. Schließlich fuhren Wasjukow und der junge Balaschow als meine Trainer mit nach Vancouver.
Has du immer Botwinniks Ratschläge befolgt?
Nun, er spielte schon eine große Rolle in meiner Schach-Karriere. Seit den Kinderjahren war er praktisch mein Lehrer und blieb es für das ganze Leben. In diesem Jahr begehen wir ja seinen 100. Geburtstag.
Was war der Patriarch für ein Mensch?
Streng, konsequent und sehr misstrauisch. Botwinnik vertraute praktisch niemandem. Er hatte einen eisernen Willen, aber besaß auch einen feinen Humor.
Wie ist dein Verhältnis zu Boris Spasski?
Zu ihm habe ich eine sehr gute Beziehung. Er ist eine etwas jüngere Generation, aber wir sehen uns gern und oft, wenn er in St. Petersburg ist oder ich in Frankreich bin. Ich wünsche ihm jetzt vor allem Gesundheit.
Es ist unmöglich, mit dir zu sprechen, ohne Vancouver 1971 zu erwähnen. Du hast deine damalige 0:6-Schlappe gegen Fischer ja ebenfalls in Buchform verarbeitet.
Das Ergebnis spiegelt überhaupt nicht den Verlauf unseres dramatischen Wettkampfes wider. Bobby selbst sagte später, 3,5:2,5 für ihn wäre ein reelles Resultat gewesen. Trotz der katastrophalen Niederlage war dieser Wettkampf für mich das größte schachliche Ereignis meines Lebens.
Bobby Fischer war ein seltsamer Mensch. Wie hast du ihn erlebt?
Außer Schach gab es nichts für ihn. Er war paranoid und glaubte fest daran, dass der sowjetische Geheimdienst ihn beseitigen wolle. Die Liste seiner Feinde sah so aus: Juden, Bolschewiki, KGB. Fischer war sehr kapriziös. Bei unserem Match wollte er nicht im Saal der Universität von Vancouver spielen, sondern ohne Publikum in der Bibliothek. Das hat unsere Delegation aber nicht akzeptiert. Wir einigten uns dann auf einen Raum, der etwa 200 Zuschauer fasste.
Ich habe dein 1993 erschienenes Buch mit Interesse gelesen. Sein Titel lautet „Ich war ein Opfer Fischers“. Nur von ihm?
Mehr noch war ich anschließend ein Opfer der sowjetischen Sportführung. Sie wollten nicht akzeptieren, dass ein Bürger ihres Landes gegen einen Amerikaner 0:6 untergeht. Zu meinem Unglück hatte ich bei der Einreise auch noch Bücher des Schriftstellers Solschenizin im Gepäck. Der Zoll filzte mich, und sie erhielten in Moskau einen prima Vorwand, mich jahrelang kaltzustellen.
Es war ein großer Knick in deiner Schach-Karriere, aber zwanzig Jahre später konntest du dir doch noch den Traum vom Weltmeister erfüllen.
1993 und 1994 wurde ich Seniorenweltmeister. Das war eine späte Genugtuung.
Sei bitte so nett und nenne für die jüngeren Schachfreunde nochmal deine größten Erfolge.
Zweimal wurde ich UdSSR-Landesmeister, ich
war Olympiasieger, davor Mannschafts-Studentenweltmeister. Ich habe viele
internationale Turniere gewonnen. Nach der olympischen Goldmedaille 1956 in
Moskau schenkte der stellvertretende Ministerpräsident Mikojan jedem von uns
einen PKW vom Typ „Pobjeda“ (Sieg). Es war damals mein erstes eigenes Auto.
Neben dem Schach war dein Leben lange Zeit auch der Musik gewidmet.
Sie ist meine zweite Liebe. Mit meiner ersten Ehefrau Ljubow Bruk bildete ich ein Klavier-Duo. Wir gaben viele Konzerte, nicht nur in der Sowjetunion und sind auf einer sehr bekannten Schallplatte mit den besten Pianisten des 20. Jahrhunderts verewigt, gemeinsam mit solchen Genies wie Rachmaninow, Rubinstein und Richter. Das ist natürlich eine große Ehre gewesen. Am Rande von Schachturnieren spielte ich ebenfalls häufig, und Wassili Smyslow sang dazu.
Mit welchem berühmten Musiker warst du befreundet?
Sehr oft traf ich mich mit dem Geiger David Oistrach, der ein großer Schachenthusiast war. Wir spielten viele Schnellpartien. Nachdem er einmal gewonnen hatte, schlug er mit der Hand auf den Tisch und rief „Genug! Lass uns aufhören, ich möchte Sieger bleiben.“
Spielst du heute noch Klavier?
Konzerte gebe ich nicht mehr. Die Finger sind nicht mehr so beweglich wie früher. Ich müsste täglich üben. Dafür erhalten die Kinder jetzt meine ganze Aufmerksamkeit. Dieses späte Vaterglück wiegt alles andere auf.
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Hier eine kleine Kostprobe von Mark Taimanows Schachkunst.
Karpow – Taimanow
Leningrad 1977
Das Diagramm zeigt eine Partiestellung aus dem internationalen Jubiläumsturnier in Leningrad 1977. Weiß hatte soeben 37.Tb1 gezogen. Mit der Keule 38...Sg3+!! entschied Taimanow das Spiel für sich. Auf 39. hxg3 folgte 39…Ta8, wonach Weiß keine ausreichende Verteidigung gegen die Drohung 40...Th8 matt besitzt. Auch nach 39. Dxg3 Txb1 ist er verloren. Karpow gab auf. Taimanow schrieb: „Dieses effektvolle Finale im Zweikampf mit dem damals fast unbesiegbaren Weltmeister ist bis heute der Stolz meines Schachschaffens.“