ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Auch während des Zweiten Weltkrieges wurde auf dem "Reichsgebiet" noch Schach gespielt, nicht nur im so genannten "Generalgouvernement" in Polen, wo der "Generalgouverneur" und Schachliebhaber Hans Frank in Krakau eine Schachakademie etabliert hatte und sogar eine gut besetzte Meisterschaft des Generalgouvernements durchführte.
In Prag hatte es 1942 mit illustrer Besetzung ein Gedenkturnier zu Ehren von Oldrich Duras gegeben, mit Alexander Aljechin und Klaus Junge als Sieger, und im folgenden Jahr, 1943, wurde im Hotel Palace zu Ostern ein noch interessanter besetztes Turnier durchgeführt. Erneut war Aljechin am Start und ging zum zweiten Mal als Sieger aus dem Turnier hervor, diesmal vor Paul Keres.
Die Teilnahme an den Turnieren im Reichsgebiet hatte nach dem Krieg für die prominenteren Teilnehmer nicht unbedingt positive Konsequenzen. Während Aljechin 1946 in Estoril unter nicht wirklich geklärten Umständen ums Leben kam - nicht nur Boris Spasski glaubt, dass Aljechin umgebracht wurde - entkam Keres nach der Besetzung seiner Heimat Estland durch die sowjetische Rote Armee und einem missglückten Fluchtversuch nur knapp einer Deportation nach Sibirien. Ein estnischer KP-Funktionär setzte sich für ihn ein und er durfte unter sowjetischer Flagge weiter Schach spielen. Obwohl Keres der vielleicht beste Spieler seiner Zeit war, wagte er nie einen ernsthaften Angriff auf den Weltmeisterthron.
Zu den weiteren Teilnehmern gehörten unter anderem der spätere kommunistische Funktionär Bedrich Thelen, der Akademiker Miroslav Katetov, der junge, damals noch kommunistisch orientierte, Ludek Pachman, der Österreicher Josef Lovenc, dem nachgesagt wurde, er sei ein Anhänger der Nationalsozialisten gewesen, und der deutsche Großmeister Fritz Sämisch. Sämisch hatte übrigens später, nach einem Turnier in Madrid 1944, in einer Rede aus seiner antinationalsozialistischen Einstellung kein Hehl gemacht und war deshalb an der spanisch-französischen Grenze festgenommen worden. Bis zum Ende des Krieges war er in einem KZ inhaftiert. Eine Frau spielte auch mit, Ruzena Sucha. Und einer der Teilnehmer war von Berufs wegen Angestellter des Gestapobüros in Prag und Offizier der SS: Max Dietze (links).
Die Quellen über das Schachleben des Max Dietze sind nicht eben üppig. Er wurde am 25. März 1904 in Tischau (heute: Mristov) geboren. Sein Vater war Lehrer. Dietze lernte Buchhalter im Sparkassenverband und ging nach Prag, wo sein Bruder studierte. 1928 wird sein Name erstmals in einer tschechischen Schachzeitschrift erwähnt. Im deutschen Haus in Prag spielte der Prager Schachklub gegen die Schachgesellschaft Reichenberg und gewann den Wettkampf mit 6:2. Die Sieger für Prag waren Klieber, Abeles, Dietze und Kluge. Dietze war offenbar Mitglied in mehreren Schachklubs, im Duras-Schachklub von Prag und bei Delnicky SK Praha. 1929 nahm Dietze an einem Turnier in Brünn teil und gewann eine der Hauptturniergruppen. Im Finale belegte er den 8. Platz. 1931 spielte er außerdem an einem Turnier des Tschechoslowakischen Verbandes in Prag mit. Zudem war er regelmäßiger Teilnehmer der Stadtmeisterschaften von Prag und platzierte sich zumeist in der Mitte der Tabelle.
In seinem Buch "Zug um Zug" berichtet Ludek Pachman von seiner ersten Begegnung mit Max Dietze während des Internationalen Schachturniers 1943 in Prag. Pachman hielt Dietze, der akzentfrei Tschechisch sprach, für einen Tschechen und sprach ihn auf eine Reihe von Niederlagen der Deutschen Reichswehr im Jahr 1943 an. Jan Foltys, der das Turnier später zusammen mit Jaroslav Sajtar als geteilter Vierter abschloss, trat Pachman dabei unauffällig in die Kniekehlen und gab versteckte Zeichen. Später erzählte er Pachman, dass Dietze Angestellter der Gestapo sei: "Mensch, bist du verrückt, mit ihm über den Krieg zu reden?" Pachman wartete die nächsten Tage ängstlich in seinem Hotelzimmer, dass die Gestapo auftauchen und ihn abholen würde. Doch es kam niemand. Und Dietze grüßte auch weiterhin freundlich.
Vor dem Krieg arbeitete Dietze zunächst als Buchhalter in einer Prager Fabrik und spielte regelmäßig Schach im Café "U Novaku", in der Nähe des Wenzelplatzes. Dietze war Volksdeutscher, sprach aber besser tschechisch als deutsch. Er war ein ausgesprochen liebenswürdiger und zurückhaltender Mensch, stark kurzsichtig und musste sich beim Schachspiel weit über das Brett beugen. Im März 1939 suchte die Prager Abteilung der Gestapo einen neuen Chefbuchhalter, fand den Namen von Dietze in ihren Akten und zog ihn ein. Zu dem Zeitpunkt wusste Max Dietze noch nicht einmal, dass es eine Geheime Staatspolizei gab. Dietze hatte mit dem eigentlichen "Geschäft" der Gestapo zunächst auch nichts zu schaffen, sondern war als Buchhalter mit seinen Zahlen beschäftigt. Am Abend saß er weiter im "U Novaku", spielte mit seinen tschechischen Schachfreunden und schimpfte über den Krieg.
Nachdem Reinhard Heydrich "Reichsprotektor" von "Böhmen und Mähren" geworden war, wehte im Prager Gestapo-Büro ein anderer Wind. Alle Mitarbeiter wurden in die SS aufgenommen und mussten sich an Razzien beteiligen. Wer nicht mitzog, dem drohte Versetzung an die Ostfront, erklärte Heydrich bei Amtsantritt in seiner Eröffnungsrede. Dietze wurde in eine Uniform gesteckt, als Abteilungsleiter der Buchhaltung zum SS-Offizier befördert und war jetzt Leiter einer Einsatzgruppe.
Da die Ziele der SS ganz und gar nicht mit Dietzes persönlichen Ansichten im Einklang standen, so berichtet Ludek Pachman, erfand er ein besonderes System für die von ihm geleiteten Einsätze. Er erschien bereits am Nachmittag in Zivil in den Wohnungen, in denen für den Abend eine Razzia geplant war, und warnte die Bewohner. "Wenn Sie hier etwas haben, was Ihnen schaden könnte, werfen Sie es weg", sagte er ihnen auf Tschechisch. Abends erschien er mit seinen SS-Leuten in Uniform erneut und brüllte die gleichen Bewohner, bei denen nun aber nichts zu finden war, auf Deutsch an und drohte ihnen mit furchtbaren Strafen.
Mindestens 28 Menschen rettete Dietze im Laufe seiner "Arbeit" unmittelbar das Leben, viele andere bewahrte er vor der Verhaftung. Dabei brachte er sich auch selbst in Gefahr, stahl Akten und setzte sich bei anderen SS-Leitern für Verdächtige ein. Nach der Ermordung Heydrichs, Ende Mai 1942, führte die Gestapo zahlreiche Razzien durch, meist aber so kurzfristig angeordnet, dass Dietze niemanden mehr vorher warnen konnte. Als sein Einsatzkommando in einer Wohnung erschien, schickte Dietze alle anderen weg: "Schaut in der Wohnung nebenan nach, ich übernehme das hier." Dann riet er dem Bewohner, der nicht gemeldet und zudem Jude war, möglichst bald zu verschwinden, da weitere Razzien folgen könnten. Der Mann überlebte und sagte nach dem Krieg für Dietze aus.
Das Internationale Turnier von Prag 1943 war für Max Dietze aber eher eine Nummer zu groß. Unter 20 Teilnehmern belegte er am Ende den 17. Platz. Immerhin hat er in seiner Schachvita Partien gegen Alexander Aljechin und Paul Keres aufzuweisen.
Aljechin-Keres, Prag 1943, umringt
Carl Carls hatte nach 8 Runden zurückgezogen.
Nach dem Krieg war Max Dietze in einem sowjetischen Lager interniert und sollte als SS-Mann erschossen werden. Bedrich Thelen, inzwischen Kreissekretär der Kommunistischen Partie der Tschechoslowakei, erfuhr davon und setzte sich bei der Kommandantur für Dietze ein. Sein Fall wurde vor einem tschechischen Gericht verhandelt. Viele weitere Tschechen bezeugten Max Dietzes antifaschistische Haltung und seine guten Taten. Er wurde nicht nur freigesprochen, sondern auch von der Abschiebung der Volksdeutschen aus der Tschechoslowakei ausgenommen. Trotz des Freispruches konnte Dietze als Deutscher in der Tschechoslowakei weder Wohnung noch Arbeit finden. Zu groß waren die Ressentiments nach der deutschen Besatzungszeit. Ludek Pachman, inzwischen Mitglied des Zentralen Gewerkschaftsrates, besorgte Dietze unter Schwierigkeiten wenigstens eine bescheidene Anstellung in einer Ziegelei. 1947 entschloss sich Dietze wegen der andauernden Anfeindungen die Tschechoslowakei zu verlassen. Seine Frau war bereits zu Verwandten nach Heidelberg gegangen und er folgte ihr in die Bundesrepublik Deutschland. Dietze wurde zunächst in einem Übergangslager im Taunus aufgenommen, dann in Frankfurt-Niederrad. Bald nahm er wieder eine Arbeit als Buchhalter an und spielte auch bei Schachturnieren mit.
Einige Jahre später wurde in der Tschechoslowakei das Gerücht gestreut, Dietze sei aus Rache von ehemaligen Gestapoleuten ermordet worden. Pachman hatte jedoch den Verdacht, dass Dietze stattdessen vom tschechischen Geheimdienst Stb ermordet wurde, weil er zuviel über die Kollaboration von Funktionären der Kommunistischen Tschechoslowakischen Partie KSC mit der Gestapo gewusst hätte. So soll laut Pachman, der sich auf einen informellen Hinweis von Dietze beruft, der hochgejubelte kommunistische Held Julius Fucik eine zeitlang als Spitzel für die Gestapo tätig gewesen sein und sogar seine Freundin verraten haben. Fucik wurde 1943 in Plötzensee gehängt. Pachman fragte wegen der Todesumstände seines Freundes Max Dietze beim Bundeskriminalamt nach, erhielt aber die Auskunft, dieser sei eines natürlichen Todes gestorben. Dietze war 1953 offenbar an einem Herzschlag gestorben, kaum 50 Jahre alt. Er hatte noch bei der Frankfurter Bezirksmeisterschaft 1953-54 mitgespielt und lag nach acht Runden auf Platz zwei.
"Die Frankfurter Schachgemeinde betrauert den Tod von Max Dietze, der nach der 8. Runde, als er an zweiter Stelle lag, unerwartet durch einen Herzschlag aus dem Leben schied. Er war vor dem Kriege einer der stärksten Spieler der Tschechoslowakei." (Schachecho Nr. 10, 20.Mai 1954).
Der Frankfurter Schachhistoriker Dieter Post hat sich im Rahmen seiner Arbeiten über die Geschichte des Schachs in Frankfurt intensiver mit Max Dietze beschäftigt. Einige seiner Entdeckungen sind in den Artikel "Kampf um die lokale Krone - Die Frankfurter Stadtmeisterschaft" in Karl 2/2018 eingeflossen. Die meisten anderen Angaben stammen aus Pachmans Büchlein "Zug um Zug". Ohne Pachman wüsste man nur wenig über Max Dietzes Verdienste.