Nach dem Match ist vor dem Match

von ChessBase
23.11.2006 – Eigentlich steckt Kramnik noch der dreiwöchige Nervenkrieg beim Wiedervereinigungswettkampf gegen Topalov in den Knochen. Doch der Terminplan will es, dass er jetzt in sechs Partien zum Mensch-Maschine Wettkampf in Bonn gegen Deep Fritz antreten wird. An einem abgeschiedenen Ort im Saarland hat er sich zur Regeneration und zur Vorbereitung auf den nächsten, diesmal äußerst emotionslosen Gegner, zurück gezogen. Dagobert Kohlmeyer hat mit dem Weltmeister gesprochen und ihn zu "Toiletgate" und dem bevorstehenden Match befragt. Außerdem erfuhr er, dass Kramnik eigentlich wieder gerne in der Bundesliga spielen würde. Mehr...

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"Fehler werden vom Computer gnadenlos bestraft“
Interview mit Schachweltmeister Wladimir Kramnik
Von Dagobert Kohlmeyer

Wladimir Kramnik aus Russland spielt ab Samstag in Bonn gegen das Computerprogramm „Deep Fritz“ um eine Million Dollar. Schirmherr ist Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, Hauptsponsor die Ruhr AG Essen. Steinbrück und RAG-Vorstandvositzender Werner Müller führen den ersten Zug aus. Gewinnt Kramnik, dann wird seine Antrittsgage von 500 000 Dollar verdoppelt. Nach seinem WM-Erfolg gegen den Bulgaren Topalow in Elista eine weitere Herausforderung für den besten Spieler des Planeten. „Das Duell wird brutal und ganz anders als gegen einen menschlichen Rivalen“, weiß Kramnik aus eigener Erfahrung.

Herzlichen Glückwunsch noch einmal zum WM-Titel! Was für ein Gefühl war es, zum dritten Mal die Schachkrone zu erringen?

Vielen Dank. Diese Emotionen sind nicht neu für mich. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich ein WM-Match gewann. Die Gefühle waren nicht ganz so stürmisch wie im Jahre 2000, als ich Kasparow entthronte. Aber nach dem schweren Kampf habe ich mich natürlich gefreut, wieder gewonnen zu haben.

Wann warst du überzeugt, ich schaffe es?

Das Duell war sehr eng, so dass ich erst nach dem letzten Zug sicher sein konnte. Ich habe meinen Gegner zum Glück am Ende überspielt. Geholfen hat dabei, dass ich immer fest an meinen Sieg geglaubt habe.

Welches war der schönste Augenblick im Match?

Nach Beendigung der letzten Partie, als die Spannung von mir abfiel.

Und der schwerste Moment?

Emotional sehr unangenehm war die „technische Pause“ nach den unschönen Manövern meines Gegners. Als ich die fünfte Partie kampflos verlor, war das natürlich keine einfache Situation.

Wie denkst du im Abstand von acht Wochen über Toiletten-Gate?

Mein Standpunkt ist unverändert, dass sich mein Gegner nicht korrekt verhalten hat. Sicher war meine Reaktion damals sehr emotional, weil die andere Seite sich so unfair aufgeführt hat. Ich hake jedoch die negativen Dinge des Matchs in Elista jetzt ab und konzentriere mich auf meinen Wettkampf in Bonn.

Der größte Teil der Schachwelt stand während der WM hinter Dir. Wie viele Gratulationen hast Du bekommen?

Ich habe sehr viel Post erhalten. Darunter waren sehr originelle Glückwünsche. Zum Beispiel schrieb mir ein Chirurg, dass er zu spät zu einer Operation kam, weil er erst den Ausgang der letzten Tiebreakpartie verfolgen wollte.

Wie hat die große Schachnation Russland dich gefeiert? Hast du Glückwünsche von Wladimir Putin erhalten?

Persönlich hat der Präsident nicht gratuliert, aber ich war zwei Tage in Moskau, und sie haben mich dort bei einem offiziellen Empfang entsprechend gewürdigt.

Hat Garri Kasparow sich irgendwie geäußert?

Ich habe nichts davon gehört.

Das Match in Elista kostete sehr viel Kraft. Wie hast du dich von den Strapazen erholt und auf Deep Fritz vorbereitet?

Besonders erholen konnte ich mich nicht, das wird erst Ende des Jahres möglich sein. Gleich nach dem Duell in Elista habe ich mit der intensiven Vorbereitung auf Deep Fritz begonnen. Dazu gehörte das Trainingslager im Saarland.

Hast du jetzt noch genug Power für das Duell gegen die Maschine?

Die Partien werden es zeigen. Natürlich war ich nach dem schweren WM-Kampf sehr müde, aber ich denke, meine Physis ist stabil genug. Ich fühle mich ganz gut und hoffe, dass die Kräfte gegen das Monster reichen. Unabhängig davon, ist der Gegner furchtbar spielstark.

Wer gehört beim Kampf gegen „Fritz“ zu deinem Team?

Es sind andere Helfer, eine große Mannschaft ist diesmal nicht nötig. In Bonn unterstützen mich zwei engagierte Fachleute: Großmeister Christopher Lutz aus Köln und der Computerspezialist Stefan Meyer-Kahlen.

Rechnest du dir mehr Chancen aus, weil du mit Stefan Meyer-Kahlen einen Programmierer im Boot hast?

Das ist sicher ein Vorteil. Für dieses Duell ist größeres Computerverständnis wichtiger als irgendeine theoretische Eröffnungsvorbereitung. Deshalb setze ich auf Spezialisten. Stefan hat das hervorragende Schachprogramm „Shredder“ entwickelt, und Christopher ist ein starker Großmeister, der mich bereits vor vier Jahren in Bahrain mit viel Computerwissen bei meinem 4:4-Match gegen den Vorgänger von „Fritz“ unterstützt hat.


Ahmed Al Fatih Moschee


Bahrainis beim Damespiel


Eröffnung mit Jagdfalken


Kramnik, Kronprinz Salman, Friedel


Kramnik mit Kids


Kramniks Ruheraum in Bahrain

Du hast 2002 im Golfstaat Bahrain diverse Erfahrungen gegen „Deep Fritz“ gesammelt. Was wird in Bonn anders sein?

Der Gegner ist nicht mehr der gleiche. Das Schachprogramm ist viel stärker, auch der Computer, auf dem es läuft. In Bahrain rechnete die Maschine vier Millionen Züge pro Sekunde durch, jetzt schafft sie acht bis zehn Millionen - das heißt, sie ist mehr als zweimal schneller. Ich habe aber aus dem Match in Bahrain gelernt und werde versuchen, meine dortigen Fehler nicht zu wiederholen.


Damalige Hardware


Großmeister in Bahrain: King, Hodgson und Lutz

Also kein Springeropfer mehr auf f7, wie damals im 6. Spiel?

Besser nicht (lacht). Es hängt ganz von der Situation ab. Wenn ich aber der Meinung bin, es ist richtig, werde ich vielleicht auch wieder eine Figur opfern.


Matthias Feist gestresst


Partiebeginn

Der emotionslose Computer erlaubt dem Menschen keinen Fehltritt. „Fritz“ hätte in der zweiten WM-Partie von Elista kein Matt in drei Zügen übersehen wie Topalow!

Das ist richtig. Im Match gegen einen Computer darf man sich keine Blöße geben. Sie würde gnadenlos bestraft. Man muss versuchen, taktische Stellungen zu vermeiden, dann ist die Sache nicht so hoffnungslos.

Die Distanz gegen den „Räuber“ Fritz ist diesmal kürzer: nur sechs Partien. Wie sieht deine Strategie aus?

Sie ist sehr einfach. Man muss jede Partie einzeln spielen und nicht auf das Klassement schauen. Details möchte ich nicht verraten, aber ich habe genaue Vorstellungen. Viel hängt vom Start ab. Das Match wird mit Sicherheit brutal.


Werner Müller, Wladimir Kramnik, Peer Steinbrück


RAG Vorstandsvorsitzender Werner Müller


Kramnik, Bundesfinanzminister Steinbrück

Ist dies dein letzter Kampf gegen einen Computer?

Es kommt auf das Ergebnis an. Natürlich wird es immer schwerer, gegen so raffinierte Schachprogramme zu spielen. Man kann nicht mehr mit einem Sieg rechnen, selbst ein Unentschieden wäre schon ein großer Erfolg. Das Duell in Bonn wird die Frage beantworten, ob der Kampf Mensch – Maschine in Zukunft noch Sinn macht.

Die letzten Ergebnisse führender Großmeister gegen Schachprogramme waren mehr  als ernüchternd.

Sie beweisen nur die Stärke der Maschine. Der Top-Ten-Spieler Michael Adams verlor chancenlos gegen das Programm „Hydra“. Von sechs Partien konnte er keine einzige gewinnen. Auch bei Computerturnieren in Spanien haben starke Großmeister in den letzten Jahren immer den Kürzeren gezogen. Ich hoffe trotzdem, dass mein Kampf in Bonn spannend wird und dass er noch nicht das letzte Kapitel in den Duellen zwischen Champion und Chip ist.

Wie geht es im menschlichen Schach weiter? Wohin tendiert unsere Sportart?

Offensichtlich ist, dass Schach immer jünger wird. Großmeister wie Karjakin oder Carlsen klopfen bereits an die Tür zum Schacholymp. Noch liegen die Spieler meiner Altersgruppe in der Weltrangliste vorn. In ein paar Jahren jedoch wird der Generationswechsel erfolgt sein. Weil Schach so komplex ist: nicht nur Kunst oder Wissenschaft, sondern auch harter Sport. Dort hat die Jugend immer natürliche Vorteile.

Wie sehen die nächsten Pläne von Wladimir Kramnik aus? Werden wir Dich 2007 wieder öfter im Turniersaal sehen?

Nach Bonn ist erst einmal Erholung angesagt. Die beiden Matches dieses Herbstes verlangen, dass ich mich regeneriere. Im Januar spiele ich in Wijk aan Zee und im Frühjahr in Monaco. Danach folgt ein Schnellschach-Event gegen Peter Leko in Miskolc und das Turnier in „meinem Revier“ Dortmund. Mein Turnierkalender für die nächsten Monate ist also gut gefüllt.

Du hast in den 90er Jahren lange Zeit in der Schach-Bundesliga gespielt. Wäre das auch für dich als Weltmeister noch einmal eine Herausforderung?

Warum nicht! Es war als junger Großmeister immer interessant für mich. Ich habe gern für Empor Berlin gespielt. Kurioserweise liegt mir derzeit kein Angebot vor. Ich würde eine solche Einladung nicht von vornherein ablehnen.  

Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

       

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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