Nachgefragt - Ein Interview mit Conrad Schormann

von Johannes Fischer
01.12.2018 – Vor wenigen Tagen hat Conrad Schormann in seinem Artikel "Respekt, Magnus!" eine Bilanz des WM-Kampfs Magnus Carlsen und Fabiano Caruana in London gezogen. Dieser Artikel hat Kontroversen ausgelöst. In einem Interview mit Conrad Schormann hat ChessBase nachgefragt. | Zeichnung: Magnus Carlsen, gesehen und gezeichnet von Willum Morsch

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ChessBase: Lieber Conrad Schormann, Sie haben den WM-Kampf zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana in London im Vorfeld und während des Wettkampfs engagiert verfolgt. Doch was war der erste Schachkampf, den Sie als Schachfan bewusst erlebt haben?

Conrad Schormann: Leider nicht Karpow gegen Fischer. Stattdessen durfte ich die Karpow-Kasparow-Matches von Beginn an erleben.

Wie war das?

Schachlich mühsam. Der Videotext übertrug zwar live, aber in Intervallen. Alle halbe Stunde ein Dutzend Züge, dazu alle paar Wochen ein Schachmagazin mit kommentierten Partien. Ich war gerade alt genug, um die politischen Begleitumstände zumindest wahrzunehmen, und das hat die Angelegenheit extra reizvoll gemacht. Auch wenn ich die Dinge damals ohne Grautöne gesehen habe: Karpow böse, Kasparow gut, und so habe ich halt in meinem Kinderzimmer mitgefiebert, ob die Perestroika auch beim Schach triumphieren wird.

Und an welchen WM-Kampf erinnern Sie sich besonders gerne?

Carlsen-Caruana 2018. Das Match war besser, viel gehaltvoller, als es gemacht wird. Zum Gehalt gehören im modernen Schach auch gescheiterte Versuche, die an gezielter schwarzer Vorbereitung selbst in Nischenvarianten scheitern. Hinterher nachzuvollziehen, wie es dem Schwarzen gelungen ist, die Luft aus der Stellung zu lassen, finde ich reizvoll. Aber dafür muss man wahrscheinlich ein ziemlicher Nerd sein.

Fabiano Caruana vs Magnus Carlsen | Foto: World Chess

War früher alles besser?

Die Antworten waren einfacher, die Fragen nicht so viele. Besser war das nicht.

Warum faszinieren Weltmeisterschaftskämpfe Menschen in aller Welt? Warum haben Hunderttausende verfolgt, wie Carlsen und Caruana spielen?

Wenn die beiden Besten der Welt im Zweikampf aufeinandertreffen, fasziniert das die Leute. Traditionell überragen beim Schach WM-Kämpfe alle anderen Turniere in der öffentlichen Wahrnehmung um Längen. Und die „Hunderttausende“ sind ja nur der Anfang. Die Gaming-Szene entdeckt das Schach gerade erst, und das Schach entdeckt gerade erst, dass es entdeckt worden ist. Da wird einiges passieren.

Was fasziniert Sie an WM-Kämpfen? Und am Schach generell?

Der Zweikampf- und Wettkampfcharakter, da geht es mir nicht anders als anderen, die WM gucken. Schach ist ein Sport, den ich als Fan verfolge, und der einzige Sport, in dem ich selbst versucht habe, gut zu werden, wenngleich mit bescheidenem Erfolg.

Zwölf Partien, zwölf Remis, das gab’s bei WM-Kämpfen noch nie. Muss man den Modus ändern?

Mehr Partien, weniger Ruhetage fände ich sinnvoll. "Den Gegner müde spielen" ist in anderen Sportarten ein relevantes Konzept, warum nicht beim Schach? Darüber hinaus habe ich mir noch keine Meinung gebildet. Als Schach spielender Schachfan könnte ich zum Beispiel gut damit leben, wenn wieder gilt, dass der Herausforderer über die reguläre Distanz gewinnen muss. Andererseits lieben die Medien und die Eventfans den Tiebreak.

Den verbreiteten Vorschlag, den Tiebreak vor dem Match zu spielen, halte ich deswegen für Blödsinn. Das wäre nicht zu vermitteln. Auch verkürzte Bedenkzeit von Beginn an fände ich furchtbar. Ich will das bestmögliche Schach sehen. Wünschen würde ich mir eine Debatte, ob Schach960 auf die eine oder andere Weise in den WM-Zyklus eingebaut werden sollte, nicht nur in das WM-Match.

Hat sich in London ein Trend im modernen Spitzenschach gezeigt – die Spieler sind so gut vorbereitet und spielen so präzise, dass Schach langweilig wird?

Schach ist manchmal nicht spektakulär, nie langweilig. Mal greift die Vorbereitung des Schwarzen so gut, dass sich eine totsymmetrische Struktur und/oder eine Stellung ohne jede Dynamik ergibt. Aber Schach ist reich und der Mensch unvollkommen genug, dass auch daraus noch etwas entstehen kann – siehe Partie 6. Der vorerst letzte Trendsetter im modernen Spitzenschach war ja eigentlich Magnus Carlsen, und der war dem von Ihnen beschriebenen Phänomen schon voraus.

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Carlsen ist eben nicht dem kaum noch greifbaren "plus gleich" hinterhergehechelt, sondern konkreter Theorie ausgewichen, um eine spielbare, reiche Stellung anzustreben. Aber das ist ihm in London mit Weiß kaum gelungen. Sollte es nun der neueste Trend werden, dass Schwarz unter allen Umständen die Luft aus der Stellung lassen kann, das wäre allerdings bedenklich.

Glauben Sie, dass der Wettkampf das Schach bereichert hat – trotz der zwölf Remis?

Ich sehe das nicht auf das Ergebnis fokussiert. Künftig mehr Rossolimos und 7.Sd5-Sveschnikow-Sizilianer zu sehen, wäre doch prima. Beide führen zu inhaltsreichen Partien, und solche verfolge ich gerne.   

Bobby Fischer hat Emanuel Lasker einmal als "Kaffeehausspieler, der keine Eröffnungen kennt und nichts vom positionellen Schach versteht" bezeichnet. Hat Fischer Recht?

Darf ich mit einem Diagramm antworten? Lasker-Capablanca, St. Petersburg 1914, Stellung nach 12.f4-f5.

 

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Fischer war nicht der einzige Weltmeister, der sich kritisch über seine Kollegen geäußert hat. Botvinnik hat dem 12-jährigen Karpow einmal attestiert, vom "Schach keine Ahnung zu haben" und über Tal hat er gesagt: "Wenn Tals Figuren übers Brett hüpfen, dann ist ihm keiner ebenbürtig, aber bei soliden Bauernstrukturen im Zentrum ist er positionell schwach." Wie sehen Sie das?

Botvinnik war so lange so erfolgreich beim Schach, weil er auch abseits des Brettes andere auszumanövrieren und mattzusetzen wusste. Das mag gezielte abfällige Äußerungen einschließen. Zwölfjährige sind zwar in der Regel ahnungslos, wahrscheinlich auch Karpow, aber Schachkinder sollte man nach ihrem Potenzial beurteilen, nicht nach dem aktuellen Stand ihres Wissens oder Spielverständnisses. Das Tal-Zitat kann ich mir nur so erklären, dass Botvinnik das Buch Tals zu seinem WM-Kampf 1960 (gegen wen war das doch gleich?) nicht gelesen hat. Gerade als Positionsspieler ist Tal unterschätzt, obwohl dort in jeder Zeile durchschimmert, wie viel der Mann vom Schach verstand. In der allgemeinen und womöglich auch Botvinnikschen Wahrnehmung ging das leicht unter, weil Tal so oft seine Figuren in die gegnerische Rochadestellung geprügelt hat.

Mikhail Tal | Ron Kroon / Anefo [CC0], via Wikimedia Commons

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Haben Sie einen Lieblingsspieler?

Ding Liren von vor drei oder vier Jahren, bevor er sein Eröffnungsrepertoire und in gewissem Maße seinen Stil auf Weltklasse umgestellt hat.

Ding Liren | Foto: Amruta Mokal

Partien von Rasmus Svane verfolge ich gerne, wenn er nicht gerade Französisch spielt. Selbiges gilt für Denis Khismatullin mit all seinen abseitigen und Daniel Dubov mit seinen spannenden Eröffnungsideen. Außerdem Tarrasch, eher die Werke als die Partien.  Und natürlich Elmar Streicher vom SC Überlingen.

Sie kritisieren, dass heutzutage viele Amateure, die Zugriff auf eine Engine haben, die Züge der Spitzenspieler kritisieren. Sie haben im Moment eine Elo-Zahl von 2134 und schreiben manchmal ebenfalls sehr kritisch über die Weltklasse. Wann und wie darf wer wen kritisieren?

Jeder jeden immer. Aber viele Leute quatschen halt nur unreflektiert irgendetwas nach, und die sollten besser zuhören. Wer WM guckt, indem er auf die Engine schaut, anstatt den Gedankengängen live kommentierender Meister zu folgen, der versagt sich ohne Not Genuss und Erkenntnisgewinn. Zu mir kann ich sagen, dass ChessBase ja regelmäßig von mir kommentierte Meisterpartien veröffentlicht. Es steht jedem frei, sich anhand davon ein Bild zu machen, wie gut oder schlecht ich Schach verstehe. So oder so, während der WM ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass ich mich in dieser Hinsicht auf Nulldiät gesetzt habe, um mir nicht ohne Not Genuss und Erkenntnisgewinn zu versagen.

In zwei Jahren ist wieder WM. Wer darf dann gegen Carlsen spielen – und wird der Modus geändert?

Magnus Carlsen gegen Ding Liren, 16 Partien in 19 Tagen, danach ggf. Tiebreak. Ein Fest wird das!

Wie sorgen Sie jetzt, nach Ende des WM-Kampfs, für genug Schach in Ihrem Leben?

Mit Ende dieses Interviews begebe ich mich ins Vereinsheim des SC Überlingen, um meinen andauernden Kampf gegen die dort grassierende schachliche Ahnungslosigkeit fortzuführen. Das ist meine Aufgabe derzeit. Außerdem habe ich noch ein unbedeutendes Schachblog zu betreuen. Zu Ostern hoffe ich, beim Grenke-Open nach zehn Jahren erstmals wieder eine ernsthafte Partie zu spielen. Vielleicht bekomme ich diese Sache mit den 2134 ja doch noch in den Griff 😉

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Johannes Fischer

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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