Niederländische Romantik

von Thorsten Cmiel
03.02.2023 – Im Challengers des Tata Steel Schachturniers waren zwei junge niederländische Romantiker unterwegs, die beiden Angriffsspieler Thomas Beerdsen und Eline Roebers. Auch wenn nicht alles geklappt hat, sorgten ihre schwungvollen Partien für prächtige Unterhaltung. Thorsten Cmiel präsentiert kritische Augenblicke und lädt zum Mitdenken ein. Fotos: Tata Steel Chess (Lennart Ootes, Jurriaan Hoefsmit, Maaike Brink)

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Niederländische Romantik

Wijk aan Zee. 13 Runden an 16 Tagen. Meist erzählen Berichterstatter die Geschichte von Turnieren aus Sicht der strahlenden Sieger und das ist verständlich. Die Tata Steel Rundenturniere kennen jedoch meist noch viele spannende individuelle Geschichten. Schauen wir uns daher einige dieser Momente an. Gleich mehrere romantische Angreifer spielten dieses Jahr im Challengers mit. Zwei davon waren die Angriffsspieler Eline Roebers und Thomas Beerdsen.

Im Challengers sind die Unterschiede der Ratings traditionell größer und die Ambitionen und Erwartungen der Teilnehmer ebenfalls. In der Schlussrunde gab es sieben entschiedene Partien, was wiederum für den Kampfgeist der Spielerinnen und Spieler spricht. Am Ende standen 50 entschiedene Partien 41 Remis gegenüber.

Traditionell geben die Organisatoren immer Spielern die Möglichkeit, GM-Normen zu erzielen. Diesmal waren zwei Niederländer unter den drei Anwärtern auf eine Großmeisternorm. Eline Roebers und Thomas Beerdsen. Eine der spannendsten Spielerinnen im Feld ist meines Erachtens die niederländische Nachwuchshoffnung Eline Roebers, geboren 2006. Sie begann das Turnier mit einer Niederlage gegen Mishra Abhimanyu und einem Sieg in großem Stil gegen den amtierenden heimischen Landesmeister, Erwin L’Ami. Es folgten ein Remis gegen Max Warmerdam. Eline hatte die Chance, ihren zweiten Landsmann zu schlagen. Und zwar hier.

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Eline Roebers. Talent ohne Fortune

Warmerdam, M – Roebers, E

 

Max Warmerdam hatte zuletzt 68.Tb5-e5 gespielt und damit seinen Turm kurzzeitig in die Springergabel gestellt. Eline konnte hier mit dem Kunstzug 68...Kf3!! die Partie zu ihren Gunsten entscheiden. Der Grund ist, dass der Bauer f4 den eigenen König vor Schachgeboten abschirmt, der Regenschirm. Die Niederländerin schlug stattdessen den Bauern und remisierte, da ihr Gegner sich danach richtig verteidigte.

Es folgte eine überzeugende Leistung von Eline gegen den Elofavoriten Amin Tabatabaei. Remis.

Dann kam  es zum Wendepunkt im Turnier der Niederländerin. Ausgerechnet gegen Thomas Beerdsen, der bis dahin selbst einige Chancen ausgelassen hatte und diesmal lange Zeit auf verlorenem Posten stand.

Beerdsen, T – Roebers, E (Runde 5)

 

Die Schwarzspielerin steht hier vor ihrem 28. Zug. Sie spielte in heftiger Zeitnot e3-e2. Ein grober Fehler von dem sich Eline nicht mehr erholte. Richtig war es das Schachgebot auf g8 zu antizipieren und Ke7 zu spielen. Diese Enttäuschung führte zum Wendepunkt, zum Bruch des Turniers von Eline. Zu den zwei Punkten bisher kamen in den folgenden acht Runden nur noch zwei Remis hinzu. Man kann natürlich nur spekulieren, aber hätte Eline diese Partie gewonnen, wäre das Turnier für sie anders verlaufen. So gab sie den Staffelstab weiter an ihren glücklicheren Landsmann.

 

Thomas Beerdsen. Auf und Ab

Thomas Beerdsen und Eline spielen mit Weiß jeweils den Königsbauern vor und greifen danach in der Regel recht kompromisslos an. Thomas Beerdsen, geboren 1998, hat bislang zwei Normen erzielt und sah im Verlauf des Turniers wie der nächste niederländische Großmeister aus. Plus Eins (7 Punkte) genügt bei diesem Turnier für den Titel.

Schauen wir uns einige spannende Momente an und lösen wir einige Momente mit.

Runde 1: Beerdsen T – Vaishali, R

In der ersten Runde hatte Vaishali etwas optimistisch agiert und Thomas Beerdsen provoziert. Der zögerte nicht lange und opferte einen Turm.

 

In dieser Stellung ist Weiß am Zuge (22.) Er entschied sich für das Dauerschach durch die Dame. Richtig oder falsch entschieden?

Runde 2: Adhiban, B – Beerdsen, T

In der zweiten Runde hatte zunächst Adhiban eine überzeugende Partie gespielt, den Faden verloren und der Niederländer endete in einem gewonnenen Endspiel. Das sah so aus:

 

Hier hatte der Niederländer zwei Fortsetzungen zur Auswahl. 62…Txg3 und 62….a3-a2. Ihre Wahl.

Runde 3: Beerdsen, T – Pechac, J

Gegen den ebenfalls als Angriffsspieler bekannten Jergus Pechac schickte sich der Niederländer an, im großen Stil zu gewinnen. Ein solcher Moment für großes Kino war hier:

 

Wie sollte Weiß hier fortsetzen?

Runde 4: Supi, L.P. - Beerdsen, T

Bis hierher hatte der Niederländer drei Chancen auf den vollen Punkt. Diesmal sieht es gegen Luis Paolo Supi, den Brasilianer im Feld, düster aus.

 

Schwarz ist am Zuge. Der Turm g8, der Läufer e4 und der Bauer d7 sind angegriffen. Aufgabe ist eine Option, richtig? Kann Schwarz noch weiterkämpfen?

Die Partie aus der fünften Runde gegen Eline Roebers und den entscheidenden Moment kennen wir schon. In der sechsten Runde, nach dem Ruhetag, ließ sich der Führende, Mustafa Yilmaz, trotz besserer Stellung auf eine Stellungswiederholung ein. Ein vergleichsweise ereignisloses Remis.

Runde 7: Beerdsen, T – Mishra, A

In der siebten Runde spielte der Niederländer gegen den aktuell immer noch jüngsten Großmeister, Abhimanyu Mishra. Thomas Beerdsen zerlegte seinen Gegner und hatte nach 22 Zügen eine Gewinnstellung. Im 27. Zug steht eine Entscheidung an.

 

Weiß kann überzeugend gewinnen? 27. Lxd7 und 27. Lxd5 stehen zur Wahl. Exekution bitte.

Runde 8: L’Ami, E – Beerdsen, T

Es folgte eine der spektakulärsten Partien. Der Senior im Turnier hatte sich etwas verlaufen und sein Landsmann, unser Held dieser Geschichte, hatte eine vielversprechende Stellung aufgebaut.

 

Hätten Sie hier den Zug von Thomas Beerdsen, 31…Sfg4+ gespielt? Falls nein, was sonst?

Runde 8(II): L’Ami, E – Beerdsen, T

Die Partie mit Erwin L’Ami war nach der Zeitkontrolle immer noch bemerkenswert komplex und die Frage stellt sich, ob Schwarz hier noch auf Gewinn hoffen kann?

 

Schwarz ist am Zuge. Haben Sie einen Vorschlag?

Runde 9: Beerdsen, T – Warmerdam, M

Bis zu diesem Zeitpunkt liegt Thomas Beerdsen trotz vieler ausgelassener Chancen mit 5 aus 8 einen halben Punkt über dem Durst zur GM-Norm. In dieser Partie zeigt sich jedoch eine Schwäche des romantischen Angriffsspielers Thomas Beerdsen.

 

Zuletzt hatte der Schwarzspieler seinem Landsmann mit 23…Da7 den Damentausch angeboten. Akzeptieren oder ausweichen? Das ist hier die Frage.

Runde 10: Tabatabaei, M – Beerdsen, T

In der zehnten Runde kam es zur Begegnung gegen den elostärksten Spieler im Feld. Die Partie war von beiden Seiten nicht sehr ambitioniert vorgetragen. Immerhin es kam zu einem Bauernendspiel.

 

Dieses Bauernendspiel sollte Remis ausgehen. Wie sollte Schwarz hier fortsetzen? Was ist von den drei Zügen 28…Kc6, 28...f6 und 28. Ke7 zu halten?

Runde 11: Beerdsen, T – Ivic, V

Nach der krachenden Niederlage mit hohem Frustrationspotential gelang es Thomas Beerdsen, anders als Eline in Runde 5, sofort zurück zu kommen. Er gewann eine weitere Angriffspartie.

 

Sollte Weiß hier die Dame auf c4 mit dem Springer schlagen?

Runde 12: Beerdsen, T – Donchenko, A

Der Verlauf der Partie gegen Alexander Donchenko war eine Katastrophe für den Niederländer. Ähnlich wie bei Elines Partie gelang dem Deutschen ein Kantersieg mit Caro Kann. Im Eröffnungsverlauf ist auffällig, dass der Niederländer mit Dc1 den ambitionierteren Zug wählt, statt mit Db3 den Damentausch anzubieten. Das wäre in der Turniersituation gerechtfertigt gewesen, zumal Alexander einen halben Punkt plus den direkten Vergleich gegen Mustafa Yilmaz vorne lag.

 

In dieser Situation geht es um eine Frage der Einschätzung. Würden Sie das Schlagen auf f2 mit dem Läufer  berechnen?

Runde 13: Sindarov, J – Beerdsen, T

Nach der erneuten Enttäuschung in der zwölften Runde muss der Niederländer gegen den Usbeken und Goldmedaillengewinner aus Chennai in der Schlussrunde gewinnen. Die Eröffnung gelingt Thomas hier nicht, aber er blufft seinen Gegner an einer Stelle erfolgreich und bekommt eine Chance im Mittelspiel.

 

Schwarz kann hier durch Schlagen mit der Dame auf a5 ein Endspiel anstreben, oder er kann seinen f-Turm nach c8 ziehen. Welcher Zug wäre in dieser Turniersituation ihre Wahl?


Lösungen

Runde 1: Beerdsen T – Vaishali, R

Der Niederländer sollte im romantischen Stil mit 22.Lc4 fortsetzen. Sein Angriff bleibt gefährlich und sollte erfolgreich sein.

Runde 2: Adhiban – Beerdsen

Beerdsen spielte 62….a2 und die Partie endete Remis. Simples, materialistisches Schlagen auf g3 hätte einfach gewonnen.

Runde 3: Beerdsen, T – Pechac, J

Thomas Beerdsen opferte hier mit 25.Lxd6 einen Läufer. Das sieht vielversprechend aus. Nach cxd6 folgte zur Ablenkung ein Schachgebot auf f7 mit dem Springer. Eine kleine Besonderheit entschied darüber, dass die Partie Remis endete. Richtig war stattdessen zunächst das Einschalten des Zugpaares 25.a4-a5 Lxa5. Der Grund ist die spätere Pointe, dass auf der fünften Reihe zwei Läufer erscheinen und einer nach Tc5 verloren geht. Anspruchsvoll.

Runde 4: Supi, L.P. - Beerdsen, T

Die Stellung ist in der Tat aufgabereif. Der Niederländer findet noch den Verstellungszug (Sd5) und sein Gegner wählt nicht die stärkste Fortsetzung (22.Sxg8) und nach 22.Sxe4 Sxf4 ging es munter weiter. Die Partie bot noch einige weitere spannende Momente und Thomas Beerdsen stand in der Schlussstellung sogar auf Gewinn. Aber unter dem Eindruck des Partieverlaufes kommt es zum Remisschluss.

Runde 7: Beerdsen, T – Mishra, A

Die Partiefortsetzung (27.Lxd5) gab Schwarz noch etwas Luft. Nach dem richtigen Nehmen auf d7 dominiert hingegen der Springer auf d4 und dem US-Boy wäre schnell die Puste ausgegangen.

Runde 8: L’Ami, E – Beerdsen, T

31….Sfg4+ ist in Kombination mit späterem Dh6+ ein interessanter Angriffszug. Spektakuläres Spiel war jedoch nicht notwendig an dieser Stelle. 31….Sxf3+ 32.Sxf3 Te3 war noch stärker.

Runde 8(II): L’Ami, E – Beerdsen, T

Der Gewinnzug ist 41….Ld6!! mit der Pointe, dass 42.Dxd6 Dh2+ 43.Tg2 an dem Schlagen auf f3 mit Schach scheitert – die Dame hängt.

Runde 9: Beerdsen, T – Warmerdam, M

In der Turniersituation bot sich der Damentausch ohnehin an. Die weitere Folge ist nicht schwierig zu berechnen: 24.Dxa7 Sxa7 25.Sa5 Ld7 26.Sc5 mit klarem weißem Vorteil. Thomas Beerdsen wich mit dem Damenzug nach f3 aus und kam später nach einem missglückten Damenausflug unter die Räder.

Runde 10: Tabatabaei, M – Beerdsen, T

Kc6 und Ke7 halten einfach Remis. Thomas Beerdsen fand einen der wenigen Verlustzüge. 28...f6 ist der wohl schlechteste Zug von Thomas Beerdsen in Wijk 2023. Nach 29.h4-h5 gewinnt Weiß zwangsläufig, da Weiß den weiteren Vormarsch des h-Bauern nebst Eindringen des Königs via h5 droht.

Runde 11: Beerdsen, T – Ivic, V

Die Frage ist ein wenig wie Leichenfledderei. Thomas Beerdsen musste nach Nehmen auf c4 den Angriff auf der Grundreihe gegen seinen König abwehren und das erforderte noch einige Präzision. Der stärkste Zug ist tatsächlich der Verzicht auf das Material und der weitere Mattangriff mit 42.Db1! Den spielt aber vermutlich nur eine Engine an dieser Stelle.


 

 

Runde 12: Beerdsen, T – Donchenko, A

Angriffsspieler werden hier die attraktive Folge 18….Lxf2+ 19.Kf1 Lxb6 zumindest kurz prüfen. Einige werden vermutlich ihn vermutlich sogar ausführen. Nicht so Alexander Donchenko. Der spielte sofort

18…Lxc1 und nach 19.Sxd7 Lxb2 gewinnt er schnell ohne weitere Anstrengungen.

Runde 13: Sindarov, J – Beerdsen, T

Das Muster kennen wir schon. Thomas Beerdsen weicht dem Damentausch aus und setzt auf den Turmzug bei vollem Brett. Ein Fehler. Weiß steht nach Damentausch angesichts der Schwäche auf d4 sofort unter Druck und muss in den Verteidigungsmodus wechseln. Erneut macht der Endspiel-Bias dem Niederländer einen Strich durch die Rechnung.

 

Partien (Analysen):

 


Fazit: Die Angriffspieler Thomas Beerdsen und Eline Roebers werden den Zuschauern in Wijk an Zee noch viel Spaß bereiten. Eline wird aus der Erfahrung eines Einbruchs sicherlich lernen und Thomas Beerdsen wird in Kürze seine dritte Norm erzielen, vielleicht schon bei der Europäischen Einzelmeisterschaft in Vrnjacka Banja im März. Dort spielt Eline Roebers im Open mit und verzichtet auf eine gute Platzierung bei den Frauen.

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Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.