Dreimal Nimzowitsch
Von André Schulz
Aaron Nimzowitsch wurde als Sohn wohlhabender jüdischer
Eltern am 7. November 1886 in Riga geboren. Lettland und Riga gehörte nach dem
"Großen Nordischen Krieg" ab 1721 im Gouvernements Livland politisch zu Russland, war aber in seiner Kultur
durch seine deutsch-baltische Oberschicht geprägt. Noch bis Mitte des 19.
Jahrhunderts waren fast 50% der Einwohner Rigas deutschsprachig und erst 1891
wurde das Deutsche
wurde Russisch als offizielle Amtssprache ersetzt. Etwa 10%
der Einwohner waren jüdisch.
Die Familie schrieb ihren Namen in Lettland als Nêmçoviç. Später wurde dies in Niemzowitsch
geändert, dann in Nimzowitsch. Die ursprüngliche Bedeutung des Namens "nyem-tso-vitch",
russisch für Sohn eines Deutschen, war dadurch kaum noch erkennbar.
Von seinem Vater, einem Kaufmann
erlernte Aaron Nimzwitsch das Schachspiel und erregte schon als Kind mit seinem
Schachkönnen Aufmerksamkeit. Eine Rigaer Tageszeitung druckte 1895 (oder 1896)
eine Partie des neunjährigen Nimzowitschs ab. 1904 ging Nimzowitsch nach Berlin,
um Philosophie zu studieren. Doch in Berlin war der Student viel häufiger in den
Schachcafés, besonders im Café Kaiserhof, als im Hörsaal zu finden. Das Deutsche
Wochenschach publizierte noch im gleichen Jahr eine Partie des lettischen
Schachkünstlers und lobte seine taktischen Fähigkeiten.
Seine Zeitgenossen beschreiben Nimzowitsch als eigensinnigen Charakter. So war
es kein Wunder, dass er in Deutschland bald mit dem ebenso dogmatischen Siegbert
Tarrasch zusammen stieß. Ausgangspunkt war eine freie Partie in Nürnberg im
Jahre 1904. Zu diesem Zeitpunkt stand Tarrasch als anerkannter Meister in der
Blüte seiner Schaffenskraft, während Nimzowitsch ein "Emporkömmling" war, der
zudem, wie er selbst in "Die Praxis meines Systems" einräumte, große Defizite im
Positionsspiel aufwies und auch die Partie gegen Tarrasch etwas bizarr anlegte, später
aber auf
taktischem Wege rettete. Was dann passierte, beschreibt Nimzowitsch so: " Nach
dem 10. Zug kreuzte Tarrasch die
Arme vor der Brust und sagte plötzlich folgenden Satz: "Noch nie in meinem Leben
stand ich nach dem 10. Zuge so gewaltig auf Gewinn wie in diesem Fall." Die
Partie endete übrigens remis. Aber ich habe Tarrasch alle die mir vor den
Zuschauern zugefügten Beleidigungen lange nicht verzeihen können. [...]" und
kommt dann auch zu einem kategorischen Urteil über der "Lehrmeister der Deutschen":
Für mich
war Tarrasch immer Mittelmaß; er spielte wirklich sehr stark, aber alle seine
Ansichten, Sympathien und Antipathien, und seine größte Unfähigkeit, nämlich
keine neuen Ideen zu schaffen, - all dies bewies klar die Mittelmäßigkeit seiner
Geisteshaltung.“
Dabei geht es um diese Partie, von Rudolf
Spielmann geistreich, (aber im Spiegel heutiger Computeranalysen manchmal auch fehlerhaft) kommentiert:
Tarrasch,Siegbert -
Nimzowitsch,Aaron [D07]
Nürnberg 1904
[Spielmann,R]
[Vor kurzer Zeit im Nürnberger
Schachklub gespielt.]
1.d4 d5 2.c4 Sc6
[Eine ehemals bei den russischen Meistern sehr beliebte
Verteidigung des abgelehnten Damengambits, die heute als veraltet fast gänzlich
aus der Praxis verschwunden ist, um modernen Fortsetzungen Platz zu machen, wie
z. B. 2...e5, dem sogenannten Gegengambit Albins, oder 2...e6 3.Sc3 c5 , was
bekanntlich Dr. Tarrasch als einzig ausreichende Verteidigung empfiehlt. Die
Textfortsetzung führt gewöhnlich, wie schon Steinitz richtig bemerkte, zu einer
Schwächung des schwarzen Damenflügels.]
3.Sf3 Lg4 4.e3 e6 5.Sc3 Lxf3 6.Dxf3
[In Betracht käme auch 6.gxf3 , um später mit e3–e4 im
Zentrum vorzugehen; der Zug würde auch ermöglichen, die weiße Dame nach b3 zu
spielen, was in dieser Eröffnung häufig von großer Wichtigkeit ist.]
6...Sce7 7.Ld3 c6 8.0–0 f5 9.Ld2 Sf6
10.cxd5 cxd5 11.Tac1 g5 [Die russische Schule, die
nur im japanischen Kriege vermißt wird.]
12.Dg3 Kf7 13.f3 Sc6
[Es drohte 14.e4. Die Eröffnung wird von Schwarz sehr bizarr
behandelt. Er opfert nun bei ziemlich unentwickelter Stellung einen Bauern, weiß
aber durch Verstärkung des Druckes auf d4 bei der etwas exponierten Stellung der
weißen Dame seine Figuren schnell auf so günstige Angriffsfelder zu entwickeln,
daß das Opfer reichlich aufgewogen erscheint. Weiß hätte vielleicht besser
getan, sich auf das Opfer gar nicht einzulassen.]
14.Dxg5 Le7 15.Se2 Db6 16.Lc3 Tag8 17.Dh4
Tg6 [Droht 18...Sg4.]
18.Dh3 Lf8 19.Sf4 Th6 20.Dg3 Ld6 21.Df2
[21.Dg5 wäre zwecklos, weil der Läufer wieder nach
f8 zurückgeht. (Besser als 21... 21...Tg6 mit der Absicht, durch 22.Sxg6 hxg6
23.f4 Sg4 die Dame zu gewinnen; denn Weiß spielt einfach 22.Dh4 mit gutem
Spiel.]
21...Tg8 22.g3 Lxf4 23.exf4 Sh5! 24.De3
e5! [Die Art und Weise, wie der erst 18jährige
Führer der schwarzen Steine dem Großmeister zu schaffen gibt, verdient
Beachtung. Das zweite Bauernopfer scheint ganz richtig zu sein.]
25.fxe5 f4 26.Dd2 Sxd4 27.Kg2!
[Die Partie wird nun höchst kombinationsreich. Der selige
Morphy würde seine Freude daran haben. 27.Lg6+? Dxg6 (27...Thxg6? 28.Lxd4
Sxg3 29.hxg3 Txg3+ 30.Kf2 Tg2+ 31.Ke1 Txd2 32.Lxb6 Tgg2 33.Tf2! und Weiß
gewinnt, denn 33... 33...axb6 scheitert an 34.Tc7+ .)
28.Dxd4 fxg3 29.Dxd5+ Ke8 30.Db5+ würde wegen 30... 30...Dc6! zu vorzüglichem
Spiel für Schwarz führen.]
27...Sxg3?
[Schwarz plant wohl jetzt schon das nachfolgende Turmopfer, das leider seinen
berühmten Haken hat. Einfacher und besser war 27...fxg3! . Nach 28.h3 konnte
sich dann folgende elegante Wendung ergeben: 28... 28...De6! (droht Damenopfer
auf h3) 29.Th1 Dxe5 30.Dxh6 Sf4+ 31.Kf1 g2+ nebst Mat in zwei Zügen. Auch auf
28.h4 hat Schwarz ein aussichtsreiches Angriffsspiel.]
28.Dxf4+ Sgf5+ 29.Kh1 Txh2+? 30.Kxh2
[30.Dxh2 würde ewiges Schach durch 30... 30...Sg3+
31.Kg2 Se4+ 32.Kh1 Sg3+ usw. zur Folge haben. Dr. Tarrasch will aber gewinnen.]
30...Dg6 31.Dg4?
[31.e6+! mußte geschehen mit der Fortsetzung 31... 31...Kxe6
32.Lxf5+ Sxf5 33.Tfe1+! (dies Turmschach scheint Dr. Tarrasch übersehen zu
haben) nebst Mat in wenigen Zügen.]
31...Dh6+ 32.Dh3 Df4+ 33.Kh1 Sg3+ 34.Kh2
Sgf5+ 35.Kh1 Sg3+ 36.Kg2 Sxf1+ 37.Kxf1 Dxc1+ 38.Le1 Tg1+! 39.Kxg1 Dxe1+ 40.Lf1
Dxe5 [Auch 40...Se2+ 41.Kh2 (41.Kh1? Dxf1+
usw.) 41...Df2+ 42.Dg2 Dh4+ erzwingt Remis.]
41.Dxh7+ Dg7+ 42.Dxg7+ Kxg7 43.Kf2
[Damit beginnt der zweite Teil der Partie. Nach dem
wilden Mittelspiel folgt ein beiderseits fein durchgeführtes Endspiel.
Allerdings ist Weiß durch den Besitz des entfernteren Freibauern etwas in
Vorteil; dieser Vorteil ist aber nur durch den Abtausch des Läufers gegen den
Springer zur entscheidenden Geltung zu bringen, was aber Schwarz verhindern
kann.]
[43...]
43...Kf6 44.Ke3 Se6 45.f4 Sd8 46.Lg2 Ke6
47.Kd4 Sc6+ 48.Kc5 Se7 49.Lh3+ Kf6 50.Ld7 Sg6 51.f5 Se5 52.Lb5 Kxf5 53.Kxd5 Sf7
54.Ld7+ Kf6 55.Lc8 Se5! 56.b4 [Oder 56.Lxb7 Sd3
57.b3 Sb4+ usw.]
56...Sd3 57.a3 b6 58.La6 Se1 59.a4 Sc2
60.b5 Ke7 61.Kc6 [Weiß gewinnt zwar jetzt den
a-Bauern, gerät aber gleichzeitig in eine drastische Pattstellung.]
[61...]
61...Kd8 62.Kb7 Sd4 63.Kxa7 Kc7 64.Lb7 Sb3
65.Lf3 Sc5 66.a5 bxa5 67.b6+ Kd6 68.Ld1 Kc6 69.La4+ Kd6 70.Le8 Kd5 71.Ka8 a4!
½–½
Dieser Vorfall und die daraus resultierende Feindschaft mit Tarrasch, von beiden
Spielern über Jahre mit vielen abfälligen Bemerkungen in verschiedenen
Publikationen gepflegt, war für Nimzowitsch Ansporn, seinen "Erbfeind" als
Theoretiker zu überflügeln. Betrachtet man etwas augenzwinkernd die
eröffnungstheoretische Hinterlassenschaft der beiden Kombattanten, dann ist
Nimzowitsch wahrscheinlich Punktsieger. Er gab ganzen Eröffnungen
(u.a. Nimzowitsch-Verteidigung 1.e4 Sc6) und einer Reihe von Varianten in
verschiedenen Eröffnungen seinen Namen. Natürlich wird aber alles von seiner Nimzo-Indischen Verteidigung überstrahlt. Tarrasch kann da nur auf seine
vielleicht nicht ganz vollwertige Variante im Damengambit ("Wegen des
strukturellen Nachteils des Isolanis so gut wie widerlegt!" Nimzowitsch) und
seine Variante gegen die Französische Verteidigung pochen (Nach 1.e4 e6 2.d4 d5
verhindert 3.Sd2 immerhin die Nimzowitsch-Winwer-Variante 3...Lb4, die nach 3.Sc3
möglich ist.)
Als Spieler legte Nimzowitsch immer wieder lange
Turnierpausen ein. Obwohl er nur maßvoll aß und trank, wie berichtet wird, und Nichtraucher war,
brauchte er offenbar lange Erholungspausen nach jedem Turnier.
Manche Anekdote ist überliefert: 1917 geriet Nimzowitsch im Baltikum zwischen
die Fronten der "Rechten" und "Linken" und drohte zwangsweise rekrutiert zu
werden. Er beschwerte sich dann aber so lange über eine angebliche Fliege, die
seinen Kopf umschwirrte, dass man den vermeintlichen "Irren" in Ruhe ließ und er nach Berlin
entkommen konnte (Kmoch).
Hans Kmoch: Grandmaster I
have known...
Kmoch, der Nimzowitsch sehr gut kannte, berichtet auch von einer ganz besonderen
Schrulle des Letten. Dieser fühlte sich nämlich beim Essen stets benachteiligt
und glaubte, immer die kleinste Portion zu erhalten. Kmoch schlug deshalb bei
einer Gelegenheit vor, dass jeder sein Essen bestelle und dass man nach dem
Erhalt die Teller tausche. Das wurde so durchgeführt, aber auch dann hätte der
Meister unzufrieden in sein Essen geschaut, schrieb Kmoch später.
Nach einigen Jahren in Berlin war Nimzowitsch 1920 nach Dänemark ausgewandert. Im Zuge seiner
Aufgaben als Schachjournalist reiste Nimzowitsch aber 1934 nach Deutschland um vom
Weltmeisterschaftskampf zwischen Aljechin und Bogoljubow zu berichten, der dort
an mehreren Orten ausgetragen wurde. Kmoch schreibt in seinem
Manuskript "Großmeister, die ich kannte", dass Nimzowitsch sich aufgrund seines
Geburtsortes durch das lettische Konsulat, aufgrund seines Wohnortes durch das
dänische Konsulat und aufgrund seines Auftraggebers, einer niederländischen
Zeitung, durch das niederländische Konsulat geschützt sah und deshalb als Jude
die Reise nach Nazideutschland wagte. Laut Kmoch prahlte er damit sogar
gegenüber Reichsminister Hans Frank, damals zuständig für Kunst und Kultur,
später der gefürchtete Generalgouverneur des besetzten Polen - und im Übrigen ein
großer Schachliebhaber. Frank besuchte einige Partien des Wettkampfs, unterhielt
sich mit den Spielern und Zuschauern, auch mit den Juden Mieses und Nimzowitsch,
und lud alle in seine Villa zum Abendessen ein.
Nimzowitsch folgte der Einladung
(Mieses nicht) und beschwerte sich dort beim Abendessen aber über sein schmutziges Besteck und Geschirr.
Frank, der genau gegenüber saß, überhörte die Beschwerde allerdings geflissentlich. Bei
andere Gelegenheit warf Nimzowitsch einen hohen Nazi-Offizier brüsk aus dem
Presseraum, weil dieser keine Akkreditierung besaß. Allen Anwesenden stockte bei
diesem Vorfall der Atem. Doch er hatte für Nimzowitsch keinerlei Konsequenzen. Der Offizier ging
einfach weg.
1935 starb Nimzowitsch in Kopenhagen an Krebs (nach anderer Darstellung
an Lungenentzündung).
Nimzowitschs Grab auf dem Bispebjerg Friedhof, Kopenhagen
Auch einige Sprüche sind dieses originellen Geistes sind überliefert. So
verlor er einmal einmal in Berlin eine Partie gegen Fritz Sämisch, womit er auch
den Turniersieg verpasste. Nimzowitsch sprang auf und rief "Gegen diesen Idioten
muss ich verlieren!"
Aaron Nimzowitsch hinterließ das grundlegende Lehrbuch, "Mein System" und
einen Folgeband "Die
Praxis meines Systems", mit einigen für die damalig Zeit sensationellen
Neubewertungen bestimmter schachlicher Lehrmeinungen. "Mein System" erschien
erstmals 1925/26 in fünf Bänden im Schachverlag von Bernhard Kagan. Die deutsche Auflage
war relativ schnell vergriffen und das Werk viele Jahre lang nur über eine
englische Ausgabe (1930 bei Harcourt, Brace and Company erschienen: "My System"
übersetzt von von Philip Hereford) zugänglich. Kurt Rattmann brachte 1958 und
noch einmal 1962 deutschsprachige Neuauflagen heraus. Eine weitere erschien 2005, ebenfalls
bei Rattmann. Der Folgeband zu "Mein System" "Die Praxis meines
Systems" erschien erstmals 1929. Für die von Rattmann 2006 veröffentlichten
Neuauflage wurde auch der 1929 im Russischen erschienene Aufsatz "Wie ich
Großmeister wurde" übersetzt und als Anhang aufgenommen.
Schach Niggemann brachte vor zwei Jahren "Mein System"
noch einmal in einer Neuauflage
heraus. Kürzlich erschien vom gleichen Verlag zudem noch "Die Praxis meines Systems"
als Nachdruck zu der 2006 erschienenen erweiterten Neuauflage mit einigen
zusätzliche Aufsätzen von Nimzowitsch.
Vor zwei Jahren veröffentlichte Arno Nickel in seiner Edition Marco Rudolf Reinhardts Sammlung "Aaron Nimzowitsch 1928-1935"
mit Texten und Partien des Großmeisters aus den entsprechenden Jahren. Diese drei Bücher liegen
in gebundener Form - mit jeweils etwa 400 Seiten Umfang - vor und sprechen in ihrer hochwertigen Aufmachung auch den
bibliophilen Schachfreund und Sammler an. Dem Schachschüler bieten sie zeitlose
und tiefe Einsichten in das Schachspiel.
Nimzowitsch: Mein System
Mein System wurde von Nimzowitsch als umfassendes Schachlehrbuch konzipiert. Es
gliedert sich in zwei Teile: I. Die Elemente und II. Das Positionsspiel.
Zu den Elementen des Schachspiel rechnet Nimzowitsch:
Zentrum und Entwicklung
Die offene Turmlinie
Die 7. und 8. Reihe
Der Freibauer
Der Abtausch
Die Element der Endspiel-Strategie
Der gefesselte Stein
Das Abzugsschach
Die Bauernkette
Im Teil Positionsspiel behandelt der Autor
Prophylaxe und Zentrum
Doppelbauer und Hemmung
Der isolierte Damenbauer und seine Nachkommenschaft
Überdeckung und schwache Bauern
Das Lavieren
Schließlich enthält das Buch noch einen Nachtrag: Zur Geschichte der
Schachrevolution 1911 bis 1914
Nimzowitschs Lehrbuch ist der Versuch, die Grundlagen des Schachs in (z.T.
neuen) Regeln zu
erfassen. Es ist ein durchaus philosophischer Zugang zum Schachspiel, der viele Generationen von
Schachspielern nachhaltig geprägt hat - das Spielen nach Grundsätzen.
Nimzowitsch sieht sich als Weiterentwickler und Modernisierer der Lehren von Steinitz und Tarrasch, wobei er den deutsche Großmeister
und geliebten Feind schon im Klappentext als
Anhänger der Bequemlichkeit verhöhnt. Tarrasch hatte, modern und pragmatisch,
z.B. davor gewarnt hat, in der
Eröffnung Bauern zu rauben - denn dies führe zu unbequemen Spiel. Im gleichen
Text macht Nimzowitsch sich auch über die Arbeiten Alapins lustig, der es gewagt
hatte, Nimzowitschs Grund- und Lehrsätze anzuzweifeln - und das auch noch
durch - Varianten - wie
Nimzowitsch spöttisch bemerkt.
Nachdem Schachspieler viele Jahrzehnte nach den Grundsätzen von Nimzowitsch
Schach zu verstehen versucht haben, hat der Kollege Computer uns in jüngerer
Zeit mehr und mehr zu verstehen gegeben, dass Schach tatsächlich ein sehr konkretes Spiel
ist und aus - Varianten (!) besteht. Da wir Menschen aber keine Computer sind,
und Schach auch mehrheitlich nicht nach mathematischen Methoden spielen, hat Nimzowitschs Lehre auch nach
nun bald schon 100 Jahren nichts von ihrer Aktualität
verloren. Hier lernt man eben z.B., was Bauernketten sind, wie sie funktionieren
und wie man sie attackiert, wie man mit Isolanis umgeht, seine eigenen Kräfte
mobilisert und die gegnerischen blockiert und dass mit der Verteidigung ebenso
erfolgreich sein kann, wie beim Angriff. Ohne diese Grundlagenkenntnisse würde man als Mensch niemals
die richtigen Varianten entdecken, die ein Computer sich nur errechnet - aber
nicht versteht.
Nimzowitsch: Praxis mit System: Gesammelte Schriften von A. Nimzowitsch
Erweiterte Neuauflage, 2012, zu Nimzowitsch: Die
Praxis meines System
In "Die Praxis meines Systems" (Untertitel: Ein Lehrbuch des
praktischen Schachs) kommentiert Nimzowitsch 109 eigene Partien bis zum Jahr
1928 und erläutert diese im Hinblick auf die theoretischen Grundlagen aus "Mein
System". Die Partien sind nicht chronologisch sortiert, sondern die Folge im
Buch orientiert sich nach den in den Partien verwirklichten strategischen Ideen,
wie z.B. Zentralisierung, Hemmung und Blockade, der isolierte Damenbauer, etc.
In der 2006 erschienenen Neuauflage wurde als Anhang der Band "Wie ich
Großmeister wurde" hinzugefügt, eine schachliche Autobiografie, in der
Nimzowitsch zum Teil sehr ausführlich von seinen Anfängen berichtet, vielen
Vorgabepartien als Jugendlicher in Riga, seiner Feindschaft mit Tarrasch und
seinen schachlichen Erfolgen bis hin zum Großmeistertitel. Eine besondere Lehre
war die "Katastrophe" von Barmen": 1906 schnitt Nimzowitsch bei einem Turnier
dort so schlecht ab, dass er sich Gedanken um sein schachliches Fortkommen
machte und nun anfing, ernsthaft an seinem Schach zu arbeiten.
In die Neuauflage von 2012, für die wie schon bei der Neuauflage 2006 Matthias
Vettel als Herausgeber verantwortlich zeichnete, wurden neben dem Band "Wie ich
Großmeister wurde", weitere Aufsätze hinzugefügt:
Das neue System (Wiener Schachzeitung Nr.19/22, Oktober-November 1913)
Die Blockade - Neue Gesichtspunkte (Schachverlag Bernhard Kagan, Berlin 1925)
Es lebe der Optimismus und ... Morgengymnastik (Erschien erstmals in 5 Folgen in
"Das deutsche Schach")
Was ist schön? (Kagans Neueste Schachnachrichten, 1926)
Der Zufügung weiterer Schriften zu Nimzowitschs zweitem Hauptwerk wurde durch
eine Veränderung des Titels Rechnung getragen und die Sammlung nun "Praxis mit
System: Gesammelte Schriften von A. Nimzowitsch" genannt.
Reinhardt: Aaron Nimzowitsch 1928 bis 1935
oder vielleicht: "Mein System Band Drei"
Das dritte Buch dieser aktuellen Publikationsreihe mit
Nimzowitsch-Werken ist ein Band mit Werken der Jahre 1928 bis 1935, von Rudolf
Reinhardt gesammelt und posthum bei Edition Marco erschienen.
Der aus Ostwestfalen stammende Reinhardt wurde schachlich in Bielefeld groß und
spielte später in Berlin bei Lasker-Steglitz. Er war außerdem viele Jahre
aktiver Fernschachspieler und nicht zuletzt Sammler von Schachbüchern. Sein
besonderes Interesse galt dabei den Werken von Nimzowitsch und er hatte sich
vorgenommen, die vielen verstreut publizierten Partien Nimzowitsch zu sammeln,
zu erfassen und mit den Originalkommentaren in Buchform herauszugeben. Nach
seinem Ruhestand im Jahr 2000 begann Reinhard sich dieser Aufgabe zu widmen. Im
September 2006 traf den Autor ein Schlaganfall, an dessen Folgen er verstarb.
Kurz zuvor hatte er es noch geschafft, ein Vorwort zu schreiben. Seine Familie
gab das Buch schließlich posthum zusammen mit dem Verleger Arno Nickel heraus.
Vor zwei Jahren erschien das etwa 400 Seiten starke Werk,
nach Nimzowitschs "Mein System" und "Die Praxis meines Systems" eine Art "Mein
System Band Drei" (Michael Negele). Es umfasst die schachliche Karriere des
dänischen Großmeisters, soweit sie von Nimzowitsch selber in Berichten, Partien
und Kommentaren niedergelegt wurde vom Turnier in Bad Kissingen, August 1928 (1.
Bogoljubow, Nimzowitsch wird 5.) bis zum Tod von Nimzowitsch im Jahr 1935.
Euwe, Yates, Tartakower, Spielmann, Réti, Mieses,
Bogoljubow, Nimzowitsch, Capablanca, Tarrasch, Marshall ((Rubinstein fehlt)
Die
letzten verzeichneten Partien stammen aus dem Jahr 1934, als er während der oben
erwähnten Reise nach Deutschland anlässlich des WM-Kampfes Aljechin-Bogoljubow
in Berlin einen privaten Wettkampf gegen den Berliner Meister Ernst Schweinburg
spielte. Neben vielen unbekannten Partien des Meisters enthält das Buch
zahlreiche Bilddokumente, Tabellen und ein sorgfältig editiertes
Quellenverzeichnis. Eine großartige Sammlung und nicht nur für Nimzowitsch-Fans ein Muss!
Aaron Nimzowitsch
Gebundene Ausgabe: 408 Seiten
Verlag: Schachversand E. Niggemann (2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3942383608
ISBN-13: 978-3942383608
Euro 28,95
Aaron Nimzowitsch
Praxis mit System: Gesammelte Schriften von A. Nimzowitsch
Gebundene Ausgabe: 495 Seiten
Verlag: Schachversand E. Niggemann (Januar 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3942383616
ISBN-13: 978-3942383615
Euro: 34,95
Rudolf Reinhardt
Aaron Nimzowitsch 1928-1935: Partien Kommentare Aufsätze
Gebundene Ausgabe: 408 Seiten
Verlag: Edition Marco; Auflage: 1 (1. November 2010)
ISBN-10: 3924833613
ISBN-13: 978-3924833619
Euro 36,00