Norway Chess, Rd. 9: Aronian bringt es nach Hause

von Marco Baldauf
16.06.2017 – Bereits seit einigen Runden stand fest, dass Titelverteidiger Magnus Carlsen lediglich Zuschauer sein wird, wenn in der Schlussrunde der Sieger des Norway Chess 2017 ermittelt wird. Die wenigsten dürften daran gezweifelt haben, dass Levon Aronian seinen Vorsprung über die Ziellinie bringen wird, mit Schwarz erreichte er ein ungefährdetes Remis gegen Wesley So. Für Furore sorgte zum Abschluss hingegen Vladimir Kramnik.

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Fernkampf um den Titel

Wird Levon Aronian nach seinen Sieg beim Grenke Chess Classicden nächsten Turniererfolg einfahren? Die Tabellensituation vor der Schlussrunde war einfach zu dechiffrieren: Aronian reicht ein Remis gegen Wesley So um zumindest den geteilten ersten Platz zu sichern, im Fall eines Sieges seines einzigen Kontrahenten Hikaru Nakamura würde es zum Punktgleichstand kommen - einem Szenario, in welchem die Regularien einen Stichkampf über zwei Blitzpartien vorsahen.

Wesley So spielt "small ball" gegen den Tabellenführer

Levon Aronian musste mit Schwarz gegen den Remiskönig des Turniers Wesley So antreten. Nachdem er in seiner einzigen 1.d4-Partie in diesem Turnier zur Ragozin-Variante gegriffen hatte, variiert Aronian heute und wählte das solide Damengambit. So versuchte in einer ruhigen Stellung gegen Aronians Isolanistruktur einen leichten Vorteil zu erspielen, Aronian wurde allerdings nie ernsthaft unter Druck gesetzt und so endete die Partie in einem unspektakulären Remis.

 

Spieler vom Niveau Aronians wissen kennen die Mechanismen eines solchen Isolani-Endspiels natürlich wie ihre Westentasche. Betrachtet man die Position aus der Perspektive eines Amateurs, so kann Weiß durchaus die angenehmere Stellung zugesprochen werden. Ohne Mithilfe des Gegners sind solche Stellungen allerdings doch nicht zu gewinnen - Simon Williams DVD zum Damengambit mit 5.Lf4 untersucht diese relativ forciert ansteuerbaren Endspiele en detail.

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Während die Partie des Spitzenreiters also in relativ ruhigen Gewässern verlief, optierte sein Verfolger Nakamura für die Kampfansage Najdorf. Eine gute Wahl, den schließlich musste er davon ausgehen, dass ihn nur ein Sieg zum Stichkampf bringen wird, zudem ist sein Gegner Fabiano Caruana dafür bekannt, zweischneidigen Positionen nicht auszuweichen und mit Weiß kein Risiko zu scheuen. Zudem wird Caruana nachgesagt, gegen Najdorf einen schlechten Score zu haben, eine Aussage, die seit seinem spektakulären Sieg mit Damenopfer gegen eben Nakamura auf wackligen Beinen steht.

Man müsste also vielmehr sagen, Nakamura traut sich noch einmal den Najdorf gegen Caruana zu spielen - und dieser Mut wird nicht belohnt. Caruana wählt wieder das scharfe 6.Lg5 und Nakamura kontert mit der prinzipiellen und hochgradig konkreten Bauernraub-Variante.

Caruana gelang mit der Neuerung 15.Tg1!? die erste Überraschung, Nakamura reagierte nicht prinzpiell und hatte bald neben der schlechteren Zeit auch eine schwierige Stellung zu verwalten.

 

Die Pointe des Opfers lautet, dass nach 19...axb5 20.Sxb5 der logische Zug ...Db8 nicht funktioniert, da Weiß mittels 21.Txe7 den wichtigen Verteidiger des Bauern d6 entfernt und nach 21...Sxe7 22.Sxd6 der schwarze König dem Untergang geweiht ist.

 

Caruana gewann sein Material mit Zinsen zurück und die bessere Stellung zum Sieg ummünzen. Eine starke Vorstellung zum Abschluss eines wnig ruhmreichen Turniers.

Caruana schlägt erneut im Najdorf zu - zu gerne erinnern wir uns an seine Glanzpartie in London 2016.

Ein Foto mit Symbolcharakter: Carlsen kibietzt, für andere geht es hingegen noch um den Turniersieg.

Analyse Daniel King

Daniel King hat entscheidenden Momente des Fernkampfes noch einmal zusammengefasst.

 

Spiel um die goldene Ananas...und wichtige Elopunkte

Die restlichen drei Paarungen hatten keinen Einfluss mehr auf die Titelfrage. Theoretische Chancen hätte allenfalls noch Anish Giri gehabt, der sich mit einem Punkt Rückstand auf Aronian auf dem dritten Platz befand.

Karjakin 1/2 Vachier-Lagrave

Am schnellsten fand die Partie zwischen Sergey Karjakin und Maxime Vachier-Lagrave ein Ende. Karjakin zeigte sich nach zwei Niederlagen in Folge sichtlich angeschlagen und verhielt sich ein wenig wie der Hase vor der Schlange - wobei die Schlange in Form einer aggressiv interpretierten Version der Najdorf-Variante aufkreuzte. 

Karjakin kopierte eine Idee aus der Partie Giri-Wojtaszek vom Qatar Masters 2015, doch MVL verbesserte das Spiel des Schwarzen und erreichte dyanmischen Ausgleich.

 

Schwarz machte Druck auf der c-Linie und Karjakin musste in den Verteidigungsmodus übergehen. Eine interessante Stellung entstand wenige Züge vor Schluss: MVL hatte die Möglichkeit, mittels ...f5 und ...e4 einen gedeckten Freibauern zu schaffen, entschied sich jedoch dafür, einen Bauern auf d5 einzusacken, woraufhin Karjakin mittels fxe5 - dxe5 und der Folge Tg4+ - Kf8 und Th4 eine Zugwiederholung anstreben konnte.

 

Anand 1/2 Carlsen

Das Duell der WM-Kontrahenten aus den Jahren 2013 und 2014 gestaltete sich heute nicht allzu interessant. In einer typischen italienischen Partie konnte keiner der beiden Spieler ernsthafte Übergewichte erzeugen und so wurde nach einer Zugwiederholung im 34. Zug das Remis besiegelt. Anand kann nach seinem katastrophalen Start (1.0/4) mit 4.0/9 noch einigermaßen zufrieden sein, für Carlsen ist das Heimturnier eines zum Abhaken.

Manchmal reicht es nur zum geteilten 7. Platz: Magnus Carlsen im norwegischen TV-Studio

Kramnik 1-0 Giri

Kurioses ereignete sich in der Partie zwischen Vladimir Kramnik und Anish Giri - Giri verliert, und das in nur 20 (!) Zügen.

 

Gute Laune bei Vladimir Kramnik

Für Vladimir Kramnik beendet damit ein phasenreiches Turnier. Drei Siege bei zwei Niederlagen und nur vier Remis - aus dem einst so soliden Kramnik ist die letzten Jahre ein Freund des Risikos geworden. Vermutlich wichtiger als der geteilte zweite Platz in Stavanger ist der zweite Platz in der Weltrangliste. Kramnik verzichtete auf eine Teilnahme bei der anstrengenden Grand-Prix-Serie und hat somit in Bezug auf die Qualifikation für das Kandidatenturnier 2018 nur zwei Eisen im Feuer: den World Cup, welcher im September in Batumi stattfinden wird und eben die Ratingliste, wo er nun etwas Boden auf seine ärgsten Konkurrenten So und Caruana gut machen konnte.

Endstand

(click for full size)

Partien der 9. Runde:

 

Alle Partien:

 

Fotos: Lennart Ootes

Turnierseite Norway Chess...


Marco Baldauf, Jahrgang 1990, spielt seit seinem sechsten Lebensjahr Schach. Zwei Mal wurde er Deutscher Jugendmeister, seit 2015 spielt er für die Schachfreunde Berlin in der Bundesliga. Für Chessbase schreibt er gelegentlich auf der Homepage, kommentiert live oder versucht sich als Autor von Fritztrainern.

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