Interview mit Judit Polgar
Judit, kommenden Freitag, den 11. November, spielen Magnus Carlsen und Sergey Karjakin die erste Partie ihres Weltmeisterschaftkampfes. Du kommentierst die Partie live aus New York. Wie kam es dazu?
Nun, Mark Glukhovsky hatte mir eine freundliche Email geschrieben und gefragt, ob ich nicht Lust hätte, beim WM-Kampf in New York zu kommentieren. Meine Antwort kennst du (lächelt).
Judit Polgar ist die offizielle Kommentatorin des WM-Kampfes in New York City
Hast du zuvor schon einmal solche Großereignisse kommentiert oder ist dies dein Debüt? Wie haben deine Freunde und deine Familie darauf reagiert?
Anfragen hatte ich bereits einige, aber tatsächlich kommentiere ich ein so wichtiges Event jetzt zum ersten Mal. Ich freue mich darauf, denn ich kenne beide Spieler seit ihrer Jugend und habe ihre Karrieren genau verfolgt. Im November 1990, als Magnus Carlsen zur Welt kam, war ich 14 und hatte gerade mit der ungarischen Frauenmannschaft bei der Olympiade in Novi Sad zum zweiten Mal hintereinander Gold gewonnen (lächelt).
Meine Familie und meine Freunde freuen sich auch: auf den Wettkampf und auf meine Kommentierung.
Zweites Olympiagold: (von links nach rechts) Idliko Madl , Sofia, Judit und Susan Polgar 1990 in Novi Sad
Aus dem Familienalbum: Simultanvorstellung in New York (1992)
Judit mit ihrer Schwester Sofia im Jahr 1992
Was Publicity betrifft, so ist deine Schwester Susan in den Medien präsenter. Zum Beispiel hat sie vor Kurzem bei der Schacholympiade 2016 in Baku zusammen mit Evgenij Miroshnichenko kommentiert. Was glaubst du, warum wollte man dich als Kommentatorin bei der Weltmeisterschaft?
Ich glaube, die Kommentierung von Schachereignissen ist in den letzten zehn Jahren interessanter und unterhaltsamer geworden als je zuvor. Immer mehr starke Spieler freuen sich, wenn sie die Partien und das Geschehen einem Publikum erklären können, das zum großen Teil aus Amateuren besteht. Das hilft dem Publikum, die Partien besser zu verstehen und mehr zu genießen.
Warum die Wahl der Organisatoren auf mich fiel, ist eine Frage für Agon (lächelt). Allerdings bin ich zwar als Kommentatorin neu, aber generell eine bekannte Persönlichkeit in der Welt des Schachs.
Benutzt du bei der Kommentierung eine Engine?
Ja, wir verwenden eine der modernsten Engines. Viele der Zuschauer werden eine Engine laufen haben, während sie die Partien verfolgen – tatsächlich ist eine Engine Teil der Online-Übertragung von Agon – und wir können es uns einfach nicht leisten, ohne Engine zu kommentieren. Aber ich nutze auch gern meinen eigenen Verstand, um ein paar interessante Ideen zu finden (lächelt).
Welche Schach-Shows schaust du dir gern an?
Das "Blitz Battle" zwischen Carlsen und Nakamura, das vor Kurzem auf chess.com zu sehen war, habe ich mit Begeisterung verfolgt. Das hat viel Spaß gemacht und war ein wahres Vergnügen für Schachfans. Den besten Spielern der Welt beim Blitzen zuzuschauen war phantastisch: Viele ihrer Züge wirken beinahe göttlich, aber dann wiederum machen sie Fehler wie Normalsterbliche. Ich hoffe, wir sehen in Zukunft noch mehr solche Schachshows, die das allgemeine Publikum ansprechen, das nicht so große Schachkenntnisse hat. Ich glaube, das Schach hat hier noch viele Möglichkeiten.
Was hältst du von dem Modus, in dem beim Sinquefield Cup kommentiert wird: ein Moderator, eine Moderatorin, ein Experte, der den Moderatoren und dem Publikum verrät, was die Engine analysiert, außerdem Reporter, die sich unters Publikum mischen? Und wie fandst du Miros Kommentare beim Tal Memorial? Und die Art, wie Sergej Shipov kommentiert?
Ich finde es beeindruckend, wie überall in der Welt, in Russland, in Spanien, in den USA und in zahlreichen anderen Ländern, versucht wird, Schach attraktiver zu präsentieren.
Ich glaube allerdings, dass die Kommentierung am unterhaltsamsten ist, wenn man neben einem Schachexperten einen Journalisten oder einen Gast im Studio hat, der sich für Schach und die Partie interessiert und der neugierig ist. Das macht die Kommentierung frisch und lebendig.
Wirst du in New York allein oder mit Kollegen kommentieren? Werden Gäste ins Studio kommen? Und ist es schwer, ein langes Match die ganze Zeit zu kommentieren?
Ich kommentiere zusammen mit Kaja Snare, die für das norwegische Fernsehen arbeitet, und die man in Schachkreisen mittlerweile gut kennt. Sie arbeitet jetzt direkt für Agon und verleiht der Schachkommentierung frische Impulse. Außerdem möchte Agon zahlreiche Gastkommentatoren einladen, darunter eine Reihe von Prominenten, die Schachfans sind. Ich freue mich schon darauf zu erfahren, wer alles neben mir in der Kommentatorenkabine sitzen wird.
Und ja, einen langen Wettkampf zu kommentieren kann anstrengend sein, denn man muss nicht nur die Züge auf dem Brett erklären, sondern gleichzeitig auch das Publikum in aller Welt die ganze Partie hindurch unterhalten. Aber das macht mir Spaß und ich freue mich auf den WM-Kampf.
Kaja Snare aus Norwegen wird Judit als Co-Kommentatorin in New York begleiten
Wird es nach den Partien Pressekonferenzen mit Magnus Carlsen und Sergey Karjakin geben, wo du den beiden Fragen stellst? Was ist dir persönlich bei der Schachkommentierung besonders wichtig? Worauf sollte ein Kommentator deiner Meinung nach besonders achten?
Ja, nach den Partien kann man Magnus und Sergey Fragen stellen. Und da wir fast einen Monat am gleichen Ort sein werden, gibt es mit Sicherheit auch weitere Möglichkeiten, bei anderen Gelegenheiten mit ihnen zu reden.
Wenn ich Schachkommentierungen verfolge, dann mag ich vor allem die Kommentatoren, die von den Partien begeistert sind, interessante Hintergrundinformationen präsentieren und Geschichten erzählen können. Beim World Cup 2011 habe ich einmal eine Partie nach 112 Zügen gewonnen und mich dadurch für die nächste Runde qualifiziert. Danach rief mich jemand an und meinte, er hätte nie geglaubt, dass Schach so aufregend und spannend wie ein Fußballspiel sein könnte – und er war großer Fußballfan. Ich glaube, das ist ein wirkliches Kompliment für die Kommentatoren.
Hat zu deiner aktiven Zeit je ein Kommentator etwas gesagt, das dich abgelenkt oder negativ beeinflusst hat?
Nein. Und ich glaube, ein Profi sollte sich von den Bemerkungen eines Kommentatoren auch nicht ablenken lassen. Vor allem während eines Weltmeisterschaftkampfs müssen die Spieler immun gegen alle Kommentare oder Bemerkungen von außen sein und konzentriert bleiben.
Übersetzung: Johannes Fischer