Quo vadis, Wunderkinder?

von Thorsten Cmiel
21.07.2021 – Nach der Pandemie-Pause sind die "Wunderkinder", inzwischen Jugendlich wieder aktiv. Nihal Sarin räumte vor dem World Cup in Serbien die Turnierpreise ab, ist beim World Cup aber inzwischen ausgeschieden. Thorsten Cmiel analysiert seine Fortschritte und Schwächen. | Foto: ChessBase India

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Quo vadis, Wunderkinder?

In der Pandemie sind die ehemaligen Wunderkinder inzwischen Teenager geworden und manche sind nach der Pandemie einen Kopf größer geworden. Neben diesem natürlichen Wachstumsprozess interessiert die Schachwelt natürlich wie sich die Youngster nach über einem Jahr ohne Turnierpartie schlagen. Dazu betrachten wir in dieser zweiteiligen Serie die zwei Kandidaten, denen der Autor unter den Junioren am ehesten einen größeren Leistungssprung zutraut. Die Wahl fiel auf Nihal und Pragg. Wir beginnen mit dem Älteren der beiden Inder, der bereits vor dem World Cup aktiv geworden war. Er gewann seit Ende Juni zwei Turniere in Serbien: mit acht bzw. siebeneinhalb Punkten aus neun Partien. Dabei sammelte Nihal 35 Punkte ein und katapultiere sich mit einer Live-Rating von 2655 unter die Top 100 der Welt und auf die Nummer Drei der Junioren-Liste.

Nihal (Jahrgang 2004) war bislang vielleicht der Beständigste unter den weltweiten Top-Talenten (Firouzja (2003), Esipenko (2002), Abdusattorov (2004), Keymer (2004), Praggnanandhaa (2005)). Seit er die Rating von 2500 überschritten hatte, gab es keine niedrigere Rating in einer Folgeliste. Dafür waren die Sprünge bei Nihal nie sonderlich groß ausgefallen. Das war nach der Pandemie erkennbar anders.

Erstes Turnier nach der Pandemie

In seiner ersten Partie in Veliko Gradiste, einem kleinen Ort an der Donau, hätte es durchaus schief gehen können. Aber Nihal kann seine Gegner inzwischen gut einschätzen, opferte eine Figur auf Chance und hatte Erfolg damit. In der letzten Runde genügte Nihal ein Remis gegen den sechzigjährigen Veteranen Branko Damljanovic. Aber Nihal gewann diese Partie nachdem sein Gegner ihn durch allzu provokantes Spiel in der Eröffnung herausgefordert hatte. Nihals Spiel war nicht fehlerfrei und gegen Manuel Petrosyan zeigte sich in Nihals Spiel eine Verwertungsschwäche in einem Endspiel mit Läufern. Aber soll man eine Performance über 2800 Ratingpunkten überhaupt kritisieren? Ich denke sein Coach und Freund Srinath Narayanan wird genau das tun.

 

Zweiter Turniersieg in Serie

Im zweiten Turnier in Serbien, diesmal in Belgrad, gelang es Nihal erneut in acht Runden sieben Punkte zu sammeln. In der finalen Runde spielte Nihal gegen den russischen Super-Großmeister Fedoseev. Nihal gab zum Schluss eine besser stehende Stellung Remis und sicherte sich damit den zweiten Turniererfolg in knapp drei Wochen. Es blieben zwei überragende Ergebnisse (2807 mit 4 aus 5 gegen Großmeister; 2786 mit 5 aus 6 gegen Großmeister).

 

Turnier-Links bei Chess Results

http://chess-results.com/tnr555017.aspx?lan=0

http://chess-results.com/tnr568080.aspx?lan=0

World Cup 2021

Im World Cup in Sochi hatte Nihal in der ersten Runde einen schweren Stand und gewann glücklich gegen einen Internationalen Meister aus Uganda, der die meiste Zeit der Partie gegen Nihals Franzosen glatt auf Gewinn stand, dann aber im entscheidenden Moment inkonsequent handelte und sogar noch verlor. An seinem 17. Geburtstag spielte Nihal am Folgetag das Londoner System gegen den gleichen Gegner und wunderte sich, dass dieser offenbar mit Remis durch Zugwiederholung einverstanden war. Nihal zierte sich kurz, nahm dann aber das stille Gebot an.

In der zweiten Runde spielte Nihal gegen den Russen Sanan Sjugirov. Mit Weiß gelang Nihal wenig, aber mit Schwarz spielte der Inder diesmal einen komplexen Spanier und manövrierte seinen Gegner im späten Mittelspiel aus.

Gegen Dmitry Andreikin verlor Nihal seine erste Partie seit seiner Rückkehr aus der Pandemie. Dabei unterlief ihm ein recht grober Fehler in einem Läufer-Endspiel mit gleichfarbigen Läufern. Mit Schwarz gelang es Nihal am nächsten Tag nicht, eine Gewinnchance zu schaffen. Es scheint das der Junggroßmeister das Potential von Läufern regelmäßig im Endspiel unterschätzt. Die Niederlage gegen Andreikin war unnötig. Gegen Pentala Harikrishna hatte Nihal nachlässig agiert und eine Lektion erhalten. In dem Fall waren die Läufer sogar auf unterschiedlichen Farben unterwegs. In beiden Stellungen spielte Nihal hier Lc2 und in beiden Fällen war es ein grober Fehler.

Diagramme

Nihal – Andreikin

Harikrishna - Nihal

 

 

Nihal 2021

Die ursprünglich größte Schwäche in London 2017 war der übertriebene Zeitverbrauch von Nihal. Er probierte viel aus und arbeitete sich in zahlreiche Eröffnungen hinein. Das Zeitnot-Problem hat der Youngster inzwischen mit mehr Erfahrung und Selbstvertrauen weitgehend im Griff. Nihal hat in den letzten Jahren vor allem sehr starke Open-Turniere gespielt: Sein Eröffnungsrepertoire ist daher breit aufgestellt. Wer gegen Nihal mit dem Königsbauern eröffnet beispielsweise, der muss mit Caro-Kann genauso rechnen wie mit Französisch. Neben Sizilianisch kommt bei Nihal regelmäßig ebenfalls eine klassische Eröffnung (1.e4 e5) aufs Brett. Bevorzugt scheint Nihal inzwischen geschlossene Systeme mit Weiß zu spielen. Das könnte sich aber wieder ändern.

Nihal besitzt vor allem große praktische Qualitäten und lässt sich gelegentlich auf Straßenkämpfe ein. Diese Kampfstärke zeichnet den Inder aus, der gelegentlich jedoch etwas sorglos agiert. Eine weitere Stärke von Nihal ist die Geduld und Zuversicht mit der der Jungmeister zu Werke geht. Nihals Spiel nach der Pandemie gibt ihm sicherlich die Gewissheit, dass er, weitgehende Pandemiefreiheit vorausgesetzt, mit 17 Jahren die schachliche Schallmauer von 2700 durchbrechen und sich in die erweiterte Weltspitze vorschieben kann.

https://de.chessbase.com/post/london-chess-classic-nihal-sarin-gestalkt

 


Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.

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