Reuben Fine: Verhinderter Weltmeister und Psychoanalytiker

von André Schulz
10.10.2019 – Der Höhepunkt von Reuben Fines Schachkarriere war sicher der geteilte Sieg (mit Keres) beim AVRO-Turnier 1938, das als Kandidatenturnier gedacht war. In den Jahren davor hatte Fine bereits eine beeindruckende Serie von Turniererfolgen hingelegt. Der Zweite Weltkrieg verhinderte einen WM-Kampf gegen Aljechin. Heute jährt sich Fines Geburtstag zum 105ten Mal. | Foto: Tartakower, Keres, Fine, Euwe, 1936

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Reuben Fine gehörte über fast 20 Jahre zu den weltbesten Schachspielern. Ohne den Zweiten Weltkrieg wäre er vielleicht Weltmeister geworden.

Fine wurde heute vor 105 Jahren, am 11. Oktober 1914, als Sohn jüdischer Eltern in der Bronx geboren. Seine Eltern waren aus Russland in die USA eingewandert. Seine Mutter zog ihn unter bescheidenen Verhältnissen alleine auf, nachdem der Vater die Familie verlassen hatte, als Fine zwei Jahre alt war. Schach lernte Reuben Fine mit acht Jahren von einem Onkel, zeigte zunächst aber kein besonderes Interesse am Spiel. Als 13-Jähriger gehörte Fine zu den Besuchern des großen New Yorker Turniers von 1927. Möglicherweise war dies die Initialzündung für Fines folgende Schachbegeisterung. Zwei Jahre später trat Fine in den Manhattan Chess Club und den Marshall Chess Club ein und wurde dort zum Dauergast. In den frühen 1930er Jahren spielte Fine aus materiellen Gründen in vielen freien Partien vor allem um Geld. Bald galt er nicht nur in den New Yorker Schachclubs als einer der besten Blitzspieler.

1932 und 1933 gewann Fine die Western (US-) Championships vor Samuel Reshevsy, 1934 teilte er mit seinem Konkurrenten den ersten Platz. Beim Turnier in Pasadena 1932 gelang es ihm schon, Alexander Aljechin ein Remis abzunehmen. 1933 gehörte Fine als 18-Jähriger zur US-Nationalmannschaft bei der Schacholympiade in Folkstone und spielte dort am dritten Brett. Das US-Team gewann die Goldmedaille. Neben dem Schachspielen begann er auch schon mit schachjournalistischen Arbeiten.

1935 reiste Fine nach Europa und legte hier in den nächsten drei Jahren eine beeindruckende Erfolgsserie hin. Er gewann die Turniere in Hastings 1935/36, Oslo 1936 und Zaandvort 1936 und belegte auch bei den Turnieren in Nottingham 1936 (3.), Amsterdam 1936 (1.-2), Hastings 1936/37, sowie 1937 in Stockholm, Moskau (1.), Leningrad (1.), Margate (1./2.), Ostende (1.-3.) und auf dem Semmering- Baden (2.) gute oder herausragende Plätze.

 

1937 gewann er bei der Schacholympiade in Stockholm mit dem US-Team erneut die Goldmedaille, diesmal an Brett zwei.

Als Max Euwe 1937 seinen Revanchekampf gegen Alexander Aljechin spielte, arbeitete Fine als Sekundant für den Titelverteidiger und lebte eine Zeit lang in Amsterdam. Hier lernte er zwei seiner insgesamt wohl fünf (vier?) Ehefrauen kennen. Über die Daten von Fines Ehen gibt es allerdings widersprüchliche Informationen. So soll er seit dem 8. Oktober 1936 in einer sehr kurzen Ehe mit Charlotte Margoshes verheiratet gewesen sein. Im September 1937 heiratete er ebenfalls in den Niederlanden die Reporterin Emma Thea Keesing (geschieden 1944), die Tochter eines Verlegers. 1946 heiratete Fine dann Sonya Lebeaux, mit der er zwei Kinder hatte. Seine letzte Ehe führte er bis zu seinem Tode mit Marcia Fine.

Nach der Rückkehr in die USA 1938 war Fine des Turnierschachs etwas müde und begann am City College of New York ein Studium in Erziehungswissenschaften. Im Herbst 1938 nahm er dann am AVRO-Turnier in Niederlanden teil und erzielte hier mit dem geteilten ersten Platz, zusammen mit Paul Keres, seinen wohl größten Erfolg.

 

 

 

Bei diesem Turnier spielten die besten Spieler der Welt und es war als eine Art Kandidatenturnier gedacht. Der Sieger sollte Alexander Aljechin herausfordern dürfen (wenn er mit diesem über die Bedingungen einig würde). Das Turnier wurde doppelrundig gespielt und Fine gewann seine beiden Partien gegen Aljechin. Wie man weiß, führte aber vor allem Mikhail Botvinnik mit dem Weltmeister Verhandlungen über einen möglichen WM-Kampf, an Keres und Fine vorbei. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges unterbrach aber alle Verhandlungen. Als 1946 der Gesprächsfaden zwischen Aljechin und Botvinnik wieder aufgenommen wurde, starb kurz darauf Aljechin unter mysteriösen Umständen in seinem Exilort in Estoril.

Während des Krieges hatte Reuben Fine mit dem Verfassen von Schachbüchern begonnen. 1939 editierte er die sechste Auflage der Modern Chess Openings, ein englisches Referenzwerk der Schacheröffnungen, erstmals 1911 erschienen. 1941 erschien sein Buch Basic Chess Endings. 1973 erschien sein letztes Schachbuch "Bobby Fischer's Conquest of the World's Chess Championship: The Psychology and Tactics of the Title Match". In dieser Zeit spielte Fine in New York und den USA auch noch ein paar Schachturniere mit. Seit 1941 arbeitete er zudem als Übersetzer und Redakteur für die Federal Trade Commission, dann für die Navy und war dort mit der Untersuchung möglicher Angrifssziele von deutschen U-Booten und japanischen Kamikaze-Fliegern in den USA befasst.

Nach dem Krieg Jahre begann Fine mit der Arbeit als Psychoanalytiker. Er eröffnete eine psychoanalytische Praxis in Los Angelos, die er von 1945 bis 1948 dort führte. An der University of Southern California promovierte er in dieser Zeit in Psychologie.

Die Schauspielerin Jane Nigh mit Reuben Fine, 1945 in Los Angeles | Foto: Life Magazine

Dann kehrte er nach New York zurück, betreute als Psychologe Kriegsveteranen und nahm eine Stelle als Professor am New Yorker City College an. Im Anschluss eröffnete er auch in New York eine Psychoanalytische Praxis.

Nach dem Tode von Aljechin hatte die FIDE die Organisation der Weltmeisterschaften übernommen und lud zu dem Weltmeisterschaftsturnier 1948 in Den Haag und Moskau auch Reuben Fine ein. Dieser hatte sich aber inzwischen endgültig für eine wissenschaftliche Karriere entschieden und verzichtete, unter anderem auch, weil er mit seiner Doktorarbeit beschäftigt war. Zuvor hatte Fine noch an zwei Vergleichskämpfen USA gegen UdSSR teilgenommen (eins als Radiomatch) und gegen Boleslawsky und Keres jeweils 0,5:1,5 verloren.

Nach dem Krieg spielte Reuben Fine noch ein paar Turniere und Wettkämpfe mit. Die FIDE ernannte ihn 1950 zum Großmeister und lud ihn auch noch zum Kandidatenturnier nach Budapest ein. Fine nahm jedoch auch diese Einladung nicht an. 1951 zog er sich dauerhaft vom Turnierschach zurück.

Reuben Fine als Kiebitz am Brett von Jacqueline Piatigorsky in der Partie gegen Irene Vines bei den US Frauenmeisterschaften 1955 | Foto: World Chess Hall of Fame
 

Im Laufe der Zeit veröffentlichte Reuben Fine etwa 20 Bücher zur Psychologie und Psychoanalyse. In einigen Veröffentlichungen analysiert er auch die Psyche der Schachspieler und dichtete diesen dabei leider allerlei Unsinn an. Fine war hochintelligent, hatte vielfache Interessen und konnte sich in sechs Sprachen fließend unterhalten. Zeitgenossen beschreiben den Umgang mit ihm allerdings als schwierig, da er selbstgefällig und gegenüber der Meinung anderer intolerant war.

Seit den 1970er Jahren lebte er in Manhattan. Zum Ende seines Lebens erlitt er mehrere Schlaganfälle. Im Januar 1993 wurde er nach einem Schlaganfall in das Saint Luke’s-Roosevelt Medical Center in Manhattan eingeliefert und starb am 26. März 1993 an einer Lungenentzündung.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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