Rezension zur neuen Chessbase-DVD Nimzowitsch Defence 1.e4 Nc6 mit Andrew Martin
Spannende DVD mit leichten Schwächen im Repertoire
von Markus Reinke
Altmeister Andrew Martin hat soeben eine neue DVD mit Chessbase produziert. Von allen Chessbase-DVD-Autoren ist Andrew Martin einer meiner liebsten. Man merkt ihm seine langjährige Trainererfahrung in all seinen Werken an: Er verliert sich nicht in irgendwelche Nebenvarianten, sondern bleibt immer auf die Hauptideen einer Variante oder Partie fokussiert. So ist der Lerneffekt am höchsten und er schafft es so auch, in sehr kurzer Zeit viele exzellente Partiebeispiele auszuwählen, während andere Autoren in der gleichen Zeit nur einige wenige Partien analysiert bekommen.
So auch auf seiner aktuellen DVD zu einer seltenen, aber spannenden Eröffnung: der Nimzowitsch-Verteidigung mit 1. …Sc6. Schon lange hatte ich auf eine DVD zu dieser Eröffnung gewartet und so zögerte ich nicht 1 Sekunde, sie zu bestellen. Und ich wurde weitestgehend nicht enttäuscht.
Martin hat auch dieses Mal sehr sorgfältig eine stattliche Anzahl an passenden Meisterpartien ausgewählt, die er in seiner gewohnt lockeren und leichtverständlichen Weise präsentiert. Seine Repertoire-Empfehlung beschränkt sich dabei größtenteils auf 2. …d5 – was für mich zugleich auch den 1. Schwachpunkt darstellt. Ich hätte mir eine Gesamtbetrachtung der Nimzowitsch-Verteidigung gewünscht, die auch den Zug 2. …e5 mit einschließt ( nach weißem 2. d4 ). Umso mehr noch, weil Andrew Martin früher mal eine DVD zu dieser Eröffnung herausgebracht hat, wo er eben dieses 2. …e5 genau betrachtet hat – und hier wäre ein modernes Update mit einer Chessbase-DVD mit 6-7 Stunden Umfang ideal gewesen. Außerdem hat Martin früher selbst diese Variante mit Schwarz gespielt.
Als Begründung für das Weglassen des e5-Komplexes nennt er, dass ihn stört, dass Weiß nach 1.e4 Sc6 2.d4 e5 mit 3. Sf3 in Schottisch überleiten kann. Das ist zwar richtig, erscheint mir aber dennoch nicht ganz stichhaltig. Denn zum einen ist Schottisch – zumindest auf Clubebene – sehr selten und zum anderen ist seine 2. …d5-Repertoire-Empfehlung oft auch ein simpler Übergang zu Skandinavisch oder gar Französisch. Aus meiner Sicht einfach sehr schade – e5 fehlt in der DVD einfach, um die Betrachtung der Nimzowitsch-Eröffnung komplett und zu einer runden Sache zu machen.
Auf 1.e4 Sc6 2.Sf3 empfiehlt er auf dieser DVD ebenfalls d7-d5 – und genau hier ist der zweite Schwachpunkt. Diese Abart der Skandinavischen Verteidigung gilt seit langem als unbefriedigend für Schwarz. Weiß spielt einfach auf 2. …d5 weiter mit 3. exd5 Dxd5 4. Sc3 Da5 ( Dh5 geht nicht gut wegen Sb5! ) 5. Lb5! Ld7 6. d4! und Weiß steht in allen Varianten klar besser. Die Dame steht sehr schlecht auf a5, die schwarze Stellung ist sehr passiv und nach kaum zu vermeidenden a6 hat Weiß eine Angriffsmarke gegen den schwarzen König und wird sehr schnell mit a3 und b4 zu starkem Angriff am Damenflügel gelangen.
Möglicherweise hat Andrew Martin auch gewisse Bedenken gegenüber seiner Repertoire-Empfehlung gehabt, denn er gibt noch einen alternativen Aufbau gegen 2. Sf3 an, nämlich 2. …d6 gefolgt von Lg4?!. Doch gilt auch diese alte, schon von Miles angewandte Spielweise als besser für Weiß. Wenigstens ist diese Variante – im Gegensatz zur Erstgenannten – noch spielbar.
Meiner Meinung nach hat Schwarz nur zwei valide Spielweisen auf 2. Sf3, nämlich entweder mit 2. …e5 in die offenen Spiele überzuleiten – immerhin konnte Schwarz dann mit seinem 1. …Sc6 das Königsgambit, die Wiener Partie und das Mittelgambit umgehen. Oder – und das ist meine klare Empfehlung – Schwarz wählt einen pircähnlichen Aufbauf mit 2. …d6 gefolgt von Sf6, g6, Lg7 und fast immer e7-e5. Diese Spielweise empfiehlt FM James Schuyler in seinem guten Buch „The Dark Knight System“. Dass Martin den letztgenannten Aufbau überhaupt nicht behandelt in seiner DVD, empfinde ich als den dritten Schwachpunkt.
Von diesen Schwachpunkten abgesehen, sind die Repertoire-Empfehlungen des Autors jedoch sehr interessant, besonders inspirierend fand ich seinen Tipp auf die bislang als unangenehm geltende Variante 1.e4 Sc6 2.d4 d5 3.Sc3 und nun e6!? mit Überleitung zu einer seltenen, aber doch wohl gut spielbaren Französisch-Variante.
Auf 1.e4 Sc6 2.d4 empfiehlt Martin ebenfalls den klassischen Nimzowitsch-Zug 2. …d5, der hier auch absolut vollwertig ist, weil Schwarz nun – im Gegensatz zur Variante nach 2. Sf3 – in d4 eine Angriffsmarke hat, die er nach Abtausch auf d5 mit Dxd5, Lg4, 0-0-0 und eventuell e7-e5 schnell ins Visier nimmt. Diese Varianten machen einfach Spaß mit Schwarz zu spielen und erlauben auf Club-Ebene gegen einen unvorbereiteten Gegner auch manche Kurzsiege.
Auch seine Partiebeispiele zu 3.e5 Lf5 sind überzeugend. Hier bietet er den Nimzowitsch-Fans einen aggressiven Aufbau mit langer Rochade und f7-f6 an. Und falls Weiß seinen Zentrumsbauern mit f2-f4 stärkt, bietet die untersuchte Partie von GM Rogers mit dem scharfen g7-g5!? gutes Anschauungsmaterial.
Fazit: Wer auf der Suche nach einer neuen Eröffnung ist, wo man mit geringen Theoriekenntnissen interessante, spielbare Stellungen erhält, ist bei der neuen Martin-DVD gut aufgehoben. Lediglich auf 2. Sf3 empfehle ich einen von den DVD- Empfehlungen abweichenden Pirc-Aufbau oder den simplen Übergang in die offenen Spiele mit 2. …e5.
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