Robert Fischer 1970 (II): Das wiederentdeckte Simultan

von André Schulz
19.08.2019 – Im Jahr 1970 spielte Bobby Fischer das letzte Mal für die USA bei einer Schacholympiade mit - in Siegen. Danach gab er in Deutschland zwei Simultanvorstellungen, in Münster und in Solingen. Nun sind vom Simultan in Münster die fast vollständigen Notation und Fotos aufgetaucht - ein Sensationsfund.

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

mit der Hilfe von Vlastimil Hort und Norbert Rauch

Fotos: Norbert Rauch

Robert Fischer (II): Das wiederentdeckte Simultan

Fischers Autogramm, in Münster auf einem weißen Blatt Papier und einigen Notationsformularen hinterlasse.

Die folgende Geschichte schließt an Vlastimil Horts Erinnerungen an die Schacholympiade in Siegen und seine Begegnung mit Robert James Fischer an. Wie berichtet, nutzte Vlastimil Hort die Gelegenheit seiner Hängepartie gegen Robert Fischer, um eine Einladung zu einer Simultanvorstellung auszusprechen. Darum hatte ihn sein Schachfreund Norbert Rauch gebeten, der Vorsitzender des Schachclubs Caissa Münster war. Fischer hatte sich zu dieser Zeit längst einen Namen als "entfant terrible" der Schachwelt gemacht. Jetzt befand er sich in Deutschland, spielte bei der Schacholympiade in Siegen, die vom 5. bis zum 27. September (offizielles Ende) dauerte, im US-Team mit. Fischer vertrat sein Land am ersten Brett. Es war das einzige Mal, dass die beiden besten US-Großmeister, Robert James Fischer und Samuel Resehvsky - die sich beide bekanntlich nicht mochten - gemeinsam bei einer Schacholympiade im US-Team spielten.

Für Fischer war es die letzte Schacholympiade. Versuche des US-Verbandes, ihn 1972 noch einmal zu verpflichten, scheiterten an Fischers finanziellen Forderungen. In Siegen 1970 erreichte Fischer mit 10 aus 13 eines der besten Ergebnisse aller Spieler, trotz der Niederlage gegen Spassky. Lange Zeit wurde bei den Schacholympiaden übrigens nach Brettpunkten gewertet, auch hier, und so gewann das Team der Sowjetunion damals mit 27,5 Punkten und einem Punkten Vorsprung vor Ungarn und 1,5 Punkten Vorsprung vor Jugoslawien die Goldmedaille. Das US-Team wurde Vierter, was für die Amerikaner eine Enttäuschung war. Sie hatten sich eigentlich vorgenommen, mit ihrem Superstar Robert Fischer das Turnier zu gewinnen, doch eine Niederlage in der Vorrunde gegen die DDR und die Niederlage gegen die Sowjetunion in der Endrunde machten diese Hoffnungen zunichte. Nach Mannschaftspunkten gewertet hätte übrigens Jugoslawien gewonnen.

Die Schacholympiade fand übrigens noch vor dem Interzonenturnier von Palma de Mallorca statt, bei dem sich Fischer für die heute legendären Kandidatentenkämpfe qualifizierte und dann Weltmeister wurde. 

Das Simultan bei Caissa Münster

Robert Fischer nahm die von Vlastimil Hort ausgesprochene Einladung an. Angeblich mochte er Simultanvorstellungen nicht, weil er der Auffassung gewesen sei, dass diese seinem Spiel schadeten. Doch im Laufe seiner Karriere hat er doch einige solcher Simultanvorstellungen gegeben und machte auch für Caissa Münster eine "Ausnahme". Fischer sagt nicht nur zu, er machte sogar Abstriche an sein Honorar. Sein Tarif für Simultanvorstellungen damals betrug 400 Dollar. Das kommt uns heute lächerlich wenig vor, aber die Kaufkraft damals war deutlich höher und in der Zeit vor Fischer galten Schachgroßmeister nicht viel. Zudem machten die devisenhungrigen Sowjetspieler die Preise kaputt. Fischers Forderung von 400 Dollar, von der er "aus prinzipiellen Gründen" sonst eigentlich nie abwich, war im Vergleich zu den Tarifen der Kollegen damals sogar eher hoch. Für das Simultan bei Caissa Münster begnügte sich Robert Fischer aber mit einem Honorar von 250 Dollar. Das entsprach damals 550 D-Mark.

Von Fischer signierte Quittung

Die Existenz der Simultanvorstellung bei Caissa Münster war unter Schachhistorikern bekannt, nicht aber die Umstände, unter denen sie stattgefunden hat. In John Donaldsons Buch "Bobby Fischer in Action: Simultaneous Exhibitions and Blitz Games" spekuliert der Autor über den Zeitpunkt der Simultanvorstellung und kommt der Wahrheit zumindest sehr nahe, wenn er glaubt, sie könne zwischen dem 26. und 28. September stattgefunden haben. Tatsächlich fand sie am 27. September, einem Sonntag, statt. Von den gespielten Partien fand Donaldson bei seinen Nachforschungen nur die Notation der Partie von Bobby Fischer gegen Ferdinand Middendorf, die ein Jahr später, am 19. März 1971 in der Stuttgarter Zeitung abgedruckt wurde. Zudem fand John Donaldson bei seinen Recherche einen Artikel von Günter Langhanke in den Westfälischen Nachrichten online, mit der Adresse

http://westfaelische-nachrichten.de/lokalsport/kreis_steinfurt/rheine/242096_Schach_Der_Mann_der_Bobby_Fischer_eine Niederlage_beibrachte.html

Dieser Artikel scheint heute nicht mehr verfügbar zu sein.

Langhanke hatte Fischer in seinem Hotel in Solingen um 15 Uhr abgeholt und ihn dann per Bahn nach Münster begleitet. Er erinnerte sich, dass das Personal im Hotel zögerte, Fischer um diese Zeit auf seinem Zimmer zu stören. Offensichtlich hatte der Weltmeister in spe sich im Hotel schon einen Ruf erworben.

Bobby Fischer kommt, Simultan 1970 bei Caissa Münster

... und nun ist er da

Fischer erlaubte 20 Spieler als Gegner, mehr auf keinen Fall. Für die Spielstärke der Gegner setzte er kein Limit und rechnete durchaus mit spielstarker Gegnerschaft. Die bekam er auch. Die Organisatoren erhoben von den Teilnehmern eine Startgebühr von 25 Mark. Die Summe der Startgebühren deckten also in etwa die Kosten.

Das Simultan fand unter großem Zuschauerandrang - etwa 100 Zuschauer drängelten sich um die Bretter - und breiten Interesse der Presse am 27. September 1970 im Großen Festsaal der Hauptbahnhofsgaststätte Münster statt. Um 18 Uhr begann Robert James Fischer mit der Arbeit. Fischer spielte abwechselnd mit Weiß und Schwarz.

Alle Fotos, von Papier eingescannt, stammen aus dem Besitz von Norbert Rauch.

Die Spieler sind bereit

Die ersten Züge

Das Simultan hat begonnen. Viele Zuschauer sind gekommen

Der Meister zieht seine Runden

Es durfte noch geraucht werden! Das ist die Partie gegen Ullrich Nehmert.

Ferdinand Middendorf kommt in den Genuss eines Springeropfers auf e6

Fischer benötigte für die 20 Partien drei Stunden, was für seine Verhältnisse lange war. Denn Fischer galt als schnellster Simultanspieler überhaupt.

Das Ergebnis war für Fischer allerdings nicht besonders gut. Er verlor gegen Budt (Bünde), Langhanke (Caissa Münster), Lentze (Münster 32) und Dr. Poeschel (Münster 32). Gegen Nehmert spielte er remis. Die übrigen 15 Partien gewann Robert Fischer.

Auf einigen Notationszetteln hinterließ er seine Unterschrift, nicht immer akkurat.

Von Münster reiste Fischer nach Solingen und gab dort am 29. September 1970 eine weitere Simultanvorstellung, organisiert von Egon Evertz, wieder gegen 20 Gegner. Auch in Solingen stieß Fischer auf harten Widerstand und verlor gleich fünf Partien, gegen Dr. Manfred Christoph, Ulrich Dresen, Karl-Heinz-Bachmann, Albert Nowak und Lothar Drehen. Dr. Christian Clemens, H. Bergfeld und Helmut Merckel holten beim Solinger Simultan ein Remis. In Solingen befand sich Fischer in Begleitung von Miguel Quinteros und erhielt 400 Dollar Antrittsgeld.

Während man sich in Solingen später über das unhöfliche Verhalten von Fischer beschwerte, behielt man ihn in Münster in guter Erinnerung. Fischer hatte bei Caissa Münster nichts auszusetzen und verhielt sich höflich und vorbildlich. Am Ende dankte der US-Amerikaner für die Einladung und versprach:  "I come back. It was first class."

Fischer signiert ein Formular

Norbert Rauch, Initiator und Organisator des Fischer-Simultans, ließ die Fotos machen und sammelte die Partieformulare ein. Dann packte er die Dokumente, inklusive einiger Autogramme von Robert James Fischer und eine Reihe von Zeitungsartikel, die an den folgenden Tagen in der Lokalpresse erschienen, in einen Aktenordner. Diesen bewahrte er auf. Bis heute, fast 50 Jahre lang.

Vor kurzem trafen sich Vlastimil Hort und Norbert Rauch bei einem Seniorenturnier wieder und schwelgten in Erinnerungen: "Ja damals, das Simultan mit Bobby Fischer." Gemeinsam erinnerten sie sich daran. Und Norbert Rauch fiel wieder ein, dass er alle Unterlagen noch bei sich im Schrank stehen hatte. Danke des Boten Vlastimil Hort  - diesmal als Odysseus und Hermes der Schachgeschichte gleichermaßen - sind sie nun hier für alle Schachfreunde verfügbar!

Die Partien des Simultans

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren