In ihrer Februarausgabe berichtet die Zeitschrift Schach über folgende Veranstaltungen und Themen:
Turniere I: Sitges, Chennai, Chartres, Rouen, Blitz- und Schnellschach-Weltmeisterschaft
Turniere II: Toronto, Rosenheim, Blitz- und Schnellschach-Europameisterschaft, Zürich, Schwäbisch Gmünd
Erlesene Geschichte(n) XXVII: Ungarn
Herren-Bundesliga, 5./6. Runde
Fragebogen: Vlastimil Hort
Nachruf: Egbert Meissenburg
Kombinationsschule, Problemschach, Nachrichten
Mitarbeiter dieser Ausgabe: Wladimir Barski, Vitaly Kunin, Mihail Marin, Franz Pachl, Michael Prusikin, Siegfried Schönle, Frank Zeller
Die Zeitschrift Schach erscheint im Excelsior-Verlag, der 1999 aus dem einstigen DDR-Sportverlag hervorgegangen ist. Das Schachmagazin wurde erstmals 1947 in der DDR veröffentlicht und nach 1990 zu einem anspruchsvollen deutschsprachigen Schachmagazin weiterentwickelt.
Anlässlich seines 80sten Geburtstag am 13. Januar beantwortete Vlastimil Hort die Schachfrage auf S. 64 des Magazins.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
Vlastimil Hort
In unserer letzten Ausgabe haben wir sein neuestes Buch vorgestellt, nun feierte er am 12. Januar seinen 80. Geburtstag! Höchste Zeit, der tschechisch-deutschen Schachlegende unseren Fragebogen vorzulegen! Fragt man »Vlasti«, ob er seinen tschechischen Akzent trotz der inzwischen 40 Jahre in Deutschland absichtlich, da »verkaufsfördernd«, beibehalten hat, lächelt er verschmitzt. Von ihm kreierte Bonmots wie »Verstähst du?« oder »Das ist gägän Rägel!« zählen bis heute zu den geflügelten Wörtern in der deutschen Schachszene.
In den 1960er und 70er Jahren gehörte Hort zur erweiterten Weltspitze, später wurde er dem deutschen Publikum dank der WDR-Fernsehsendung Schach der Großmeister (1983-2005) auch über den Tellerrand der 64 Felder hinaus bekannt. Er lebt mit seiner Frau Brigitte in Eitorf im Süden Nordrhein-Westfalens, aus erster Ehe stammen Sohn Daniel und Enkelsohn Adam.
1. Wo möchten Sie im Moment gerne sein?
Ich wäre gerne mal wieder in Prag, wo ich bis in die 1980er Jahre hinein die erste Hälfte meines Lebens verbracht habe.
2. Was würden Sie tun, wenn es ab morgen absolut kein Schach mehr in Ihrem Leben geben würde?
Ich würde versuchen, spannende Kriminalromane zu schreiben. Davon kann es nie genug geben.
3. Wer ist Ihrer Meinung nach die a) am meisten über- und die b) am meisten unterbewertete Persönlichkeit der Schachgeschichte?
a) Michail Botwinnik.
Aber unpopulär ist bei mir eher Mark Taimanow. Damit meine ich weniger die bekannte Geschichte, dass er in der letzten Runde des Interzonenturniers in Palma de Mallorca 1970 den Punkt von Matulovic gekauft und sich damit in die Kandidatenmatches gemogelt hat.
Als schlimmer habe ich unsere Begegnung in der letzten Runde des Hoogovens Turniers in Wijk aan Zee 1970 empfunden. Er führte vor der letzten Runde mit einem halben Punkt vor mir. Vor der Partie bot er Remis an, aber mir war der zweite Platz sicher, also wollte ich auch mit Schwarz auf Gewinn spielen. Das ging ziemlich in die Hose und ich stand sehr schnell sehr schlecht. Trotzdem bot er mir während der Partie noch zweimal Remis, aber ich habe lieber verloren. Es hat mir nicht besonders gut gefallen, dass Taimanow später zu den wunderbaren Vergleichskämpfen von van Oosterom zwischen jungen Damen und Veteranen eingeladen wurde, zumal er da kaum noch Punkte holte. Und dass er 1.000 US-$ monatliche Rente von der FIDE bekam ..., da hätte es sicher bedürftigere betagte Großmeister gegeben. Aber naja, er konnte wunderbar Klavier spielen und man könnte auch argumentieren, dass er mit dem, was die Sowjets mit ihm nach seinem 0-6 gegen Fischer gemacht haben, genug gestraft war.
b) Der ewige Zweite, Paul Keres.
Ein Gentleman durch und durch, zu ihm habe ich stets aufgeschaut! Ich fühlte mich ein bisschen wie sein schachlicher Ziehsohn. Beim Interzonenturnier in Petropolis 1973 ging es ihm gar nicht gut, die Gicht plagte ihn sehr. ›Ich kann nicht spielen‹, sagte er mir, und wir vereinbarten ein schnelles Remis. Ich habe ihn auch noch in Tallinn 1975 erlebt, seinem ›Schwanengesang‹ (Keres starb im Juni 1975, d. Red.). Er spielte ein starkes Turnier und gewann vor Spasski. Ich verlor wieder gegen Taimanow, was mir gar nicht schmeckte, aber Paul Petrowitsch hat mich gerächt. ;-) Nach unserer Partie nahm er mich mit zu sich nach Hause und zeigte mir bis in die frühen Morgenstunden seine Studien.
Ich habe ihn auch gefragt, ob er 1948 gegen Botwinnik verlieren ›musste‹. Auf ein Gespräch über dieses Thema ließ er sich allerdings nie ein, ich hörte weder ein ›ja‹ noch ein ›nein‹. Wahrscheinlich musste er, denke ich.
4. Nennen Sie eine schachliche Begebenheit – selbst erlebt, gelesen oder gehört, gestern oder vor hundert Jahren, eine Partie, ein bestimmtes Verhalten, ein Kommentar etc. –, die einen besonders nachhaltigen Eindruck bei Ihnen hinterlassen hat!
Zeitlebens haben mich die außergewöhnlichen und auf den ersten Blick häufig bizarren Züge von David Bronstein fasziniert. Er war zwanzig Jahre älter als ich, aber unsere Wege haben sich häufig gekreuzt und wir haben zahlreiche Partien ausgefochten.
Von den sowjetischen Großmeistern hat er in dem Wettkampf zwischen Prag und Moskau 1946 das beste Resultat erzielt. Ich entsinne mich an seinen Sieg gegen die damalige Nr. 1 der
Tschechoslowakei, Ludìk Pachman.
5. Welche Themen möchten Sie in der Schachöffentlichkeit/Schachpresse stärker behandelt wissen?
Ich habe im Schach so viel erlebt, gesehen, gehört und gelesen – mir qualmen immer noch die Ohren davon. Die aktuelle Berichterstattung verfolge ich kaum noch. Inzwischen sitzen ja vorwiegend meine Enkel und Urenkel am Brett.
Was ich schätze, sind die Beiträge auf ChessBase! Die machen alles richtig, da gucke ich öfter mal rein.
6. Was möchten Sie in Ihrem Leben unbedingt noch erlernen bzw. bedauern, es nie erlernt zu haben?
Ich habe mich leider zu wenig mit der Schachtheorie beschäftigt, sprich, zu wenig tief analysiert, was damals noch eine Knochenarbeit war. Ich lag lieber auf der faulen Haut.
Heute schaltet man den Computer an und der übernimmt den Großteil der Arbeit. Aber natürlich ist mir klar, dass die Dinge damit nur scheinbar einfacher geworden sind.
7. Was ist Ihnen peinlich?
Ich spiele für den Oberhausener SV in der NRW-Liga. Es ist mir überaus peinlich, wenn ich eine Figur einstelle und meine Mannschaft dadurch verliert. Da hilft es leider auch absolut
nichts, wenn mir jemand sagt, dass das in meinem Alter entschuldbar sei!
8. Welche Art von Humor mögen Sie? Nennen Sie ein Beispiel (einen Komiker oder Autor,
einen Film, eine Situation oder einen Aphorismus etc.).
Das ist nicht schwer, da fällt mir doch gleich Der brave Soldat Schwejk ein! »Bildung wirkt auf die Veredelung der Seele, und das kann man beim Militär nicht brauchen.«
Nach der russischen Okkupation 1968 kursierte der folgende Witz in Prag: »Was wäre, wenn die Läuse leuchten könnten wie Glühwürmchen? Moskau würde leuchten wie Las Vegas!«
9. Was gefällt Ihnen an sich und was missfällt Ihnen an sich?
Mir gefällt, dass ich in fast allen Lebenslagen meinen Humor nicht verliere. Dagegen hadere ich häufig mit meinem Pessimismus. Ja, das eine schließt das andere nicht aus!
10. Welchen Missstand würden Sie in Ihrem Land beseitigen, wenn es in Ihrer Macht stünde?
In Tschechien, meinem Heimatland, würde ich unbedingt den politischen Einfluss von Andrej Babis unterbinden wollen. Er steht im Verdacht, korrupt zu sein, und versucht, Wahlen zum Beispiel mit Rentenerhöhungen zu manipulieren. In Deutschland hoffe ich darauf, dass die Ampel-Regierung endlich einen vernünftigen Umgang mit der Migration zustande kriegt.
11. Wer sind Ihre Helden in der Gegenwart?
Alle Menschen, die täglich ihre Arbeit leisten und die Last der Gesellschaft auf ihren Schultern tragen, wie zum Beispiel die Pflegekräfte.
12. Welche Frage würden Sie gerne gestellt bekommen und wie lautet die Antwort darauf?
Was machen Sie mit Ihren vier Katern? Ja, wir haben vier Kater zu Hause! Zwei hatten wir
schon immer und zwei sind uns zugelaufen. Leider vertragen sie sich untereinander nicht besonders gut, einen »neuen« müssen wir komplett wegsperren, sonst gibt es Mord- und Totschlag. Eine Antwort auf diese drängende Frage haben wir noch nicht gefunden.
13. Welche drei Bücher können Sie empfehlen?
Agatha Christie – alles
Erich Maria Remarque Im Westen nichts Neues und alles andere von ihm auch
Milan Kundera Der Scherz
14. Welches ist die interessanteste Schachpartie, die Sie je gespielt haben?
Mit dieser Frage haben Sie mir einen ordentlichen Schrecken eingejagt! Denn spontan fiel mir meine Begegnung mit David Bronstein beim Interzonenturnier in Petropolis 1973 ein. Einmal, weil ich ihn, wie oben erwähnt, so verehrt habe, und zum anderen, weil ich ihn in Brasilien in einer interessanten Partie besiegen konnte. Er passte nicht auf und ich luchste ihm mit einem Doppelangriff einen wichtigen Bauern ab. Er war damals immer noch sehr stark und spielte in diesem Turnier seine phantastische Aljechin- Partie gegen Ljubojevic.
Aber warum bin ich erschrocken? Es ist paradox: in meinem neuen Buch über Meine unvergessenen Partien habe ich diese völlig vergessen! Ja, warten Sie’s ab: mit knapp 80 ändert sich die Bedeutung von »unvergessen«!
15. Welche Spieler würden Sie zu einem Turnier einladen und nach welchem Modus würde dieses ausgerichtet werden, wenn ein Sponsor Sie mit der Ausrichtung eines Turniers beauftragen würde?
Ich würde alle Großmeister meiner Generation, die noch auf diesem Planeten weilen, zu einem geschlossenen Turnier mit klassischer Bedenkzeit einladen: Darga, Hecht, Hübner, Mecking, Olafsson, Pfleger, Plachetka, Portisch und Spasski. Und damit die Zahl »12«, mein Geburtstag, erreicht wird, von der jüngeren Generation dazu noch Anand und Kramnik.
16. Auf welche eigene Leistung sind Sie besonders stolz und warum?
»Stolz« ist ist nicht das richtige Wort, aber ich bin sehr froh darüber, dass ich die Möglichkeit hatte, unser Spiel mit dem Schach der Großmeister im WDR zusammen mit Claus Spahn und Helmut Pfleger einem breiten Publikum näher bringen zu dürfen. Bei all meinen Aktivitäten war es immer wichtig für mich, Schach unterhaltsam zu präsentieren und damit
zu seiner wachsenden Popularität beizutragen.
17. Mit wem würden Sie gerne einen Tag lang tauschen und warum?
Die Idee kam mir erst kürzlich: Mit einer perfekten Hausfrau!
18. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal getan und was?
Meine Frau hat sich vor kurzem das Handgelenk gebrochen und ich musste zum ersten Mal in meinem Leben im Haushalt einspringen. Das hat mir die Augen geöffnet!
19. Wie sehen Sie das Verhältnis des klassischen Turnierschachs am Brett zu Blitz und Rapid bzw. auch den Online-Angeboten und Hybrid? Wie sind Ihre persönlichen Präferenzen?
Am liebsten ist mir nach wie vor das klassische Schach am Brett. Aber auch Rapid und Blitz machen mir Freude. Online-Schach hasse ich wie die Pest!
20. Aktuelle Frage: Wenn Ihr Schachleben, Ihre gesamte Karriere, noch einmal vor Ihnen liegen würde, was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen?
Ich würde alles wieder genauso machen! Okay, vielleicht etwas weniger Alkohol und mehr Sport. Ah, schon wieder etwas vergessen ... Ein bisschen mehr Theorie büffeln eventuell ;-)
Aber: Je ne regrette rien!