UNTERIRDISCHES
SCHACH MAL RICHTIG KLASSE -
BEIM "SCHACH IM SCHACHT" IM ERZGEBIRGE:
AB IN DIE GRUBE MIT DEN (SCHACH-)KÖNIGEN ...
Von Dr.René Gralla
Das ist eine echte Premiere gewesen in der deutschen Schachszene: Zum ersten Mal
wurde ein komplettes Turnier unter die Erde verlegt. Um ihr 150-jähriges
Gründungsjubiläum zu feiern, haben die Denksportfans in Annaberg-Buchholz/Erzgebirge ein
Blitz-Open im Besucherbergwerk "Markus-Röhling-Stolln" organisiert. Den
verrückten Wettbewerb "Schach im Schacht" hatte sich der IT-Berater Ronald
Wilhelm ausgedacht. Im ChessBase-Gespräch mit dem Hamburger Autor Dr. René
Gralla zieht der 55-jährige eine Bilanz dieser unterirdischen Aktion - wobei
sich das Attribut allein auf die Lage des Spielsaals bezieht. Über dem türmten
sich nämlich Respekt einflößende 100 Meter Gestein.
DR. RENÉ GRALLA: Schach in der Grube – da muss man erst einmal drauf kommen!
RONALD WILHELM: Bei uns im Klub gibt der lettische Großmeister Zigurds Lanka
regelmäßig Trainingsstunden. Neben Schach stehen die Attraktionen der Umgebung
auf dem Programm, und deswegen sind wir irgendwann auch in den
Markus-Röhling-Stolln eingefahren. Und GM Lanka war dermaßen begeistert, dass
die Idee geboren worden ist: Hier veranstalten wir ein Schachturnier. Und mit
unserem Gründungsjubiläum hat sich jetzt endlich der passende Anlass geboten.
Dr. R.GRALLA: Obwohl Bergbau ja primär etwas für Arbeiter der Faust ist – im
Gegensatz zum eher schöngeistigen Schachspiel!
R.WILHELM: Klar, die Leute, die unter Tage richtig schuften mussten, die Knappen
oder Hauer, die haben es schwer gehabt, und nach Feierabend blieb wohl kaum
mehr Kraft für andere Aktivitäten. Andererseits sind gerade im
Markus-Röhling-Stolln während der Jahrhunderte, als dort Silbererz gefördert
wurde, riesige Schöpfräder zur Entwässerung installiert worden, und das
hat jeweils mehr als 50 Jahre gedauert, bis ein entsprechendes Ding fertig war.
Die Planung hat demnach eine unglaubliche Präzision erfordert – nicht zuletzt,
weil derjenige, der den ersten Entwurf gezeichnet hatte, nach 50 Jahren schon
längst nicht mehr unter den Lebenden weilte - , und das begründet nun doch eine
innere Verbindung zum Schach, das ebenfalls präzise Planung verlangt.
DR. R.GRALLA: Überdies hat es in der Region eine aktive Arbeiterschachbewegung
gegeben …
R.WILHELM: … das ist richtig. Wobei der Ehrlichkeit halber eingeräumt werden
muss, dass die Leute, die den Schachclub Annaberg-Buchholz gegründet und seinen
Geist geprägt haben, der Schicht der lokalen Honoratioren entstammten. Das waren
Fabrikanten, Lehrer oder Ärzte. In Annaberg selber ist das Arbeiterschach erst
relativ spät präsent gewesen, nämlich ab 1928, und nach ihrer Machtergreifung
1933 haben die Nazis das im Zuge der Gleichschaltung sofort wieder beendet.
DR. R.GRALLA: Zum Turnier eingefahren in den Schacht sind 61 Schachfans. Die
jüngste Teilnehmerin war dem Vernehmen nach gerade mal sieben Jahre alt.
R.WILHELM: Korrekt, sie heißt Luise Schnabel und ist mit Vater und Bruder eigens
aus Berlin angereist. Der älteste Teilnehmer war der
72-jährige Schachfreund Heinz Bunk aus Chemnitz.
DR. R.GRALLA: Beim Turnier bestand sicher Helmpflicht?
R.WILHELM: Nur während der Einfahrt mit der Grubenbahn.
DR. R.GRALLA: Wo haben Sie die Schachbretter aufgebaut?
R.WILHELM: Im ehemaligen Maschinenraum, der nach dem Zweiten Weltkrieg unter der
Ägide der SDAG Wismut angelegt worden ist, als in Annaberg-Buchholz
kurzfristig nach Uran gegraben wurde.
DR. R.GRALLA: Sind die Wände des Spielsaals verschalt oder sonstwie gesichert
gewesen?
R.WILHELM: Nein, das ist der blanke Fels. Und es hat auch von der Decke
getropft, und zwar ausgerechnet an der Stelle, wo mein Computer stand, mit dem
ich die Rundenpaarungen bestimmt habe. Es gibt kein Vertun, der Berg lebt!
DR. R.GRALLA: Vermutlich gab es manch bangen Blick nach oben?
R.WILHELM: Das ist mir nicht aufgefallen.
DR. R.GRALLA: Auf jeden Fall war es bestimmt recht frostig im Stollen!
R .WILHELM: Die aktuellen Wintertemperaturen draußen sind deutlich frischer,
unter Tage herrschen konstant zwischen acht und zehn Grad plus. Abgesehen davon
hat sowieso niemand gefroren, wir standen schließlich alle unter Dampf, dafür
sorgte der Blitzmodus des Turniers, 5 Minuten pro Spieler und Partie. Durch
unsere Eigenwärme haben wir den Raum tüchtig aufgeheizt, das waren gefühlte 13
Grad, mindestens!
DR. R.GRALLA: Haben Sie die Spieler hinterher mit dem Geigerzähler untersucht?
R .WILHELM: Weil hier früher mal Uran abgebaut worden ist?! Nein, heute strahlt
nichts mehr. Vergessen Sie nicht, dass die Wismut bereits nach zwei Jahren den
Schacht wieder aufgab, weil die Ausbeute einfach zu gering gewesen ist.
DR. R.GRALLA: Wird es 2013 eine zweite Auflage von "Schach im Schacht" geben?
R.WILHELM: Viele haben mir hinterher gesagt, dass ich sie für das nächste
Jahr unbedingt vormerken soll.