Als das Abschneiden der deutschen Schachnationalmannschaft noch in der Bildzeitung kommentiert wurde
Von Roger Lorenz
Heutzutage Schach in den allgemeinen Medien zu platzieren ist äußerst schwierig. Davon weiß auch der Pressewart meines Vereins SC Bonn Beuel ein Lied zu singen. Er schafft es kaum noch, Berichte von unseren Mannschaftskämpfen – immerhin NRW-Klasse – in der lokalen Tageszeitung veröffentlicht zu bekommen.
Früher war natürlich alles besser. Aber die Tatsache, dass früher das Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft sogar den Springerzeitungen eine Meldung wert war, hat mich dann doch überrascht. Beim Blättern in einer alten Deutschen Schachzeitung von 1971 bin auf folgenden Artikel gestoßen [Reiber1971]::
Der Artikel hat dann sofort meine Neugier geweckt. Zeitungsartikel über das schlechte Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft kannte ich bisher nur vom Fußball.
Also habe ich versucht, die beiden in dem Artikel referenzierten Ausgaben zu bekommen. Über Google sind sie nicht zu finden. Als nächstes habe ich dann das Archiv des Springer Verlags kontaktiert. Die Mitarbeiter dort waren sehr nett und boten mir Kopien der Zeitungen an. Leider wäre dafür eine Servicegebühr von 80€ fällig geworden. Das war mir zu teuer.
Glücklicherweise gelang es mir dann, eine weitere Quelle aufzutun, das Institut für Zeitungsforschung in Dortmund.
Das Institut bietet auf der Homepage einen Katalog an, auf dem man die gewünschten Zeitungen recherchieren kann. Ist man fündig geworden, kann man sich einen Recherchearbeitsplatz reservieren und die gewünschten Zeitungen einsehen und Kopien machen.
Das habe ich dann, als ich privat in der Gegend war, gemacht. Und so stand ich dann vor dem Eingang des Instituts, das in der Stadt- und Landesbibliothek direkt am Hauptbahnhof Dortmund untergebracht ist.
Meine vorbestellten Zeitungen lagen für mich schon im Mikrofilmformat bereit. Das Einfädeln der Filme in den Scanner ist für einen Grobmotoriker eine Herausforderung, die ich aber schließendlich erfolgreich meisterte.
Das Arbeiten mit Mikrofilmen kannte ich bisher nur aus alten Filmen, wo der heldenhafte Privatdetektiv oder der investigative Zeitungsreporter in alten Zeitungsarchiven den entscheidenden Hinweis zur Lösung eines Falls auf diese Art findet. Anders als in den alten Filmen sind die Lesegeräte heute direkt an einen PC angeschlossen, an dem man auch direkt die gewünschten Seiten auf seinem mitgebrachten USB-Stick speichern kann.
Über den PC steuert man dann auch das Vor- und Zurückspulen der Mikrofilme. Da die Zeitungen auf den Filmen chronologisch sortiert gespeichert sind, dauerte es auch nicht lange, die gewünschte Ausgabe – in diesem Fall die Bild vom 20.12.1970 – zu finden.
Hat man erstmal die richtige Ausgabe gefunden, dann gelangt man auch sehr schnell zu den gewünschten Artikeln (links Die Welt vom 25.04.1971 und rechts die Bild vom 20.12.1970).
Worum ging es in den Artikeln?
Die beiden Artikel beschäftigen sich mit unterschiedlichen Sachverhalten. Während der Bildartikel vom 20.12.1970 sich mit Robert Hübner beschäftigt, hat der Weltartikel vom 25.04.1971 das Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft beim Claire Benedict Cup 1971 in Spanien zum Inhalt. Schauen wir uns die beiden Artikel genauer an.
Als ein Herr Nichts Herrn Alles schlug (Bild 20.12.1970)
In dem Artikel werden den Verantwortlichen im Deutschen Schachbund zwei Vorwürfe gemacht. Zum einen, dass der Schachbund dafür verantwortlich ist, dass Robert Hübner nicht an der Schacholympiade in Siegen 1970 teilgenommen hat. Und zum anderen wird kritisiert, dass der Schachbund Robert Hübner für das Interzonenturnier in Palma de Mallorca keinen Sekundanten zur Seite gestellt hat.
Der zweite Vorwurf wird von Hajo Hecht [Hecht1971a] bestätigt. Er war besagter Sekundant von Hübner im Interzonenturnier und berichtet, dass seine Kosten ausschließlich von der SG Porz (wahrscheinlich vom Schachfreund Wilfried Hilger) getragen wurden.
Bezüglich des ersten Vorwurfs äußert Hecht in einem Interview [Chessbase2005], dass er auch nicht weiß, warum Hübner in Siegen nicht teilgenommen hat. Laut Ludwig Rellstab [Rellstab1970] waren Hübner und Pfleger aus beruflichen Gründen verhindert. Diese Aussage würde ich – zu mindestens bezüglich Hübner - anzweifeln. Hübner (Jahrgang 1948) hatte nach dem Abitur ein Studium angefangen, dass er 1976 mit der Promotion abschloss. Da kann ich an berufliche Gründe nicht so recht glauben.
Die Vorwürfe in dem Artikel sind also mindestens zu 50% korrekt. Aber den Verantwortlichen im Deutschen Schachbund komplette Ahnungslosigkeit zu unterstellen, ist kein guter Stil.
Deutschlands Schachspieler sind schlechter als die Hollands, Englands, Spanien Österreich und nur ein klein wenig besser als die der Schweiz (25.04.1971)
Hintergrund ist die 18. Ausgabe des Claire-Benedict-Turniers, das im März 1971 in Madrid ausgetragen wurde [Hecht1971b]. In der Tat wurde Deutschland Vorletzter in diesem Turnier für Nationalmannschaften und musste sogar in der Schlussrunde hart kämpfen, um die Schweizer noch abzufangen.
Die Deutschen Farben haben damals in Madrid Hecht (2,5/5), Mohrlock (3/5), Klundt (1,5/4), Schiffer (1,5/4) und Heilemann (0/2) vertreten. Sicherlich insbesondere an unteren Brettern kein gutes Ergebnis. Aber die Aussage in dem Artikel, der Deutsche Schachbund wäre unfähig eine starke Mannschaft zu einem solchen Turnier zu schicken und der vorletzte Platz wäre eine Blamage, empfinde ich als äußerst unsachlich. Das Claire-Benedict-Turnier war ein Turnier zur Nachwuchsförderung. Und da ist es ganz natürlich, dass es dort auch mal zu schwächeren Ergebnissen kommt. Außerdem war kurz vorher in Siegen die Schacholympiade gewesen, wo die Deutschen Spitzenspieler, die bis auf Hecht alle keine Profis waren, sicherlich eine Menge Urlaub und Kraft verbraucht hatten.
Anbei noch die vier in dem Artikel aufgeführten Partien mit ein paar Kommentaren ergänzt:
Wer hat die Artikel geschrieben?
Als Autor des Bildartikels ist Frank Waligora angegeben. Er war ein starker Schachspieler, der u.a. mit Hamburg 1964 an der Endrunde der Deutschen Mannschaftsmeisterschaften teilgenommen hat. Des Weiteren hat er 1989 ein Schachbuch herausgebracht [Waligora1989].
Bei dem Artikel der Weltzeitung fehlt die Angabe des Autors, eine Tatsache, die auch in dem Artikel in der deutschen Schachzeitung aufgegriffen wird. Es war auf jeden Fall nicht der heutige Betreuer der Schachspalte in der Welt Helmut Pfleger, der diese erst in den neunziger Jahren übernommen hatte [DSBa] (im Gegensatz zu der Schachspalte in der Zeit, die Pfleger schon seit den siebziger Jahren betreut).
Der Artikel in der deutschen Schachzeitung wurde von Klaus Peter Reiber verfasst. Er war 1971 der Pressewart des Deutschen Schachbunds, Mitglied des Zentralkomitees der FIDE und 1. Vorsitzende des Hamburger Schachverbandes [DSBb].
Schlussbemerkung
Die beiden vom Schachfreund Reiber kritisierten Artikel in der Bild und der Welt waren sicherlich nicht so skandalös, wie sich nach dem ersten Lesen des Artikels in der deutschen Schachzeitung anhörten. Insbesondere aber bei dem Welt-Artikel kann ich die Aufregung innerhalb des Deutschenschachbunds schon verstehen.
Mir persönlich hat es auf jeden Fall großen Spaß gemacht, die beiden Artikel zu recherchieren. Das Arbeiten mit den Microfilmen hat – wie auch das Lesen in den alten Zeitungen – Erinnerungen an lang zurückliegenden Zeiten geweckt. Leider konnte ich in dem Artikel nicht alle Aufnahmen und Kopien verwenden, die in Dortmund gemacht hatte. Daher habe ich sie auf Instagram abgelegt. Der interessierte Leser findet sie unter folgenden Links:
Reinschauen lohnt sich. Man findet dann u.a. Fittnesstipps des damals 67 jährigen Jopi Heesters (müssen gut sein, denn der Mann ist 108 Jahre alt geworden) und das damalige Sonntagabend Fernsehprogramm (Spoiler: nur zwei Programme zur Auswahl).
Anmerkung der Redaktion: Auf Nachfrage hat Robert Hübner über sein Fehlen bei der Schacholympiade in Siegen Aufschluss gegeben. Er sollte dort mitspielen, wollte aber nicht. Dafür gab es eine Reihe von Gründen, die in ihrer Summe den Ausschlag gaben. Zum Einen war dort für den Deutschen Schachbund Willi Fohl aktiv. Fohl war in jener Zeit das einzige ausführende Organ im Deutschen Schachbund und auch als Turnierleiter ehrenamtlich tätig. Allerdings war er im Umgang mit den Spielern wenig sensibel. Robert Hübner hatte mit Fohl schon einige (negative) Erfahrungen gemacht und ihm in seinem Turnierbuch "Büsum 1968" in lebendigen Schilderungen ein literarisches Denkmal gesetzt. Robert Hübner sollte am ersten Reservebrett spielen und da die Schacholympiade 1970 noch mit Vorgruppen gespielt wurde, musste der aufstrebende Großmeister damit rechnen, an seinem Brett eine Reihe von sehr schwachen Gegnern zu bekommen, was sportlich wenig einladend war. Auch der Austragungsort Siegen, unweit von Köln, war kein besonders attraktives Reiseziel. Schließlich ließen auch seine Verpflichtungen an der Universität Hübner nur begrenzt Zeit für Schachturniere. Und da er 1970 noch am Interzonenturnier in Palma de Mallorca mitspielen würde, wollte Robert Hübner sich lieber auf dieses Turnier konzentrieren (Hübner qualifizierte sich mit dem 2. bis 4. Platz für die Kandidatenkämpfe. Das Turnier gewann R. Fischer, der in diesem Zyklus Weltmeister wurde.).
Verwendete Quellen
[Chessbase2005]: Siegen , Siegen 1970 | ChessBase
[DSBa]: SCHACH IN DER WELT AM SONNTAG, Schach in der WELT am Sonntag - Deutscher Schachbund - Schach in Deutschland
[DSBb]: KLAUS-PETER REIBER, Klaus-Peter Reiber | Person der Schachzeitgeschichte - Deutscher Schachbund - Schach in Deutschland
[Hecht1971a]: Hecht, Hans-Joachim: Briefe aus Mallorca, Deutsche Schachzeitung 1971, Seite 8 (Januar)
[Hecht1971b]: Hecht, Hans-Joachim: Die jungen Niederländer, Deutsche Schachzeitung 1971, Seite 152 (Mai)
[Reiber1971]: Reiber, Klaus Peter: Hier spricht der deutsche Schachbund, Deutsche Schachzeitung 1971, Seite 227 (Juli)
[Rellstab1970]: Rellstab, Ludwig: XIX. Schacholympiade in Siegen, Schach Echo 1970, Seite 287 (1. Oktoberheft)
[Waligora1989]: Frank Waligora: Schachbuch, Ullstein Verlag
[Wikipedia]: Endrunde der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft im Schach 1964