Schachkongress - Showdown in Berlin (II)

von Thorsten Cmiel
25.05.2023 – Am vergangenen Wochenende trafen sich die Delegierten des Deutschen Schachbundes zum Bundeskongress in Berlin und hatten eine Reihe von schwierigen Fragen zu klären. So gibt es auch mit der Deutschen Schachjugend immer noch Reibungsflächen und unterschiedliche Auffassungen. Thorsten Cmiel war vor Ort und erklärt die Problemlage.

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Der zweite Teil des Kongresses in Berlin beschäftigt sich nach der personellen Neuaufstellung mit dem Blick in die Zukunft des Schachbundes. Langfristige Projekte müssen angeschoben und Haushalte verabschiedet werden. Dabei sind Entscheidungen des Kongresses ins Zahlenwerk einzuarbeiten. Nach den finanziellen Turbulenzen der jüngeren Vergangenheit ist die Haushaltsplanung, die bis ins Jahr 2025 reicht, unübersichtlich und wird letztlich in den Herbst vertagt.

Zum ersten Teil...

Die Neuen

Nach der teilweisen Entlastung des alten Präsidiums und aller Referenten folgen am Samstagabend die Neuwahlen. Zunächst gilt es den oder die neue Anführerin im Präsidium zu wählen. Für den Job des Präsidenten im deutschen Schach gibt es eine Kandidatin, Ingrid Lauterbach. Der Versammlungsleiter Ingo Thorn fragt nach weiteren Kandidaten. Da sich niemand meldet, will der Versammlungsleiter direkt abstimmen lassen. So ein Kaltstart gefällt der Kandidatin offenkundig nicht und sie hält eine kurze Vorstellungsrede. Ein wenig schachliche und berufliche Vita und was sie antreibt. Mit überzeugender Mehrheit wählt der Kongress in Berlin mit Ingrid Lauterbach seine neue Präsidentin, die laut Satzung des Schachbundes ein Präsident ist. Als Vizepräsident Finanzen erhält kurze Zeit später Axel Viereck ebenfalls ein überzeugendes Ergebnis.

Für die zwei weiteren Vizepräsidenten-Posten im Präsidium gibt es jeweils zwei Kandidaten. Diese stellen sich kurz vor. Nicht überraschend wählt die Versammlung Jürgen Klüners als Vizepräsidenten Sport. Der andere Kandidat, Thomas Strobl, wird wenig später erneut als Bundesrechtsberater beauftragt. Hollywood. Für das Amt des Vizepräsidenten Verbandsentwicklung tritt überraschend der ehemalige Geschäftsführer der Schachjugend Jörg Schulz an. Ein umstrittener Kandidat. Der hält eine launige (»Manche werden gehofft haben mich nie wieder zu sehen.«) und zu lange Rede. Die Wahl geht deutlich an Guido Springer, der das Präsidium komplettiert.

Das am 20. Mai 2023 gewählte DSB-Präsidium (v.l.n.r.): Guido Springer, Axel Viereck, Ingrid Lauterbach und Jürgen Klüners

Neben dem neuen Präsidium werden die meisten der zahlreichen Posten von Referenten erneut besetzt. Der einzige Kandidat für Breiten- und Freizeitsport erhält überraschend nicht genügend Stimmen, der Fide-Rating-Officer und der Referent für Onlineschach bleiben unbesetzt.

Geldfragen

Beim Thema Geld wird der Kongress wieder munter. Anträge auf höhere Startgelder und Mehreinnahmen beschließen die Delegierten ohne größere Diskussionen. Die anzuschaffenden Programme für Mitgliederverwaltung, Ligaverwaltung und DWZ-Berechnung lösen längere Diskussionen aus, letztlich ohne konkreten Erkenntnisgewinn.

Bei dem Thema des Anschaffens der Software geht es um viel Geld. Ein niedriger sechsstelliger Euro-Betrag kommt insgesamt wohl zusammen – es könnten bis zu 200 Tausend Euro sein. Der Landesverband Berlin versucht erneut den Aktivensprecher aufzuwerten und scheitert knapp. Erfolgreicher ist Paul Meyer-Dunker mit seinen Anträgen für das Anschieben des 960-Schach. Das kostet nur wenig Geld.

Paul Meyer-Dunker

Erbstreit I – Schachjugend

Der neue Vizepräsident Finanzen des Schachbundes, Axel Viereck, beginnt den Sonntag mit dem Vorschlag einer scheinbar kosmetischen Veränderung am Haushalt. Die Vertreter der Deutsche Schachjugend (DSJ) fühlen sich überrumpelt und das Präsidium bekommt erstmals einen Eindruck was passiert, wenn man auf uninformierte Berater hört. Die Schachjugend muss ohnehin mit vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln auskommen, entsprechend aufmerksam verfolgen deren Vertreter die sie betreffenden Haushaltspositionen. Das neue Präsidium könnte die kontroverse Politik des letzten Präsidiums fortsetzen, so der sofort aufkeimende Verdacht der Jugend. Eine Delegierte aus der Jugend wirbt an anderer Stelle auf diesem Kongress um Verständnis, da die Erfahrung des DSJ sei, dass die alte Führung keine Vereinbarungen eingehalten habe.

Für Haushaltslaien, also die meisten im Hauptamt und Ehrenamtler im Tagungsraum, sieht die geplante Verschiebung von rund 16 Tausend Euro von einem Konto auf ein anderes Konto harmlos aus. Für die DSJ stürmt Finn Petersen, deren zweiter Vorsitzender, ans Mikrofon, hält eine engagierte Gegenrede und erläutert, dass die geplante Veränderung zum einen gegen Ordnungen verstoße und zudem die Deutsche Schachjugend Geld koste. Das können die wenigsten im Raum spontan nachvollziehen, inklusive dem neuen Präsidium. Wortmeldungen folgen. Das Geraune im Ballsaal nimmt zu. Manche aus dem Süden äußern ihr Unverständnis an der Interpretation der DSJ und offenbaren trotz starker Meinung am Mikrofon, dass sie das geschilderte Problem nicht erfasst haben. Andere zeigen sich wohlwollender und wollen den geschilderten Zusammenhang verstehen.

Niklas Rickmann, der erste Vorsitzende der Schachjugend, versucht die Wogen zu glätten, verteidigt jedoch gleichzeitig die Einschätzung, dass durch den Vorschlag die Finanzausstattung des Schachjugend faktisch über Nacht um etwa 13 bis 14 Tausend Euro gekürzt würde. Für das Präsidium bittet Ingrid Lauterbach um das Wort. Man wolle sich nicht weiter in den Zahlen verheddern und habe nicht zum Ziel die Zahlungen an die DSJ zu kürzen. Das neue Präsidium bat um Verständnis, man habe noch keinen vollständigen Überblick über Beschlusslagen, den Haushalt und die betroffenen Ordnungen. Dem Vorschlag eines Delegierten auf Unterbrechung wird gefolgt.

In der kurzen Pause klang die Einschätzung eines Delegierten etwas überpointiert so: „Drei Stunden im Amt, in den Haushalt eingreifen und schon den dritten Weltkrieg anzetteln.“ Die Schachjugend würde bei dem Vorschlag Geld verlieren. Die Vertreter der anderen Extremposition, die ohnehin erklärten Gegner einer selbstständigen DSJ, kommentierten mehrfach am Wochenende, man könne die Schachjugend wegen Betruges anzeigen oder wahlweise verklagen. Die Schachjugend würde dem DSB Geld klauen. Unüberwindbare Gräben sind sichtbar im Flurfunk, aber nicht in den Redebeiträgen.

Nach der Pause reagiert das neue Präsidium um Ingrid Lauterbach und zieht den Antrag auf Änderungen am Haushalt zurück. Die Situation ist unübersichtlich, da die Planungen bis zum Haushalt 2025 reichen. Zudem müssen Beschlüsse des Kongresses in Berlin inklusive der beschlossenen Beitragserhöhung eingearbeitet werden. Änderungen sollen auf einem außerordentlichen Kongress im Herbst beschlossen werden.

Ein System, um sie zu knechten

Hintergrund der emotionalsten Streitigkeiten im Kongress ist die Finanzierung der Deutschen Schachjugend. Diese steht auf drei unterschiedlichen Säulen. Der DSJ stehen Gelder aus Mitgliedsbeiträgen zu (70 Prozent der Einnahmen von U20-Mitgliedern), ein fester Zuschuss und Projektmittel. Dabei ist laut einem DSJ-Vertreter zwischen DSB und DSJ strittig, was ein Projekt ist und was nicht. Das führe immer wieder zu Konflikten und zur beiderseitigen Selbstbeschäftigung: Die DSJ geht pro Jahr von 60 bis 80 Projekten aus, die man abrechnet. Damit beschäftigen sich auf Seite der DSJ und beim DSB hauptamtliche Mitarbeiter. Paul Meyer-Dunker nennt das für die Berliner bereits am Samstag ein „bürokratisches Sch...system“. Im Kongress zeigen sich mehrere Abgeordnete, sogar Kritiker der DSJ, gesprächsbereit über Änderungen zu diskutieren, aber erst auf einem Folgekongress.

Warum kam es überhaupt zu diesem komplizierten System? Mir erklärt einer, dass die Schachjugend sonst ihre Selbstständigkeit nicht bekommen hätte und deren Vertreter dafür wohl jedem Vorschlag zugestimmt hätten, nur um sich vom alten Präsidium und dem ehemaligen Geschäftsführer – „...der wollte uns plattmachen“ - zu lösen. Mir kam unwillkürlich der eine Ring in den Sinn. Freilich komplett ohne Kontext.

Erbstreit II - Schachjugend

Das alte Präsidium hatte kurz vor dem Kongress von der DSJ etwas mehr als 30 Tausend Euro zurückgefordert. Das war eine Empfehlung der Kassenprüfer, eine Frist lief ab. Darüber gibt es zwar unterschiedliche Auffassungen. Aber das scheidende Präsidium, deren Mitglieder sich mit möglichen Regressforderungen konfrontiert sahen, gingen verständlicherweise auf Nummer sicher.

Die Vertreter der Deutschen Schachjugend

Die Schachjugend vertritt eine andere Auffassung als die Kassenprüfer. Diese hatten sehr viel Zeit und Energie für diesen Teil ihres Berichtes verwendet. Deren Bericht hatte schon am Samstag für Kritik an der Zahl der Seiten für den Teil zur DSJ im Vergleich zum „Finanzdesaster“ beim Schachbund gesorgt. Dabei hatten sich die Kassenprüfer aus ihrer Sicht nur an den Prüfauftrag gehalten. Bemerkenswerterweise war es eine Vertreterin der Schachjugend, die sich für die ehrenamtlichen Kassenprüfer ins Zeug legte. Schattenboxen.

Die Schachjugend will auf die aus ihrer Sicht existenzbedrohende Rückforderung reagieren und verteilt bereits am Samstag einen Antrag, der nur als Dringlichkeitsantrag auf dieser Versammlung behandelt werden kann. Gegen zwölf Uhr am Sonntag kommt es dann zum Eklat. Die ersten Delegierten sind bereits abgereist. Zunächst muss der Kongress die Dringlichkeit des DSJ-Antrags bestätigen, damit man in die Sachdiskussion einsteigen kann. Die Kongressteilnehmer beschäftigen sich mehrheitlich vermutlich mit ihrer Abreise und verweigern dem Antrag der Schachjugend die Dringlichkeit. Vielleicht haben die Vertreter der DSJ die möglichen Folgen eines Nichtbehandelns nicht ausreichend kommuniziert, denke ich. Ich erfahre später, dass Vertreter der DSJ mit den Vertretern der Landesverbände vorab gesprochen haben.

Unter dem nächsten Tagesordnungspunkt kündigt Niklas Rickmann als traurige Reaktion auf das Ablehnen der Dringlichkeit an, dass er am Montag um 8.30 Uhr zum Amtsgericht Stralsund gehe, um die Insolvenz der DSJ anzumelden. Die Reaktion der Versammlung war gespenstisch. Schweigen.

Das war für mich als Beobachter der unverständliche Tiefpunkt eines ansonsten lebhaften DSB-Kongresses in Berlin. Der Versammlungsleiter rief den nächsten Tagesordnungspunkt auf. Die neue Präsidentin Ingrid Lauterbach bedankte sich und sprach von einem guten Kongress.

Insolvenz der Schachjugend abgewehrt

Das erweiterte Gremium des Präsidiums mit gewählten Referenten tagte am Sonntag gleich weiter.

Immerhin: Die Deutsche Schachjugend und der Deutsche Schachbund meldeten via Pressemeldung kurz nach dem Kongress das Aufsteigen weißen Rauches. In Zukunft solle besser und auf Augenhöhe zusammen gearbeitet werden. Die Insolvenz der DSJ sei abgewendet und Niklas Rickmann blieb der angekündigte Gang zum Gericht erspart. Erfreulich. Am Montag nach dem Kongress besuchte Ingrid Lauterbach die Geschäftsstellen von DSB und DSJ und führte weitere Gespräche, so war zu hören.

DSB und DSJ wenden Insolvenz der Schachjugend ab: Deutsche Schachjugend (deutsche-schachjugend.de)

Das öffentliche Bild des Schachbundes

Die Kritik am scheidenden Präsidium des Schachbundes war während der zwei Tage in Berlin unüberhörbar. Aber es wäre unklug deren Einschätzungen komplett zu ignorieren. Klar, die Zeiten mit üppiger Finanzausstattung sind vorbei. Die Vertreter der Landesverbände tragen jedoch durch ihre Zögerlichkeit eine Mitschuld an mancher Unwucht im Spitzenverband des deutschen Schach. Offene Selbstkritik ist nicht die Sache der meisten Delegierten. Davon hörte man am Rednerpult kaum auf dem Kongress. Mit offenem Visier waren wenige unterwegs. Der Ex-Präsident Ullrich Krause hatte in seinem Bericht vermutet, dass die anonymen Kritiker in Internetforen selbst nie etwas für das deutsche Schach getan hätten. Das ist vermutlich nur ein Teil der Wahrheit.

Die 21-jährige Friederike Tampe aus Hessen war erstmals auf einem Kongress des Schachbundes. Tampe sprach in ihren zwei Beiträgen Klartext. Sie vermutet, dass einige der anonymen Kritiker im Saal saßen. Tampe bat um höflichen Umgang miteinander und offene Kritik. Das Bild des DSB und des DSB-Kongresses sei momentan „katastrophal“.


Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.