ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Er ist eine Schachlegende und Zeitzeuge des Weltschachs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Großmeister Wolfgang Uhlmann aus Dresden, der am 29. März seinen 85. Geburtstag feiert, traf insgesamt zehn Weltmeister am Brett und konnte fünf von ihnen besiegen: Michail Botwinnik, Wassili Smyslow, Bobby Fischer, Viswanathan Anand und Alexander Khalifman.
1951 wurde Wolfgang Uhlmann in Leipzig gesamtdeutscher Jugendmeister. Drei Jahre später gewann er in Meerane als 18-Jähriger die DDR-Meisterschaft der Erwachsenen. Zehn weitere Titel folgten bis 1986. Ab Mitte der 1950er Jahre war Wolfgang Uhlmann die Nummer Eins im DDR-Schach und besetzte über einen sehr langen Zeitraum das Spitzenbrett der Nationalmannschaft. Nach seinen Erfolgen im englischen Hastings beim ältesten Schachturnier der Welt wurde ihm 1959 durch den Weltschachbund FIDE der Großmeistertitel verliehen. Von 1956 in Moskau bis 1990 in Novi Sad nahm er an elf Schacholympiaden teil. Als WM-Kandidat unterlag er 1971 in Las Palmas keinem Geringeren als Bent Larsen mit 3,5:5,5.
Heute kann Wolfgang Uhlmann auf eine fast sieben Jahrzehnte lange, erfolgreiche Karriere zurückblicken, was einzigartig im Sport ist. Auch noch im Seniorenbereich errang Uhlmann mit dem deutschen Nationalteam Welt- und Europameistertitel.
Schachlegenden unter sich
Als ältester Bundesliga-Akteur aller Zeiten spielte er im April 2016 mit 81 Jahren seine letzte Partie in der 1. Bundesliga. Die allerletzte Wettkampfpartie des Dresdners findet man in der ChessBase-Mega 2020. Sie wurde am 24. März 2019 gespielt.
Wolfgang Unzicker, Mark Tajmanov und Wolfgang Uhlmann
Noch immer verfolgt der Jubilar aufmerksam das internationale Schachgeschehen und erfreut sich an den großartigen Zügen der heutigen Spitzenspieler. Wolfgang Uhlmann attestiert Carlsen & Co erstaunliches Können, mahnt aber auch an, dass angesichts der Computerzeit die künstlerische Komponente des Schachs nicht zu kurz kommen sollte. Der Reiz unseres Spiels lebt seiner Meinung nach in erster Linie von gut gespielten Partien. Das dürfe nicht vergessen werden. Wolfgang Uhlmann betreut noch einen Schüler, den er in diesem Sinne unterrichtet.
Guten Tag, Wolfgang, ich hoffe deiner Frau und dir geht es gut.
Ja, den Umständen entsprechend schon. Wir sind ja im Moment schockiert und erleben alle live, wie die Welt von dieser schrecklichen Corona-Invasion betroffen ist.
Aus diesem Anlass möchte ich mit dir zuerst über das Thema Krankheit reden. Im Grunde genommen verdankst du deine Schachkarriere ja einem Klinikaufenthalt…
Richtig. Als Kind hatte ich Tuberkulose, zum Glück keine offene. Ich war zehn Jahre alt und lag sehr lange im Krankenhaus. So kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs gab es überhaupt keine Medikamente. Die Krankheit wurde nur durch Liegen und Essen geheilt. In dem Sanatorium auf dem Weißen Hirsch in Dresden war es sehr eintönig. Ich hatte endlos viel Zeit, und mein Vater gab mir deshalb einige Schachbücher, die ich dann durchgearbeitet habe. Ich war also Autodidakt, und nach diesem Selbststudium wurde Alexander Aljechin in jungen Jahren mein erstes schachliches Vorbild, später dann Michail Botwinnik.
Dein Talent zeigte sich schon frühzeitig, und deine großen Erfolge sind hinlänglich bekannt, weniger deine Missgeschicke. Schachfreunde aus Dresden erzählten mir vor einiger Zeit von einem Unfall, den du hattest, von einem Sturz. Wie kam es dazu?
Vor zwei Jahren war ich bei einer Reha im Schloss Pulsnitz. Ich bin dort die Treppe hinunter gestürzt und mit dem Gesicht auf einen Stein gefallen. Es war fürchterlich. Im Ergebnis dessen, war meine Lippe gespalten. Sie blutete wie verrückt, und ich wurde in die Chirurgie gebracht. Dort musste ich operiert werden. Aber sie haben das sehr gut hinbekommen, und es ist wunderbar verheilt. Man sieht heute gar nichts mehr davon.
Ein Glück. Bei allen Missgeschicken bist du im Leben, wie man beobachten konnte, immer wieder aufgestanden.
Ja. Das muss man einfach. Viel gefährlicher war meine Krebskrankheit, die ich vor über einem Jahrzehnt hatte. Es war kurz vor der Schacholympiade 2008 in Dresden. Ein gutartiger Tumor musste entfernt werden. Nach der Operation wurde ich nur noch mit Medikamenten behandelt, und heute gelte ich als geheilt. Es ist natürlich ein großes Glück, dass der Professor mich damals so perfekt operiert hat. Ich sage dazu immer gern: „Auferstanden aus Ruinen…“
Großartig! Wie sehr weißt du nach all diesen Erfahrungen die Gesundheit zu schätzen?
Eine gute Gesundheit ist das A und O, nicht nur für Schachspieler, sondern für alle Menschen. Nur damit kann man entsprechende Leistungen erbringen. Kondition, Disziplin, Vorstellungsvermögen, Kreativität, alles das braucht man, um erfolgreich in unserem Denksport zu sein. Und das geht nur, wenn man gesund ist. Sonst kann man - wie sehr oft nötig - keine fünf Stunden am Brett durchstehen.
Alle großen Sportevents der Welt wurden für die nächste Zeit abgesagt, sehr spät auch die Olympischen Spiele in Tokio. Nicht aber das WM-Kandidatenturnier in Jekaterinenburg, das trotz aller Bedenken, die es gab, erst einmal gestartet worden ist. Wie fandest du das?
Ich habe mich sehr gewundert. Wenn die ganze Welt Anstrengungen macht, die Ausbreitung des Corona-Virus zu stoppen, hätten sie es auch verschieben können. Für die Schachspieler wäre das doch am leichtesten gewesen. Spielsäle findet man doch überall in der Welt. Aber die Russen zeigten damit mal wieder ihre Härte. Vielleicht dachten sie auch, das Virus ist bei ihnen nicht so verbreitet.
Nun ist das Kandidatenturnier nach Russlands Flugbeschränkungen mitten im Wettbewerb unterbrochen worden. War es überfällig?
Das ist auf jeden Fall vernünftig. Es geht nicht nur darum, dass die Spieler wieder nach Hause kommen. Die Gesundheit ist einfach mehr wert als der Weltmeistertitel. Es ist im Übrigen auch normal, die bisherigen Ergebnisse im Turnier anzurechnen.
Verlassen wir nun mal das Thema Krankheit. Wenn du auf deine lange, erfolgreiche Karriere zurückblickst, was hat dir das Schach gegeben?
Es war viele Jahrzehnte mein Lebensinhalt und hat mir sehr viel gegeben. Auf den langen Reisen hatte ich tolle Erlebnisse, aber auch Abenteuer zu bestehen. Ich habe in zahlreichen Ländern Schach gespielt, verschiedene Kulturen kennengelernt und - was am wichtigsten war - überall Freunde gewonnen. Das ist eigentlich das Schönste gewesen. Ich zehre heute noch davon. Denn ich kann hinfahren, wohin ich will; ich komme immer zu Freunden. Bis vor einigen Jahren habe ich ja noch Seniorenturniere mitgespielt. Dort traf ich Großmeister, mit denen ich schon vor 50 oder 60 Jahren die Klingen gekreuzt habe. Das sind natürlich Erlebnisse der besonderen Art.
Du warst oft längere Zeit nicht zu Hause, so dass deine Frau Christine und die beiden Kinder immer wieder viel Verständnis aufbringen mussten.
Ja, das stimmt. Früher gab es mehr Rundenturniere, und die Teilnehmerzahlen waren auch größer. Dadurch zogen sich die Turniere viel länger hin. Die Olympiade 1966 in Havanna dauerte wochenlang. Zweimal war ich in Argentinien, 1960 in Buenos Aires, als ich den jungen Bobby Fischer besiegen konnte und 1966 in Mar del Plata, wo besondere Überraschungen warteten.
Was ist passiert?
Zum einen war mein Gepäck verschwunden, und ich hatte zunächst nichts zum Anziehen. Zu Hause war Winter, dort Sommer. Auch meine ganzen Schachnotizen fehlten mir. Das war noch das kleinste Übel. Nach dem Turnierende gab es Streiks bei den Airlines, und alle Flüge über den Atlantik fielen für drei Wochen aus. Ich wurde von den Organisatoren mit Großmeister Leonid Stein zu einer Simultantournee durch das ganze Land geschickt. Dabei gab es großartige Erlebnisse, denn wir waren vom Süden bis zum Norden in Argentinien unterwegs. Die Inlandflüge waren zum Teil abenteuerlich, einmal mussten wir sogar notlanden, weil der Treibstoff ausgegangen war. Erst drei Wochen nach dem Turnier konnten wir endlich die Heimreise antreten.
Hattest du Verbindung mit deiner Familie in Dresden?
Nein! Es gab ja kein Internet oder andere Kommunikationsmöglichkeiten wie heute. Meine Frau wusste sechs Wochen nicht, wo ich war und wie es mir ging. Sie ist fast wahnsinnig geworden. Eine große Belastung für sie und die ganze Familie. Sie hat das aber immer mit sehr viel Verständnis getragen und mir den Rücken gestärkt, damit ich meinem geliebten Schachsport nachgehen konnte.
Christine und Wolfgang Uhlmann
Vor einigen Jahren gab es die schönen Treffen der Großmeister Ü75 in Dresden. Einige deiner Weggefährten wie Lothar Schmid, Mark Taimanow oder Jewgeni Wasjukow sind inzwischen tot. Wie sehr vermisst du diese Zusammenkünfte?
Lothar Schmid, Wolfgang Uhlmann
Ja, es ist schade, dass es diese Treffen nicht mehr gibt. Aber der Organisator und Sponsor, hat sich jetzt etwas vom Schach entfernt und mehr der Musik zugewandt. Seine Frau ist eine sehr gute Pianistin, und er begleitet sie zu allen Konzerten. Wir haben aber noch Kontakt.
Wie feiert deine Familie den Geburtstag?
Anders als gedacht. Wir mussten nun leider Freunde und Bekannte wieder ausladen. Nur meine Kinder kommen, aber nur sehr kurz zum Gratulieren. Sie sind da ganz konsequent und vorsichtig, halten sich an die Regeln. Meine Tochter ist Ärztin. Stell dir vor, sie war gerade in Neuseeland und ist einen Tag vor dem Flugverbot noch aus dem Land herausgekommen. Darüber sind wir alle sehr froh.
Damit schließt sich der Kreis, Wolfgang. Kaum einer kommt in diesen Tagen um das brennendste Thema der Gegenwart herum. Wir alle sind im wahrsten Sinne des Wortes betroffen.
Du sagst es. Ich hoffe sehr, dass so schnell wie möglich ein Impfstoff gefunden wird.
Danke für das Gespräch und alles Gute!
Wolfgang Uhlmann bei sich zuhause
Uhlmann – Botwinnik, Varna 1962
Damenindisch E13
Seine berühmteste Partie spielte der Jubilar bei der Schacholympiade 1962 in Bulgarien.
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 b6 4.Sc3 Lb7 5.Lg5 h6 6.Lh4 g5 7.Lg3 Sh5 8.e3 Sxg3 9.hxg3 Lg7 10.Dc2 Sc6 11.a3 De7 12.0-0-0 g4 13.Sh4 a6 14.Kb1 h5 15.Le2 Th6 16.f3 0-0-0 17.d5 Sa7 18.Sa4 gxf3 19.gxf3 d6 20.Sg2 Tdh8 21.e4 Kb8 22.Td3 Te8 23.Te1 Lh8 24.Dd2 Tg6 25.g4 hxg4 26.fxg4 Le5 27.Tb3 Th8 28.De3 Dg5?
Notwendig war 28. ... Sc8. Wolfgang Uhlmann, der bis zur Zeitkontrolle nur noch eine Minute für 12 Züge hat, kann jetzt den entscheidenden taktischen Schlag anbringen.
29.Sxb6! Dxe3 30.Sd7+ Kc8 31.Sxe3 Kxd7 32.Txb7 Ld4 33.Ld1 Lb6 34.La4+ Kc8 35.Lc6 Th3?
Schwarz musste 35…Tgh8! spielen und unbedingt einen Turm tauschen.
36.Sc2 a5 37.Tf1 Sxc6 38.dxc6 Tg7 39.b4 a4 40.e5! Tb3+ 41.Kc1 Td3 42.Td1 Txd1+ 43.Kxd1 Lg1 44.exd6 cxd6 45.b5! Lc5 46.Sb4 Lxb4 47.axb4 Txg4 48.b6
1-0. Ein äußerst seltenes Stellungsbild. Das doppelte Bauernpärchen auf der b- und c-Linie garantiert einen schnellen Mattangriff. (W. Uhlmann)