"Götterpläne und Mäusegeschäfte"
Von Gerald Schendel
In der im Sommer 1781 publizierten Erstausgabe
von Schillers Stück Die Räuber sagt Moor (3. Akt, 2. Szene):
"- Bruder - ich habe die Menschen gesehen, ihre Bienensorgen und ihre
Riesenprojekte - ihre Götterplane und ihre Mäusegeschäfte, das wunderseltsame
Wettrennen nach Glückseligkeit; - dieser dem Schwung seines Rosses anvertraut -
ein anderer der Nase seines Esels - ein dritter seinen eigenen Beinen; dieses
bunte Lotto des Lebens, worein so mancher seine Unschuld und - seinen Himmel
setzt, einen Treffer zu haschen, und - Nullen sind der Auszug - am Ende war
kein Treffer darin. Es ist ein Schauspiel, Bruder, das Tränen in deine Augen
lockt, wenn es dein Zwerchfell zum Gelächter kitzelt."
In der für die Mannheimer Bühne "verbesserten" (in Verhandlungen Schillers mit
dem Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters entschärften) Neufassung des
Textes ist diese Passage nicht mehr enthalten, doch die Kuratoren der großen
Gedächtnisausstellung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach,
Frank Druffner und Martin Schalhorn,
beschlossen, "Götterpläne & Mäusegeschäfte" zum Titel ihrer
Ausstellung zu machen: "Sie zeigt den historischen Schiller mit seinen
Plänen, Vorstellungen und Wünschen auf der einen und seinem mühsamen und
lästigen Tagesgeschäft auf der anderen Seite. (...) Schiller steht am Anfang
seiner eigenen Lebensbahn, in der er seine "Götterpläne" realisieren möchte.
Die "Mäusegeschäfte", der mühselige Alltag als Schriftsteller, Hausvater oder
akademischer Lehrer, erweisen sich rasch als Kehrseite der Medaille. Zwischen
diesen "Mäusegeschäften" und "Götterplänen" spannt sich Schillers Biographie."
In
der Ausstellung sind daher auch Alltagsgegenstände und Kleidungsstücke des
Dichters zu sehen. "Ich stürze aus meinen idealischen Welten, sobald mich
ein zerrissner Strumpf an die wirkliche mahnt." Hierzu gehören Schillers
letzte Schreibfeder und seine Schnupftabakdose. Hierzu gehört auch Schillers
Schachspiel.
Schillers Schachspiel
Dieses
Schachspiel stammt aus der Zeit um 1800. Die Figuren sind aus Elfenbein
gedrechselt (Höhe zwischen 5 und 12 cm), ein Satz ist dunkel eingefärbt. Das
Schachbrett (36,5 x 46 cm) ist in der Mitte zusammenklappbar: Lederintarsie in
grün und weiß, mit Goldlinien geprägt, auf Pappe, die Rückseite ist mit grünem
Leder bezogen..
Als Die Räuber erschienen, war Schiller
Regimentsmedikus in Stuttgart. Der württembergische Herzog Carl Eugen verbot
Schiller unter Androhung von Entlassung und Festungshaft jegliche
nichtmedizinische Schriftstellerei, insbesondere weiteres "Komödienschreiben".
Schiller floh. Zunächst nach Mannheim. Ende 1782 lud Henriette von Wolzogen,
die Mutter eines Studienfreundes, Schiller auf ihr Gut Bauerbach ein, das in
einem einsamen Waldtal lag. Karoline von Wolzogen (geborene von Lengefeld), die
Schwägerin Schillers, schrieb 1828 in ihrer Schiller-Biographie:
"Ein halbes Jahr lebte Schiller so, größtenteils mit sich und
der Natur, unbekannt und unerkannt von Seiten des Geistes, in den rauen
Umgebungen. (...) Mit dem Verwalter des Gutes spielte er Schach und machte oft
Spaziergänge mit ihm."
Im Frühjahr 1783 wurde Schillers Stück Die Verschwörung des
Fiesko zu Genua. Ein republikanisches Trauerspiel gedruckt, in dem das
Schachspiel erwähnt wird (4. Aufzug, 12. Auftritt):
Julia: (...) Das Bekenntnis
willst du noch haben, dass die ganze geheime Weisheit unsers Geschlechts nur
eine armselige Vorkehrung ist, unsere tödliche Seite zu entsetzen, die doch
zuletzt allein von euern Schwüren belagert wird, die (ich gesteh es errötend
ein) so gern erobert sein möchte, so oft beim ersten Seitenblick der Tugend den
Feind verräterisch empfängt?- dass alle unsre weiblichen Künste einzig für
dieses wehrlose Stichblatt fechten, wie auf dem Schach alle Offiziere den
wehrlosen König bedecken? Überrumpelst du diesen - Matt! und wirf getrost das
ganze Brett durcheinander.(...)"
Während seines Aufenthalts in Bauerbach arbeitete Schiller an
dem Trauerspiel Kabale und Liebe. Darin sagt Luise (5. Akt, 7. Szene):
"Sie sind mir auch noch Revanche auf dem Schachbrett schuldig schuldig.
Wollen wir eine Partie, Herr von Walter?"
In Bauerbach verliebte sich Friedrich Schiller unglücklich in
Charlotte von Wolzogen, die Tochter des Hauses. In einem Brief an die Mutter
(23. April 1783) schrieb der Dichter, der in Bauerbach unter dem Pseudonym Dr.
Ritter lebte: "Sie schreiben mir nicht, ob Ihr
Wilhelm aus der herzoglichen Karls-Akademie gekommen und wo er gegenwärtig ist.
Empfehlen Sie mich ihm sehr, wie auch Fräulein Lotten, die mir doch schreiben
möge, ob sie bald Schach gelernt hat?"
Ende 1788 machte Schiller die Bekanntschaft mit Charlotte von
Lengefeld, die er 1790 heiratete. In einem Brief an sie schrieb er:
"Heute würde ich mir die Erlaubnis von Ihnen ausbitten,
Sie besuchen zu dürfen; aber ich bin schon von gestern her engagiert, eine
Partie Schach an Frau von Koppenfels zu verlieren. Wie sehr wünschte ich nun,
dass Sie eine Besuchsschuld an sie abzutragen hätten, und dass Ihr Gewissen Sie
antriebe, es heute zu tun."
Schillers in der Schachliteratur oft zitierter Satz:
"Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in
voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er
spielt" stammt aus dem 15. Brief Über die ästhetische Erziehung
des Menschen und erschien 1795 im 2. Stück der von Schiller herausgegebenen
Zeitschrift Die Horen. Der Schachhistoriker Joachim Petzold (Das
Königliche Spiel. Die Kulturgeschichte des Schach, 1987) bewertete dieses
Zitat als Zeugnis für Schillers grundsätzliche Würdigung der Spiele, womit die
hohe Wertschätzung des Schachspiels verbunden ist.
Hartnäckig hält sich in Schachkreisen das Gerücht, von Friedrich Schiller sei
ein Fragment mit dem Titel Das Schachspiel in seiner eigentümlichen und
höheren Bedeutung überliefert. Der Schiller-Experte Martin Schalhorn konnte
einen solchen Beitrag nicht finden: "Vermutlich ist seine ideelle
Existenz dem großen Wunsch eines Schiller-Verehrers und Schachspielers zu
verdanken." Möglicherweise liegt dem Gerücht eine Verwechslung zu
Grunde. Friedrich August Weißhuhn (1759-21. April 1795), Privatdozent der
Philosophie in Jena, publizierte im 5. Stück der Horen den Beitrag
Das Spiel in strengster Bedeutung, in dem es auch um das Schachspiel geht.
Schillers Kalender (veröffentlicht in Schillers Werke,
Nationalausgabe, 41. Bd., Teil 1, Weimar 2003) enthält auf der Vorderseite des
ersten Kalenderblatts zu Januar 1799 Schillers Berechnung zur Reiskorn-Legende.
Die Summenangabe hier ist inkorrekt, doch auf einem separaten Blatt hat
Friedrich Schiller die Aufgabe korrekt gelöst, indem er in einzelnen Schritten
von Feld zu Feld die genaue Summe errechnete. Dann versuchte er, sich die
abstrakte Zahl anschaulich zu machen:
"[Mi]t dieser Summe wird 1 Sonnensystem
von 6 Planeten mit Korn versehen.
[15]00000 Körner auf einen Scheffel gerechnet,
[A]uf ein Magazin 1000 Scheffel
[A]uf eine Stadt 1000 Magazine
[Au]f ein Land 100 solche Städte
[A]uf einen Welttheil 100 solche Länder
[Au]f einen Planeten 10 solche Welttheile
[Au]f ein Sonnensystem 6 Planeten (...)"
Am Ende des 4. Aufzugs in Schillers Stück Wallensteins Tod
will Thekla das Grab von Max Piccolomini besuchen. "Ich will ja in die
Gruft nur des Geliebten." "Bei dunkler Nachtzeit? In dieser rauhen Sturmnacht?"
"Nacht wird uns verbergen." An dieses Vorhaben knüpft Schillers Gedicht
Thekla. Eine Geisterstimme an, das erstmals im Taschenbuch für Damen
auf das Jahr 1803 gedruckt wurde. Darin finden sich die Verse:
Und er fühlt, dass ihn kein Wahn betrogen,
Als er aufwärts zu den Sternen sah,
Denn wie jeder wägt, wird ihm gewogen,
Wer es glaubt, dem ist das Heil’ge nah.
Wort gehalten wird in jenen Räumen
Jedem schönen gläubigen Gefühl,
Wage du, zu irren und zu träumen,
Hoher Sinn liegt oft in kind’schem Spiel.
In der Formulierung "Tiefer Sinn liegt oft
in manchem Spiel" griff der Schachhistoriker Joachim Petzold den letzten
Vers auf und kommentierte, dass Friedrich Schiller mit diesen Worten vor allem
das Schach gemeint habe.
Unbestreitbar und vielfach dokumentiert ist Schillers Freude am
Schachspiel. Wenige Wochen vor Schillers Tod berichtete Heinrich Voß (24.
Februar 1805):
"Heute Nachmittag war Schiller unbeschreiblich wohl und
kräftig, wiewohl es ihm noch mit dem Arbeiten nicht recht hat gehn wollen. Wir
spielen jeden Tag Schach zusammen, und das macht ihm Freude; er meinte, auf
diese Weise käme er wohl zuerst wieder in seine gewöhnliche Thätigkeit hinein."
Die Marbacher Ausstellung dauert bis 9. Oktober 2005. Vom
30.10.2005 bis 17.04.2006 ist sie danach im Schiller-Museum Weimar zu sehen.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Gerald Schendel / 09.05.2005