Sprachlosigkeit und warum der Sieger der deutschen Meisterschaft nicht unbedingt deutscher Meister ist
Ein Gespräch über den Stellenwert vom Seniorenschach in Deutschland
Anwesende: Gerhard Meiwald, Wolfgang Block. Hartmut Metz und Thorsten Cmiel als Aufzeichnende.
v.li.: Wolfgang Block, Gerhard Meiwald (DSB)
Der Deutsche Schachbund (DSB) hat bekanntermaßen Geldsorgen und alle Geschäftsbereiche müssen ihren Sparanteil leisten. Aber was bedeutet das, jenseits von Exceltabellen eigentlich? Der Etat der Senioren wurde perspektivisch und drastisch von 26.000 Euro auf 600 Euro für 2024 und 2025 reduziert, dabei stellt die Altersgruppe ab 50+ etwas mehr als ein Drittel der im DSB organisierten Spieler. „Beschämend.“ nennt Wolfgang Block, seit etwas mehr als fünf Jahren Seniorenreferent des DSB, diesen Zustand in unserem Gespräch. Es ging in seiner Zeit mit dem Geld immer nur „abwärts“. Dennoch ist es ihm und seinem Team gelungen, die Deutschen Seniorenmeisterschaften in Bad Wildungen kostendeckend zu organisieren und wegen der großen Teilnehmerzahl konnten sogar Liveübertragungen an über dreißig Brettern pro Runde angeboten werden.
Der Deutsche Schachbund musste 2024 den Versuch, einen Meisterschaftsgipfel, diesmal in Berlin, zu organisieren, erneut aufgeben. Für die Senioren entsteht durch diese ständig eingeübte Planungsunsicherheit immer wieder ein erhebliches Problem, denn die Teilnehmerzahlen bei den Senioren sind abhängig von der rechtzeitigen Information wann die deutsche Meisterschaft stattfindet. Wolfgang Block dazu: »Es hat sich bemerkbar gemacht, dass es [gemeint ist die aktuelle Meisterschaft in Bad Wildungen 2024] über eine lange Zeit veröffentlicht war und wesentlich früher als die Jahresplanung 2023. Was für Senioren sehr wichtig ist, weil die sich wahrscheinlich im November oder im Dezember überlegen, wie sie das nächste Jahr verbringen und wie sie Schachturniere einbauen in ihre Jahrespläne. Das ist eine Besonderheit im Seniorenbereich. Für dieses Jahr war lange im Gespräch, dass es ein Meisterschaftsgipfel geben sollte. Es war dann Berlin, das hat man hinterher rausgekriegt, aber es hat nicht funktioniert. Ich habe aber rechtzeitig angefangen, hier was zu machen. Ich habe nicht darauf gewartet, bis der DSB sagt, es gibt keinen Meisterschaftsgipfel.«
Die Senioren haben schlechte Erfahrungen mit Planungen im Deutschen Schachbund gemacht. 2023 war man später dran und die Teilnehmerzahlen waren geringer als erhofft. Wolfgang Block dazu: »Braunschweig war geplant und Braunschweig fiel aus. Irgendwann im Februar wurde es gecancelt. Dann hieß es, die Referenten suchen sich alle was selber. Dann hatten wir uns auf Dresden geeinigt und das gefiel dem Deutschen Schachbund nicht, weil ein Name einer Kassiererin auftauchte.«
Man versteht in der Frage beide Seiten, irgendwie. Der Streitfall betrifft D.J. und seine Frau. Der DSB hat sich unter dem letzten Präsidium entschieden, rechtliche Schritte einzuleiten, weil von einer Hotelkette ohne Kenntnis des DSB Kickbackzahlungen gezahlt worden sein sollen und eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit konnte nicht akzeptiert werden. Auf der anderen Seite ist der Beitrag des DSB zum Seniorenschach inzwischen kaum noch symbolisch zu nennen und bei den Senioren kommen nur Störungen der Planungen, manchmal langatmige Abnickprozesse und vor allem kein Geld an.
Wolfgang Block (Bild, rechts) schildert weiter. »Dann wollten wir in das Ramada-Hotel. Und das durften wir nicht. Es gab ein Veto. Okay, und dann begann die Suche erneut von vorne und dann benötigte ich noch einen Monat, bis wir hier in Bad Wildungen gelandet sind.« Die Deutschen Senioren sind oft Trendsetter: Tatsächlich organisierten andere Referate inzwischen in Bad Wildungen ebenfalls ihre Meisterschaften und der DSB hat ab September 2024 eine Kooperation mit der Hotelkette Maritim bekanntgegeben. Die Spielbedingungen bei der deutschen Seniorenmeisterschaft 2024 waren gut, im Gegensatz zum Vorjahr gab es freie Getränke und elektronische Bretter zur Übertragung ermöglichten das Nachspielen der Spitzenpaarungen. Viele der Teilnehmer hatten im Hotel ihre Unterbringung gewählt, das eigentliche Argument für erträgliche Saalmieten und Arrangements mit Hotels.
Angesichts der Finanzsituation müssen sich Seniorenturniere komplett selbst tragen. »Was der Saal kostet, was die Getränke kosten, was wir für die Schiedsrichter brauchen, muss alles irgendwie vereinnahmt werden durch die Beiträge, durch die Startgelder. Das ist bei allen Turnieren, die wir ausrichten, zurzeit so, auch für die Ländermannschaftsmeisterschaft, die in drei Wochen [Ende September] beginnt. Da muss ich sehen, wie viele Mannschaften antreten. Was haben wir an Etat und wie kommen wir damit zurecht? Der Preisfonds wird gesteuert dadurch, was übrig bleibt, wenn man die festen Kosten, die man hat, irgendwie dagegen rechnet.«
Für Deutsche Meisterschaften wie in Bad Wildungen oder in Bad Neuenahr stellen die Senioren Hochrechnungen für 150, 200 oder 250 Teilnehmer auf. Ab 200 Teilnehmern in beiden Turnieren sind Livebretter finanzierbar. Block sieht dadurch das Ansehen des Turniers gesteigert.
Das Verhältnis der Senioren mit dem Deutschen Schachbund scheint schwierig, eigentlich nicht existent zu sein. Mir fällt spontan das Wort Sprachlosigkeit ein.
Wolfgang Block erklärt: »Ich darf nicht selber entscheiden. Ich kann nur Vorschläge machen und dann muss ich jemanden suchen, der dazu den Kopf nickt. Am Beispiel Bad Neuenahr für nächstes Jahr ging es sogar relativ zügig, weil sie keine Probleme geahnt oder festgestellt haben in dem Vertrag. Und wir haben jetzt schon den Vertrag mit dem Hotel unterschrieben, dass wir den Kursaal bekommen und dass wir da auch mit einem gewissen Kontingent im Steigenberger selber wohnen können.«
Neben formalen Regeln, die Block akzeptiert, nagt an ihm, dass er keinen Etat hat. »Ich kann nicht sagen, wir nehmen an einer Europa- oder Weltmeisterschaft mit der Mannschaft teil, weil ich den Leuten gar nicht sagen kann, wer das Startgeld bezahlt. Großmeister kann ich nicht ansprechen. Die Kosten für Flüge und alles Drumherum müssen die Leute selber aufbringen.«
Gerhard Meiwald (Foto: Schachbund)
Gerhard Meiwald, früher selbst Seniorenreferent und jetzt für die Öffentlichkeitsarbeit des Seniorenförderkreises tätig, ergänzt, dass man in besseren Zeit mal starke Teams schicken konnte, die sogar in Radebeul mal den Weltmeistertitel holten. »Es macht einen traurig, wenn man sieht, dass wir jetzt nicht mal mehr Mannschaften melden können, weil wir keine Startgelder bezahlen können. Selbst die Frauenmannschaft, die ja auch ständig erfolgreich dabei war, wurde ausgehungert.«
Der Deutsche Schachbund hat sich gerade in Neuwied eine Beitragserhöhung von zehn auf dreizehn Euro pro zahlendes Mitglied genehmigt. Dass von dem Geld etwas im Seniorenbereich ankommt, erwarten weder Meiwald noch Block. Rein rechnerisch nimmt der Schachbund von den etwa 30.000 Senioren also 90.000 Euro zusätzlich ein. Immerhin gibt es einen Seniorenförderverein, der Geld sammelt, um beispielsweise einigen Spielern die Teilnahme an einer Deutschen Meisterschaft zu ermöglichen.
Von Gesprächen mit dem Präsidium oder gar mit der Präsidentin über die Situation können Block und Meiwald nicht berichten. Wolfgang Block über seine Gespräche mit der DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach: »Sie hat ganz zu Anfang, als sie gewählt wurde, sich mit uns [Referenten] nach der Wahl noch kurz zusammengesetzt. Aber das war der einzige Termin, bei dem ich sie mal in einer Konferenz vor Ort wirklich gesehen und gehört habe.« Eine Einladung zur Siegerehrung gab es allerdings für andere Repräsentanten des DSB, Wolfgang Block ist es selber irgendwie, nicht.
In Bad Wildungen gewann bei den jungen Senioren Mihail Nekrasov. Nekrasov ist 78-Jahre alt und trumpfte sensationell auf. Aber deutscher Meister ist er nicht. Woran liegt das? Nekrasov spielt laut FIDE noch unter der Flagge der Ukraine. Proteste in der Vergangenheit – 2021 gewann in Magdeburg der Isländer Henrik Danielsen – hatten zu einer Änderung der Ausschreibung geführt. Nekrasov wohnt schon jahrelang in Deutschland. Aber den Schritt, die Föderation zu ändern, hat er bisher unterlassen. Danielsen war in Rostock in der Mannschaft gemeldet und war daher spielberechtigt. Damals hatte es noch keine entsprechende Regelung gegeben. Zwar könne man die Turnierordnung ändern und den internationalen Seniorenmeister ausspielen. Block und Meiwald wollen Luxemburgern und Spielern anderer Nationen die Teilnahme jedoch nicht verwehren, da man sich über deren Teilnahme freue. Zudem sei der Preisfonds nicht attraktiv genug, um in Zukunft deutlich mehr ausländische Teilnehmer anzulocken. Gerhard Meiwald: »Ich muss gestehen, unsere Preisgelder mit maximal 500 Euro, die nicht mal die Hotelkosten decken, würden nicht unbedingt viele Topleute anlocken.«
Gerhard Meiwald gibt am Ende des Gesprächs einen positiven Ausblick: »Die Seniorengemeinschaft würde ich auf ungefähr 500 Spieler schätzen, die regelmäßig Turniere im Seniorenbereich besuchen. Also der Seniorenreferent, die Landesreferenten und wir vom Präsidium des Förderkreises sind ein wirklich funktionierender, gut harmonisierender Haufen. Die Leute sind zufrieden wünschen sich, dass wir das auch im Prinzip weiter regeln.« Wolfgang Block ergänzt: »Was mir dieses Mal aufgefallen ist, dass sehr viele Leute mal den Kopf hier ins Turnierbüro reingesteckt haben oder im Vorbeigehen gesagt haben: Danke für das Turnier, das war klasse. Sie waren offenbar zufrieden mit der Veranstaltung hier.«
Hintergrundinformationen:
2023 stehen im Budget des Englischen Verbandes (ECF) für die Europäischen Seniorenmeisterschaften 20.314 Britische Pfund als Ausgaben in den Büchern. Auch für die Weltmeisterschaften sind Budgets eingeplant. England und die USA gewinnen regelmäßig diese Teamevents und treten genau wie Island meistens mit vier Großmeistern an. Italien und Ungarn sind ebenfalls auf europäischer Ebene meist vorne dabei.
2025-budget-final-V2.xlsx (live.com)...
Beispiel eines Landesbudgets: Der Niedersächsische Schachverband hat in seiner Etatplanung für 2024 Zuschüsse von 2.200 Euro für die Team-Ländermeisterschaft geplant. In den Jahren zuvor waren es 1.700 Euro gewesen. Brutto liegen die Ausgaben des Landesbudgets für die Senioren bei etwa 3.900 Euro. Ein Teil wird auch in Niedersachsen durch Einnahmen von 1.200 Euro aus Startgeldern bestritten.
Danielsen und Simon sind Deutsche Seniorenmeister | ChessBase ...