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Beim Sinquefield Cup 2017 hast Du gegen Svidler eine gute Stellung verdorben, aber gegen Carlsen hast Du Dich zäh verteidigt, was schließlich mit einem Sieg belohnt wurde. Von diesen beiden Partien abgesehen strahlte Dein Spiel in St. Louis Harmonie und Logik aus. Würdest Du sagen, Deine Partien in diesem Turnier waren insgesamt harmonisch?
Im Prinzip ja. Nun, die Partie ggen Magnus war unübersichtlich. Auch gegen Fabiano war ich nach der Eröffnung in gewissen Schwierigkeiten. Aber ich konnte ausgleichen. Im Prinzip haben meine Partien einen normalen Rhythmus gehabt und in den meisten von ihnen gab es einige interessante Momente.
War die Partie gegen Carlsen der entscheidende Moment im Turnier?
Nun, hätte die Partie mit einem ausgekämpften Remis geendet, was wahrscheinlich das logische Ergebn is war, und wären, hypothetisch gesprochen, alle anderen Partien genauso ausgegangen, wie sie jetzt ausgegangen sind, dann hätte Magnus das Turnier gewonnen. Und hätte Magnus diese Partie gewonnen, dann hätte er wahrscheinlich auch das Turnier gewonnen.
Die Partie gegen Carlsen war einer der Höhepunkte des Turniers. Wie würdest Du sie beschreiben?
Das Mittelspiel war ein Nervenkampf.
Magnus Carlsen beim Sinquefield Cup | Foto: Lennart Ootes
Es war schwer, herauszufinden, was in der Partie eigentlich los, denn die Stellung war so ungewöhnlich. Weiß hatte Trümpfe am Königsflügel, ich hatte Trümpfe am Damenflügel und alles war ein wenig unübersichtlich, weil die Lage ganz leicht umgekehrt aussehen konnte. Irgendwann hätte Magnus am Königsflügel die Oberhand bekommen können und ich hätte mit richtigem Spiel am Damenflügel die Oberhand gewinnen können. Aber keiner von uns hat völlig dominiert. Es gab jede Menge Feinheiten und alles war möglich.
Du hast die Partie am Ende gewonnen, aber hat dieser Sieg einen Tribut gefordert?
Diese Partie war ungewöhnlich anstrengend. Sie dauerte sehr lange und verlangte bei all dem, was auf dem Brett vor sich ging, ungewöhnlich viel Konzentration. Nach der Partie fühlte ich mich ausgelaugt, mental und physisch. Ich habe mindestens ein paar Stunden gebraucht, um wieder in meinen Normalzustand zu kommen. Ich würde sagen, der Zustand, in dem ich nach der Partie gegen Magnus war, ist normalerweise der Zustand, in dem ich am Ende eines Turniers bin.
Dein Eröffnungsrepertoire wirkt sehr kompakt und hier in St. Louis schien das besonders deutlich zu sein. Aber in der letzten Runde gegen Nepomniachtchi hast Du dann plötzlich eine Eröffnungsüberraschung aus dem Ärmel gezaubert. Wie kam es dazu?
Ich habe diese Variante gegen Magnus beim Blitz- und Schnellschach in Paris mit Schwarz gespielt und hatte Probleme. Also habe ich sie mir angeguckt und kam zu dem Schluss, dass die Dinge nicht so einfach sind. Magnus hat die gleiche Variante auch in Leuven gegen Ian [Nepomniachtchi] gespielt, und auch dort kam Ian schnell in Schwierigkeiten. Ich hatte den Eindruck, dass Ian sich diese Variante vielleicht nicht ernsthaft angeschaut hatte, und selbst wenn, gab es immer noch eine Reihe von Tricks. Ich hatte das Gefühl, diese Variante war in der letzten Runde einen Versuch wert.
Hast Du dabei die Situation im Turnier im Blick gehabt?
Teilweise, ja. Ich musste in der letzten Runde gewinnen, denn meine Wertungen waren schlecht. Ich hatte gar keine andere Wahl, als auf Gewinn zu spielen. Im Prinzip würde ich gegen Ian immer so spielen, wie ich es getan habe. Aber hätte ich nur ein Remis zum Turniersieg gebraucht, hätte ich vielleicht überlegt, irgendetwas Supersicheres und Solides zu spielen. Aber wenn ich Weiß habe, will ich normalerweise gegen jeden auf Gewinn spielen.
Konzentriert: Maxime Vachier-Lagrave | Foto: Lennart Ootes
Bei Deinen Gewinnpartien gegen So und Nepomniachtchi in der ersten und in der letzten Runde hast Du Deine Gegner "massiert". Die meisten der anderen Partien verliefen deutlich komplexer. Welche Art von Schach spielst Du lieber?
Ich glaube, ich kann beides. Natürlich ist es schön, den Gegner zu "massieren", ihm so wenig Gegenspiel wie möglich zu geben. Es ist ein angenehmes Gefühl, überhaupt nicht in Gefahr zu sein und auf zwei Ergebnisse zu spielen (Sieg oder Remis). Als Profi ist das angenehm und immer gut. Aber zugleich spüre ich jedes Mal, wenn ich in eine komplexe Stellung gerate, eine Spannung, die mit einfachem Spiel nicht erreicht werden kann. Außerdem ist es schön, wenn man in einer unübersichtlichen Stellung mehr sieht als der Gegner. Das ist ein schönes Gefühl.
Mit dem Sieg in St. Louis hast Du die Marke von 2800 Elo übersprungen und liegst im Live-Rating im Moment auf Platz zwei der Weltrangliste. Im August 2016 warst Du in einer ähnlichen Lage. Ist es dieses Mal anders?
Ich glaube, meine Meinung zu diesem Thema hat sich nicht geändert. Ich habe es damals gesagt und ich sage es noch einmal: ob man die Nummer zwei oder die Nummer fünf ist, macht im Moment keinen großen Unterschied, weil die Abstände an der Spitze so gering sind. Ich würde mich für die Nummer zwei in der Welt halten, wenn ich da ein Jahr oder so bleibe. Noch besser wäre natürlich, wenn ich Magnus irgendwann einmal überhole. Aber im Moment liegenLevon [Aronian] und Vladimir [Kramnik] einen Punkt hinter mir und sogar die Nummer acht oder neun liegt weniger als 15 Punkte zurück. Mit einem guten oder schlechten Turnier kann sich alles ändern.
Hat der Sieg in St. Louis Dein Selbstvertrauen für die kommenden Turniere stark gefördert, vor allem in Hinblick auf die Qualifikation für das Kandidatenturnier?
Mathematisch gesehen ist es für mich sehr schwer, mich über Rating für das Kandidatenturnier zu qualifizieren. Ich habe ein paar Berechnungen angestellt und erkannt, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass ich mich über Rating qualifiziere. Dessen ungeachtet ist es immer schön, gutes Schach zu spielen, dann das ist mir eine Weile nicht gelungen. Ich hoffe, ich kann diese Form bis zum Ende des Jahres konservieren. Ich habe gute Chancen, mich für das Kandidatenturnier zu qualifizieren, wenn ich beim World Cup oder beim letzten FIDE Grand Prix in Mallorca so gut spiele.
Übersetzung aus dem Englischen: Johannes Fischer