Tarjei Svensen - Unser Mann in Norwegen

von Stefan Löffler
15.11.2019 – Wenn Magnus Carlsen seinem Schachverband den Rücken kehrt, in der Heimat launige Interviews gibt oder für seinen neuen Klub in der zweiten Liga antritt, dann erfährt es der Rest der Welt zuerst von Tarjei Svensen. Oder vielmehr @TarjeiJS, wie er auf Twitter heißt. Stefan Löffler sprach mit dem norwegischen Onlineredakteur. | Foto: Lennart Ootes

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"Ich bin immer online. Ich muss immer wissen, was los ist."

Die Nachricht, dass Magnus Carlsen seine Mitgliedschaft im Norwegischen Schachverband niederlegt, erreichte Tarjei Svensen im Fitnessstudio. Ein Journalist rief an, bat um Einordnung. Noch vom  Laufband aus versorgte Svensen den Kollegen. Dann blieb er stehen, stieg vom Laufband und tweetete selbst für seine 14 200 Follower in aller Welt. Wer über Schach berichtet, kommt an @TarjeiJS nicht vorbei. Vor allem wenn es um Neuigkeiten vom Weltmeister geht.

"Carlsens Austritt war hier für einige Stunden die Onlinenews Nummer eins", erzählt Svensen, und das, obwohl die Konsequenzen zunächst gar nicht klar gewesen seien. Spielt der Weltmeister bei der Schacholympiade 2020 für die USA? Wandert er aus? Sperrt sein erst vor wenigen Monaten gegründeter Klub zu? Kann Offerspill seinen Gründer zumindest nicht mehr einsetzen?

Nichts von alledem. Carlsen wird weiter für Norwegen antreten und dort seine Steuern zahlen. "Es ist ein rein symbolischer Akt. Es ist seine Antwort an die Mitglieder des Schachverbands", erklärt Svensen. Die Mitglieder ließen im Juli einen von Carlsen massiv befürworteten Deal mit dem Glücksspielkonzern Kindred Group durchrasseln. Umgerechnet eine Million Euro jährlich, fünf Jahre in Folge hätte der Schachverband bekommen. Damit hätte aus Carlsens Sicht die Spielergeneration nach ihm endlich richtig gefördert werden können. Doch Lobbyarbeit fürs kommerzielle Glücksspiel und gegen die staatlichen Monopolanbieter ist für die Mehrheit der norwegischen Spieler ein No-Go.   

Über dem Streit sind Freundschaften zerbrochen, Ämter zurückgelegt und wüste Drohungen ausgesprochen worden. Während die Wunden langsam heilen, scheint Carlsens Austritt neues Öl ins Feuer zu gießen. In Wahrheit zeugt sein Timing von Rücksichtnahme. Rücksicht auf die WM im Fischer-Random, die vor zwei Wochen in Oslo stattfand. Rücksicht auf eine Fundraising-Kampagne. Vorvergangenen Dienstag präsentierte sich der Schachverband in Olso vor Vertretern einiger der größten skandinavischen Firmen, um Sponsoren fürs Schul- und Jugendschach zu gewinnen. Carlsen stellte sich als Zugpferd zur Verfügung.

Der Weltmeister liegt auch gar nicht mit der Führung des Norwegischen Schachverbands im Clinch. Diese stand genau wie er hinter dem möglichen Deal mit der Kindred Group und hatte ihn ja über Monate im Geheimen ausgehandelt. Wie Svensen weiß, war die Verbandsspitze selbst auf Carlsens Austritt gefasst. Bereits kurz nach der Abstimmung hatte er im Juli darum gebeten, auch als Nichtmitglied für Norwegen und in der norwegischen Liga spielen zu dürfen. "Er hat jetzt als einziger diese Genehmigung. Auch Ausländer, die für norwegische Klubs spielen, müssen als Mitglieder im Verband gemeldet sein", sagt Svensen. Abgesichert hat sich Carlsen auch bei der FIDE.

Sein wohlpräparierter Rückzug ist also vor allem ein Signal an die norwegischen Vereinsspieler und ihre Amateursmentalität. Was es für sein Image bedeutet, sei ihm herzlich egal, meint Svensen. "Magnus war noch nie der Typ, dem wichtig ist, wie andere über ihn denken." Wenn er etwas komisch finde, sage er es einfach. Auch wenn der Weltmeister damit manchmal andere vor den Kopf stößt. Svensen selbst mag Carlsens trockenen Humor. Seine notorischen Sticheleien auf Twitter gegen Anish Giri inbegriffen. "Aus der Ferne mag das übel aussehen, weil kein Smiley dabeisteht. Aber das ist alles spielerisch. Die beiden verstehen sich sehr gut miteinander." 

Zu seinem Bedauern tweetet Carlsen immer weniger. Selbst hat Svensen bald 55.000 Tweets und Retweets abgesetzt. Seit dem Weltmeisterjahr 2013 fast nur noch über Schach. Während wichtiger Wettbewerbe verbringt er Stunden auf Twitter. Svensen sieht es als seinen Dienst an der Schachwelt. Eigene Schachstories veröffentlicht er auf seiner Website Mattogpatt. Alles neben seinem Brotjob als Redakteur eines Internetportals, das Nachrichten und Stories anderer Medien aggregiert. Nachrichten sind sein Leben. "Ich bin immer online. Ich muss immer wissen, was los ist."

Vor einigen Tagen gab Kasparow in Oslo ein Interview. "Zur Fischerschach-WM sagte er, dass Magnus sich manchmal selbst sein größter Feind ist. Es war kein schlechtes Interview, aber es war nichts wirklich Neues dabei." Mehr als einen Tweet war es Svensen nicht wert. Als Carlsen voriges Jahr zwei norwegischen Freunden Rede und Antwort stand, hielt er es in sechzig aufeinander folgenden Tweets fest. "Magnus hat mir einmal gesagt: Du tweetest zu viel."

Tarjei Svensen am Schachbrett | Foto: Lennart Ootes

Links

  • Tarjei Svensen auf Twitter: @TarjeiJS
  • Tarjei Svensens Website mattogpatt.no

Stefan Löffler schreibt die freitägliche Schachkolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ist in Nachfolge von Arno Nickel Herausgeber des Schachkalender. Für ChessBase berichtet der Internationale Meister aus seiner Wahlheimat Portugal.

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