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Schneller, höher, weiter. So funktionieren unsere Medien und unsere Gesellschaft. Genauso funktioniert der Sport. Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und später höhere finanzielle Möglichkeiten spielen Rekorde eine Rolle. In diesem Fall der Rekord des jüngsten Schach-Großmeisters aller Zeiten. Die Geschichte von Abhimanyu Mishra, kurz Abhi, war zuletzt die Geschichte von Erfolgen eines Kindes, aber genauso seiner Entbehrungen und der Investments seiner Familie.
Abhimanyu Mishra, geboren am 5. Februar 2009, ist das zurzeit jüngste Talent im Schachzirkus. Sein Vater, Hemant, spricht offen darüber wie groß der finanzielle Aufwand (aktuell 270.000 USD) ist, den die eigene Familie erbringen musste, um seinen Traum zu erfüllen. Zunächst den Traum des Vaters. Die Geschichte von Abhimanyu Mishra erzählte kürzlich Stefan Löffler für die FAZ, zweitabgedruckt bei ChessBase.
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Die Geschichte von Abhi ist im Sport keine ganz neues Narrativ. Wir kennen ähnliche Entwicklungen aus anderen Sportarten wie dem Turnen, Eislaufen und Tennis, um nur einige sportliche Disziplinen zu nennen. Genauso funktioniert die Musik bei Top-Geigern und Pianisten beispielsweise. Wer ein Instrument perfekt beherrschen will, der muss ebenfalls früh anfangen und ausdauernd üben. Jacob Aagaard schätzt für das Schachspiel, dass man bis zum Alter von 20 Jahren eine Elozahl von 2700 erreichen muss, um eine Chance zu besitzen in die absolute Weltspitze zu gelangen. Die Tendenz ist eindeutig: Je jünger man Erfolge vorweisen kann, desto größer sind die Chancen für den absoluten Triumph. Die Öffentlichkeit nimmt bei Sportlern immer nur die Erfolgsgeschichten wahr und erzählt diese. Viel mehr Kinder und mit ihnen deren Familien dürften scheitern bei dem Versuch, den Erfolg zu erzwingen.
Täglich mehrstündiges Training
Es ist dem Vater von Abhi gelungen, Trainer und Coaches für das Projekt Großmeister-Titel zu gewinnen und vor allem zu bezahlen. Bei der Finanzierung musste die Familie an die Grenzen gehen und setzt auf Fundraising. https://de.gofundme.com/f/Help-Abhi-to-become-Youngest-Grand-MasterInworld Abhi absolviert seit Jahren ein erhebliches tägliches Trainingspensum. Sein Head-Coach ist aktuell Magesh Panchanatan, ein geborener Inder, der in Apex in North-Carolina lebt und als Schachtrainer arbeitet. Magesh gründete Anfang 2021 zusammen mit seinen indischen Großmeister-Kollegen Ramesh und Surya Ganguly die Online-Schachschule Pro Chess Training. In der Elite-Gruppe finden sich dort neben gestandenen Großmeistern einige Top-Talente wie Pragg und Christopher Yoo. Die unteren Leistungsgruppen sind gespickt mit Kindern, die Abhi und Pragg nacheifern wollen. Die wenigsten werden annähernd so stark werden. Längst ist zudem weltweit die Jagd auf die größten Talente eröffnet. Das schmückt die eigene Institution verspricht Ehre und mehr Aufmerksamkeit, die Währung von heute. Garry Kasparov integrierte Abhi schon vor längerer Zeit in die US-Trainingsgruppe seiner Stiftung.
https://www.espn.in/chess/story/_/id/31464540/speed-chess-abhimanyu-mishra-races-youngest-ever-gm
Budapester Episode
Der aktuelle Lockdown reduzierte die Rekordchancen von Abhi. Zusammen mit seinem Vater ist er zurzeit in Budapest und versucht schnellstmöglich die notwendigen Normen zusammen zu bekommen. Zunächst finden dort sechs GM-Turniere hintereinander statt – von Mitte April bis Anfang Juni. Hemant und Abhi sind ohne Rückflug-Ticket nach Ungarn geflogen. Am Tag des Entstehens dieses Artikels beginnt das sechste Turnier für den Jungmeister aus den USA und da er gewann, überschritt er in der Live-Rating die 2500er-Marke.
Bei Rundenturnieren muss zum Erzielen einer Großmeister-Norm das Turnier mindestens der Kategorie 6 entsprechen (Ratingschnitt von 2376 bis 2400). Alle beendeten Turniere an denen Abhi in Budapest teilnahm fielen in diese Kategorie. Die GM-Norm liegt bei sieben Punkten aus neun Partien, oder plus Fünf. Das macht die Planung im Vergleich zu Schweizer-System-Turnieren einfach, ist aber gleichzeitig eine ordentliche Herausforderung. Die IM-Norm im gleichen Turnier liegt bei 5,5 Punkten. Zum Vergleich: In Charlotte wurde Ende Mai ein Großmeisterturnier gespielt in dem der Ratingschnitt bei 2436 (Kategorie 8) lag. Hier reichten 6,5 Punkte als Großmeisterresultat. Christopher Yoo, Jahrgang 2006, gelang in der letzten Runde ein Sieg und damit die Norm. Beim Frauen-Grand-Prix auf Gibraltar übererfüllte Zhansaya Abdumalik die Norm von sechs Punkten mit 7,5 deutlich und darf sich demnächst Großmeister nennen. (Hinweis: Diejenigen, die sich um gendergerechte Formen sorgen, es gibt im Schach weibliche Großmeister-Titel und die schwierigere männliche Version).
Neben den Normen aus mindestens 24 Partien, ist eine Rating erforderlich, die im Verlauf über 2500 Elo-Punkten liegen muss. Das ist für viele Spieler eine weitere Hürde auf dem Weg zum Großmeister-Titel. Lazlo Nagy, der Organisator der First-Saturday-Serie in Budapest, weist gerne darauf hin, wer bei seinen Turnier bereits Normen erzielte. Darunter sind viele heutige Weltklasse-Großmeister: Fabiano Caruana beispielsweise erzielte sämtliche Großmeister-Normen in Budapest. In der Vergangenheit war es so, dass Spieler mindestens eine Norm in einem Rundenturnier erzielen mussten. Hier hat der Weltschachbund die Bedingungen allerdings inzwischen gelockert. Zudem erhalten Kinder und Jugendliche durch einen Faktor von 40 einen zusätzlichen Rating-Booster bis 2400.
Das erste Turnier diente Abhi zum Eingewöhnen. Mit 6 aus 9 fehlte dem Youngster ein Punkt und sein Spiel wirkte phasenweise ein wenig zu risikoreich. Das wurde korrigiert und man sieht Abhi inzwischen immer häufiger beim Versuch, die Damen frühzeitig im Mittelspiel zu tauschen. Tatsächlich ist der junge US-Amerikaner mit indischen Wurzeln, technisch stark unterwegs. Interessanterweise wichen seine erfahreneren Gegner den Endspielen mehrfach aus und oft war das dann die falsche Entscheidung.
Das Turnierleben von Hemant und Abhi in Budapest folgt festen Ritualen. Dazu gehört die anschließende mehrstündige Online-Analyse mit seinen Coaches ohne Engine-Einsatz. Der Vater übernimmt die Datenbank-Recherche.
Video von "The Big Greek"
Im zweiten Turnier ging es im Eiltempo weiter. Mit acht Punkten aus neun Partien übererfüllte er seine erste GM-Norm. Beim First-Saturday gelang Abhi im dritten Turnier direkt die zweite Norm, diesmal mit sieben Punkten. Abhi gewann die letzten beiden Partien. In den beiden folgenden Turnier hatte er dann teilweise nach gutem Start keine Chance auf die definitive Norm, gewann aber mit jeweils sechs Punkten (+3) wertvolle Ratingpunkte hinzu. Über sämtliche 45 Partien liegt seine Performance damit bei stattlichen 2562 Punkten. 33 Punkte aus 45 Partien ist ein hervorragende Ausbeute (+21).
Mit Weiß schickt Abhi immer zunächst den Damenbauern ins Rennen. Bemerkenswert ist seine Bereitschaft Endspiele zu spielen. Das entspricht in vielerlei Hinsicht dem Spielansatz von seinem Coach Magesh und zeigt worauf die indische Schachschule Wert legt. Großmeister Ramesh beispielsweise sieht intensive Eröffnungsarbeit bei Youngsten erst ab einem Niveau von 2400 als notwendig an. Tatsächlich kann man beobachten wie beispielsweise Gukesh und Pragg lange Zeit auf Eröffnungsvorteil verzichteten und nur die Struktur der Partie bestimmen wollten. Das ändert sich später mit der Gegnerschaft.
Mit Schwarz greift Abhi aktuell vor allem zum Najdorf-Sizilianer. Gegen den Damenbauern scheinen die ruhigen Varianten im Semislawen seine exklusive Wahl in Ungarn zu sein. Ohnehin ist seine Spielweise solide und geduldig zu nennen. Das ist ein frühes Zeichen für ein gesundes und gewachsenes schachliches Selbstbewusstsein.
Abhi ist wegen der Pandemie nicht angstfrei nach Budapest gereist und will jetzt nach der entscheidenden Norm möglichst schnell zurück nach Hause, etwas ausruhen und Karate trainieren. Natürlich um dort ebenfalls ein Meister zu werden. Denn Ziele bestimmen sein auf Erfolg ausgerichtetes Leben.
Disclaimer
Vermutlich muss man heutzutage früh mit dem Training beginnen, um die absolute Weltspitze zu erreichen. Man kann diese Entwicklung kritisch sehen und die Motivation der Eltern hinterfragen. Immer häufiger berichten Trainer von Schülern, die vor allem sich selber durch Einsatz von Engines betrügen. Das ist im Online-Training noch einfacher geworden. Vielleicht geht es einigen Kindern darum, die hohen Erwartungen der eigenen Eltern und den gefühlten Druck der Trainer zu erfüllen. Dieser Text soll einen Einblick in die aktuell Spielstärke eines hart arbeitenden Kindes vermitteln, aber keinesfalls eine Aufforderung zum Nachahmen sein oder dazu motivieren. Am wichtigsten ist und bleibt es Spaß am Schachspiel zu haben. Bestenfalls führt das zu einer förderwürdigen Begeisterung und Freude für das Schachspiel aus Eigenmotivation.