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Anfang März 2020 hatte der Corona-Virus Europa erreicht ein ein Land nach dem anderen beschloss den Lockdown - Verbot aller öffentlichen Aktivitäten. Die Kulturbetriebe schlossen, Theater, Kino, Konzerte wurden geschlossen und abgesagt. Die Sportligen beendeten ebenfalls recht schnell ihren Betrieb. Für das große Geschäft Fußball war das besonders bitter. Die Kosten sind durch völlig überzogene Gehälter der Profifußballer hoch und die Einnahmen waren nun weg. Einige Vereine standen vor der Pleite.
Das Schach hat es auch getroffen, aber auf ganz verschiedene Weisen. Einige der Topspieler hatten gerade noch Mühe nach Hause zu kommen, zum Beispiel die Teilnehmer des Kandidatenturniers. Manche schafften es nicht rechtzeitig. Viswanathan Anand war zur Bundesliga nach Deutschland gereist. Dann wurde der Spielbetrieb gestoppt und plötzlich gab es auch keinen Flieger nach Indien mehr. Anand saß einige Wochen in seinem Europa-Stützpunkt Bad Soden fest. Inzwischen ist er aber wieder zu Hause.
Für eine Reihe von Spitzenspielern öffnete sich dann ganz schnell eine Tür, durch die Einkünfte hereinkamen - durch die Online-Turniere im Internet. Einige Sponsoren und Mäzene organisierten Online-Schnellschachturniere. Carlsen stellte mit seinen Geldgebern im Rücken - sie treten nicht öffentlich auf, aber man kann die Kindred-Gruppe zumindest vermuten - eine ganze Turnierserie für Spitzenspieler auf die Beine. Und auch das Saint Louis Chess Center wurde schnell aktiv und organisierte im Wechsel Turniere für diese privilegierte Gruppe von Spielern. The Show must go on!
Die Spieler lieferten sich packende Duelle, man sah sie hinter den Webcams schwitzen und grübeln, und sie verteilten mit ihren Platzierungen die Anteile an den sehr stattlichen Preisgeldern. Das Turnierprogramm war so dicht, dass manche Spieler morgens in dem einen Turnier und abends in dem anderen spielen mussten/durften. Die Zuschauer hatten - und haben ja immer - noch ihr Spektakel. Die weltbesten Profis müssen nicht am Hungertuch nagen. Aber was ist eigentlich mit den anderen Profis? Den Spielern in der zweiten und dritten Reihe, die nicht ganz so gut spielen wie die Weltspitze, aber auch immer mal tolle Ideen haben?
Normalerweise hätten sie in den vielen internationalen Ligen gespielt und ihre bescheideneren Gagen bekommen. Oder bei den großen Open, den abgesagten Turnieren in Baden-Baden oder Dortmund um Preise gespielt. Oder auch bei den vielen kleinen Open.
Bei einigen Internet-Zuschauern stellte sich nach dem Online-Turniermarathon auch schon ein Ermüdungseffekt ein. Fußballfans kennen das von ihrem Lieblingssport. Früher waren Europapokalspiele Highlights, auf die man sich lange vorher freute. Dann war auf einmal jeden Tag Fußball. Ermüdend. Täglich grüßt das Mumeltier. Die Duelle der weltbesten Spieler, auch im Schnellschach, sind spannend - aber jeden Tag? Oder ist es Jammern auf hohen Niveau? Vielleicht. Das kann dann jeder für sich beantworten.
Für die vielen Schachspieler, die nicht Weltspitze sind, gibt es aber auch Spielangebote. Die Internationalen Verbände, FIDE und ECU, haben Turniere organisiert, auch mit Preisgeldern. Und die Nationalen Verbände haben in der Kürze der Zeit ebenfalls Online-Meisterschaften auf die Beine gestellt. Hier kann man nicht reich werden, aber man kann Spaß und Erfolg haben und einen offiziellen Titel gewinnen.
Derzeit führt der Deutsche Schachbund auf Playchess einen kompletten Ligabetrieb durch. Natürlich gibt es Anfangsprobleme, die Aufteilung in die Ligen und Gruppen ist aber sehr pfiffig. Und man kann zwei sehr schöne Effekte erkennen: Das Leistungsspektrum ist sehr groß. Dadurch, dass die Bedenkzeit einigermaßen lang ist, können auch ungeübte Spieler teilnehmen. Und die Vereine treten gegen Mannschaften an, die nicht aus der Nachbarschaft kommen - auch hier grüßt in den Amateurligen ja sonst nicht täglich, aber jährlich das Murmeltier. Endlich mal andere Gegner im Ligabetrieb!
Zusätzlich zum reinen Schach, das ja im Internet im Prinzip auch gut ohne Bildbegleitung funktioniert, gibt es einen Zusatzeffekt. Es gab schon vorher eine große Bewegung hinein in die Streaming-Dienste, zum Beispiel mit den vielen Kommentierungsangeboten zu Topturnieren, aber der Corona-Lockdown hat diesen Trend immens verstärkt. Heute ist auch jeder Spieler und Trainer sein eigener Videoproduzent. Wenn er will. Schach kann eben alles sein. Je nachdem, wie man es betrachtet und verwendet: Vom Spiel zum Sport zum Entertainment. Für einige Schachprofis, solche die nicht zur Weltspitze gehören, bieten diese Plattformen eine interessante Einnahmequelle. Für einige Spitzenprofis aber auch.
Die Gamingszene, deren Lieblingsspielwiese die Plattform Twitch ist, staunte, als plötzlich die Tür aufging und sich zigtausende von Zuschauern beim Schach versammelten. Das alte Schach ist so angesagt? Einige Stars der Gamingszene spielten jetzt sogar spaßeshalber Schachturniere. Lustig! Es war so, als würde ein Baby, das gerade laufen gelernt hat, bei einem 100 Meter Rennen mitmachen wollen. Es ist aber OK und zeigt, welche Aufmerksamkeit das Schach genießt.
Der Verlag "Werben und Verkaufen" wies aktuell in seinen Tech-Nachrichten darauf hin, dass nicht etwa die gehypten Spiele Fortnite Battle Royale, League of Legends oder Call of Duty die am schnellsten wachsenden Spiele auf Twitch sind. Nein, es ist Schach.
Laut StreamElements hat sich die Anzahl der Stunden, in denen beim Schach zugesehen wird, seit Anfang des Jahres jeden Monat verdoppelt. Im Mai haben Twitch-Nutzer acht Millionen Stunden beim Schach zugesehen. Das sind Reichweiten! Zum Vergleich: Wenn in Dortmund 80.000 Zuschauer 1,5 Stunden beim Fußball zuschauen, sind das 120.000 Stunden. Bei zwei bis drei Heimspielen kommt Borussia Dortmund gerade einmal auf höchstens 360.000 Stunden.
Der US-Spitzenspieler Hikaru Nakamura hat mit seinen Entertainer-Qualitäten seine Livezuschaueranzahl in den letzten Wochen laut Wire von 2000 auf 18.000 gesteigert und spielt spaßeshalber gegen Prominente, darunter Game of Thrones-Star Hafþór Júlíus oder League of Legends-Streamer Albert Zheng ("Boxbox").
Inzwischen ist die Anzahl der Follower auf 425.000 gestiegen. Im Schnitt schauen bei Nakamura etwa 13.000 Leute zu.
Nakamura hat es sich aber in seinem Kanal auch zur Aufgabe gemacht, den Schach-affinen, aber nicht so starken Streamer Felix "xQc" Lengyel zu coachen und seine Partien zu kommentieren. Das finden Nakamuras Follower interessant und unterhaltsam. Das US-Techmagazin "Wire" betrachtet Nakamura inzwischen als den Schachbotschafter schlechthin auf Twitch. Den Gamern, die dort unterwegs sind, vermittelt er mit seinen kleinen Trainingseinheiten haufenweise Aha-Erlebnisse. "Ich habe nicht geahnt, was für ein tiefes Spiel Schach ist", staunt Boxbox Zheng.