Vlastimil Horts "unvergessene Partien"

von André Schulz
27.02.2024 – Vlastimil Hort ist als großer Erzähler von Schachgeschichten bekannt. Darüber kann man bisweilen vergessen, was für ein herausragender Schachspieler er war. In seiner besten Zeit Mitte der 1970er Jahre war Hort die Nummer sechs in der Weltrangliste. In seinen "unvergessenen Partien" begegnet der Leser den Großen aus 40 Jahren Schachgeschichte. Sehr schön!

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Vlastimil Hort ist der große Erzähler des Schachs mit einem niemals endenden Repertoire an Erinnerungen an große Schachspieler oder kuriose Geschichten, die er mit ihnen erlebt hat. Vor einigen Jahren erschien sein Buch "Meine Schachgeschichten", mit dem er den Leser an vielen solcher Begebenheiten hat teilnehmen lassen. Die älteren Schachfreunde erinnern sich noch gerne an Vlastimil Horts Auftritte zusammen mit Helmut Pfleger bei den WDR Schachsendungen von Claus Spahn "Schach der Großmeister" und wissen, dass Horts Geschichten und Anekdoten erst mit breitem tschechischen Akzent ihre ganze Kraft entfalten. Aber auch das Lesen der Geschichten macht Spaß. Man kann sich Horts Akzent ja gut vorstellen. Wer ihn einmal gehört hat, bekommt ihn nie wieder aus dem Kopf heraus.

Wer ihn live sehen und hören möchte, dem sei auch Horts Fritztrainer empfohlen.

Bei aller Begeisterung für Vlastimil Horts Schachgeschichten kann man mal vergessen, was für ein großartiger Schachspieler er war. 1944 in Klasno, CSSR, geboren verzeichnete Hort einen raketenhaften Aufstieg in die Weltspitze. 1967 gehörte der 23-Jährige schon zu den Top 20 in der Welt, wobei man sich gewahr sein muss, dass es damals natürlich viel weniger Schachprofis gab, und mit dem Turnierschach nicht schon in frühester Jugend begonnen wurde. In der Zeit um 1977/78 befand sich Vlastimil Hort auf dem Zenit seines Könnens. Seine Elozahl betrug 2620, eine Zahl, die mit heutigen Zahlen nur schwer vergleichbar ist. Im Januar 1976 bedeutete dieses Rating den 6. Rang in der Weltrangliste. Vor Hort rangierten nur noch Karpov (2690), Kortschnoj, Petrosian, Mecking und Portisch. Dahinter findet man die übrige Crème de la Crème jener Zeit: Polugajevsky, Tal, Larsen, Ljubojevic, Spassky, Hübner und viele andere große Namen jener Zeit.

Der Statistiker Jeff Sonas hat vor vielen Jahren auf seiner Seite Chessmetrics den Versuch unternommen, Ratingzahlen auch für noch ältere historische Spieler zu errechnen und die Zahlen vergleichbar zu machen. Bei Sonas kommt Hort mit einer historischen Zahl von 2725 auf Rang sieben im Juli 1977 als besten Wert. In Sonas ewiger Bestenliste, die allerdings schon 1995 endet, als Sonas seiner Berechnungen durchführte, nimmt Hort Platz 83 ein. 

Bobby Fischer hatte seine 60 memorable Games schon veröffentlicht, bevor er Weltmeister wurde und so fehlen dort einige wichtige Partien. Vlastimil Hort hat sich für seine "unvergessenen Partien" etwas mehr Zeit gelassen. Sein Buch "Meine unvergessenen Partien" ist jetzt erschienen, nur kurz nach dem 80sten Geburtstag des Meisters. Es enthält 40 Partien, die Vlastimil Hort aus seiner langen Karriere besonders im Gedächtnis geblieben sind. Der Meister hat das 160 Seinen umfassende Buch und seine Schachlaufbahn in drei Abschnitte unterteilt, "Meine Jugendjahre", "Meine besten Jahre" und "Den Zenit überschnitten". Es folgt noch ein kurzer Abschnitt unter dem Titel "Auch ein blinder Hahn findet immer noch einen Korn" mit zwei hübschen Siegpartien über Judit Polgar und Bent Larsen.

Vlastimil Horts Zeitreise beginnt 1960 und endete 1998. In dieser Zeit begegnet Vlastimil Hort und mit ihm der Leser dem Who ist who aus 40 Jahren Schachgeschichte. Vlastimil Hort hat gegen alle Großen gespielt, denn er gehörte ja dazu. Die Partien sind auf wohltuend altmodische Weise erklärt. Auf lange Engine-Varianten hat Hort in seinen Kommentaren verzichtet, was nicht bedeutet, dass er die Partien und Kommentare nicht maschinell auf Fehler geprüft hat. Aus Horts Kommentaren kann man etwas lernen, auch über die Gegner, die von Vlastimil Hort in ihrem Verhalten oder Marotten liebevoll skizziert werden. Meist spricht der Autor respektvoll über seine Gegner, er kann aber auch bissig sein. "Leider kann ich über die Nummer eins des rumänischen Schachs nichts Gutes erzählen," heißt es über Florin Gheorghiu. Er kaufte Partien. Vom Handel mit Partien berichtet Vlastimil Hort auch noch an anderer Stelle im Buch. Auch mit seinem Landsmann Ludek Pachman war Hort nicht im Reinen. Die Antipathie beruhte offenbar auf Gegenseitigkeit. Für manch anderen berühmten Zeitgenossen hat Hort auch noch einen kleinen Seitenhieb parat.

Wie beurteilt Hort sich selbst? Kritisch. Im Vorwort schreibt er. "Weder war ich ein guter Angriffsspieler noch ein Verteidiger. Mit der Theorie habe ich mich niemals so ausführlich beschäftigt. ... Gerne fischte ich im Trüben, das sah ich als die wirkliche Denk-Herausforderung an." Da ist aber doch einiges an Understatement drin oder wie kommt man so in die Top Ten? Horts Fazit über das Leben als Profi fällt positiv aus: "Mit Schach habe ich jedenfalls die Welt kennengelernt und viel Schönes erleben dürfen!"

Vlastimil Horts "Meine unvergessenen Schachpartien" ist eine schöne Ergänzung zu "Meine Schachgeschichten", mit richtig guten Schachpartien, von denen Hort aber auch manch wichtige verloren hat, zum Beispiel im Kandidatenviertelfinale 1977 gegen Boris Spassky unter sehr tragischen Umständen. Bisweilen entscheidet eben nur eine Partie über den Verlauf der Schachgeschichte und gibt ihr eine ganz andere Richtung.

Im Anhang hat Vlastimil Hort aus seinem privaten Fotoalbum auch noch einige hübsche Schnappschüsse von verschiedenen Events veröffentlicht. Das hübsche Buch ist handlich, gebunden, mit Schutzumschlag, Inhaltsverzeichnis und Register versehen und natürlich gut lesbar. So, wie man es sich wünscht. 

Vlastimil Hort: Meine unvergessenen Schachpartien
Nava Verlag, Pilsen, 2024
160 Seiten, gebunden, 24 Euro

Im Buchhandel oder bei Schach Niggemann.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.