Vor 60 Jahren: Botvinnik gewinnt Revanche-WM gegen Tal

von Johannes Fischer
12.05.2021 – Heute vor 60 Jahren, am 12. Mai 1961, endete der zweite Weltmeisterschaftskampf zwischen Mihail Tal und Mikhail Botvinnik, der in Moskau am 15. März begonnen hatte. Den ersten Wettkampf 1960 hatte Tal mit 12,5-8,5 gewonnen, doch beim Revanchewettkampf holte sich Botvinnik den WM-Titel zurück und besiegte Tal mit 13-8 (+10, -5, =6) deutlich. Doch wirklich überzeugend war Botvinniks Sieg nicht.

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Der Weltmeisterschaftskampf Mikhail Botvinnik vs Mihail Tal, Moskau 1961

Manche Weltmeisterschaftskämpfe erfahren in der Schachgeschichte viel Aufmerksamkeit, andere weniger. Der WM-Kampf 1960 zwischen Tal und Botvinnik wurde viel beachtet, der Revanchekampf zwischen Tal und Botvinnik 1961 sehr viel weniger. Das liegt auch daran, dass in den Augen vieler Leute der "falsche" Spieler gewonnen hat.

Mit seinem Wettkampfsieg gegen Botvinnik 1960 wurde Tal zum damals jüngsten Weltmeister aller Zeiten. Sein mutiges dynamisches Spiel begeisterte Fans in aller Welt und sein Sieg gegen Botvinnik schien ein Sieg der Phantasie gegen Logik und der Beginn einer neuen Ära zu sein. Doch nur ein Jahr später, beim Revanchewettkampf 1961, folgte die Ernüchterung: Botvinnik gewann mit 13 zu 8 (+10, -5, =6) und holte sich den Weltmeistertitel zurück. Allerdings fand der zweite Wettkampf unter ungleichen Bedingungen statt.

Prinzipiell ungerecht war das Privileg des Weltmeisters auf einen Revanchewettkampf. Denn diese Regel führte dazu, dass der Herausforderer das Kandidatenturnier und zwei WM-Kämpfe gegen den amtierenden Weltmeister gewinnen musste, um den Titel endgültig zu erobern, während der amtierende Weltmeister nur einen von eventuell zwei Wettkämpfen gewinnen musste, um seinen Titel zu behalten oder zurückzuerobern.

Doch damit nicht genug. Als Tal 1961 zum Revanchewettkampf antrat, war er krank. Dazu schreibt André Schulz:

Vor Beginn des Wettkampfes war Botwinnik … in Streit mit Nikolai Romanow, dem Vorsitzenden des Sportkomitees geraten. Romanow hatte Botwinnik … mitgeteilt, dass Tal sich wegen einer Nierenkolik krankgemeldet hatte und möglicherweise eine Verlegung des Wettkampfes anstand. Botwinnik pochte jedoch auf ein ärztliches Attest, ausgestellt durch einen Moskauer Arzt. Tal hatte nur ein Attest eines lettischen Arztes vorgelegt. Er hätte also zur Untersuchung nach Moskau reisen müssen. Romanow hielt das zunächst für überflüssig. Schließlich forderte er es aber doch von Tal ein, welcher dann aber lieber dem fristgerechten Beginn des Wettkampfes zustimmte, weil er diese Prozedur als unwürdig betrachtete.

[Alexander] Koblenz [der Trainer von Tal] gab später zudem an, dass Tal zwei Wochen vor dem Wettkampf noch Opfer eines leichten Herzinfarktes gewesen sei. (André Schulz, Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, New in Chess 2015, S. 150)

So begann der Wettkampf wie vorgesehen am 15. März 1961 unter ungleichen Bedingungen, denn Tal war krank und von seiner Bestform weit entfernt. Und so war Botvinnik im Wettkampf tatsächlich der bessere Spieler und hat rein schachlich gesehen verdient gewonnen. Einmal mehr profitierte er dabei von seiner guten Vorbereitung.

Den ersten WM-Kampf zwischen Tal und Botvinnik 1960 hatte Tal unter anderem deshalb gewonnen, weil es ihm immer wieder gelang, Stellungen herbeizuführen, in denen er seine Stärken ausspielen konnte. Das wollte Botvinnik beim Revanchekampf verhindern.

Auf den Revanchewettkampf gegen Tal habe ich mich sehr gut vorbereitet, obwohl ich damals bereits fünfzig war [Anmerkung: Botvinnik wurde am 17. August 1911 geboren und macht sich hier aus Gründen der Dramatik um ein Jahr älter als er war] und habe alle überrascht, auch Tal. … In unserem zweiten Match habe ich gezeigt, wie man gegen ihn spielt. Wenn Tals Figuren über das Brett hüpfen, dann war ihm niemand ebenbürtig, aber bei einer soliden Bauernstruktur im Zentrum war er positionell schwach, und deshalb musste er eingeschnürt werden, eingeschnürt. (Mikhail Botvinnik, Botvinnik – Tal, Return Match for the World Chess Championship, Moscow 1961, Edition Olms 2004, S. 12.)

Im Revanchewettkampf strebte Botvinnik vor allem danach, Tal nicht zur Entfaltung seiner Stärken kommen zu lassen. Wenn man Botvinniks Ruf als strategisch-positioneller und Tals Ruf als taktischer Spieler bedenkt, dann könnte man meinen, Botvinnik hätte versucht, ruhige Stellungen anzustreben und taktische Komplikationen zu vermeiden.

Immer gut vorbereitet: Mikhail Botvinnik

Aber so war es nicht: In einer ganzen Reihe von Partien des Wettkampfs scheute Botvinnik keine Komplikationen, sondern führte sie sogar herbei. Wichtig war ihm dabei allerdings, dass er selbst die Initiative hatte und Tal nicht zur Entfaltung seines Spiels kam.

Typisch dafür ist die siebte Partie des Wettkampfs:

 

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Doch Botvinnik hatte nicht nur die Partien Tals gründlich studiert, sondern auch überlegt, warum er den Wettkampf 1960 verloren hatte. Als Konsequenz daraus entwickelte er Strategien gegen sein Nachlassen in der fünften Stunde, was ihn im ersten Wettkampf immer wieder zum Verhängnis geworden war. Außerdem kümmerte sich Botvinnik um seine Fitness und spielte Trainingspartien gegen Semjon Furman, in denen er an seiner Schwäche in der fünften Stunde der Partie arbeitete. Außerdem hatte er ein Wundermittel entdeckt: Kaffee!

Als ich sehr jung war, konnte ich nicht verstehen, warum meine Gegner Kaffee tranken. Ich brauchte keinen Kaffee, um während einer Partie durchzuhalten. Damals habe ich Zitronenwasser getrunken, und das hat mir irgendwie geholfen. Aber trotzdem sind meine Ergebnisse schlechter geworden. Ich muss den Schachspielern der DDR dankbar sein, die mir [bei der Schacholympiade] in Leipzig [1960] beigebracht haben, während einer Partie Kaffee zu trinken. … Da habe ich bemerkt, dass ich die ganzen fünf Stunden durchhalten kann, wenn ich während einer Partie Kaffee trinke. (Mikhail Botvinnik, Botvinnik-Tal 1961, S. 119)

Tal hingegen scheint die Dinge zu leicht genommen zu haben. Zunächst glaubte er nach seinem Sieg im Wettkampf 1960 nicht, dass Botvinnik von seinem Recht auf einen Rückkampf Gebrauch machen würde. Außerdem scheint er generell zu selbstsicher gewesen zu sein. Dazu schreibt Tibor Karolyi:

Tals allzu großes Selbstvertrauen war ein entscheidender Faktor vor dem Wettkampf 1961, und es lohnt, sich die Faktoren anzuschauen, die dazu beigetragen haben. Zunächst einmal hatte er mehr erreicht, als irgendein Spieler in seinem Alter vor ihm und er wurde von Fans vergöttert, nicht nur in seiner Heimat Lettland, sondern auf der ganzen Welt. (Tibor Karolyi, Mikhail Tal’s Best Games 2, 1960-1971, The World Champion, Quality Chess 2015, S. 67)

Mihail Tal hatte sein Leben lang mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen

Aber den Hauptgrund für Tals Niederlage im Revanchematch sieht Karolyi in Tals mangelnder Vorbereitung:

Tal … bereitete sich überhaupt nicht vor. Außerdem fehlte ihm die Praxis gegen erstklassige Gegner; obwohl er in der zweiten Hälfte des Jahres 1960 hervorragende Ergebnisse erzielte, hatte er doch keine Gegner vom Niveau eines Keres, Petrosian, Spassky, Smyslov oder Korchnoi. … Außerdem hat Tal ein Buch über den Wettkampf 1960 geschrieben, etliche Simultanveranstaltungen absolviert und angefangen, stark zu rauchen, alles Dinge, die seiner Vorbereitung nicht nützlich waren. (Karolyi, S. 68)

Ein Indiz, dass Tals Vorbereitung tatsächlich schlecht war, ist sein katastrophales Ergebnis mit den schwarzen Steinen. Mit Weiß holte Tal 5,5 aus 10, mit Schwarz hingegen gerade einmal 2,5 aus 11. Und anders als ein Jahr zuvor, als Botvinnik immer wieder Probleme bekam, was ihn zu Fehlern provozierte, gelang es Tal im Wettkampf 1961 nur selten Botvinnik unter Druck zu setzen. Tal wirkte nur noch wie ein Schatten seiner selbst.

Alle Partien des Wettkampfs

 

Natürlich ist es müßig, darüber zu spekulieren, wie der Wettkampf ausgegangen wäre, wenn Tal ausreichend vorbereitet und gesund gewesen wäre, aber vermutlich hätte Botvinnik dann sehr viel mehr Probleme gehabt, den Weltmeistertitel zurück zu erobern.

Doch so verlor Tal den Titel, den er ein Jahr zuvor gewonnen hatte. Er gehörte bis zu seinem Tod am 28. Juni 1992 weiter zu den besten Spielern der Welt, aber einen Kampf um die Weltmeisterschaft hat er nach 1961 nie wieder gespielt.

Die FIDE schaffte nach dem Wettkampf 1961 das Recht des amtierenden Weltmeisters auf einen Revanchewettkampf ab. Immerhin war Botvinnik dank dieser Regel das Kunststück gelungen, insgesamt 13 Jahre Weltmeister zu sein, obwohl er von seinen insgesamt sieben WM-Kämpfen nur zwei gewinnen konnte: den Revanchewettkampf 1958 gegen Vassily Smyslov und den Revanchewettkampf 1961 gegen Tal.

Botvinnik wurde 1948 durch seinen überlegenen Sieg beim WM-Turnier in Den Haag und Moskau Weltmeister, drei Jahre später, 1951, spielte er gegen David Bronstein seinen ersten WM-Kampf und konnte sich dort mit einiger Mühe in ein 12-12 Unentschieden retten. Doch das war genug, weil Botvinnik als Titelverteidiger bei einem Unentschieden seinen Titel behalten durfte.

Das gleiche Spiel wiederholte sich 1954 beim WM-Kampf gegen Smyslov. Auch dieser Wettkampf endete 12-12 und mit diesem Unentschieden sicherte sich Botvinnik weitere drei Jahre auf dem Weltmeisterthron. Erst 1957, beim zweiten Anlauf, konnte Smyslov gegen Botvinnik gewinnen und wurde neuer Weltmeister. Doch die Freude darüber währte nur kurz, denn beim Revanchekampf 1958 holte sich Botvinnik den Titel zurück.

Wie oben erwähnt, verlor Botvinnik dann 1960 seinen nächsten WM-Kampf, dieses Mal gegen Tal, doch durch seinen Sieg im Revanchekampf war Botvinnik ein Jahr später wieder Weltmeister, bis er dann nach seiner Niederlage gegen Petrosian zwei Jahre später endgültig vom Weltmeisterthron Abschied nahm.

Sieben Jahre später, 1970, beendete Botvinnik seine Karriere. Im letzten Turnier seiner Laufbahn landete er in Leiden 1970 hinter dem damaligen Weltmeister Boris Spassky und Bent Larsen auf dem geteilten dritten Platz.

Tal und Botvinnik trafen nach dem Wettkampf 1961 noch zwei Mal aufeinander, bei den Sowjetischen Mannschaftsmeisterschaften 1964 und 1965. Die erste dieser beiden Partien endete Remis, in der zweiten konnte Tal gewinnen.

 

Das war die letzte Partie, die Tal und Botvinnik je gegeneinander gespielt haben.

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Dies ist eine leicht überarbeitete und ergänzte Version eines Artikels, der zuerst auf Johannes Fischers Blog Schöner Schein erschienen ist.

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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