Vor zwanzig Jahren: Die Insel-Olympiade auf Mallorca

von Dagobert Kohlmeyer
14.10.2024 – Am 14. Oktober 2004 wurde zum zweiten Mal (nach Malta 1980) eine Schacholympiade auf einer Insel eröffnet. In Calvià auf dem spanischen Ferienparadies Mallorca traten 129 Teams bei den Herren im Open und 87 Teams bei den Frauen an. Unser Autor Dagobert Kohlmeyer erinnert an das damalige Geschehen auf und neben den Brettern. | Fotos: Dagobert Kohlmeyer

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Die 36. Olympiade hatte noch ein Reglement, das heute historisch anmutet. Gespielt wurden noch 14 Runden, und die Damenteams bestanden nur aus drei Spielerinnen. Inzwischen sind die Spieltage beim Turnier der Nationen aus Kostengründen auf elf reduziert worden, aber die Frauen spielen seit 2006 wie die Männer an vier Brettern.

Das Casino

Austragungsort war das Gran Casino Mallorca einige Kilometer außerhalb des Urlaubsorts Magaluf. Die Spielerinnen und Spieler wurden täglich mit Bussen dorthin transportiert. Der beliebte Badeort im Südwesten Mallorcas hat einen wunderbaren Strand, wo man im Oktober noch bei angenehmen Temperaturen baden konnte. Es gibt viele Wassersportmöglichkeiten sowie großartige Restaurants und Bars. Magaluf hatte mehr zu bieten als nur laute Partys und ein ausschweifendes Nachtleben wie etwa im Ballermann. Die Olympiateilnehmer waren aber vor allem zum Schachspielen da.

Ab dem 15. Oktober sprachen dann in Calvià die Figuren. Im deutschen Herrenteam spielten Alexander Graf, Rustem Dautow, Christopher Lutz, Jan Gustafsson, Leonid Kritz und Klaus Bischoff (Kapitän Uwe Bönsch), im Damenteam Ketino Kachiani-Gersinska, Elisabeth Pähtz, Jessica Nill und Tina Mietzner (Kapitän Raj Tischbierek). In der ersten Runde gewannen die Männer gegen Spanien B mit 3,5:0,5 Punkten und die Frauen gegen die IPCA 3:0. Damit wurden dem Bundestrainer Uwe Bönsch zu seinem 46. Geburtstag zwei Mannschaftssiege geschenkt.

Die Turnierbedingungen waren nicht leicht, denn im Casino war es sehr eng. Spielfreie Teilnehmer konnten nicht kiebitzen, Fotografen hatten nur wenige Minuten Zeit für ihre Aufnahmen. Das erwies sich als besonders hart, weil die Spielsäle von Männern und Frauen getrennt waren. Wer gute Aufnahmen machen wollte, musste sich quasi jeden Tag für einen Spielsaal entscheiden.

Das DSB-Team

Die DSB-Damen

Die deutschen Teams spielten in Calvià leider keine besondere Rolle. Unsere Männer belegten am Ende den 16. Platz und die Frauen den 17. Rang. Die Herren gewannen sechs Kämpfe, spielten viermal 2:2 und verloren vier Matches, zum Teil gegen schwächere Teams. Die Damen unterlagen nach glänzendem Start in der vierten Runde China mit 0,5: 2,5. Es folgten Niederlagen gegen Frankreich und Litauen, so dass sie weiter zurückfielen. Am besten spielte noch Elisabeth Pähtz, die 7,0 Punkte aus 10 Partien holte, obwohl sie mitten im Turnier eine Angina bekam und Medikamente schlucken musste.

Elli Pähtz mit flippiger Frisur

Im Herrenturnier feierte die Ukraine mit ihrem Frontmann Wassili Iwantschuk einen Start-Ziel-Sieg und gewann mit 39,5 Brettpunkten überlegen vor Russland (36,5) und Armenien (36,5).

Bei den Damen gewann China mit 31,0 Punkten vor den USA (28) und Russland (27). Damals zählten noch Brettpunkte als erste Wertung. Seit 2008 haben Mannschaftspunkte Vorrang. Die Meinungen darüber gehen auseinander. Nun kann es also passieren, dass ein Team mit weniger Brettpunkten Olympiasieger wird als eine Mannschaft, die mehr Partien, aber weniger Matches gewonnen hat.

Treffen der Schachköniginnen

In Calvià feierten nach etlichen Jahren Abstinenz vom großen Schach zwei Exweltmeisterinnen ein erfolgreiches Comeback. Die Chinesin Xie Jun lag mit ihrem Team von Beginn an klar auf Goldkurs, und Zsuzsa Polgár, inzwischen in Diensten der USA, spielte mit ihrer Mannschaft um eine Medaille. In der Turniermitte trafen die beiden früheren Kontrahentinnen aufeinander und trennten sich schon nach wenigen Zügen friedlich. Vor und nach der Partie hatten sie sich viel zu erzählen. Beide waren inzwischen Mütter, Xie Jun hatte eine zweijährige Tochter, Zsuzsa zwei Söhne.

Zsuzsa Polgár und Xie Jun

1996 hatte die älteste der drei berühmten Polgár-Schwestern die Schachkrone von Xie Jun erobert. Danach wurde es still um sie. Sie zog zu ihrem ersten Mann nach New York und gründete dort eine Schachschule. Ob die Calvia-Olympiade eine Rückkehr für sie auf die Wettkampfbühne für immer war, ließ die damals 35-Jährige offen. Wichtiger als die Profikarriere war für Zsuzsa ihre Familie.

Über ihren Entschluss, wieder aktiv zu werden, sagt Zsuzsa: „Ich wollte einfach etwas Gutes für das Schach und meine neue Heimat tun. Weitere Pläne gibt es aber noch nicht. Die Familie geht vor. Nach der Olympiade fliege ich gleich nach Hause. Meine Kinder brauchen mich. Ich habe leider keine Zeit für einen Abstecher zu meinen Eltern nach Budapest.“ Ihre chinesische Kollegin kam in Calvià an manchen Tagen ins Pressezentrum, um die aktuellen Rundenergebnisse einzusehen. Xie Jun musste sich keine Sorgen machen. Ihr Team stand schon nach dem vorletzten Spieltag als Sieger fest.

Xie Jun sieht dem Autor über die Schulter

Dresden macht das Rennen

In Calvià gab es neben den schachlichen Wettbewerben noch eine sportpolitische Entscheidung. Es ging um die Bewerbung für die Schacholympiade 2008. Für 2006 stand die italienische Stadt Turin als Ausrichter fest. Um das darauffolgende Turnier der Nationen hatten sich anfangs Städte aus sechs Ländern beworben. Am Ende blieben nur noch Tallinn und Dresden in der Auslosung. Die sächsische Landeshauptstadt hatte gut vorgearbeitet und sich bei der Frauen-EM in Dresden im Frühjahr 2004 darum bemüht, ihrer Bewerbung international Gehör zu verschaffen. In Anwesenheit mehrerer FIDE-Vizepräsidenten übergaben Innen- und Sportminister Otto Schily, Oberbürgermeister Ingolf Roßberg und DSB-Präsident Alfred Schlya im Dresdner Rathaus die offiziellen Bewerbungsunterlagen an den damaligen Präsidenten der Europäischen Schachunion Boris Kutin. Mit Garri Kasparow unterstützte der namhafteste Schachspieler des Planeten in einer emotionalen Rede die Dresdner Bewerbung.

Otto Schily – Garri Kasparow 2004 in Dresden

Am 29. Oktober 2004 war es dann so weit. Zum FIDE- Kongress in Calvià musste die Entscheidung fallen. Tallinn wurde nicht als leichter Kontrahent betrachtet. Die neue Präsidentin des Estnischen Schachverbandes Carmen Kass war vor Ort, um die Werbetrommel zu rühren. Fotos des Dior-Supermodels wurden in allen Zeitungen der Mittelmeerinseln abgebildet. Die Spannung stieg beim Dresdner Team um den Olympia-Organisationschef Dirk Jordan von Stunde zu Stunde. Das kleine Estland mit der Hauptstadt Tallin punktete mit seiner Schachvergangenheit, dem Nationalhelden Paul Keres und einer staatlichen Bürgschaft für die Olympiade.

Wahlwerbung für Dresden: Gräfin Kosel, Oberbürgermeister Roßberg, August der Starke

Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, dass der FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow für Tallinn sei. Ich fragte den ehemaligen FIDE-Chef Florencio Campomanes nach seiner Prognose. Der gewiefte Schachfunktionär sagte: „Keine Sorge, Dresden wird das Rennen machen.“ Und so kam es dann auch. Mit 69:29 Stimmen sprach sich der FIDE-Kongress deutlich für Dresden aus. Die Teilnehmer der deutschen Delegation fielen sich in die Arme.

Carmen Kass gratuliert Dirk Jordan

Last but not least: Am ersten Brett des norwegischen Teams saß damals ein kleiner Junge. Bei seiner olympischen Premiere wurde er fünfmal eingesetzt. Der Wunderknabe sollte es in weniger als einem Jahrzehnt noch sehr weit bringen. Seine Auftaktpartie in Calvià endete mit einem Paukenschlag.

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Das alles war im Oktober vor 20 Jahren. Man erinnert sich an eine besondere Olympiade und die Gastfreundschaft auf Mallorca.

In Vino Veritas

Endstand Offene Olympiade

Rg. Team Team
1 Ukraine UKR
2 Russia RUS
3 Armenia ARM
4 United States USA
5 Israel ISR
6 India IND
7 Cuba CUB
8 Netherlands NED
9 Bulgaria BUL
10 Spain A ESP A
11 Greece GRE
12 Poland POL
13 Switzerland SUI
14 Uzbekistan UZB
15 Serbia Montenegro SCG
16 Germany GER
17 Slovenia SLO
18 Belarus BLR
19 Philippines PHI
20 Romania ROM
21 Georgia GEO
22 Azerbaijan AZE
23 France FRA
24 China CHN
25 Bosnia Herzegovina BIH
26 Kazakhstan KAZ
27 Lithuania LTU
28 Denmark DEN
29 Czech Republic CZE
30 England ENG

129 Teams

Alle Ergebnisse bei Chess-results...

Endstand Frauenolympiade

Rg. Team Team
1 China CHN
2 United States USA
3 Russia RUS
4 Georgia GEO
5 France FRA
6 Hungary HUN
7 Slovakia SVK
8 England ENG
9 India IND
10 Poland POL
11 Armenia ARM
12 Netherlands NED
13 Lithuania LTU
14 Bulgaria BUL
15 Sweden SWE
16 Serbia Montenegro SCG
17 Germany GER
18 Ukraine UKR
19 Slovenia SLO
20 Romania ROM
21 Vietnam VIE
22 Azerbaijan AZE
23 Latvia LAT
24 Cuba CUB
25 Israel ISR
26 Moldova MDA
27 Belarus BLR
28 Czech Rep. CZE
29 Greece GRE
30 Argentina ARG
31 Switzerland SUI

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ChessBase 2004: Who is woh in Calvia...


Dagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.
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