Tragikomödie zu Thanksgiving

von Maxim Dlugy
25.11.2016 – Auch die zehnte WM-Partie zwischen Magnus Carlsen und Sergey Karjakin wollte Maxim Dlugy live erleben. Sie versprach Spannung, denn Carlsen hatte Weiß und musste seinen Rückstand im Wettkampf aufholen. Die Partie verlief dramatisch, die Spieler zeigten Nerven und das Publikum war gebannt. Mehr...

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Hinter den Kulissen: Partie 10 / Von Maxim Dlugy

Your reporter with my wife Inna. Its still bright and beautiful outside on the terrace of the VIP hall.

Maxim Dlugy mit seiner Frau Inna

Zur zehnten Partie nahm ich meine Frau und meine zwei Jahre alte Tochter Daniella mit und wir erlebten die vielleicht wichtigste Partie des Wettkampfs. Magnus musste in dieser Partie mit Weiß etwas versuchen, denn in der letzten Partie auf den Anzugsvorteil von Weiß zu vertrauen, war in der Geschichte der Weltmeisterschaften nur vier Mal von Erfolg gekrönt gewesen - nur Lasker, Botvinnik, Kasparov und Kramnik war das Kunststück gelungen, ihren Titel so zu verteidigen.

Im Fulton Market Building traf ich auch meinen Schüler Joris Katz, der mit seinem Vater Paul gekommen war. Joris ist ein Schüler von mir, aber leider hatten wir uns mehr als sechs Monate nicht gesehen, da er jetzt ein Internat besucht.

Ian is taking on my pupil Joris Katz

Ian Nepomniachtchi spielt gegen meinen Schüler Joris Katz

Paul, der Vater von Joris, hat auch eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung des Films Bauernopfer gespielt, und ich konnte ihn dabei unterstützen. Paul und ich erörterten Möglichkeiten der Vermarktung von 'Grandmaster Insides', einem Schachbuch, das ich vor kurzem geschrieben habe, während Joris sich in die Liste der Spieler eintrug, die gegen Ian Nepomniachtchi simultan spielen wollten. Als mein Schüler Skandinavisch spielte, ging ich ans Brett, woraufhin Ian mich verblüfft anschaute und meinte: "Er spielt deinen Skandinavier." Ich gab zu, dass Joris mein Schüler ist. In der Eröffnung kam Joris zwar zu Ausgleich, aber dann rochierte er lang und das gab Ian genug taktische Möglichkeiten, um am Damenflügel durchzubrechen.

Verblüffende Züge

Dann konzentrierte ich mich auf die Schlüsselpartie des WM-Kampfs und ging zu Lev Alburt, um die Partie ohne Computer per Hand zu analysieren. Zu diesem Zeitpunkt schien Weiß g3 spielen zu müssen, um den schwarzen Springer auf f4 nach h3 zu treiben. Nach dem Schach auf h3 schien Kg2 die vernünftigste Antwort zu sein, um Sg5 mit Sg1 beantworten zu können. Magnus spielte g3, aber ging mit seinem König nach h1, ein Zug, den ich nicht verstanden habe. Ein paar Züge später, als er die weißfeldrigen Läufer auf e6 tauschte, war ich wieder überrascht. Lc2, Sd2 oder sogar Lc4 schienen bessere Alternativen zu sein, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Als Sergey den Läufer auf e6 mit seinem f-Bauern nahm, um die f-Linie zu öffnen, stand die Menge im VIP-Bereich unter Strom.

Mark Glukhovsky, der Geschäftsführer des Russischen Schachverbands, Igor Burstein, der Besitzer des Zeitschrift 64, Georgy Kacheishvili, einer der besten Schachtrainer in New York und Kirill Zangalis, Sergeys Manager, waren wie ich und viele andere Zuschauer sicher, dass die Partie bald vorbei sein würde, da die nicht all zu tiefe forcierte Variante, die Schwarz mit Sxf2 spielen konnte, nicht schwer zu sehen war.

Diskussion und Analysen

Former Colleagues at 64 Magazine, Mark Glukhovsky and Igor Burstein. Always nice to see them!

Mark Glukhovsky und Igor Burstein

Als Karjakin stattdessen ...d5 zog, ging ein Raunen durch den Saal, und Lev Alburt meinte sogar, dass Karjakin das Remis nach Nxf2 unmöglich übersehen haben konnte und einfach weiterspielen wollte. Das allerdings war schwer zu glauben, denn nach einem schnellen Blick auf den Computer meinte Kirill, dass Weiß jetzt eine halbe Bauerneinheit besser steht.

Game 10 after 20.Nd2 and before 20...d5

Partie 10, nach 20.Sd2 und vor 20...d5

Magnus schien zu wissen, dass er noch einmal davongekommen war, und er schien nach Möglichkeiten zu suchen, das sofort auszunutzen. Das Publikum glaubte, er würde f3 spielen, was Weiß einen hübschen Vorteil zu sichern scheint, aber Carlsen entschied sich nach kurzer Zeit für Dh5, aber auch das war nicht das Beste, denn Schwarz hätte jetzt wieder forciert Remis machen können. Das Publikum glaubte jetzt, dass Sergey mehr oder weniger gezwungen war, die Remisfortsetzung zu finden, denn die Alternative war ein klar schlechteres Endspiel. Aber der Herausforderer schien sich irgendwo verrechnet zu haben und entschied sich für den Rückzug.

Magnus schien nun gute Chancen zu haben, seinen ersten Sieg im Wettkampf zu holen, doch dann spielte er das sehr oberflächliche 26.Tef1, was ihn nach 26...Taf8 einen großen Teil seines Vorteils hätte kosten können und ihn gezwungen hätte, Sd1 oder Tf1 zu finden, da Schwarz nach 27.Te2 die Möglichkeit Sf4+! gehabt hätte.

Ich schaute auf den Bildschirm und traute meinen Augen kaum: Schwarz hatte schnell 26...h5 gezogen und damit herrschte wieder Ausgleich bei der Zahl der "unforced erros" - beide hatten in den letzten sieben Zügen drei davon gemacht. Ich konnte die Partie nicht live bis zum Ende verfolgen, da ich zu einem Thanksgiving Dinner eingeladen worden war, aber mir schien, als hätte jetzt auch Karjakin eine Formkrise. Vielleicht war es wirklich ein Glückstag für Magnus.

Tatsächlich gewann er die Partie - und auf uns wartet ein spannendes Wochenende!

Ich kann es kaum erwarten.


Maxim Dlugy wurde 1966 in Moskau geboren, 1977 emigrierte er mit seinen Eltern in die USA. 1985 wurde Dlugy Juniorenweltmeister, später arbeitete er an der Wall Street. Dlugy lebt in New York, hat Frau und Kinder und liebt das Blitzen.

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