Wohin gehören die "Lewis-Schachfiguren"?
Am
25. März wurde im British Museum, London, für mittelalterliches Material eine
neue Galerie eröffnet: die
Paul and Jill Ruddock Gallery of Medieval Europe. Zentrales
Prunkstück der Sammlung im Raum 40 sind die berühmten "Lewis-Schachfiguren" aus
dem 12. Jahrhundert. Die Figuren sind Gegenstand eines politischen Disputs.
Der Überlieferung zufolge wurden die Figuren aus
dem 12. Jahrhundert im Jahre 1831 auf der zu Schottland gehörenden Insel Lewis
gefunden, weswegen sie "Lewis chessmen", bzw. "Lewis Schachfiguren" genannt
werden. Da sie auf der Insel Lewis in der Nähe des Ortes Uig gefunden wurden,
heißen sie in der englischsprachigen Literatur auch "Uig chessmen". Wo genau und
unter welchen Umständen die Figuren gefunden wurden, ist bis heute ein Mysterium
geblieben. Sicher ist lediglich, dass die Figuren einige Zeit vor ihrer
erstmaligen Ausstellung durch die Antiquarische Gesellschaft Schottlands in
Edinburgh am 11. April 1831 gefunden wurden.
Kaum war die Nachricht von der Eröffnung der
neuen Galerie am 25. März 2009 im British Museum bekannt, waren die Stimmen
schottischer Politiker zu vernehmen, die eine
"Repatriierung" der Figuren nach Schottland fordern und den Verbleib der
Figuren in London für
"unakzeptabel" halten.
Am 29. März ereiferte sich die
Glasgow Sunday Mail darüber, dass die im Museum für rund 50 Pfund
verkauften Miniatur-Nachbildungen der historischen Figuren in China angefertigt
werden. Ein Parlamentarier wird mit den Worten zitiert: "These sets should be
made in Scotland!"
Vertreter des British Museum in London lehnen die
Forderung nach einer Überstellung der Figuren nach Schottland ab. Sie verweisen
darauf, dass das Londoner Museum seit 1995 immer wieder Figuren für
Ausstellungen in Schottland zur Verfügung stellt. Schon
für 2010/2011 ist wieder eine Leihgabe für eine Ausstellung in Schottland
vorgesehen.
Wie ist die Rechtslage? Im "British Museum Act"
von 1753 ist verfügt, dass die Sammlung des Museums vollständig zu erhalten ist,
"ohne die kleinste Verringerung und Trennung". In der Beratung befindet sich zur
Zeit eine Gesetzesinitiative ("Holocaust Restitution Bill"), durch die
Gegenstände, die zwischen 1933 und 1945 vom Nazi-Regime entwendet wurden,
zurückerstattet werden können (Quellen:
UPI,
Süddeutsche Zeitung).
Vielleicht waren die seit 1753 geltenden
juristischen Rahmenbedingungen einer unter mehreren Faktoren, die dazu
beigetragen haben, dass die näheren Umstände des Fundes von 1831 von Anfang an
in mysteriöses Dunkel gehüllt waren, bzw. wurden?.
Sir Frederic Madden
(1801-1873) war der erste Wissenschaftler, der den Figurenfund ausführlich
beschrieb (in: Archaeologia, Bd. 24, herausgegeben von der Antiquarian
Society of London, 1832). Eine gekürzte Fassung dieses Textes von Sir Frederic
Madden erschien in 12 Teilen im "Chess Player's Chronicle" von 1841 unter dem
Titel: "Historical Remarks On The Introduction Of The Game Of Chess Into Europe
And On The Ancient Chess-Men Discovered In The Isle Of Lewis". Sir Frederic
Madden war im British Museum seit 1828 für Manuskripte zuständig. Er begann
seinen Bericht über die Entdeckung ("made in the course of the last twelvemonth")
mit einem Zitat aus Meldungen schottischer Zeitungen vom Juni 1831 und fügte
hinzu, dass die Figuren nun einen Bestandteil der Nationalen
Antiquitätensammlung des British Museum darstellten. Danach beschrieb er den
Fund der Schachfiguren ("for such they are") und bezifferte ihre Anzahl auf 67
(hinzu kamen außerdem 14 Figuren eines anderen Spiels und eine Fibel). Von
diesen 67 Schachfiguren seien 19 Bauern, 6 Könige, 5 Damen, 13 Läufer, 14
Springer und 10 Figuren, die Madden "Warders" nannte und als Türme
identifizierte.
Diese Beschreibung entsprach zumindest nicht der
ganzen Wahrheit. Anderen Berichten zufolge war Sir Walter Scott (1771-1832)
dabei, als im Oktober 1831 ein Antiquitätenhändler aus Edinburgh den Fund über
Sir Madden an das British Museum verkaufen wollte.
Ein Freund
von Sir Walter Scott, der Maler Charles Kirkpatrick Sharpe, erwarb diskret
weitere 10 Figuren und später noch eine. Diese 11 Figuren sind heute im
Nationalmuseum von Schottland zu besichtigen.
Der heute für die Sammlung zuständige Kurator des
British Museum, James Robinson, meint jedoch in einem Beitrag für
www.chesspro.ru
(veröffentlicht am 28. März 2009), dass Sir Madden nicht wusste, dass die
Integrität der Sammlung schon nicht mehr bestand, als er seinen Bericht verfasst
hat.
Kurz vor seinem Tod befasste sich der britische
Schachhistoriker Ken Whyld (1926-2003) im British Chess Magazine mit dem
"Mystery
of the Lewis Chessmen". Demnach ist nicht klar, ob die Figuren tatsächlich
an dem Ort und auf die Weise gefunden wurden, wie überliefert wird...
Auf Beschluss des Stadtrats von Uig wurden
kürzlich zwei überdimensional große Figuren aus Holz am mutmaßlichen Fundort
aufgestellt. Ein Video zeigt,
wie die Figur des Königs errichtet wurde.
Gerald Schendel / 01.04.2009