Wie alles anfing: Die ersten Europa-Mannschaftsmeisterschaften

von André Schulz
12.10.2025 – Die Europa-Mannschaftsmeisterschaften gibt es seit 1957. Am Anfang wurden sie aber ganz anders durchgeführt als heute. Die Teilnehmer der Finalrunden waren begrenzt, die Anzahl der Bretter in den Wettkämpfen aber eher nicht. Einige heutige Schachlegenden unternahmen ihre ersten Schritte im Turnierschach und spielten schon legendäre Partien. | Foto: Gerhard Hund (Oberhausen 1961).

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Im Schach gibt es ja eine ganze Reihe von internationale Mannschaftsmeisterschaften. Neben der Schacholympiade, zu der jeder Verband Teams schicken kann und den Mannschaftsweltmeisterschaften, an denen nur qualifizierte Mannschaften teilnehmen können, gibt es auf europäischem Gebiet den Europa Cup für Vereine und die Mannschaftseuropameisterschaften, die in diesem Jahr in Batumi, Georgien, ausgetragen werden. Der aktive georgische Schachverband ist übrigens nach 1999 und 2021 schon zum dritten Mal Gastgeber dieses Wettbewerbs und trug alle drei Turniere in Batumi aus.

Heute wird das Turnier im Schweizer System über neun Runden gespielt, mit vier Spielern pro Mannschaft in den Wettkämpfen. Die Brettergebnisse werden zu einem Mannschaftsergebnis addiert. Das Siegerteam erhält zwei Mannschaftspunkte, das Verliererteam geht leer aus. Bei einem Unentschieden wird der Punkt geteilt. Das ist heute das übliche Wertungssystem bei Mannschaftskämpfen, aber es gab auch einmal eine Zeit, wo nach der Addition der Brettergebnisse gewertet wurde, bei Schacholympiaden, aber auch bei den frühen Europa-Mannschaftsmeisterschaften.

Die Anfänge der Europa-Mannschaftsmeisterschaften

Die Geschichte der Europa-Mannschaftsmeisterschaften im Schach geht bis auf das Jahr 1957 zurück. In der Anfangszeit sah der Wettbewerb aber natürlich noch ganz anders aus als heute.

Am Anfang wurden die Wettkämpfe tatsächlich noch an zehn Brettern ausgetragen. Dauerten die Partie sehr lange, dann wurden sie als Hängepartien abgebrochen und an einem anderen Tag weitergespielt. Es gab Vorrunden (Halbbfinals) im Modus jeder gegen jeden mit vier, manchmal nur drei Teams, in einigen Gruppen zentral ausgetragen, in einigen Gruppen aber auch mit Wettkämpfen in den beteiligten Ländern. Die Sieger der Vorrunden traten in einer Finalrunde an.

Die Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland hatte sich bei der bereits 1955 in Luxemburg gespielten Vorgruppe gegen den Gastgeber und Spanien durchgesetzt und erreichte auf diesem Wege das Finale der ersten Europa-Mannschaftsmeisterschaft, die im August 1957 in Wien und Baden gespielt wurde. 

Das deutsche Team wurde dort allerdings hinter den damaligen Schach-Großmächten Sowjetunion und Jugoslawien sowie der Tschechoslowakei nur Vierter. Die deutsche Mannschaft bestand damals aus Wolfgang Unzicker, Klaus Darga, Lothar Schmid, Gerhard Pfeiffer, Rudolf Teschner, Heinz Gerhard Lehmann, Herbert Heinicke, Georg Kieninger, Ludwig Rellstab, Walter Jäger und Karl Gilg. Die älteren Schachfreunde werden vermutlich die Namen der ersten neun Spieler noch kennen. Nicht so bekannt ist Walter Jäger (1913-1976), mehrfacher Frankfurter Meister und Hessenmeister und von Beruf Klempner und Elektriker. Karl Gilg (1901-1981) war ursprünglich tschechoslowakischer Nationalspieler und nahm für die Tschechoslowakei an den ersten drei Schacholympiaden teil. Nach der deutschen Okkupation wurde Gilg deutscher Staatsbürger, war Soldat in der Deutschen Wehrmacht und lebte nach dem Krieg in Rosenheim Bei der Europa-Mannschaftsmeisterschaft kam er als Ersatzmann viermal zum Einsatz, konnte aber nur zwei Remis ergattern. Bester deutscher Spieler war Lothar Schmid mit 3 aus 5 an Brett drei.

Turniersieger wurde die UdSSR. Die Sowjets waren überlegen, hatten aber immerhin einen ihrer beiden Wettkämpfe gegen Jugoslawien verloren. Bester Spieler des siegreichen sowjetischen Teams war an Brett acht der 26-jährige Viktor Kortschnoj, mit 5,5 Punkte aus den sechs Partien der doppelrundig ausgetragenen Endrunde. Jugoslawien wurde Zweiter. 

Die deutsche Mannschaft hatte beide Wettkämpfe gegen die UdSSR verloren. In seiner Partie gegen Boris Spassky hielt Heinz Lehmann lange mit, stellte dann aber Material ein.

Spassky 1956

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Endstand 1957 in Baden und Wien

Mannschaft 1 2 3 4 + = Punkte
1. Sowjetunion 6 4 5 1 0 41
2. Jugoslawien 4 6 6 7 4 2 0 34
3. Tschechoslowakei 5 2 3 1 24½
4. BR Deutschland 4 3 5 0 5 1 20½ 

Die Finalturniere der Europamannschaftsmeisterschaften wurden anfangs in einem Rhythmus von vier Jahren organisiert. 1961 und 1965 war der Deutsche Schachbund der Organisator der Finalrunden und führte diese in Oberhausen und Hamburg durch. 

Die Europa-Mannschaftsmeisterschaft 1961 in Oberhausen

1961 nahmen 14 Mannschaften teil. Die UdSSR und Jugoslawien waren gleich für das Finalturnier gesetzt, an dem nun sechs Mannschaften teilnahmen. Wieder wurden vier Vorgruppen gespielt, zentral oder dezentral, zum Teil aber sogar nur mit zwei Teams, weil zum Bespiel Frankreich kurzfristig zurückgezogen hatte. Deutschland setzte sich dies diesmal gegen Schweden und Finnland durch. Offenbar wurde über den Austragungsort erst entscheiden, nachdem die Sieger der Vorrunde feststanden. Außerdem qualifizierten sich Spanien, Ungarn und die Tschechoslowakei.

Johannes Fischer hat hier kürzlich die Ereignisse bei diesem Finalturnier reflektiert und dabei den schönen Sieg von Wolfgang Unzicker gegen den damals amtierenden Weltmeister Michail Botvinnik in den Mittelpunkt gestellt. Gerhard Hund hat das Turnier besucht und einige Fotos aufgenommen.

Szabo und Botvinnik

Gligoric und Pachman

Keres, re.

Das Turnier gewannen die Sowjet-Großmeister trotzdem. Silber ging wieder an Jugoslawien. Bronze holte sich Ungarn mit seinem jungen Star Lajos Portisch. Die Tschechoslowakei bot erstmals den damals erst 17-jährigen Vlastimil Hort auf und wurde Vierter.

Vlastimil Hort

Bei seiner Europa-Mannschaftsmeisterschaftspremiere spielte Hort ein denkwürdige Partie gegen Paul Keres. Der Altmeister gewann mit einem geistreichen Damenopfer.

Deutschland blieb nur Platz fünf vor Spanien. 

Endstand

Land Mannschaft URS YUG HUN CSR GER ESP Punkte
URS Sowjetunion 7 7 7 8 9 74,5
YUG Jugoslawien 3 5 8 6 7 58,5
HUN Ungarn 3 5 2 8 53,0
CSR Tschechoslowakei 4 6 5 4 41,0
GER BR Deutschland 3 2 4 5 4 37,5
ESP Spanien 1 3 2 6 6 35,5 

Der Organisator bei der Endrunde der Europamannschaftsmeisterschaft 1961 in Oberhausen waren damals der OSV Oberhausen unter der Federführung von Alfred Schlya. Von 1993 bis 2001 war Alfred Schlya später Präsident des Schachbundes Nordrhein-Westfalen. Dann wurde er zum Präsidenten des Deutschen Schachbundes gewählt und übte das Amt bis 2007 aus. 

Die Europa-Mannschaftsmeisterschaft 1965 in Hamburg

Vier Jahre später, 1965, fand das Finale der Europamannschaftsmeisterschaft noch einmal, aber bis heute auch zum letzten Mal, in Deutschland statt. Diesmal organisierte der Bundesspielleiter des Deutschen Schachbundes Willy Fohl das Turnier. Gastgeber war vom 6. bis zum 16. Juni Hamburg.

Einige sowjetischen Spieler nutzten den Aufenthalt zu einem Besuch beim Hamburger SK und gaben dort ein Simultan. Der Besucht ist in der Chronik des HSK festgehalten.

Foto: Peter Kranzl 

Das Turnier wurde im Curio-Haus an der Rothenbaumchausee gespielt. Erneut spielten sechs Mannschaften das Finale im Modus jeder gegen jeden. Die UdSSR und Jugoslawien waren mit ihrem Ergebnis von 1961 wieder gesetzt. Als weitere Finalteilnehmer hatten sich erneut Ungarn und Deutschland sowie die Niederlande und Rumänien qualifiziert.

Die UdSSR-Mannschaft reiste mit drei Weltmeistern an, Tigran Petroian, Wassily Smyslov und Mihail Botvinnik, und war auch sonst stark besetzt. Die Sowjet-Spieler gewannen das Turnier erneut ungefährdet mit 66 Brettpunkten vor Jugoslawien und Ungarn (beide 57 Punkte). Die deutsche Mannschaft wurde Vierter mit 45 Punkten.

In seiner Weißpartie gegen Svetozar Gligoric kam Lothar Schmid unter die Räder.

Endstand Finale 1965

Mannschaft 1 2 3 4 5 6 + = Punkte
1 Sowjetunion 6 7 6 8 9 1 0 66
2 Jugoslawien 4 3 7 7 6 4 0 57
3 Ungarn 4 6 6 6 9 1 0 57
4 Deutschland 4 4 5 7 2 7 1 45
5 Rumänien 2 3 6 5 6 3 6 1 41½
6 Niederlande 3 4 4 3 4 0 10 0 33½ 

Erstmals kam bei einer Europameisterschaft der damals erst 16 Jahre alte Robert Hübner in der deutschen Nationalmannschaft zum Einsatz.

Robert Hübner: Screenshot aus der Wochenschau, Bundesarchiv 

Hübner holte an Brett acht 4,5 Punkte aus 8 Partien. Gegen Averbakh und Tajmanov verlor er seine Partien, besiegte aber schon Damjanovic und Honfi. Bester deutscher Spieler war wieder Lothar Schmid mit 6,5 Punkten aus 10 Partien.

In seiner Weißpartie gegen Svetozar Gligoric kam Lothar Schmid allerdings unter die Räder.

Die Europa-Mannschaftsmeisterschaft 1970 in Kapfenberg

Der Gastgeber der 4. Finalrunde der Europa-Mannschaftsmeisterschaft war erneut der Österreichischer Schachbund. Die Zahl der teilnehmenden Mannschaften im Finale wurde nun auf acht Teams erhöht. Die UdSSR und Jugoslawien waren als Erstplatzierte der vorherigen Europa-Mannschaftmeisterschaft wieder gesetzt. In vier Vorgruppen, den Halbfinals, qualifizierten sich die Siegerteams und die zwei besten Zweitplatzierten.

Deutschland war erneut Teilnehmer der Endrunde, diesmal allerdings nicht die Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland, sondern das Team der Deutschen Demokratischen Republik. Das Team der Bundesrepublik Deutschland holte in seiner Gruppe genauso viele Brettpunkte (immer noch die Hauptwertung) wie Dänemark, wies aber die schlechtere Feinwertung auf. Gegen Dänemark, ohne Bent Larsen, endete ein Kampf remis, der zweite ging für das deutsche Team verloren. Die Mannschaft der Deutschen Demokratischen Republik kam in seiner Gruppe als guter Zweiter hinter Bulgarien ins Finale. Außerdem hatten sich Ungarn, die Tschechoslowakei und Spanien qualifiziert.

In der Zeit der ideologischen Auseinandersetzung war die Teilnahme der DDR-Mannschaft im Unterschied zum Fehlen der BRD-Mannschaft im Finalturnier ein schöner Erfolg für den DDR-Sport und wurde deshalb in der Regierungszeitung Neues Deutschland entsprechend gewürdigt. 

Die DDR-Mannschaft mit Wolfgang Uhlmann und Burkhard Malich an den ersten Brettern und einigen weiteren bekannten Namen im Team, schlug sich auch im Finale sehr gut und erreichte hinter dem Dauersieger Sowjetunion und Ungarn den zweiten Platz, noch vor Jugoslawien.

Paul Keres Sieg gegen Peter Dely fans Eingang in viele Lehrbücher über den Königsangriff.

Endstand Finale

Mannschaft 1 2 3 4 5 6 7 8 + = Punkte
1 Sowjetunion 8 7 7 8 7 0 0 52½
2 Ungarn 7 5 2 0 41
3 Deutsche Demokratische Republik 2 5 7 6 9 6 4 2 1 39½
4 Jugoslawien 5 7 3 3 1 37½
5 Tschechoslowakei 3 3 8 4 3 0 37
6 Bulgarien 3 4 8 3 4 0 34
7 Spanien 2 1 3 2 1 6 0 20½
8 Dänemark ½ 3 4 2 0 7 0 18 

In den 1970er Jahren fanden noch 1973 (in Bath) und 1977 (in Moskau) Europa-Mannschaftsmeisterschaften in dieser Form statt, in den 1980er Jahren noch zwei (1980 in Skara und 1983 in Plowdiw). 1989 war Israel der Gastgeber. Nun wurde erstmals mit dem heute noch verwendeten Format des Schweizer Systems gespielt. Das Turnier 1970 war das letzte, das mit Wettkämpfen mit zehn Spielern ausgetragen wurde. Danach wurde die Zahl erst auf acht Spieler, dann auf sechs Spieler reduziert. Ab 1992 wurden die Wettkämpfe an vier Brettern ausgetragen, so wie heute. 

Die Sowjetunion gewann in der Zeit ihres Bestehens alles Europamannschaftsmeisterschaften, die letzte 1989 in Haifa. Nach dem Auseinanderfallen des russischen Sowjet-Imperiums konnte Russland noch fünfmal die Goldmedaille gewinnen. Deutschland gewann 2011 in Porto Carras als Außenseiter sensationell die Goldmedaille mit Arkadij Naiditsch (heute Bulgarien), Georg Meier (heute Urugay), Daniel Fridman, Jan Gustafsson (heute Bundestrainer) und Rainer Buhmann. Der Erfolg wurde damals von der deutschen Sportpresse allerdings nicht zur Kenntnis genommen. Vor zwei Jahren kämpfte die aktuelle deutsche Nationalmannschaft erneut um die Goldmedaille, musste sich aber mit der schlechteren Zweitwertung gegenüber Serbien mit der Silbermedaille zufrieden geben.

Beim jetzt laufenden Turnier 2025 in Batumi ist die Deutsche Mannschaft sogar als Erster der Setzliste und damit Top-Favorit ins Rennen gegangen, wurde ihrer Rolle aber mit zwei frühen Niederlagen nicht gerecht. 

Eine Europa-Mannschaftsmeisterschaft für Frauenteams wurde erstmals 1992 durchgeführt und damals von der Ukraine gewonnen. Im Laufe der folgenden Jahre war Russland mit sieben Goldmedaillen der erfolgreichste Verband. Beim letzten Turnier in Budva gewann Bulgarien.

Der Russische Schachverband hat aufgrund der Sanktion, die als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die russischen Sportverbände verhängt wurde, die European Chess Union verlassen und ist dem Asiatischen Schachverband beigetreten. 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.
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