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Ausschnitt aus der Thüringer Allgemeinen vom 29. Mai. Dort erschien der unten stehende Artikel nebst Kommentar.
Landessportbund: In Thüringen bleibt Schach geförderter Sport
LSB-Geschäftsführer Rolf Beilschmidt nennt Streichung der Fördergelder durch das Bundesinnenministerium „anmaßend“
Von Axel Eger, Erfurt
Das geht ans Eingemachte. Bernd Vökler sagt es unumwunden. Und der Nachwuchs-Bundestrainer meint es gar nicht einmal auf sich bezogen, obwohl auch hinter seinem Job plötzlich ein Fragezeichen steht. Die Entscheidung des Bundesinnenministeriums (BMI), das Fördergeld für den Deutschen Schachbund „wegen fehlender eigenmotorischer Leistung“ des Schachsports zu streichen, macht den Apoldaer fassungslos. So wie knapp 100 000 organisierte Spieler in ganz Deutschland.
Denn es geht um mehr als die jährlichen 130.000 Euro, die nach dem BMI-Entscheid plötzlich in der Kasse fehlen. „Das schlägt durch bis auf die Vereine, auf den Nachwuchsbereich“, sagt Vökler und rechnet die Variantenkette wie am Schachbrett durch: Was kein Sport ist, braucht keine Bundestrainer, und wo keine Trainer sind, macht es keinen Sinn, Talente zu internationalen Meisterschaften zu schicken.
Eine erste Konsequenz betrifft dann auch ihn. Die Kommission Leistungssport hat ihre regulären Sitzungen vorerst gestrichen, ob Trainer zu den anstehenden Nachwuchs-Weltmeisterschaften geschickt werden, scheint fraglich – die Gesamtkosten dafür liegen bei etwa 8.000 Euro. Die Spieler, die ihre Teilnahme in der Regel ohnehin aus eigener Tasche bezahlen, wären völlig auf sich allein gestellt. Immerhin, in Thüringen soll Schach seinen Status als anerkannte Sportart behalten. Rolf Beilschmidt, Geschäftsführer des Landessportbundes (LSB), sagte: „Wir folgen hundertprozentig der Auffassung des Deutschen Olympischen Sportbundes und des IOC, die Schach als Sport anerkennen.“ Auf der Mitgliederversammlung des DOSB im Dezember hatte Vizepräsidentin Christa Thiel ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Schach nach Auffassung des DOSB weiterhin förderungswürdig sei.
Der LSB werde das Schach in Thüringen deshalb wie bisher auch künftig „im Rahmen der Möglichkeiten“ unterstützen, so Beilschmidt, der die Entscheidung des Bundesinnenministeriums „anmaßend“ findet. Der Schachbund im Freistaat mit seinen 86 Vereinen und rund 2.400 Spielern erhält vom Landessportbund jährlich 13.000 Euro für die Verbandsarbeit und 1.650 Euro für den Leistungssport.
Bei den traditionellen Schulschachmeisterschaften in der Erfurter Thüringenhalle sitzen jährlich Hunderte Schüler an den Schachbrettern. Foto: Sascha Fromm
In diesem Jahr fördert der LSB auch das im August stattfindende 1. Erfurter Frauengroßmeisterturnier, nachdem der ausrichtende Förderverein in den Landessportbund aufgenommen wurde. „Wir unterstützen das gern“, sagte Beilschmidt, „weil das Turnier eine Bereicherung für Erfurt und Thüringen sein wird.“ Sportministerin Heike Taubert (SPD) steht dem ebenfalls aufgeschlossen gegenüber: „Ich hoffe sehr, dass Schach in Thüringen in Abstimmung mit dem Landessportbund und nach dessen sportfachlichen Kriterien weiterhin gefördert wird.“
Inzwischen regt sich bundesweit Widerstand gegen die Entscheidung des BMI, die am 7. Mai in einer dürren 12-Zeilen-Meldung beim Schachbund eingegangen war. Auf der jüngsten Talentsichtung in Güntersberge/Harz hat Vökler einen Aufruf verfasst, in dem er „fünf Tage Hochleistungstraining mit bis zu acht Stunden pro Tag“ dokumentierte. 48 junge Spieler, acht Lizenztrainer und ein gutes Dutzend Eltern haben unterschrieben.
Und Vökler schrieb einen persönlichen Brief an Christine Lieberknecht (CDU). Thüringens Ministerpräsidentin hatte einst als Schülerin Schach in einer Weimarer Arbeitsgemeinschaft erlernt und unterstützt seit Jahren das Apoldaer Open. Vökler bittet Lieberknecht, „Herrn de Maiziere auf die Aktion hinzuweisen“. Und: „Sie könnten sich als Retter des Schachs in Deutschland etablieren“.
In der vorigen Woche rückte Schach mit einer mündlichen Anfrage des Linke-Abgeordneten André Hahn sogar auf die Tagesordnung des Bundestages. In der Antwort von Staatssekretär Günter Krings heißt es zur Förderwürdigkeit: „Das Bundesministerium des Innern legt seinen Förderentscheiden die Kriterien des Deutschen Olympischen Sportbundes zugrunde. . . . Der Wunsch des DOSB, Schach weiter für förderungswürdig zu erachten, stellt unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Verbände keine hinreichende Grundlage für eine positive Förderentscheidung dar.“ Eine eigenartige Logik: man folgt den Prinzipien des DOSB – und gleichzeitig nicht.
Auf Anfrage unserer Zeitung hieß es dazu aus dem Bundesinnenministerium, man müsse „darauf achten, dass die Kriterien der neuen Fördersystematik einheitlich auf alle Verbände angewendet werden“. So seien etwa Sumo, Korf- und Faustball neu in die Förderung aufgenommen worden und neben Schach auch Wildwasserkanu und Hallenradsport aus der Förderung gefallen. Der Anteil des Schachs an den Gesamtausgaben des BMI für den Sport betrug übrigens ein Promille. Das wird nun gespart.
Das Ministerium räumt gegenüber unserer Zeitung ein, dass es „nicht strittig ist, ob Schach Sport ist oder nicht“ – was sich in dieser Formulierung freilich zustimmend oder ablehnend interpretieren lässt. Im Übrigen sei „eine grundlegende Revidierung der Entscheidung aus den dargelegten Gründen nicht angedacht“.
Das Gewand des sportlichen Stiefkindes ist dem Schach in Deutschland seit jeher auf den Leib geschneidert, trotz des guten Leumundes, den das Spiel besitzt. In der weiten Welt sieht das ganz anders aus. Die Türkei steckt Millionen in das Schulschach, die Länder im südlichen Afrika versuchen derzeit mit Hilfe der Deutschen Schachstiftung, in der sich auch die Erfurterin Elisabeth Pähtz engagiert, das Spiel zu etablieren, in Indien ist Ex-Weltmeister Viswanathan Anand ein Volksheld, in Norwegen wurde Weltmeister Magnus Carlsen gerade zum Sportler des Jahres gekürt – im Wintersportland schlechthin. Und Deutschland? Dreht die Förderung auf null.
KOMMENTAR
Wie früher in der DDR
Axel Eger über die Degradierung des Schachs durch den Bund
Damals war es ein Politbürobeschluss. Heute gibt es die „Fördersystematik für den Nichtolympischen Spitzensport“. Inhaltlich geht es im Grunde um dasselbe: die Degradierung der Sportarten, die nicht im Zeichen der Ringe stehen.
Es ist erstaunlich, wie systemübergreifend bestimmte Handlungsmuster sind. Früher ging es um Gold, das politische Anerkennung bringen sollte. Heute geht es um Gold, das Geld, Einfluss und Quoten bringen soll. Olympia als Stellvertreterschlacht mit einem politisch aufgeladenen Spitzensport funktioniert noch immer. Es scheint, als habe die Verschmelzung von Sportbund und Nationalem Olympischen Komitee zum Deutschen Olympischen Sportbund diese Tendenz wieder verstärkt.
Natürlich braucht es, das wusste schon Coubertin, erfolgreichen Spitzensport, um funktionierenden Breitensport zu haben. Und dieses Land besäße die Kraft, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Doch wenn der Bund Entscheidungen trifft, die wie im Falle der gestrichenen Förderung für das Schach willkürlich wirken, ist das ein kaufmännischer Kniefall vor der Politik – und eine lebensbedrohliche Dosis für den Sport in der Breite.
Fataler noch als das fehlende Geld ist das Signal der Entscheidung. Was von höchster Stelle für nicht förderwürdig befunden wird, wird es irgendwann auch auf unterer Ebene, in den Ländern, Kreisen, Gemeinden und Verbänden nicht mehr sein.
Das Schach in der DDR scheiterte am Mangel. Der Schachsport von heute kollidiert mit dem Markt, dessen einziges Kalkül die maximale Ökonomisierung ist. Das ist das Dilemma der Überflussgesellschaft: Sie hat von allem zu viel.
Und von vielem zu wenig.
Links zum Thema
Zur Petition: Förderung von Schach als Leistungssport...
Was Spitzenspieler sagen (Themenseite des DSB)...
Mehr Bewegung bitte...
Die "DDRisierung" des deutschen Sports...