Natürlich lässt sich über diese Frage lange streiten. Denn egal, mit welcher Elo-Zahl ein Spieler ins Turnier startet und welchen Platz er auf der aktuellen Weltrangliste einnimmt, so hängt in diesem Turnier und bei diesem Format doch viel von der Tagesform, den Nerven, den Fähigkeiten im Blitz- und Schnellschach und dem berühmten Quäntchen Glück ab.
Der moderne Schachfan kann bei der Suche nach Klärung solcher Fragen natürlich auch Computer zu Hilfe nehmen und ChatGPT oder eine andere KI des mehr oder weniger großen Vertrauens um Klärung bitten.
Gibt man ChatGPT die Liste der Teilnehmer und eine Excel-Datei mit dem Paarungsbaum und fragt anschließend "Wie wahrscheinlich ist es, dass Vincent Keymer beim World Cup in Goa unter die ersten Drei kommt?", so kommt das Programm am Ende einer längeren Antwort tatsächlich zu einem Prozentwert, der angeben soll, wie wahrscheinlich es ist, dass Keymer sich für das Kandidatenturnier qualifiziert. Wirklich hoch ist er allerdings nicht.
Der 20-jährige Vincent Keymer belegt mit 2772,6 Elo-Punkten aktuell Platz vier der Live-Weltrangliste – und ist damit der höchstbewertete Spieler im gesamten Feld. Virtuell ist Keymer also die Nummer eins der Setzliste.
Diese Ausgangsposition verschafft ihm einen klaren Vorteil: In den ersten Runden trifft er auf Gegner aus der zweiten Reihe, meist mit Elo-Zahlen zwischen 2550 und 2660. Erst im späteren Turnierverlauf – ab dem Achtel- oder Viertelfinale – warten die ersten 2700er, und erst im Halbfinale drohen Duelle mit den ganz Großen wie Gukesh, Praggnanandhaa oder Abdusattorov.
Um die Chancen zu berechnen, kann man auf die klassische Elo-Formel zurückgreifen, die beschreibt, wie groß die Wahrscheinlichkeit eines Sieges bei einem bestimmten Ratingunterschied ist. Bei einem Vorsprung von etwa 170 Punkten (z. B. gegen einen 2600er) liegt Keymers Match-Gewinnwahrscheinlichkeit bei rund 75 %. Gegen 2660er Gegner bei etwa 68 %, gegen 2700er bei 60 %, und gegen Weltklasse-Spieler um 2750 bei 55 %.
Da der World Cup im K.-o.-System gespielt wird, muss Keymer alle Runden seines Astes gewinnen, um das Halbfinale zu erreichen. Multipliziert man die Gewinnwahrscheinlichkeiten der einzelnen Matches, ergibt sich eine Gesamtwahrscheinlichkeit von etwa neun bis zehn Prozent, dass er unter die letzten vier kommt.
Ab dem Halbfinale ist jedes Duell praktisch offen. Gegen die absolute Elite liegt Keymers Gewinnwahrscheinlichkeit pro Match bei etwa 55 % – sowohl im Halbfinale als auch im Finale oder im Spiel um Platz drei. Kombiniert man diese Wahrscheinlichkeiten, ergibt sich:
- rund 2,5 % Chance auf den Turniersieg,
- etwa 7–8 % Wahrscheinlichkeit, einen der ersten drei Plätze zu erreichen – und damit ein Ticket fürs Kandidatenturnier.
Natürlich lässt sich auch über die Genauigkeit dieser Prognose streiten - aber eins steht fest: Der World Cup ist fordernd und spannend, und egal, wie gut man spielt, so sind die Chancen, unter die ersten Drei zu kommen oder das Turnier sogar zu gewinnen, objektiv recht schmal. Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, wie gut Keymer und die anderen Topspieler und Favoriten diese Chancen in Goa nutzen können.
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