Zum Tode von Gisbert Jacoby

von André Schulz
05.03.2018 – Am vergangenen Donnerstag verstarb Gisbert Jacoby. Als Schachspieler war er mehrfacher Hamburger Meister. Als Landestrainer des Hamburger Schachverbandes förderte er später viele Hamburger Talente. Von 1988 bis 1999 war Gisbert Jacoby ein Geschäftsführer von ChessBase und stellte die Weichen für viele zukunftsweisende Entwicklungen. Am vergangenen Donnerstag starb er in Hamburg.

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Gisbert Jacoby (3.5.1943-1.3.2018)

Mit Gisbert Jacoby hat das Hamburger Schach ein große Persönlichkeit verloren.

Als Schüler des Hamburger Gymnasiums "Johanneum" Eppendorf gehörte er zur Schachgruppe SKJE. Später wechselte er zum Hamburger Schachclub, für den er in den 1970er Jahren in der damals noch viergeteilten Bundesliga Wettkämpfe bestritt. Mehrfach konnte er die Hamburger Einzelmeisterschaft gewinnen und Hamburger Meister werden. Nach seiner Schulzeit hatte Gisbert Jacoby ein Studium der Theologie und Pädagogik begonnen, doch in erster Linie studierte er wohl Schach. Seine pädagogischen Fähigkeiten brachte er dann als Schachtrainer der Hamburger Bundesligamannschaft und als Landestrainer des Hamburger Schachverbandes ein. Hamburg brachte in jener Zeit eine Reihe von Talenten hervor, an deren Entwicklung Gisbert Jacoby mit seinem Schachtraining wesentlichen Anteil hatte. Einmal die Woche gab es für die jungen Hamburger Schachtalente ein "Stützpunktraining".

Mit seinen guten Kontakten sorgte Jacoby gelegentlich für prominente Gastreferenten, darunter Robert Hübner, in den 1970er und 1980er einer der weltbesten Spieler, und Garry Kasparov, dessen beste Zeit noch kommen sollte.

Gisbert Jacoby mit Garry Kasparov

Gisbert Jacoby beim Backgammon Spiel mit Garry Kasparov

Judit Polgar, Gisbert Jacoby, Vlastimil Hort

Training mit Judit Polgar

Matthias Wahls feierte von allen Talenten später die größten Erfolge, wurde Großmeister und dabei von Jacoby als Privattrainer gesondert unterstützt. Zu den Schachschülern von Gisbert Jacoby gehörte aber auch der Fußballspieler Felix Magath. Magath, Mittelfeldmotor der Mannschaft des HSV, die 1983 den Europapokal der Landesmeister gewann, hatte eine lange Verletzungspause überbrückt, indem er sich mit dem Schachspiel beschäftigte. Gisbert Jacoby sollte ihm die Geheimnisse des Spiels näher bringen. Was Magath von Jacoby über das Schach gelernt hatte, wendete er später als Fußballlehrer erfolgreich an.

Jacobys gute Kontakte resultierten auch aus seiner Zusammenarbeit mit dem Spiegel. Mit den Erfolgen von Robert Hübner hatte das Nachrichtenmagazin Interesse am Schach gefunden und berichtete regelmäßig. Der Spiegel-Verlag brachte sogar ein eigenes Spiegel-Schachbuch heraus, an dem Gisbert Jacoby maßgeblich mitgearbeitet hatte. Mit Robert Hübner verband Gisbert Jacoby fortan eine langjährige Freundschaft, bis zum Ende seines Lebens. Jacoby hatte Robert Hübner seinerzeit zur Bundesliga-Mannschaft des Hamburger SK geholt und unterstützte ihn bei dessen Kandidaten-Viertelfinalwettkampf gegen Vassily Smyslov, 1983, und den späteren World Cup Turnieren der GMA, indem er ihn dorthin begleitete. Beide teilten das Interesse an schachhistorischen Themen, aber mit Gisbert Jacoby konnte man sich auch sehr gut über kulturelle, gesellschaftliche oder politische Themen unterhalten.

Mitte der 1980er Jahre erfand der Bonner Physikstudent Matthias Wüllenweber auf seinem Atari eine Schachdatenbank, ChessBase, und suchte nach Partnern. In Hamburg fand er mit Gisbert Jacoby jemanden, der einen breiten Zugang zu aktuellen Partien und zu den Partien der Schachgeschichte bot. Als Schachtrainer hatte Jacoby sich eine eigene Schachbibliothek aufgebaut, hatte Lehrbücher, Eröffnungsmonographien und Turnierbücher gesammelt und besaß eine umfangreiche Sammlung, die in seiner Wohnung mehrere Räume in Anspruch nahm. Gisbert Jacoby wurde einer der Partner der in Hamburg gegründeten ChessBase GmbH und war hier nun für die "Daten" zuständig, für die Beschaffung, Aufbereitung und Veröffentlichung von Partien und Lehrmaterial. Später übernahm er auch die Aufgabe eines Geschäftsführers und leitete von 1988 bis 1999 die operativen Geschäfte der Firma.

Als Leiter der "Daten"-Abteilung brachte Gisbert Jacoby eine Reihe von zukunftsweisenden Projekten auf den Weg, die auch heute noch einen Teil des Fundaments der Firma bilden. So begründete er das ChessBase Magazin, dessen inhaltliche und redaktionelle Leitung er über viele Jahre übernahm. Robert Hübner war mit einer regelmäßigen Kolumne einer der Autoren. Außerdem war Jacoby als Herausgeber für eine Reihe mit Eröffnungsmonographien verantwortlich. Die Reihe lebt heute als Fritztrainer-Reihe im Videoformat fort. Mit Hilfe seines unerschöpflichen Fundus an Turnierbüchern erstellte Jacoby mit den Partien von historischen Turnieren zudem digitale Turnierbulletins im ChessBase-Datenbankformat. Aus den aktuellen Partien des ChessBase Magazins und den Partien der historischen Turnieren erwuchs schließlich der Grundstamm dessen, was wir heute als Mega Database kennen. Heute nutzen alle Schachfreunde in der Welt diese einzigartige Partiensammlung mit großer Selbstverständlichkeit, aber in den Pionierzeiten war einiger Aufwand notwendig, all diese Partien zu beschaffen und in die Datenbank zu übertragen. Es ist in großem Maße Gisbert Jacobys Verdienst, dass dies geschah.

Gisbert Jacoby bei Aufnahmen im Chessbase Studio

Gisbert Jacoby war über Jahrzehnte im Hamburger Schach eine sehr präsente Figur, blieb aber für manche dennoch ein Mysterium. Das lag vielleicht daran, dass er nicht viel über sich selber erzählte, obwohl er zu vielen Dingen, nicht nur im Schach, durchaus etwas zu erzählen wusste. So konnte es ein, dass sich ein Gespräch mit ihm in eine unerwartete Richtung entwickelte. Und plötzlich erzählte er. Gisbert Jacoby hatte eine ausgeprägte Beobachtungsgabe und besaß viel Witz. Wenn er in Gesprächslaune war, dann nahm er sich auch die Zeit, eine Geschichte in allen seinen Aspekten und mit den zum Verständnis notwendigen Nebengeschichten darzustellen. Das war schon mal zeitintensiv, aber langweilig war es nie. Und meist waren seine Geschichten ausgesprochen lustig, mit humorvollen Pointen gespickt, und erhielten durch seinen lebendigen Vortrag eine zusätzliche unterhaltsame Note. An die Dinge im Schach und im Leben ging er gerne mit großer analytischer Schärfe heran und versuchte sie in allen Aspekten bestmöglich zu durchdringen. Sein scharfer Verstand war bei der Beurteilung geschäftlicher Vorgänge, aber auch im Schach, von großem Nutzen.

Das erst Mal traf ich Gisbert Jacoby 1978 - ohne es zu wissen. Wir hatte uns mit dem Godesberger Schachklub für die Endrunde der Jugendvereinsmeisterschaft in Hamburg qualifiziert. Das war ein großes Abenteuer, auch weil am Ende der so genannte "Jahrhundertwinter " über Norddeutschland und Hamburg hereinbrach. Es gab mehrere starke Hamburger Mannschaften. Eine Mannschaft wurde von einem Trainer betreut, der trotz seiner unübersehbaren physischen Präsenz große Wendigkeit beim Durcheilen der Spieltische bewies. Außerdem ließ er von Helfern die Eröffnungen der Spieler der anderen Mannschaften mitschreiben. Ein so hohes Maß an Professionalität kannten wir in Godesberg nicht. Erst knapp 15 Jahre später lernte ich Gisbert Jacoby persönlich kennen. Inzwischen war er Geschäftsführer von ChessBase. Als Chef zeigte er sich gegenüber den Mitarbeitern stets großzügig und belohnte ihre Leistungen, indem er sie am wirtschaftlichen Erfolg beteiligte. Er interessierte sich für ihre persönlichen Angelegenheiten, war stets hilfsbereit, und schaffte so eine familiäre Atmosphäre. Gisbert Jacoby hatte ein großes Herz. Ihm selber lag bei seiner Arbeit bei ChessBase neben den wirtschaftlichen Dingen immer auch die Sache selber am Herzen - das Schach.

Nach seinem Ausscheiden als Geschäftsführer traf ich ihn noch regelmäßig beim Schach. Wir spielten zusammen in einer Mannschaft in Matthias Bierman-Ratjens Schachklub im Hamburger Mittelweg. Am Ende der Saison führte jeder Spieler eine seiner Partien vor. Das Niveau der Vorführung war ganz unterschiedlich. Einige Spieler wussten gar nicht, warum sie ihre Partie gewonnen hatten. Jacobys Vortrag war indes stets ein didaktischer Leckerbissen, der den Zuhörern den Blick in bis dato unbekannte Nuancen des Schachspiels eröffnete. Von Gisbert Jacoby habe ich viel gelernt. Am letzten Donnerstag hörte sein Herz auf zu schlagen. Gisbert Jacoby wurde 74 Jahre alt. Er wird uns fehlen. 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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