ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Viktor Kortschnoj wurde am 23. März 1931 in Leningrad geboren. Seine Eltern stammten aus der Ukraine und waren vor der Ende der 1920er und Anfang 1930er in der Ukraine wütenden Hungersnot, Folge der von Stalin initiierten "Dekulakisierung" mit geschätzten sieben Millionen Toten, nach Leningrad geflohen. Kurz nach Kortschnojs Geburt trennten sich die Eltern. Kortschnoj lebte bei seinem Vater und dessen zweiter Frau in einer städtischen 13-Zimmer-Wohnung, die sie sich mit zehn anderen Familien teilten. 1941 wurde die Stadt für mehr als drei Jahre von der deutschen Wehrmacht belagert und vom Nachschub eingeschlossen. Ein prägendes Erlebnis für den jungen Viktor Kortschnoj, der zusammen mit den anderen Leningradern hungern musste und sah, wie die Menschen aus Not ihre Toten aßen. Zu den Deutschen hatte er seitdem ein etwas gespanntes Verhältnis, das aber nie persönlich wurde. Bald nach Beginn der Belagerung starb Kortschnojs Vater bei einem Fliegerangriff auf dem Ladogasee. Im Alter von sechs Jahren hatte Kortschnoj von seinem Vater Schach gelernt. Im Jahreswechsel 1943/1944 normalisierte sich das Leben in St. Petersburg und Kortschnoj kaufte sich zwei Schachbücher, Laskers "Lehrbuch des Schachspiels" und Tartakowers "Das entfesselte Schach".
Mit 13 Jahren besuchte er die Schachabteilung des Leningrader Pionierpalasts. Wladimir Zak war dort einer seiner Trainer. Eigentliche war es Kortschnojs Wunsch gewesen, Schauspieler zu werden, doch wegen "Nuschelns" erhielt er keine Ausbildung und blieb deshalb beim Schach. Sein Aufstieg dort war nicht rasant, aber stetig und seine erste große Phase des Erfolges fiel in die 1960er Jahre. 1962 spielte er beim berühmten Kandidatenturnier von 1962 mit. Danach gehörte er immer zu den besten Spielern der Sowjetunion und damit der Welt. 1974 unterlag er im Kandidatenfinale dem jüngeren Anatoli Karpov. Er fühlte sich von der Führung des sowjetischen Schachsektion schlecht behandelt, machte daraus keinen Hehl und wurde sanktioniert. Nun entschloss er sich zur Flucht. 1976 ersuchte er in den Niederlanden um Asyl und war nun ein von den Ostblockspielern gezwungenermaßen geächteter Dissident. Später siedelte er in die Schweiz über. Seine Familie hatte Kortschnoj in der Sowjetunion zurückgelassen. Im Westen wurde er von Petra Leuwerik unterstützt, die aus Leipzig stammte, von den Sowjets als Studentin in Wien verschleppt wurde und Jahre ihres Lebens in einem Gulag fristen musste. Viele Jahre später heiratet das Paar.
Nach der Flucht folgte Kortschnojs zweite große Erfolgsphase. In den Kandidatenkämpfen rang er alle Widersacher nieder, am liebsten die sowjetischen, darunter auch in einem intensiven Psychokrieg seinen früheren Freund Boris Spassky. Für die Sowjets wurde Kortschnoj zu "Viktor, dem Schrecklichen". Schließlich traf er 1978 in Baguio City als WM-Kandidaten auf Weltmeister Karpov. Der Wettkampf wurde zum Politikum. Die westliche Welt schaute hoffnungsfroh auf den Dissidenten, der seinen Kampf aber weitgehend ohne deren Unterstützung führte. Hinter Karpov stand die ganze sowjetische Schachmaschine. Am Ende verlor Kortschnoj knapp. Hätte Kortschnoj den WM-Kampf gewonnen, so hätte der KGB ihn umgebracht, hat Michail Tal, einer von Karpovs Sekundanten, später behauptet. 1981 kam es in Meran zum gleichen Wettkampf, doch diesmal hatte Kortschnoj seinen Zenit überschritten.
1983 stellte sich Kortschnoj im Kandidatenwettkampf Garry Kasparov, obwohl er das Match zuvor schon kampflos gewonnen hatte. Im Gegenzug hoben die Sowjets den Boykott gegen Kortschnoj auf. Kortschnoj bleib weiter als Turnierspieler aktiv und nahm auch mit fortschreitendem Alter praktische jede Einladung an. Auf die Frage, warum er das machte, lautete seine Antwort: "Wenn ich die Einladung nicht akzeptiere, dann werde ich das nächste Mal nicht mehr eingeladen." Im Alter von 80 Jahren gewann er noch 2011 die Schweizer Meisterschaft. 2012 erlitt jedoch einen Schlaganfall, nach dem er sich vom Turnierschach zurückziehen musste.
Viktor Kortschnoj war schon sehr früh Nutzer der ChessBase Datenbankprogramme und kommentierte für das ChessBase Magazin Partien. Allerdings hasste er den Computer: "Am liebsten würde ich das Ding aus dem Fenster werfen", lautete sein zusammenfassendes Urteil über dieses Werkzeug. Wenn er mit dem Programm Partien kommentierte, so ignorierte er zum Beispiel konsequent die Möglichkeit dort Varianten anzulegen und schrieb diese stattdessen als Kommentar in das Textfeld. Sämtliche Pflegearbeit mit der Datenbank überließ er großzügig seiner späteren Frau Petra, die diese Aufgabe tapfer auf sich nahm.
Als ich ihn Biel einmal ein ChessBase-Anwender-Seminar gab, kam Kortschnoj dorthin und hörte sich an, was ich zu erzählen hatte. Das war eine nette Geste, auch wenn sich daraus für ihn vermutlich keinerlei Verbesserung im technischen Zugang entwickelte. Trotzdem war ich immer davon überzeugt, dass Kortschnojs lang anhaltende Spielstärke auch daraus resultierte, dass er in der Vorbereitung mit den jungen Leuten auf Augenhöhe war - mehr oder weniger.
Ich hatte im Laufe der Zeit einige Male Gelegenheit, die gleiche Luft zu atmen wie der große Meister. Als ich ihn das erste Mal bei einem seiner Besuche in Hamburg sah, schaute er auf den Monitor und klatschte gerade vor Vergnügen in die Hände. Diese große Freude bereitete ihm eine Partie, bei der eine Seite eine ewige Fesselung konstruiert hatte und das sorgte beim mehrfachen WM-Kandidaten für eine geradezu kindliche Fröhlichkeit. Kortschnoj liebte das Schach und er liebte es zu gewinnen. Wenn er verlor, war er auf der anderen Seite ungenießbar und verlor dann bisweilen auch die Contenance. Das gefiel manchem Großmeisterkollegen nicht.
Kortschnoj spielte eine Zeitlang bei den Bieler Schachfestivals mit und dort konnte ich anlässlich eines Wartungsauftrages in seinem Hotelzimmer einmal verfolgen, auf welche pfiffige Weise der Meister die klassische Schacharbeit und die modernen Mittel, also den Computer, zusammenführte. Auf dem Monitor war eine Liste mit Partien zu einer bestimmten Variante - wahrscheinlich hatte das Petra für ihn dorthin gezaubert - und vor der Tastatur stand ein Reiseschach mit der gleichen Ausgangsposition. Kortschnoj ruhte gerade, aber vermutlich hat er später auf dem Reisschach die aufgelisteten Partien nachgespielt. Seine Vorbereitung hat übrigens für diese Partie bestens funktioniert.
Eine besondere Leistung war es, Kortschnoj zu überreden, zwei DVDs mit seinen besten Partien als Video aufzuzeichnen. Damals war er noch jung, also um die 70 Jahre alt, und er stand der Idee durchaus aufgeschlossen gegenüber. Da er sich mit der Technik jedoch grundsätzlich auf Kriegsfuß befand, übernahm jemand anderes für ihn die Last der Zug- und Varianteneingabe. Viktor hatte Muße, über seine Partien und die Geschichten am Rande zu fabulieren. So entstand ein einzigartiges Zeitdokument. Anlässlich dieser Aufnahme wagte ich es auch, ihn zu den Vorgängen 1962 in Curacao zu befragen und ob Fischer dort betrogen worden wäre. Da wurde Viktor etwas lauter und berichtete überzeugend, dass die Absprachen von Petrosian, Geller und Keres sich in gleichem Maße auch gegen ihn gerichtet hätten.
Heute ist Viktor Kortschnoj gestorben und mit ihm eine große Schachpersönlichkeit mit Ecken und Kanten, vor allem aber ein gewaltiges Stück Schachgeschichte. In dieser Hinsicht war Kortschnoj ein Gigant. Er hat die Geschichte nicht miterlebt, er war Schachgeschichte.