2008
wurde vom deutschen Wissenschaftsminister zum „Jahr der Mathematik“ erklärt.
2008 fand in Deutschland allerdings auch eine Schachweltmeisterschaft und
die Schacholympiade statt, weshalb man sich 2008 auch als „Jahr des Schachs“
vorstellen könnte. Mehr als Grund genug, um sich ein interessantes Problem
anzuschauen, das diese beiden intellektuellen Aktivitäten berührt:
Mathematik und Schach. Es handelt sich dabei um ein faszinierendes Paradox,
das zu beweisen scheint, dass 64 gleich 65 ist. Dabei zerlegt man ein
Schachbrett (das natürlich aus 64 Feldern besteht) in vier Teile und macht
aus diesen Teilen ein Rechteck, dessen Seiten auf 5 bzw. 13 Feldern bestehen
(was natürlich zu einer Fläche von 5 x 13 = 65 Feldern führt).
Dabei
habe ich Folgendes vor Augen:
Mit drei
geraden Schnitten wurde das Schachbrett in zwei gleiche Dreiecke und zwei
gleiche Trapeze geteilt. Die Summe der Flächen dieser vier Teile ergibt 64
kleine Felder auf dem Schachbrett. Diese vier geometrischen Figuren der
Zerlegung des Schachbretts können nun zu folgendem Rechteck neu
zusammengesetzt werden.
Bitte vergleichen Sie jede der vier Figuren in den beiden Diagrammen. Die
Seiten des sich ergebenden Rechtecks bestehen aus 5 und 8 (8+5) = 13 kleinen
Feldern. Somit besteht die Fläche des Rechtecks aus 5 x. 13 = 65
Feldern. Es sind die gleichen vier Teile, die aus dem Schachbrett
geschnitten wurden, nur anders zusammen gefügt. Deshalb muss auch ihre
Gesamtfläche die gleiche sein.
Damit haben wir bewiesen, dass 64 = 65!
Natürlich ist das nicht der Fall und irgendwo muss es einen Fehler geben.
Wissen Sie, wo er steckt?
Der
Schlüssel für dieses Paradox liegt in Zeichenungenauigkeiten der Linien, aus
denen die Dreiecke und die Trapeze und damit auch das Rechteck bestehen. Bei
höherer Auflösung gezeichnet sollte das obige Diagramm wie folgt aussehen:
Und wann
man den Innenbereich vergrößert, dann sieht man die Kluft zwischen den
oberen und unteren Teilen sogar noch deutlicher:
Fn · Fn
= Fn(Fn-1 + Fn-2) = Fn · Fn-1 + Fn · Fn-2
und
Fn+1 ·
Fn-1 = (Fn + Fn-1)Fn-1 = Fn · Fn-1 + Fn-1 · Fn-1
Die in
den obigen Diagrammen rot hervorgehobene Fläche hat die Form eines sehr
langen Parallelogramms. Es ist verantwortlich für den Flächenunterschied
zwischen dem Quadrat und dem Rechteck.
Ein
ähnliches Zerlegungsparadoxon ergibt sich, wenn man von einem 13x13-Quadrat
ausgeht und die zwei Dreiecke und zwei Trapeze, aus denen es besteht, so neu
zusammenfügt, dass, ähnlich wie oben, ein 21x8 Rechteck entsteht:
Erneut
sehen wir bei höherer Auflösung folgendes:
Die rot
markierte Fläche ist wieder ein Parallelogramm der Fläche 1, bei der sich
dieses Mal das obere und das untere Teil überschneiden. So gibt es hier
keine Kluft, aber durch die Überschneidung hat das entstehende Rechteck eine
kleinere Fläche (=168) als das ursprüngliche Quadrat (=169).
Was ist
der mathematische Kern dieses Paradoxons? Um das allgemein zu erklären,
beginnen wir mit dem Verweis auf die Folge der so genannten Fibonacci-Zahlen
Fn. Dies ist eine Folge von Zahlen, in denen jede Zahl Fn+1
als Summe der beiden Zahlen Fn und Fn-1 vor ihr
definiert wird. Deshalb:
Fn+1
= Fn + Fn-1 für n = 1, 2, 3, …
Die
Anfangswerte sind durch F0 = 0 und F1 = 1 vorgegeben.
So ergeben sich folgende Anfangswerte der Fibonacci-Folge:
0, 1, 1,
2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, …
Das
obige Zerlegungsparadox scheint somit zu sagen, dass
Fn
. Fn gleich Fn+1 . Fn-1
Führen
wir ein paar einfache Rechnungen durch, um zu sehen, was wirklich passiert:
Fn
. Fn = Fn(Fn-1 + Fn-2)
= Fn . Fn-1 + Fn . Fn-2
und
Fn+1 . Fn-1 = (Fn + Fn-1)Fn-1
= Fn . Fn-1 + Fn-1 .
Fn-1
Die Differenz Dn zwischen diesen beiden Produkten beträgt:
Dn = Fn+1 . Fn-1 -
Fn . Fn
= Fn-1 . Fn-1 -
Fn . Fn-2
= -Dn-1 = (-1)2 Dn-2
= ... = (-1)n-1D1 = (-1)n
da D1 = F2 . F0 – F1
. F1 = 1 . 0 – 1 . 1 = (-1)1.
Damit haben wir die Wahrheit dessen festgestellt, was als Identität von
Cassini bekannt ist:
Fn+1 . Fn-1 – Fn . Fn
= (-1)n
Die Schlussfolgerung lautet: Man kann ein Fn x Fn
–Quadrat immer in ein Fn+1 x Fn-1 –Rechteck verwandeln
und der Unterschied zwischen ihren Flächen Fn . Fn
bzw. Fn+1 . Fn-1 beträgt (-1)n
, das heißt entweder -1 oder +1. Im ersten Fall überschneiden sich die
Teile. Im zweiten Teil gibt es eine Kluft zwischen ihnen.
Das nächst größere Quadrat, bei dem die Zerlegung funktioniert, ist ein
21x21-Quadrat, das wie oben in ein 34x13-Rechteck verwandelt werden kann.
Wenn Sie herausfinden wollen, wie das 21x21-Quadrat geschnitten werden muss,
denken Sie einfach an die Fibonacci-Folge.