Rätselkünstler Sam Loyd (30. Januar 1841-10. April 1911)

von Johannes Fischer
30.01.2021 – Selbst leidenschaftliche Schachspieler können mit Schachproblemen oft nicht viel anfangen. Die bizarren Stellungen und Begriffe wie Abspiel, Dual, Duplex, Echomatt, Flurmatt, Idealmatt, Zweispänner oder Zwilling, um nur ein paar zu nennen, schrecken ab. Aber Sam Loyd, der vielleicht berühmteste Rätselerfinder aller Zeiten, der heute vor 180 Jahren, am 30. Januar 1841, geboren wurde, beherrschte die Kunst, seine Schachprobleme charmant zu präsentieren: mit Humor, Witz und umrahmt von Geschichten.

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Eine der berühmtesten Kompositionen von Sam Loyd ist das so genannte "Karl XII Problem", das Loyd 1859 veröffentlicht hat.

 

Angeblich kam es zu dieser Stellung während einer Partie, die Karl XII mit seinem Ratgeber Christian Albert Grosthusen gespielt hat, als die Schweden 1713 beim so genannten "Handgemenge von Bender" gegen die Türken kämpften. In der obigen Stellung ist Weiß am Zug und kündigt ein Matt in drei Zügen an.

Lösung

1.Txg3 Lxg3 2.Sf3 Lxh2 3.g4#

Eine hübsche Lösung, aber eigentlich nichts Besonderes. Doch Loyd fährt fort:

Kaum hatte Karl XII diese Worte ausgesprochen, da flog eine von den Türken abgeschossene Kugel durchs Fenster … und fegte den weißen Springer vom Brett und zerlegte ihn in Stücke. Grothusen zuckte erschreckt zusammen, aber Karl bat ihn mit äußerster Gelassenheit, den zweiten Springer aufs Brett zu stellen und das Matt auszuarbeiten. … Doch nach einem weiteren Blick auf das Brett lächelte Karl und meinte: "Wir brauchen den Springer nicht. Ich kann trotzdem in vier Zügen Matt setzen!

 

Lösung

1.hxg3 Le3 2.Tg4 Lg5 3.Th4+ Lxh4 4.g4#

Loyd erzählt weiter:

Auch wenn es schwer zu glauben ist, kaum hatte er zu Ende gesprochen, da flog bereits eine weitere Kugel durchs Zimmer und der Bauer auf h2 erlitt das gleiche Schicksal wie der Springer. Grothusen erbleichte. "Unsere Freunde die Türken stehen Ihnen bei”, meinte der König ungerührt. "Es ist unwahrscheinlich, dass ich mich gegen eine solche Übermacht behaupten kann; aber schauen wir doch einmal, ob ich auf diesen unglückseligen Bauern verzichten kann. Ich hab’s!", rief er mit dröhnendem Lachen, "ich habe das große Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, dass es in dieser Stellung zweifellos ein Matt in fünf Zügen gibt."

 

Lösung

1.Tb7 Le3 2.Tb1 Lg5 3.Th1+ Lh4 4.Th2 gxh2 5.g4#

Eine versteckte Pointe dieser Geschichte besteht darin, dass Karl XII in Bender der Legende zufolge tatsächlich ein Ohr abgeschossen worden sein soll.

Sam Loyd wurde am 30. Januar 1841 als jüngstes von acht Kindern in Philadelphia geboren. Seine Eltern waren, wie er selbst einmal gesagt hat, "wohlhabend, aber ehrlich". Sein Vater war Flächenentwickler und Finanzier.

Groß geworden ist Loyd jedoch nicht in Philadelphia, sondern in New York, wo er zusammen mit seinen Brüdern das Schach entdeckte. Vor allem Schachprobleme hatten es ihm angetan und er hat Talent für das Komponieren von Problemen. Loyd ist 14, als zum ersten Mal ein von ihm komponiertes Problem veröffentlicht wird. Viele weitere sollten folgen.

Auch im praktischen Schach verfügte Loyd über eine beachtliche Spielstärke. So kam der Rätselerfinder laut der chessmetrics-Seite von Jeff Sonas im Juli 1870 auf eine historische Elo-Zahl von 2445, was ihn damals zur Nummer 15 der Welt gemacht hätte.

1867 nahm er an einem stark besetzten internationalen Turnier in Paris 1867 teil. Er wurde mit 6,5 aus 24 zwar nur Zehnter von 13 Teilnehmern, aber mit Spielern wie Ignaz Kolisch, Gustav Neumann, Wilhelm Steinitz oder Szymon Winawer waren in Paris immerhin einige der besten Spieler der damaligen Zeit am Start.

Doch bald verlor Loyd das Interesse am Schach und er konzentrierte sich auf die Erfindung von mathematischen Rätseln und Spielen. Er war äußerst produktiv und gilt auch heute noch als der vielleicht größte amerikanische Autor und Schöpfer von mathematischen Rätseln.

Dabei nahm er es mit der Wahrheit allerdings nicht immer ganz genau. So behauptete Loyd ab 1891 bis zu seinem Tod am 10. April 1911, er hätte das 15-Puzzle erfunden. In diesem beliebten Spiel geht es darum, 15 Kacheln, die von 1 bis 15 durchnummeriert sind, auf den 16 Feldern eines Vier-mal-vier-Quadrats durch Verschieben der Kacheln in die richtige Reihenfolge zu bringen.

15-Puzzle | Bild: Micha L. Rieser

Dieses Spiel, das auch Bobby Fischer gern, schnell und gut gespielt hat, wie er am 7. November 1972 in der Tonight Show mit dem berühmten amerikanischen Moderator Johnny Carson einem Millionenpublikum im Fernsehen demonstrieren konnte, wurde jedoch nicht von Loyd, sondern von Noyes Palmer Chapman erfunden, der 1880 ein Patent dafür beantragt hatte. Loyd veröffentlichte seinen ersten Artikel über das 15-Puzzle hingegen erst 1896, und hat sich hier also mit fremden Federn geschmückt, nach Aussage vieler seiner Konkurrenten und Gegner nicht das einzige Mal.

Aber das folgende Schachproblem hat Loyd zweifellos selber komponiert. Es ist eines von Loyds berühmtesten Problemen, und er hat es in Anspielung auf ein berühmtes Gedicht des amerikanischen Dichters Henry Wadsworth Longfellow "Excelsior" genannt.

 

Weiß zieht und setzt in fünf Zügen Matt.

Weiß würde gerne mit 1.Td5 nebst 2.Td1 Matt setzen. Aber sofort 1.Td5 scheitert an 1... Tc5 mit Abtausch des Turmes. Deshalb spielt Weiß...

1.b4

Das Longfellow-Gedicht "Excelsior", auf das sich Loyds Problem bezieht, erzählt wie ein junger Mann immer weiter in die verschneiten Alpen hinaufsteigt, und dabei den Tod findet. Hier macht sich der weiße b-Bauer auf den Weg zum anderen Ende des Bretts. Schwarz muss jetzt seinen Turm opfern, um das drohende Matt mit Td5–d1 abzuwenden.

1...Tc5+ 2.bxc5

Der Excelsior-Bauer schlägt den Turm und macht dabei einen weiteren Schritt nach vorne. Zugleich droht Weiß jetzt 3.Tb1#. Schwarz hat nur eine Möglichkeit, das zu verhindern.

2...a2

Doch jetzt erneuert Weiß die Drohung Td5–Td1# - natürlich mit dem Vormarsch des ehemaligen b-Bauern.

3.c6

Weiß droht jetzt nicht nur Td5–Td1 Matt, sondern auch Tf5–Tf1 Matt, und Schwarz hat nur eine Möglichkeit, das zu verhindern:

3...Lc7

Spielt Weiß jetzt 4.Td5, so folgt 4...Lxg3 und nach 5.Td1 zögert Schwarz das Matt mit 5...Le1 um einen Zug hinaus. Nach 4.Tf5 verzögert Weiß das Matt mit 4...Lf4. Aber natürlich stürmt auch jetzt der weiße b-Bauer weiter voran.

4.cxb7

Egal, was Schwarz jetzt zieht, Weiß setzt im nächsten Zug mit 5.bxa8D oder 5.bxa8L Matt. Excelsior!

Als Loyd sein Problem am 13. Januar 1861 in der Zeitschrift London Era veröffentlichte, begleitete er es wie so oft mit einer kleinen Geschichte. Loyd zufolge hat er das Problem nach einer Wette mit einem Herrn namens Dennis Julien komponiert. Julien hatte, so Loyd, behauptet, bei jedem Schachproblem sagen zu können, welche Figur oder welcher Bauer am Ende Matt setzen würde. Als Loyd ihm das Excelsior-Problem vorlegte und meinte, Julien müsse nur angeben, welcher Stein nicht Matt setzen würde, zeigte Julien auf den Bauern b2 – und natürlich ist es genau der Bauer b2, der am Ende Matt setzt.

Und ob diese Geschichte nun stimmt, oder ob Loyd sie erfunden hat – das Excelsior Problem bleibt ein beeindruckendes Beispiel für den Witz und die Kreativität Loyds.

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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