Am vergangenen Wochenende trafen sich die Vertreter der Landesverbände und des Schachbundes im so genannten Hauptausschuss, um sich über die aktuellen Themen im Deutschen Schachbund auszutauschen. Als Tagungsort hatte man Hofgeismar gewählt, einen kleinen Ort mit langer Geschichte, etwa eine halbe Autostunde von Kassel entfernt.
Der Hauptausschuss ist nach dem Bundeskongress das zweithöchste Organ im Deutschen Schachbund. Während der Bundeskongress mit allen Delegierten der Landesverbände, den Ehrenmitgliedern und dem Präsidium sowie den Funktionären des Schachbundes in der Regel alle zwei Jahre (in den Jahren mit ungerader Jahreszahl) durchgeführt wird, tritt der Hauptausschuss in den Jahren mit Bundeskongress in kleinerer Besetzung einmal zusammen, in den Jahren ohne Bundeskongress zweimal. Der Hauptausschuss setzt sich nur aus den Vorsitzenden der Landesverbände und den Vertretern des Schachbundes zusammen. Im Hauptausschuss finden keine Wahlen statt und können auch keine Satzungsänderungen durchgeführt werden.
Kritik am Führungsstil
Auf dem vergangenen Bundeskongress des Deutschen Schachbundes am Wochenende des 31.Mai/ 1.Juni 2025 war Ingrid Lauterbach als Präsidentin wiedergewählt worden, wurde allerdings nur mit knapper Mehrheit bestätigt, obwohl sie sich auf die Fahnen schreiben konnte, die Finanzen des Schachbundes wieder in Ordnung gebracht zu haben. Auch sonst konnte die Amtsinhaberin auf eine Reihe von Erfolgen und Leistungen verweisen, aber dennoch hatte sich im Schachbund ein recht breite Opposition gebildet, die in Person des Berliner Verbandspräsidenten Paul Meyer-Dunker zu einer nur ganz knapp gescheiterten Gegenkandidatur führte. Aus den Reihen der Kritiker wurde Ingrid Lauterbach damals vor allem schlechte Kommunikation, Alleingänge bei diversen Entscheidungen und ein insgesamt für einen Sportverband unpassender Führungsstil vorgeworfen.
Im Hauptausschuss am vergangenen Samstag wurden die Fronten nun erneut deutlich sichtbar. Es gab zwei Themen, die eine Reihe von Delegierten besonders bewegte. Zum einen war dies die Diskussion um die Behandlung von Transgender-Personen bei Schachturnieren, zum anderen waren es Personalentscheidungen, im Besonderen in der Geschäftsstelle.
Emotionale Themen
Die kurzfristig ermöglichte Teilnahme von Nora Heidemann an der Mädchenmeisterschaft, die ihr Geschlecht nach dem neuen Selbstbestimmungsrecht von männlich auf weiblich festgelegt hatte und dann auch die U18-Mädchenmeisterschaft gewann, hatte für eine breite Diskussion innerhalb und außerhalb des Schachbundes gesorgt und fand ihren Weg in nationaln und sogar internationale Schlagzeilen bis in die USA. Das Frauenreferat im Deutschen Schachbund hatte in einer Sitzung darüber beraten, wie mit solchen Geschlechterwechseln in Zukunft umgegangen werden soll und hatte Vorschläge gemacht, wurde aber von der Präsidentin korrigiert, die einen anderen Umgang mit diesem Thema wünschte.
Kritik entzündete sich vor allem aber an den Personalentscheidungen des Präsidiums, im Besonderen an der Entlassung der langjährigen Mitarbeiterin Anja Gering. Bei der Bestimmung eines Geschäftsführers hatte die Leitung des Deutschen Schachbundes nach dem Ausscheiden von Horst Metzing, der die Geschäfte des DSB von 1976 bis 2013 durchgehend geleitet hatte, keine glückliche Hand. Von 2013 bis 2016 leitete Heike Quellmalz die Geschäfte, bis sie bei Beginn ihrer Mutterschaft ausschied. Ihr folgte Uwe Bönsch nach, der zuvor als Bundestrainer für den Schachbund tätig gewesen war. Uwe Bönsch wurde jedoch 2017 schwer krank und so übernahm Horst Metzing für ein Jahr noch einmal die Geschäftsführung, bevor 2018 Marcus Fenner neuer Geschäftsführer wurde. Über die letzte Personalie entwickelte sich ein intensiver Disput, der von vielen öffentlichen Angriffen auf den Geschäftsführer und den damaligen Präsidenten Ullrich Krause begleitet wurde. In dieser Zeit gerieten mit der Finanzierung der Schachgipfel auch die Finanzen des Schachbundes in Schieflage. Fenner wurde 2022 entlassen und Krause trat als Präsident nicht mehr an. Zuvor hatte Krause Anja Gering zu Nachfolgerin von Fenner befördert. Anja Gering war seit 2006 beim Deutschen Schachbund beschäftigt, zuletzt als Leiterin Finanzen.
Fristlose Kündigung
Drei Jahre nach ihrer Beförderung wurde Anja Gering vom derzeit amtierenden Präsidium jedoch nun fristlos gekündigt. Diese Maßnahme führte zu Protesten von verschiedenen Seiten. Paul Meyer-Dunker, Berliner Verbandspräsident und bis 2023 beim Deutschen Schachbund für Öffentlichkeitsarbeit tätig, kritisierte die Entscheidung in einem Post auf seinem Facebook-Account, in der Sache, aber auch für den Stil beim Umgang mit einer langjährigen Mitarbeiterin.
Elisabeth Pähtz übte in einem Interview hier auf der ChessBase-Seite an der Personalentscheidung ebenfalls Kritik, beklagte sich aber auch über eine Reihe von anderen Missständen aus ihrer Sicht, besonders in Bezug auf die Verteilung der Zuwendungen im Schachbund.
Transgender-Personen im Schach
Zum besseren Verständnis der Problematik bei der Behandlung von Transgenderpersonen im Sport hatte Ingrid Lauterbach als Expertin die frühere Leichtathletin Sylvia Schenk eingeladen. Die ehemalige Arbeitsrichterin, Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees, war eine Zeitlang auch Vorsitzende von Transparency International Deutschland. In ihrem Vortrag beleuchtete Sylvia Schenk verschiedene Aspekte der Transgender-Problematik für die Sportverbände. Im Anschluss an den Vortrag votierte eine große Mehrheit der Delegierten für eine Fristenlösung bei der Teilnahme von Personen, die ihr Geschlecht gewechselt haben, an Mädchen- und Frauenturniere. Außerdem soll ein Arbeitskreis gebildet werden.
Offener Streit über die Personalpolitik
Weniger einstimmig verlief die Diskussion über die Personalentscheidungen. Über die Gründe für die fristlose Entlassung von Anja Gering, die in einer Nebentätigkeit noch als Mentalcoach arbeitet, konnte das Präsidium aus arbeitsrechtlichen Gründen keinen Aufschluss geben. Kevin Högy informierte die Teilnehmer, dass er als Betriebsrat der Geschäftsstelle weder die Kündigung noch die fristloste Kündigung empfohlen habe. Über die Gründe für die fristlose Kündigung sei er nicht vollumfänglich informiert worden. Anja Gering setzt sich gegen die Kündigung juristisch zur Wehr. Als direkte oder indirekte Folge der Kündigung bleibt ein Teil der anfallenden Arbeit in der Geschäftsstelle derzeit liegen und muss zum Teil von den Präsidiumsmitgliedern erledigt werden.
In einer Pause der Hauptausschuss-Sitzung, nach einer hitzigen Diskussion, in Teilen mit harten Bandagen und persönlichen Angriffen geführt, versuchte der Vizepräsident Finanzen des DSB Alexander von Gleich eine Art Abstimmung mit Vertrauensfrage zu organisieren, um festzustellen, ob die Mehrheit der Vertreter der Landesverbände noch hinter dem Präsidium stehen und - wenn dies der Fall gewesen wäre - auch die Wogen zu glätten und Ruhe in die Versammlung zu bringen. Der Sitzungsleiter Klaus Deventer ließ die Abstimmung jedoch mit Hinweis auf die Satzung nicht zu. Andere Juristen im Kreis der Delegierten teilten allerdings Deventers Ansicht über die Satzung nicht. Dennoch wurde diese Abstimmung nicht durchgeführt.
Stattdessen fanden sich aber nun die erforderlichen fünf Landesvorsitzenden, aus Bayern, Brandenburg, Thüringen, Berlin und Niedersachsen, die einen Antrag auf Abwahl des Präsidiums stellten. Damit muss das Präsidium nun innerhalb von zwei Monaten einen Termin für einen außerordentlichen Bundeskongress festlegen, der dann spätestens zwei Monate nach der Festlegung stattfinden muss. Dort wird über das Präsidium abgestimmt.
Neben diesen wenig erfreulichen Kämpfen innerhalb des Schachbundes tritt die Nachricht, dass die Finanzen des Schachverbandes nun soweit geordnet sind, dass es einen Überschuss von 300.000 Euro im 1. Halbjahr 2025 zu vermelden gab, leider in den Hintergrund. Auch die Mitgliederentwicklung ist sehr positiv. Mit über 98.000 Mitgliedern schreibt der Verband Rekorde und nähert sich der der 100.000-Marke.
Mit Matthias Blübaum hat der Deutsche Schachbund einen Spieler, der 45 Jahre nach den Erfolgen von Robert Hübner wieder an einem FIDE-Kandidatenturnier teilnehmen wird. Und mit Vincent Keymer sogar einen Top-Ten-Spieler, der seinen Zenit noch nicht erreicht hat. Bei der Mannschaftseuropameisterschaft ist das junge deutsche Teams sogar der Top-Favorit. Es gab zwar einen Fehlstart, aber das Turnier ist lang. Eigentlich könnte man sich auch freuen.
Bericht beim Deutschen Schachbund...
