Der Stier und seine Strategie

von Dagmar Seifert
30.04.2022 – Zwei Weltmeister, (Steinitz und Euwe) eine Schach-Familie, (die Cramlings) und jede Menge 1. d4 Liebhaber, (Moiseenko, Gaprindashvili, und Miles) sind im Sternzeichen des Stieres geboren. Seine Kraft liegt in der Ruhe. Ein echter Stier agiert bedächtig, besonnen, wohlüberlegt. Er berechnet, was er tut, alles andere hält er für unvernünftig. Unter Umständen gönnt er seinem Gegner ein erquickendes Schläfchen, während er über den nächsten Zug nachdenkt. Es wäre fatal, ihn deshalb für beschränkt zu halten. | Foto: Pixabay

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Das Sternzeichen der aktuellen Wochen ist der Stier

Die typische Marschrichtung eines typischen Stiers ist – geradeaus. Der spanische Stierkampf könnte mit keinem anderen Tier funktionieren. Obwohl ein Kampfstier bewusst gezüchtet wird auf Feinnervigkeit, Angriffslust und Aggression, bleibt seine Strategie im Prinzip die gleiche: geradeaus. Das macht ihn bis zu einem gewissen Grad berechenbar für den Torero.

Das könnte auch einen im Stier Geborenen berechenbar machen für den Gegner am Brett. Nun ist Schach kein Stierkampf, die Möglichkeiten sind schließlich mannigfaltig und es geht auch nicht direkt um Leben und Tod. Und doch ließe sich eventuell, aufs Ganze betrachtet, eine erstaunliche Gradlinigkeit im Spiel eines Schachspielers beobachten, der zwischen dem 20. April und dem 20. Mai geboren wurde. Keine nervösen Zugwiederholungen, keine überraschenden Opfer. Stier ist, astrologisch gesehen, ein Erd-Zeichen. Er steht auf dem Boden der Tatsachen und benötigt Struktur, etwas, das er greifen kann.

Ein Fels in der Brandung - Mihail Marin hat bereits etliche Fritztrainer, mit soliden, und positionellen Eröffnungen herausgebracht

Der rauschebärtige Wilhelm Steinitz, * 14. 5.1836, der erste allgemein anerkannte Schachweltmeister (von 1886 bis 1894) konnte mit dem zu seiner Zeit üblichen ‚romantischen Schach‘ des stürmischen Angriffs wenig anfangen. (Obwohl gesagt werden muss, dass er es am Anfang seiner Spieler-Karriere noch genauso machte, bevor er begann, die Prinzipien des Spiels wissenschaftlich zu analysieren.) Steinitz hatte Mathematik studiert, er hielt sich an Tatsachen, er dachte streng logisch und entwarf die Moderne Schachtheorie. Einem zu seiner Zeit vor allem impulsiv und spontan gehandhabten Spiel verpasste er strategisch-positionelle Grundsätze. 

Wilhelm Steinitz war einer der ersten Schachspieler, der das Positionelle Spiel meisterhaft in seinen eigenen Partien darstellte. | Foto: Austrian National Library

Konsequent folgte ihm darin ein anderer Schach-Stier, Großmeister Josif Dorfman, *1. Mai 1952. Er vervollständigte diese Art der Betrachtung durch seine Beurteilung kritischer Stellungen und entwarf einen ‚stellungsgemäßen Plan‘, eine Art Raster. In seiner Methode empfahl er dem ‚statisch besser stehenden‘ Spieler, sich bloß nicht zu unüberlegten Bauernzügen oder leichtsinnigem Abtausch hinreißen zu lassen, also dynamischen Manövern; zu dergleichen riet er nur dem ‚statisch schlechter stehenden‘ Spieler.

Zum großen Vergnügen des astrologischen Stiers gehört der Besitz. Er möchte etwas haben und behalten und er findet darin wirkliche Befriedigung. Entsprechend bekümmert es ihn deutlich mehr als die meisten anderen Leute, etwas zu verlieren. Wenn also beispielsweise ein angriffslustiges Sternzeichen wie der Widder ohne besondere Gemütsbewegung den kurzzeitigen Verlust einer oder mehrerer Figuren verkraftet oder wenn eiskalte Taktiker wie Jungfrau oder Wassermann gegebenenfalls einen Bauern opfern, ohne ihm eine Träne nachzuweinen, dann bereitet es dem Stier-Schachspieler echte Schmerzen, Bauern oder Figuren - wenn auch nur vorübergehend - einzubüßen. Er könnte eventuell sogar durch ein Bauernopfer seine Stellung verbessern – aber das widerspricht im Grunde seinem Naturell. Ein Teil seines Unterbewusstseins wird von da ab grübeln, ob er nicht genau diesen Bauern noch sehr sinnvoll hätte einsetzen können. Er wird es natürlich ganz cool verbergen, aber deshalb beißt es ihn trotzdem.

Das Stier-Sternzeichen weist mit Max Euwe, nach Steinitz, einen weiteren Weltmeister auf. Der Mathematiker ließ sich selten zu Schabernack auf dem Brett hinreißen, und war bekannt für seine Logik im Spiel. | Foto: Harry Pot - Dutch National Archives (Wikipedia)

Stiere können auch anders

Nein, natürlich spielen nicht alle Stier-Geborenen bedächtig, statisch, auf Sicherheit bedacht. Wir haben hier nur das Sonnenzeichen am Wickel, und ein Horoskop beinhaltet ja viel mehr.

Jan-Krzyzstof Duda, Emil-Josef Diemer, Dragoljub Velimirović, Vasily-Borisovich Malinin oder Anthony-James Miles lieben, und liebten die wildesten Stellungen auf dem Brett. (Vielleicht spielt die Anzahl der Namen eine Rolle dabei?) 

Das aufstrebende Talent Jan-Krzyzstof Duda ist gerne bereit, das Brett in Flammen stehen zu lassen, weil das auch seinen Fans gefällt. | Foto: katowice2021.eu

Der früh verstorbene englische Schachgroßmeister Tony Miles, * 23.4.1955. Obwohl im Stier geboren, benahm sich ganz untypisch. Er spielte unberechenbar, teilweise exzentrisch, alles andere als langsam und wohlüberlegt und trotzdem oft atemberaubend genial. Spielte er gegen die eigene, die Stier-Natur, an?

In seinem Horoskop saß der Merkur, also das Denken, direkt neben der Stier-Sonne in einer sogenannten Konjunktion. Diese Stellung heißt in der Sprache der Astrologen: verbrannter Merkur. Sie gilt als ungünstig, weil sie zwar zu schnellem und scharfem Denken befähigt, jedoch die Gefahr birgt, überzuschnappen …

Anthony J. Miles mit Rückenproblemen in einer Partie von 1985. Aber der Britische GM war nicht nur am Brett dafür bekannt, interessante Positionen zu finden. | Foto: Persbureau van Eindhoven

Doch normalerweise baut ein Stier auf Sicherheit. Er bevorzugt das solide Eröffnungsrepertoire. Er spielt positionell und riegelt alles ab. Zusammenhängende Bauern und geschlossene Stellungen sind ihm lieber als mit einem ‚Isolani‘ zu spielen.

Eine weitere ausgeprägte Eigenschaft echter Stiere ist Halsstarrigkeit oder Dickköpfigkeit. Das befähigt sie – positiverweise – nicht aufzugeben. (In dieser Beziehung übertrifft sie nur noch der Steinbock.) Es kann – negativerweise – dazu führen, dass sie unbeirrt, unverdrossen und fälschlich bei einer bestimmten Strategie bleiben, die sie keineswegs zum Erfolg führt.

Andererseits, wenn der Stier an seiner Strategie bis zum Ende festhält -

  • Das Material muss im Gleichgewicht sein
  • Bestimmte Linien und Diagonalen müssen kontrolliert werden
  • Die Bauernstruktur muss solide bleiben

zermürbt das womöglich den Gegner so sehr, dass der schließlich seinerseits unüberlegte Züge macht. Da muss doch mehr dahinterstecken? Tut es aber nicht.

Kann man sich auf einen Stier gut vorbereiten?

In der Tat. Und wahrscheinlich sogar besser, als auf viele andere Sternzeichen. Die Frage bleibt allerdings - Wie sehr kann man sich auf einen Gegner gut vorbereiten, wenn es ihm egal sein kann?

Juan Manuel Bellón López, Anna Cramling und Pia Cramling. Eine starke, kämpferische Schachfamilie, und allesamt Stiere. | Foto: Swedish Chess Federation

Berühmte Stier Schachpersönlichkeiten + Geburtstage:

Interessanterweise spielt laut Mega Database 2022 die Mehrheit der aufgelisteten Schachstiere etwas lieber 1.d4, als 1.e4.

Name 1. e4 1. d4 1. c4 1. Nf3 Total
Marin, Mihail 15 446 424 195 1080
Miles, Anthony J. 102 777 264 247 1390
Cramling, Pia 92 1247 90 380 1809
Kosteniuk, Alexandra 1589 91 27 68 1775
Nunn, John D. M. 948 2 0 0 948
Mamedov, Rauf 1117 17 71 53 1258
Duda, Jan-Krzysztof 550 245 69 79 943
Trent, Lawrence 434 205 23 8 670
Sonis, Francesco 88 305 58 143 594
Van Foreest, Jorden 716 141 64 55 976
Tolush, Alexander 177 135 21 5 338
Dorfman, Josif 74 181 181 155 591
Bruzón Batista, Lázaro 547 242 138 163 1090
Gaprinda­shvili, Nona 361 800 26 63 1250
Gallagher, Joseph G. 1109 73 13 12 1207
Gormally, Daniel W. 304 502 7 29 842
Lilienthal, Andor 48 340 6 10 404
Dzindzi­chashvili, Roman 80 175 107 100 462
Lobron, Eric 309 296 95 233 933
Stoltz, Gösta 162 153 20 4 339
Eljanov, Pavel 190 764 111 240 1305
Harikrishna, Pentala 458 562 128 119 1267
Pachman, Luděk 158 416 191 122 887

Agdestein, Simen

82 473 142 44 741

Steinitz, Wilhelm

332 62 9 16 419
Sadler, Matthew D. 68 400 16 12 496
Maurizzi, Marc Andria 157 52 4 8 221
Moiseenko, Alexander 29 1313 1 1 1344
O'Kelly de Galway, Albéric 192 321 177 28 718
Euwe, Max 213 513 41 61 828
  10701 11247 2524 2653 27125

Quelle: Mega Database 2022

Anbei eine Sammlung besonders schöner 1. d4 Stier-Siege:

 

Mehr zum Thema Sternzeichen, aktuellem und historischem gibt es auf dem Blog der Autorin - dagmarday.com

links:


Dagmar Seifert ist eine norddeutsche Journalistin, Autorin und Astrologin. Sie liebt Schach, ist jedoch keineswegs eine übertrieben gute Spielerin. Immerhin war sie diejenige, die es ChessBase-Mitarbeiter Arne Kähler beigebracht hat – als er sechs Jahre alt war …