Der Zwilling und seine Strategie

von Dagmar Seifert
02.06.2022 – Anatoly Karpov und Tigran Petrosian sind zwei Zwillinge-Weltmeister, die mit positioneller und defensiver Klasse Ihre Titel erringen konnten. Wird mit Alireza Firouzja oder Hans Moke Niemann bald ein weiterer Weltmeister folgen? Wie sich herausstellt, sind Zwillinge mitunter die wahrscheinlich schnellsten Denker aller Sternzeichen, die sich allerdings nicht immer vollends konzentrieren können. | Foto: Pixabay

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Das Sternzeichen der aktuellen Wochen ist der Zwilling

Ein zwischen dem 21. Mai und 21. Juni geborener Mensch, astrologisch betrachtet ‚Die Zwillinge‘, ist schnell, wendig (auch und vor allem im Kopf) und durchtrieben. Natürlich gibt es in jedem Sternzeichen Intelligenzler und Dummerlein. Allerdings dürfte es schwierig werden, einen richtig grottendusseligen Zwilling zu finden. Doch, er besitzt auch Emotionen und Triebe, aber über allem regiert stets – sofern er ein echter Vertreter seines Zeichens ist – der Verstand.

Auch Nigel D. Short bezwang einst Kortchnoi, genauso wie Karpov. Allerdings war Short damals erst zehn Jahre alt, und es handelte sich um eine Simultanveranstaltung. Von seiner Karriere kann sich jeder selber im ChessBase Shop überzeugen. Das wäre sicherlich ein schönes Geburtstagsgeschenk für ihn. | Foto: David Llada

In diesem Ausmaß teilt das nur noch die Jungfrau. Beide werden vom Merkur regiert. Zwilling ist der schnellere, Jungfrau der gründlichere Denker.

Zwillinge wirken häufig fast unangenehm hochbegabt. Manchmal sind sie es wirklich, wie etwa Gata Kamsky, * 2. Juni 1974, der als Sechsjähriger ohne Wenn und Aber sofort in die dritte Klasse eingeschult wurde – wo er sich langweilte. Außerdem gewann Kamsky 1987, als Zwölfjähriger, die UdSSR-Jugendmeisterschaft U18, die gerade anstand.

Gata Kamsky im Wandel von links nach rechts, 1989 im Computernerd-Look (Foto: Nigel Eddis), 1996 mit anderer Frisur, 2006 wurde die Brille mit einer Cap getauscht (Foto: Carsten Straub) und 2021 im 70er-Karpov-Style (Foto: Pascal Lautenschläger)

So was veranstaltet Merkur mit seinen Kindern. Bei diesem handelt es sich übrigens um den eiligen Götterboten, auf geflügelten Sandalen unterwegs. Er ist der Herr der (Teppich-, Auto- und so-weiter-)Händler, Hüter der Information, der Diebe und, ja, wirklich: der Lügner.

Zwilling ist keineswegs so eingeschworen auf die Wahrheit wie viele andere Menschen. Zunächst mal, findet er, muss man ihm beweisen, was die Wahrheit ist – da er alles für relativ hält. Insofern zwickt ihn sein Gewissen nicht im Geringsten, wenn er Tatsachen je nach Wunsch umknetet. Er kann sich wunderbar verstellen. Das Chamäleon und auch die flinke Eidechse sind diesem Zeichen zugeordnet. Ein begabter Poker-Spieler, ein gefährlicher Schach-Gegner.

In der wohl dreckigsten Schachweltmeisterschaft, die es jemals gab, zogen Karpov und Kortchnoi (Widder) 1978, und deren Teams, Tricks aus sämtlichen Ärmeln. Sei es eine Spiegelbrille, Hypnose, Blaubeerjoghurt, oder dass einem das Händeschütteln verwehrt wird. Kortchnoi zog den kürzeren, und der Merkur freute sich, mit seinem jungen Schüler Karpov, über die gelungene Darbietung. | Foto: V. Savostianov, Novosti Press (via D. Griffin)

Master Class Band 6: Anatoly Karpov

Auf dieser DVD geht ein Expertenteam Karpovs Spiel auf den Grund. In über 7 Stunden Videospielzeit (jeweils komplett deutsch und englisch) beleuchten die Autoren vier wesentliche Aspekte von Karpovs Spielkunst.

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Blitzgötter

Da haben wir zwei seiner großen Talente, nämlich das rasend schnelle Denken:

  • Alireza Firouzja - wird als einer der derzeit besten Bullet- und Blitzspieler der Welt gehandelt.
  • Klaus Bischoff - ist deutscher Rekordsieger bei den nationalen Blitzmeisterschaften und kommentiert Turniere so schnell wie eine Engine.
  • Eric Hansen - Zählt als Blitz- und Schnellschachgenie
  • Gukesh D - gewann im Blitzen und Schnellschach mehrere Goldmedaillen
  • Ivan Sokolov - schon immer ein ausgezeichneter, schneller Spieler, gewann erst dieses Jahr 2022 ein starkes Blitzturnier

Ein ganz heller, schneller Kopf! Klaus Bischoff kommentiert gerade die "Norway Open" für ChessBase Deutschland, und ist bei den Zuschauern nicht nur wegen seiner Geistesgegenwärtigkeit sehr beliebt. | Foto: Bernd Vökler

und die Geschmeidigkeit, mit der er stets entkommt.

In einer großen Menschenschlange, die vor dem Ziel wartet, gerät der Zwilling, der als einer der letzten eintraf, irgendwie unweigerlich flink nach vorn. Er ist kein Drängler, sondern ein Schlängler, wendig, flexibel und raffiniert. Im Gegensatz beispielsweise zum Steinbock, der aus lauter Ehrgeiz nach vorn kommen will, treibt den Zwilling seine Ungeduld voran. Auf der Stelle zu stehen, findet er erzlangweilig.

Nicht greifbar!

Er kämpft weder brutal noch todesmutig, er sieht vielmehr zu, dass man ihn nicht erwischt. Dafür kann er dann plötzlich seine verwirrende Geschwindigkeit drosseln und, noch verwirrender, überaus bedächtig und achtsam werden.

Als sich 1963 der zwölfjährige Anatoli Karpow, *23.5.1951, in Moskau an einem Lehrgang der Sowjetischen Schachschule beteiligte, war Michail Botwinnik anfangs vom auffallend vorsichtigen Spiel des schmächtigen Kerlchens eher gelangweilt – bis sich herausstellte, was für ein gewitztes Kalkül dahintersteckte.

GM Hjörvar Steinn Grétarsson aus Island wurde von seinem Freund Simon Williams spaßeshalber der "Ginger Karpov" (Rothaariger Karpov) genannt, wegen des ähnlichen Spielstils. Dass Grétarsson und Karpov Sternzeichen Zwillinge sind, war wohl unbekannt.

Und Schachweltmeister Tigran Petrosjan, * 17. Juni 1929, galt als einer der größten Defensivspieler der Schachgeschichte, kaum zu bezwingen. Er benutzte außerdem seinen geschmeidigen Verstand, um ins Gehirn des Gegners zu kriechen und dessen Taktiken zu erraten: Prophylaktisches Spiel, das die Ideen des Schachpartners ausbremst. Natürlich war Petrosjan auch genial im Blitzschach.

Außerdem konnte er eine Behinderung zu seinem Vorteil benutzen! Seine Schwerhörigkeit machte ihn gegen Störungen durch Geräusche unempfindlich. Er durfte gewissermaßen, im Gegensatz zu seinem Schachpartner, wie in einem abgedämmten Raum spielen.

Der Eiserne - Tigran Petrosian. 1971 spielte der ehemalige Weltmeister gegen Robert Hübner im Kandidatenturnier Viertelfinale. Im lauten Spielsaal Sevillas, gab Hübner entnervt nach der siebten Runde auf, da der Geräuschpegel für ihn unerträglich war. Petrosian stellte einfach sein Hörgerät ab, und konnte sich gut auf die Partien konzentrieren.

Master Class Band 13 - Tigran Petrosian

Ganz besondere Fähigkeiten besaß Tigran Petrosian in der Verteidigung. Er gilt als Meister der Prophylaxe und ahnte Schwierigkeiten schon lange, bevor sie auf dem Brett akut wurden. Lassen sie sich von unseren Autoren (Yannick Pelletier, Mihail Marin, Ka

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Das nämlich gehört zu den Schwächen des Zwillinge-Schachspielers: Er ist unendlich ablenkbar, die Schattenseite seiner Fähigkeit, so viel aufzunehmen. Da er kaum umhin kann, alles, was rundum passiert, zu registrieren und zu verarbeiten, neigt er zur Zerstreuung und muss ständig um Konzentration ringen. Dieses Sternzeichen hat zu viele Nerven. Wer es bezwingen will, der sollte an ihnen sägen.

Ein Beispiel dafür ist Alireza Firouzja, * 18, Juni 2003, der neue Superstar, gerade 18 (bald 19) Jahre alt, unbestritten einer der besten Spieler der Welt, und häufiger als Nachfolger von Magnus Carlsen, Kronprinz der Schachwelt, gesehen. Firouzja hat zunehmend Probleme mit Stress, er fühlt sich immer häufiger von Geräuschen gestört (das ist das Dilemma intakter Ohren) und kämpft darum, seinen erstaunlichen Verstand zu sammeln.

Es ist sicherlich nicht leicht für ein junges Schachgenie wie Firouzja, mit dem Druck, der auf ihm lastet, umzugehen. Störende Kameras, Geräusche, aber auch eigene Gedanken lenken gerne ab, und das kann einen aufregen.

Da hätten wir dann die adäquate Strategie, um den scharfen Grips eines Zwillinge-Schachgegners zu besiegen. Eventuell könnte es schon genügen, ständig mit den Fingerspitzen auf den Tisch zu trommeln …

Berühmte Zwillinge Schachpersönlichkeiten + Geburtstage:

Fun facts:

  • Zeng Chongsheng, Liu Qingnan, Liang Jinrong, Ni Hua, Wang Zili, Wei Yi, Yu Yangyi, Xu Yi, und Zhou Jianchao sind neun, männliche Großmeister aus China. Bei den ca. 40 chinesischen, männlichen GMs auf der Welt, ist also fast jeder vierte Großmeister aus China ein Zwilling.
  • Zwillinge hatten die meisten FIDE Weltmeisterschaftsteilnahmen. Kein Wunder, bei dem Aufgebot von Karpov, Petrosian, und Kamsky. Dabei clashten diese am häufigsten mit den Widdern Kasparov und Kortchnoi zusammen, die dicht gefolgt, mithilfe von Smyslov, mit zwölf Teilnahmen dabei waren:
  1. 1963: Tigran Petrosian - Mikhail Botvinnik
  2. 1966: Tigran Petrosian - Boris Spassky
  3. 1969: Boris Spassky - Tigran Petrosian
  4. 1975: Anatoli Karpov - Bobby Fischer
  5. 1978: Anatoli Karpov - Viktor Kortchnoi
  6. 1981: Anatoli Karpov - Viktor Kortchnoi
  7. 1985: Garry Kasparov - Anatoli Karpov
  8. 1986: Garry Kasparov - Anatoli Karpov
  9. 1987: Garry Kasparov - Anatoli Karpov
  10. 1990: Garry Kasparov - Anatoli Karpov
  11. 1993: (Garry Kasparov - Nigel Short, nicht FIDE)
  12. 1993: Anatoli Karpov - Jan Timman
  13. 1996: Anatoli Karpov - Gata Kamsky
  14. 1999: Anatoli Karpov - Viswanathan Anand

Hier gibt es eine Auswahl an außergewöhnlichen Schnellschach- und Blitzsiegen von Zwillingen:

 

Mehr zum Thema Sternzeichen, aktuellem und historischem gibt es auf dem Blog der Autorin - dagmarday.com

links:


Dagmar Seifert ist eine norddeutsche Journalistin, Autorin und Astrologin. Sie liebt Schach, ist jedoch keineswegs eine übertrieben gute Spielerin. Immerhin war sie diejenige, die es ChessBase-Mitarbeiter Arne Kähler beigebracht hat – als er sechs Jahre alt war …