GCT Paris, Tag 4: Karjakin erobert die Führung

von Marco Baldauf
23.06.2018 – In Paris sah es heute lange Zeit fast danach aus, als hätte Sergey Karjakin beschlossen das Turnier heute schon zu gewinnen. Nach einem Remis zum Auftakt gelangen ihm glatt fünf Siege am Stück - die Konkurrenz schien abgehängt zu werden. Doch dann stolperte er der Moskauer in zwei Partien, blieb so zwar in Führung, doch von einer Vorentscheidung kann noch nicht gesprochen werden | Foto: Lennart Ootes

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Wesley So startet von der Pole

Wesley So zeigte in Paris einmal mehr seine Qualitäten als Schnellschachspieler. Mit 12/18 beendete das Schnellschachturnier als Erster - ein Punkt vor Hikaru Nakamura und Sergey Karjakin. Dies bedeutete ein Elogewinn von 15 Zählern, womit er Rang Zwei in der Weltrangliste weiter stabilisierte und den Abstand auf Magnus Carlsen deutlich verringerte - in der Weltrangliste des Schnellschach-Elo versteht sich. Carlsens Vorsprung beträgt zwar nach wie vor schlapp 28 Zähler, doch so nahe kam ihm die letzten Jahre wohl niemand.

Startete von der Pole Position ins Blitzturnier: Wesley So | Foto: Lennart Ootes

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Wichtiger als die Weltrangliste im Schnellschach ist für So jedoch zweifelsohne die Möglichkeit nach seinem Sieg in Leuven nun eine weitere Station der Grand Chess Tour für sich zu entscheiden. Wir erinnern uns: vor wenigen Tagen im belgischen Leuven dominierte So im Schnellschach nach allen Regeln der Kunst und lag mit 14/18 deutlich vor dem Rest des Feldes. Knapp wurde trotz des Vorsprungs von drei Punkten dennoch, sehr knapp sogar. Es war also klar, dass So auch im Blitz punkten muss - und das am Besten von Anfang an.

Mit zwei Remisen kam So solide aus den Startlöchern, doch einer seiner Konkurrenten konnte den Abstand schnell verkürzen. Sergey Karjakin schlug in einer unübersichtlichen Partie etwas glücklich seinen Landsmann Alexander Grischuk und verkürzte den Abstand zu So.

 

Der Sieg gegen Grischuk als Beginn eines großartigen Laufs für Sergey Karjakin | Foto: Lennart Ootes

Insgesamt fünf Runden lang sollte der Moskauer alle Punkte auf dem Weg einsammeln. Das erste Opfer hieß Vladimir Kramnik. Spätestens nach dieser Partie schien klar, dass der WM-Herausforderer von 2016 ein heißer Kandidat auf den Turniersieg sein würde.

Ebenso zu Siegen in Runde 3 kamen Tabellenführer So und Verfolger Nakamura. Der dritte Amerikaner im Bunde, Fabiano Caruana, war von der Tabellenspitze bereits weit abgeschlagen. Es gilt als offenes Geheimnis, dass Schnell- und Blitzschach nicht zu den Stärken Caruanas gehören. Doch gegen Aronian rettete er in mit einer schönen Festung einen halben Zähler, in der darauffolgenden Partie bezwang er Shakriyar Mamedyarov. Insgesamt standen am Ende des Tages jedoch lediglich 2½ Zähler zu Buche.

 

Runde 4: Karjakin überholt So

Die wichtigste Paarung im Kampf um die Tabellenspitze lautete Karjakin gegen So. So war trotz des halben Zählers Vorsprung nicht auf Sicherheit bedacht sondern attackierte Karjakin mit dem riskanten Winawer-System der Französischen Verteidigung. Eine typische Winawer-Stellung kam aufs Brett, Weiß mit großem Raumvorteil und Chancen am Königsflügel, Schwarz mit besserer Struktur und Hoffnungen auf strategisch gewonnene Endspiele.

 

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Karjakin hat soeben seinen passiven Läufer nach h4 befördert und so seinem Gegner eine unangenehme Frage gestellt. "Wesley, wohin mit deinem Gaul?" Die richtige Antwort ist nicht ganz klar. Es ist fast eine Grundsatzentscheidung: will ich meinen König weiter sichern (...Sg8) oder schafft der Monarch es alleine? Der Springer könnte dann nämlich in Richtung saftigere Weiden davongallopieren (c6-a5-c4). Die Königsstellung nach 26...Sc6 27.g5 war So vermutlich nicht geheuer, daher entschied er sich für 26...Sg8. Was er dabei allerdings übersah ist die Schwächung des Feldes f7, das nun nicht mehr vom König überdeckt werden kann. So geschah es, dass Karjakin nach den Zügen 27.Kg2 - Da4 28.g5 - Dc4 29.Dd2 die listige Drohung 30.Df4 aufstellte...und So es schlicht weg übersah.

 

Nach Sos Fehler 29...b5 war der Bauer - und damit sämtlicher Halt in seiner Stellung - bereits weg: 30.Df4! Die Partie im Gleichgewicht gehalten hätte übrigens passive Verteidigung à la 29....cxd4 40.cxd4 - Dc8.

Karjakin ging damit als neuer Tabellenführer in die fünfte Runde. Diese brachte ihm einen weiteren Sieg ein, während So völlig chancenlos gegen Grischuk an die Wand gespielt wurde. Grischuk scheint So wenig Erfahrung in königsindischen Strukturen zuzusprechen, denn wie schon im letzten Jahr im Blitz in Paris griff  Grischuk auch diesmal zu seiner alten Liebe. Und das mit durchschlagendem Erfolg!

 

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Alexander Grischuk | Foto: Lennart Ootes

Grischuks Performance am heutigen Tage war wechselhaft. Zu Beginn die unglücklich verloren gegangene Partie gegen Karjakin, gefolgt von einem Einsteller gegen Nakamura. Schließlich mit dieser großartigen Partie das erste Erfolgserlebnis, ein Sieg gegen Caruana sollte folgen. Am Ende

Karjakin kam hingegen gegen Caruana mit einem blauen Auge davon. Der Taktikradar beider Kontrahenten setzte an entscheidender Stelle aus.

 

Wenn es läuft, dann läuft es! Karjakin schien an diesem Tag einfach von nichts aufzuhalten zu sein. Gegen Vishy Anand erspielte er sich den fünften Sieg in Folge. Die Verfolger hatten größte Mühe überhaupt den Anschluss zu halten. Nach 6 gespielten Runden führte Karjakin mit geschlagenen 1½ Punkten Vorsprung vor Nakamura.

Runde 7: Karjakins Lauf findet ein jähes Ende

Doch wie jeder Lauf hatte auch Karjakins ein Ende. Gegen Maxime Vachier-Lagrave kam er in einem scharfen Mittelspiel in Bedrängnis und musste sich in ein Endspiel mit einem Bauern weniger retten. Ein Endspiel von der unangenehmeren Sorte, denn MVL hatte einen entfernten Freibauern, welcher von Turm und Springer gut unterstützt wurde.

 

Der weiße König eilt zur Unterstützung in Richtung Damenflügel. Karjakin bliebt cool, brachte seinen König nach g7 und wartete. Die Strategie des Verteidigungsministers lautete: ich warte bis der weiße König am Damenflügel ist, opfere dann meinen Springer und kassiere am Königsflügel noch einen Bauern. Im entstehenden "3 vs 2" am Königsflügel tat sich MVL lange Zeit hart, Fortschritte zu erzielen.

 

Letztlich fand MVL ein starkes Manöver. Er erkämpfte sich die 7. Reihe für den Turm und platzierte seine Figuren wie folgt: Sd6 und Td7. Der König blieb hingegen passiv. Mit dieser Aufstellung erzeugte er großen Druck auf f7, Karjakin kam schließlich in Zugzwang.

 

Das Feld g7 ist für den König nun vermint, dem Turm gehen auf der f-Linie bald die Felder aus - Karjakin musste daher seine erste Niederlage in Paris quittieren.

Maxime Vachier-Lagrave stellt Tabellenführer Karjakin ein Bein | Foto: Lennart Ootes

Für den Franzosen lief das Blitz heute im Großen und Ganzen sehr zufriedenstellend. Vier Siege bei einer Niederlage und vier Remis bedeuten ein starkes Ergebnis von 6/9. Mit 2½ Punkten Rückstand auf Karjakin ist die Gesamtwertung allerdings wohl außer Reichweite. Nicht zufrieden sein durfte hingegen Vishy Anand. Der indische Ex-Weltmeister konnte dem heutigen Tag nicht seinen Stempel aufdrücken und musste sich mit nur einem Sieg (gegen Alexander Grischuk) und 3½/9 begnügen. Ebenso blass bleibt der andere Ex-Weltmeister im Feld, Vladimir Kramnik.

Ein starkes Comeback gelingt hingegen Shakriyar Mamedyarov. Der Tag beginnt für sehr schwach, nach vier Runden steht gerade mal ein halber Punkt zu Buche. Dann aber beginnt die Aufholjagd nach aserbaidschanischer Art. Er besiegt Vachier-Lagrave und Nakamura, in der Schlussrunde bezwingt er sogar Tabellenführer Karjakin und zieht sich mit 4½/9 noch sehr beachtlich aus der Affäre.

Zeigt sein wahres Gesicht heute erst gegen Ende: Shakriyar Mamedyarov | Foto: Lennart Ootes

Tabelle Blitz nach 9 Runden

 

Schnellschach Endergebnis

 

Karjakin führt damit mit 17½ Punkten vor Nakamura (16½) und So (16). Morgen startet es bereits um 12 Uhr mit dem zweiten Durchgang des Blitz.

Blitzpartien

 

 

Turnierseite der Grand Chess Tour - Paris 2018...

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Marco Baldauf, Jahrgang 1990, spielt seit seinem sechsten Lebensjahr Schach. Zwei Mal wurde er Deutscher Jugendmeister, seit 2015 spielt er für die Schachfreunde Berlin in der Bundesliga. Für Chessbase schreibt er gelegentlich auf der Homepage, kommentiert live oder versucht sich als Autor von Fritztrainern.

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