Gewinnen lernen (3): Die Kunst, Leichtfiguren zu tauschen

von Jan Markos
31.08.2022 – Dr. Tarrasch (Bild) glaubte an die Kraft der Läufer. Einmal, so will es die Legende, wollte sein Gegner in der Analyse nach der Partie einen Läufer für einen Springer geben und kommentierte diesen Abtausch mit den Worten: "Gewinnt die kleine Qualität." Woraufhin Tarrasch entgegnete: "Sie meinen wohl, verliert die kleine Qualität!" Die richtigen Leichtfiguren im richtigen Moment zu tauschen, ist tatsächlich keine einfache, aber eine lohnende Kunst. Jan Markos weiß mehr!

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Im vorherigen Artikel haben wir uns angeschaut, wann und warum man Schwerfiguren tauschen sollte. Bei Leichtfiguren liegen die Dinge etwas anders. Erstens müssen wir uns nicht so sehr um die Sicherheit des Königs kümmern, da Leichtfiguren normalerweise nicht stark genug sind, um ernsthafte Mattdrohungen aufzustellen.

Zweitens ist der Tausch eines Läufers gegen einen Springer der einzige Tausch, bei dem zwei Figuren mit annähernd gleichem Wert gegeneinander getauscht werden. Daher ist dieser Tausch eine der einfachsten Möglichkeiten, ein Ungleichgewicht in einer Stellung zu schaffen.

Und drittens sind es die Leichtfiguren, die in der Eröffnung als erste in den Kampf eingreifen. Daher sieht man den Abtausch dieser Figuren in der Regel in einem frühen Stadium der Partie. Wenn die Türme und Damen noch im Bett liegen und langsam aus ihren Träumen erwachen, sind Springer und Läufer in der Regel schon mitten in heftige Kämpfe verwickelt.

Schauen wir uns ein paar praktische Beispiele an:

Anand-Van Wely, Wijk aan Zee 2001, Weiß am Zug:

 

Diese Stellung verwirrt viele meiner Schüler, vor allem diejenigen mit weniger als 2200 Elo. Sie scheinen von den weit vorgerückten schwarzen Bauern am Damenflügel wie hypnotisiert zu sein und glauben oft, dass Weiß schlechter steht oder zumindest in Gefahr schwebt.

Aber Weiß wird hier nicht Matt gesetzt. Er hat das Zentrum gut unter Kontrolle und fast alle seine Figuren (sogar der Turm auf h1!) stehen bereit, bei der Verteidigung zu helfen. Allerdings wird der Springer auf h5 nicht so bald in den Angriff eingreifen.

Deshalb steht Weiß nicht schlechter. Aber steht er besser? Mit dem scheinbar paradoxen 20.Lg4! Sf4 21.Lxf4 exf4 22.Lxd7! Dxd7 23.Dd2 bewies Anand, dass Weiß hier klaren Vorteil hat.

 

Durch die Aufgabe des Läuferpaars hat Anand die Stellung in ein typisches "Springer gegen schlechten Läufer" Szenario verwandelt. Der Springer auf c1 scheint nicht besonders stark zu sein, aber in ein paar Zügen wird er auf d5 stehen und dort glänzen. Weiß hat die Partie überzeugend gewonnen. (Bitte beachten Sie, dass Schwarz seinen Läufer nicht auf die lange Diagonale bringen kann, da ...g7-g6 mit h4-h5 nebst nachfolgendem Mattangriff auf der h-Linie beantwortet wird).

Was können wir aus diesem Beispiel lernen? Denken Sie daran: Wichtig ist nicht, welche Figuren getauscht werden. Wichtig ist, welche Figuren auf dem Brett bleiben. Anand hat sein Läuferpaar gegen die beiden Springer des Schwarzen getauscht, obwohl das Läuferpaar meist als stärker gilt. Aber die Stellung, die dann entstand, war deutlich besser für ihn.

Hier die vollständige Partie:

 

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Aber wir können noch mehr aus dieser Partie lernen: Beurteilen Sie die Stärke einer Figur nicht nur aufgrund ihrer aktuellen Stellung. Versuchen Sie, die Möglichkeiten Ihrer Figuren zu erkennen. Ein starker Spieler sieht, wie stark der Springer, der schüchtern auf c1 steht, sein wird, wenn er nach d5 kommt.

Im folgenden Beispiel hat Schwarz das Potenzial des gegnerischen Springers unterschätzt:

Ionov-Mikhalevski, Europameisterschaft, Ohrid 2001, Schwarz am Zug:

 

Schwarz hat das Benkö-Gambit gespielt, aber keine ausreichende Kompensation für den geopferten Bauern bekommen. In der Diagrammstellung muss er um das Remis kämpfen, und dieser Kampf wird schwer. Und er muss sich entscheiden: Soll er den Springer nehmen oder nicht?

Mikhalevski entschied sich dafür, den Läufer, der im Moment die aktivere Figur ist, zu behalten. Er spielte 38…Kf8? und ließ den Springer am Leben. Der landete nach langen Manövern schließlich auf c4, wo er sein volles Potenzial entfalten konnte und deutlich stärker war als der schwarzfeldrige Läufer des Schwarzen. Ionov gewann ohne große Probleme.

Schwarz hätte den Springer nehmen sollen: Nach 38…Lxc3! 39.Txc3 Tba8 40.Tcc2 hat Weiß Probleme, seinen Mehrbauern in einen vollen Punkt zu verwandeln. Es ist alles andere als leicht, den Bauern auf a2 in Bewegung zu setzen, und so hat Schwarz gute Remischancen. Übrigens sollte Schwarz in dieser Stellung versuchen, alle vier Türme auf dem Brett zu lassen, denn wenn ein Paar Türme getauscht wird, kann der weiße König den Vormarsch des Bauern a2 viel leichter unterstützen.

Hier die vollständige Partie:

 

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Eine weitere Faustregel, die sich als hilfreich erweisen könnte, wenn man über den Abtausch von Leichtfiguren nachdenkt, lautet wie folgt: Wenn Sie Raumvorteil haben, dann lassen Sie so viele Figuren wie möglich auf dem Brett. Diese Faustregel klingt trivial, aber ich möchte darauf hinweisen, dass sie nicht nur für geschlossene Stellungen gilt. Werfen wir einen Blick auf das folgende Diagramm:

Aronian-Anand, Grand Slam Finale 2014, Weiß am Zug:

 

Man könnte meinen, in dieser offenen Stellung sei Zeit der wichtigste Faktor, und dass Weiß den Abtausch des Springers auf d4 nicht fürchten muss und einfach einen Zug wie 14.Tfd1 spielen sollte. Aber nach 14…Sxd4 15.Txd4 Lc6 steht der weißfeldrige Läufer des Schwarzen auf c6 sehr gut und Schwarz gleicht aus. Außerdem, je leerer das Brett, desto stärker das Läuferpaar. Deshalb hilft jeder Abtausch Schwarz.

Aber Weiß sollte hier nicht auf den Faktor Zeit, sondern auf den Faktor Raum achten. Aronian spielte 14.Sb3! und der Springer auf c6 blieb auf dem Brett und schränkte den Läufer auf d7 ein. Der Armenier gewann eine schöne Partie.

 

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In der folgenden Stellung ist Weiß am Zug. Was würden Sie tun?

Nyback-Malakhov, Europäische Vereinsmeisterschaft 2006, Weiß am Zug:

 

Vermutlich war Nyback mit dem Verlauf der Eröffnung recht zufrieden. Weiß hat einen klaren Plan: Er will mit seiner Mehrheit am Damenflügel vorrücken. Aber verfügt Schwarz über ernsthaftes Gegenspiel? Nun, er er kann seinen Springer nach e4 bringen. Natürlich kann Weiß …Sh5-f6 mit Se2-c3 beantworten, um das Feld e4 zu decken, aber eine Angriffsfigur ist in der Regel stärker als eine Verteidigungsfigur.

Deshalb ergriff Weiß die Gelegenheit beim Schopf und spielte 21.Sg3!. Nach 21…Sxg3 22.hxg3 spielte die Schwäche auf e4 keine Rolle mehr. Schwarz hat keine Figur, die dieses Feld nachhaltig besetzen kann. Als Bonus hat sich die h-Linie geöffnet, und Schwarz könnte Probleme bekommen, einen weißen Angriff auf dieser Linie abzuwehren.

Das Einzige, was uns stören könnte, ist der Umstand, dass Weiß mit einem "schlechten" Läufer verblieben ist, wohingegen Schwarz den "guten Läufer" hat. Aber in dieser Art von Stellung ist nicht klar, ob der Läufer auf g7 wirklich so viel besser ist als der Läufer auf e3, denn die Bauern des Weißen nehmen auch dem schwarzen Läufer die Bewegungsfreiheit.

Zwei Dinge sollte man im Gedächtnis behalten, wenn man sich dieses Beispiel anschaut. Erstens: Wenn Ihre Stellung Bauernschwächen oder andere Schwächen aufweist, dann sollten Sie versuchen, die gegnerischen Springer abzutauschen. Zweitens: In sehr geschlossenen Stellungen kann der Unterschied zwischen guten und schlechten Läufern irrelevant werden.

Hier ist die vollständige Partie:

 

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Figurentausch ist eine gefährliche Waffe. Wenn Sie auf Gewinn spielen wollen, dann sollten Sie keine Angst vor vereinfachten Stellungen haben, wenn noch Leben in ihnen ist. Schauen Sie sich an, wie Carlsen spielt: Ziemlich oft geht er von der Eröffnung direkt in ein etwas besseres Endspiel über, in dem er seinen Gegner lange Zeit quält. Und oft holt er so den ganzen Punkt.

Übersetzung aus dem Englischen: Johannes Fischer

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Jan Markos ist ein slowakischer Schachautor, Trainer und Großmeister. Sein Buch "Under the Surface" wurde 2018 vom Englischen Schachverband zum Buch des Jahres gewählt. Sein neuestes Buch, "The Secret Ingredient", das er zusammen mit David Navara geschrieben hat, konzentriert sich auf die praktischen Aspekte des Schachs, z.B. Zeitmanagement am Brett oder Vorbereitung auf einen bestimmten Gegner. Markos war vor zwanzig Jahren U16-Europameister und jetzt verhilft er seinen Schülern aus mehreren Ländern zu ähnlichen Erfolgen. Neben Schachbüchern hat er auch Bücher über kritisches Denken, moralische Dilemmata und Phänomenologie geschrieben.

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